02 November 2018

Gewolltes Recht

Das lange geheim gehaltene und nunmehr in englischer Sprache über eine griechische Webseite verfügbare „Verwaltungsabkommen zwischen dem griechischen Ministerium für Migrationspolitik und dem deutschen Ministerium für Inneres, Bau und Heimat zur Zusammenarbeit bei einer Einreiseverweigerung für schutzsuchende Personen im Kontext der vorübergehenden Kontrollen an der Binnengrenze zwischen Deutschland und Österreich“ ist politisch eine abenteuerliche Konstruktion: eine Zusammenarbeit mit Griechenland an der deutsch-österreichischen Grenze. Rechtlich ist es ein Dokument, das zeigt, dass die geltenden rechtlichen Standards ignoriert und durch gewollte rechtliche Standards ersetzt und umgangen werden. Das Verwaltungsabkommen setzt eine Rückübernahmeverpflichtung Griechenlands aufgrund einer Mitteilung eines sog. Eurodac-Treffers voraus. Genau die Verpflichtung also, die der (bisher nicht angenommene) Vorschlag der EU-Kommission für eine Reform der Dublin-III-Verordnung („Dublin IV“) einführen will. Geltendes Recht ist aber die Dublin-III-Verordnung. Der nachfolgende Beitrag zeigt in einer ersten Analyse auf, wie das Verwaltungsabkommen versucht, eine rechtswidrige Praxis zu etablieren, die allerdings bisher mangels anwendungsfähiger Fälle nur in Einzelfällen zur Anwendung kam. Der Beitrag konzentriert sich dabei auf die Verweigerung der Einreise, den Ablauf des Verfahrens und die Rechtmäßigkeit von Überstellungen. Begonnen werden soll zunächst mit einer Schilderung des Inhalts des Abkommens und einem Exkurs zu Grenzkontrollen an Binnengrenzen.

Inhalt des Abkommens

Das Verwaltungsabkommen enthält in Teil I (Nrn. 1-6) die vereinbarte Vorgehensweise für den Fall, dass einer Person anlässlich einer Kontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze die Einreise verweigert werden soll. Gemäß Nr. 1 sind Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Abkommens neben der im Raum stehenden Einreiseverweigerung, dass die Person nicht unbegleitet und minderjährig ist, dass sie ein Schutzersuchen äußert und dass bei der Kontrolle ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 aus Griechenland festgestellt wird. Ein Kategorie-1-Treffer wird dann in der Eurodac-Datenbank gespeichert, wenn der Mitgliedstaat einen Asylantrag der betroffenen Person registriert hat. Liegt ein solcher Fall vor, werden die griechischen Behörden (gemäß Nr. 2) unter Angabe von Eurodac-Nummer, Foto, Reisewegsdaten und Aufgriffsort benachrichtigt („notification“) und verpflichten sich, ein automatisches Antwortsystem einzurichten. Für die Meldung eines Falles enthält der Annex zur Vereinbarung ein Formblatt. Die „Umsetzung der Einreiseverweigerung“ wird gemäß Teil Nr. 3 per Flugtransfer zum Flughafen Athen innerhalb von 48 Stunden vorgenommen, wenn die griechische Seite nicht innerhalb von sechs Stunden widerspricht und aufzeigt („demonstrates“), warum die Bedingungen nach Nr. 1 nicht erfüllt sind. Wenn die griechische Seite gemäß Nr. 4 innerhalb von sieben Tagen aufzeigt, dass die Person zu Unrecht überstellt wurde, verpflichtet sich Deutschland zur Rückübernahme der bereits überstellten Person. Nr. 5 bestimmt die Nationale Koordinationsstelle für Grenzkontrollen, Migration und Asyl in Athen sowie die Bundespolizeidirektion München als zuständige Stellen für die Umsetzung des Abkommens. Deutschland verpflichtet sich, alle mit den Transfers in Verbindung stehenden Kosten zu übernehmen (Nr. 6).

Der für die nachfolgenden Ausführungen nicht einschlägige Teil 2 (Nrn. 7-12) enthält eine Vereinbarung über das Vorgehen bei Aufnahmeersuchen zur Familienzusammenführung seitens Griechenlands an Deutschland, in dem sich Deutschland verpflichtet, alle vor dem 1. August 2018 anhängig gemachten Aufnahme-Verfahren (Nr. 7) sowie Anfragen im Remonstrationsverfahren (nach Ablehnung der Aufnahme seitens Deutschlands – Nrn. 9-11) innerhalb von zwei Monaten zu beantworten und die notwendigen Übernahmen mit einer monatlichen Obergrenze von 600 Personen bis Ende 2018 abzuschließen. Zudem verpflichtet sich Deutschland, bei allen nach dem 31. Juli 2018 gestellten Aufnahmeersuchen, die Fristen der Dublin-III-Verordnung einzuhalten (Nr. 8), während sich Griechenland verpflichtet, die Kosten für die geplanten Flugüberstellungen zu übernehmen (Nr. 12).

In den Schlussbestimmungen (Teil III) ist die konkrete Verwaltungskooperation geschildert, diese umfasst die Möglichkeit zum Austausch von Liaison-Beamten (Nr. 13) sowie die Bildung eines Komitees zur Streitbeilegung (Nr. 14). Nr. 15 enthält den Beginn und die Möglichkeiten zur einseitigen Beendigung des Abkommens. Dieses endet spätestens, wenn die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in Kraft tritt (Nr. 15 in fine).

Exkurs: Rechtswidrige Grenzkontrollen

Die Grenzkontrollen an der Binnengrenze zwischen Deutschland und Österreich, welche auch die Voraussetzung für die Anwendung des deutsch-griechischen Verwaltungsabkommens bilden, sind laut Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums vom 12. Oktober 2018 bis zum 11. Mai 2019 verlängert worden. Der Bundesinnenminister verwies dabei darauf, dass „die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Binnengrenzkontrollen […] derzeit noch nicht gegeben“ sind. Diese Aussage verdreht das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Binnengrenzkontrollen und deren Abwesenheit. Es müssten nämlich die Voraussetzungen für die Anordnung von Binnengrenzkontrollen gegeben sein und nicht die Voraussetzungen für die Aufhebung. Worin der Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht, macht eine Presseerklärung des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE-Ausschuss) des Europäischen Parlaments in einer Pressemitteilung vom 23. Oktober 2018 klar: Da die Grenzkontrollen nach dem Schengener Grenzkodex auf höchstens zwei Jahre beschränkt sind und für Ausnahmesituationen vorbehalten sein sollten, bezeichnet die Berichterstatterin die von einigen Mitgliedstaaten wieder eingeführten Kontrollen allein schon deswegen als „illegal“, da sie bereits über drei Jahre andauern. Der LIBE-Ausschuss schlägt im Kontext der aktuellen Verhandlungen zu einer Neufassung des Schengener Grenzkodex vor, diese auf höchstens ein Jahr zu begrenzen und begründet die vorgeschlagene Einschränkung damit, dass verschiedene Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen „missbraucht und fehlinterpretiert“ haben. Eine detailliertere Bewertung des Autors zu den Binnengrenzkontrollen generell findet sich hier.

Rechtswidrige Verweigerung der Einreise

Die Verweigerung der Einreise an der deutsch-österreichischen Grenze ist Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Verwaltungsabkommens. Dazu müsste es nach dem geltenden Recht überhaupt möglich sein, einer Person, die ein Schutzersuchen äußert, an der Binnengrenze die Einreise zu verweigern. Diese Frage lässt sich bereits anhand der aktuellen Dublin-III-Verordnung eindeutig beantworten, denn diese sieht vor, dass die Mitgliedstaaten jeden Antrag prüfen, der gestellt wird und dass dieser Antrag von dem Staat zu prüfen ist, der nach den Kriterien der Verordnung als zuständig bestimmt wird (Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung). Dies setzt eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Staat, in dem sich die Person befindet, voraus. Eine Überstellung in den nichtzuständigen Staat ist zudem im System nicht vorgesehen und kann gerichtlich geltend gemacht werden, wie der EuGH im Juni 2016 in den Fällen Ghezelbash und Karim deutlich gemacht hat.

Auf der Ebene des Schengenrechts stehen der Verweigerung der Einreise an der deutsch-österreichischen Grenze zudem der Schengener Grenzkodex und das deutsche AufenthG entgegen. Der EuGH im Fall Affum und der Generalanwalt Szpunar im Fall Arib haben deutlich gemacht, dass eine Kontrolle an den Binnengrenzen eben nicht den Kontrollen an der Außengrenze gleichzustellen ist, vielmehr findet eine Einreise unmittelbar nach Betreten des jeweiligen Schengen-Staates statt. Die Personen sind also, wenn sie auf deutschem Hoheitsgebiet angetroffen werden, bereits im europarechtlichen Sinne eingereist (siehe dazu auch den Beitrag von Anna Lübbe auf diesem Blog).

Für eine Einreiseverweigerung wäre die Voraussetzung, dass die Kontrolle an einer Grenzübergangsstelle stattfindet. Dies ergibt sich aus § 13 AufenthG. Dieser regelt: „An einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ist ein Ausländer erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. […] Im Übrigen ist ein Ausländer eingereist, wenn er die Grenze überschritten hat.“ Da es an der deutsch-österreichischen Grenze aktuell keine bezeichneten (im Bundesanzeiger veröffentlichten) Grenzübergangsstellen gibt, ist die Einreise mit dem Überschreiten der Grenze erfolgt. Das Abkommen zielt aber auf eine solche Verweigerung der Einreise, so dass es in der aktuellen rechtlichen Situation schon gar keinen Anwendungsfall für das Abkommen geben kann. Somit ist auch § 18 Abs. 2 Satz 2 Asylgesetz, der die Zurückweisung vor Grenzübertritt regelt, im Zuge der durchgeführten Binnengrenzkontrollen nicht anwendbar, dieser gilt nur an Grenzübergangsstellen, wie beispielsweise den internationalen Flughäfen. Hier zeigt sich deutlich das oben angesprochene „gewollte Recht“. Das Bundesinnenministerium will, dass bei einer Grenzkontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze dieselbe „Fiktion der Nichteinreise“ gilt wie im Flughafenverfahren gemäß § 18a AsylG. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür bestehen aber aktuell nicht und zwar weder auf der europarechtlichen Ebene noch nach den aktuell geltenden Regeln des AufenthG. Dieses Problem ist angesichts der eindeutigen Rechtsprechung und des eindeutigen Wortlauts von § 13 AufenthG auch nicht durch Auslegung lösbar, sondern würde eine Änderung der Normen erfordern.

Rechtswidriger Ablauf des Verfahrens

Zudem ist der vereinbarte Verfahrensablauf rechtswidrig, da er die in der Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Verfahrensabläufe umgeht. Eine ablehnende Entscheidung im Dublin-Verfahren unter Umgehung der Verfahrensvorschriften ist rechtswidrig (vgl. EuGH, Fall Hassan), da immer eine Zuständigkeitsbestimmung vorgenommen werden muss, bevor ein Transfer nach Griechenland eingeleitet wird. Dies gilt auch, wenn ein Eurodac-Treffer vorliegt, da dieser keinen Beweis für die Zuständigkeit eines Staates darstellt, sondern lediglich einen Beweis für die frühere Anwesenheit, die eben für sich genommen nicht zur Zuständigkeit führt (vgl. Art. 22 Abs. 3 Dublin-III-Verordnung). Zudem erlaubt auch die feststehende Zuständigkeit eines anderen Staates nicht, von den Verfahrensregeln abzusehen. Das bedeutet unter anderem auch, dass die asylsuchende Person über das Dublin-Verfahren entsprechend zu unterrichten ist (Art. 4 Dublin-III-Verordnung) und ein persönliches Gespräch hinsichtlich der Zuständigkeitsbestimmung stattfinden muss (Art. 5 Dublin-III-Verordnung). Zudem muss eine Zustellung der Entscheidung (Art. 26 Dublin-III-Verordnung) erfolgen, und aus dieser Zustellung entsteht das Recht, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 27 Dublin-III-Verordnung einzulegen, denn die betroffenen Personen haben gemäß Abs. 1 „das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.“ Dieser Rechtsbehelf setzt gemäß Abs. 2 und 3 voraus, dass eine Überstellung während der Klagefrist und während einer Prüfung des Eilantrags nicht vollzogen werden darf. Somit kann eine rechtmäßige Überstellung frühestens nach Ablauf der Klagefrist erfolgen, wenn die Person keinen Eilantrag stellt.

Zur Klarstellung sei hier noch darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Konstellation Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-Verordnung nicht einschlägig ist, da dessen Anwendbarkeit einerseits voraussetzt, dass die Person ihren Asylantrag im ersten Staat (hier: Griechenland) während der Dublin-Prüfung zurückgezogen hat und zweitens die Norm – trotz des im Normtext fehlenden Verweises auf die Rechtsschutzmöglichkeiten – nicht so gelesen werden kann, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht gelten, da eine solche Lesart dazu führen könnte, dass eine Person keinen wirksamen Rechtsschutz gegen Überstellungen trotz bestehender Überstellungsverbote hat. Die Dublin-III-Verordnung stellt klar, dass Überstellungsverbote von Amts wegen zu beachten sind (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-Verordnung). Dies kann umfassend gerichtlich geltend gemacht und überprüft werden (vgl. EuGH, C.K. u.a. und den Blogbeitrag des Autors dazu). Dies setzt eine automatische aufschiebende Wirkung bis zur Rechtskraft des Bescheides voraus (vgl. dazu zuletzt EuGH, Gnandi).

Auch hier zeigt sich, dass das Bundesinnenministerium eine bestimmte Rechtslage annehmen will, die daran anknüpft, was lange Zeit in der deutschen Rechtsprechung galt, nämlich eine Verneinung des subjektiven Rechts (und damit des Anspruchs auf Rechtsschutz) in Dublin-Verfahren. Diese Auslegung wird aber vom EuGH beispielsweise für Fristenregelungen klar abgelehnt und selbst im Dublin-IV-Vorschlag ist ein effektiver Rechtsschutz bei Vorliegen familiärer und humanitärer Gründe vorgesehen. Zudem ist die Frage, ob eine solche Beschränkung des Rechtsschutzes überhaupt zulässig (und mehrheitsfähig) wäre zumindest offen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Autors).

Auf der Ebene der Zuständigkeiten im nationalen Verfahren ist zudem noch zu bemerken, dass die Bundespolizei keine Kompetenz hat, in Dublin-Verfahren zu handeln. Diese Kompetenz liegt seit Inkrafttreten der Dublin-III-Verordnung ausschließlich beim BAMF, da die relevante Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung keine Zuständigkeitsübertragung an die Bundespolizei für Dublin-III-Fälle vorsieht. Gemäß § 29 AsylG ist das BAMF sowohl für die (Dublin-)Anhörung der Person als auch für die Entscheidung über das geäußerte Asylbegehren zuständig. Europarechtlich liegt mit dem geäußerten Begehren bereits ein Asylantrag vor, der die Anwendbarkeit der Dublin-III-Verordnung auslöst (vgl. EuGH, Mengesteab und den Blogbeitrag des Autors).

Unrechtmäßigkeit von Überstellungen nach Griechenland

Neben den verfahrensrechtlichen Bedenken bestehen aufgrund der in Griechenland herrschenden Zustände vor allem auch inhaltliche Bedenken gegen Dublin-Überstellungen nach Griechenland. Im Januar 2011 hat der EGMR im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland festgestellt, dass Überstellungen nach Griechenland aufgrund der drohenden Inhaftierung, des fehlenden Zugangs zum Verfahren, der dortigen Aufnahmebedingungen und der Gefahr rechtswidriger Abschiebungen aus Griechenland, eine Verletzung des absolut geltenden Refoulement-Verbots gemäß Art. 3 EMRK darstellen. Diesem Befund hat sich der EuGH im Fall NS u.a. im Dezember 2011 angeschlossen und aufgrund bestehender systemischer Schwachstellen Überstellungen nach Griechenland für unvereinbar mit Art. 4 der Grundrechtecharta erklärt. Ein solches Überstellungsverbot ist im Juni 2013 auch Teil der Dublin-III-verordnung geworden (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-Verordnung). Der EuGH hat im Fall C.K. u.a. im Januar 2017 festgehalten, dass auch individuelle Überstellungsverbote immer beachtlich sind und im Einzelfall geprüft werden muss, ob ein Überstellungsverbot vorliegt. Hinsichtlich Griechenlands hat zwar die EU-Kommission verlautbaren lassen, dass eine Dublin-Überstellung von nicht-vulnerablen Personen ab dem März 2017 schrittweise wieder aufgenommen werden sollen, dies entbindet aber gerade angesichts der Situation in Griechenland die prüfenden Behörden nicht davon, im Einzelfall festzustellen, ob eine Überstellung möglich ist. Bisher finden aufgrund dieser Rechts- und Tatsachenlage immer noch so gut wie keine Überstellungen von Asylsuchenden nach Griechenland statt. Eine automatisch generierte Annahme eines Überstellungsersuchens seitens Griechenlands auf Grundlage einer Notifizierung, die aufgrund eines Eurodac-Treffers ausgelöst wurde, wie im Verwaltungsabkommen vorgesehen, ist daher sicherlich nicht ausreichend, um den Prüfungsverpflichtungen im Einzelfall gerecht zu werden.

Auch hier zeigt sich der Wille des Bundesinnenministeriums eine Rechtslage anzunehmen, die nicht geltendes Recht ist. Die Idee der Notifizierung statt eines vollen Übernahmeersuchens ohne Prüfungsverpflichtung hat die Kommission in den Dublin-IV-Vorschlag aufgenommen, um die Zuständigkeitsbestimmung zu vereinfachen. Solange diese aber nicht beschlossen ist, gilt weiterhin Art. 23 Dublin-III-Verordnung, der regelt, dass ein anderer Mitgliedstaat um Wiederaufnahme ersucht werden kann, wenn dieser „für die Prüfung des Antrags zuständig ist“ (was vorab zu prüfen ist) und für die Antwort gilt Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung: „Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich.“ Es ist also unter Geltung der Dublin-III-Verordnung nicht möglich, dass, wie im Abkommen vorgesehen, ein Nichtwiderspruch nach automatisch generierter Antwort die Zustimmung auslöst. Griechenland muss die entsprechenden Überprüfungen vornehmen und eine zustimmende Antwort senden. Die Antwortfrist beträgt dabei zwei Wochen. Art. 23 und 25 Dublin-III-Verordnung sind auch für Verfahren nach Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-Verordnung einschlägig, es müssen also sowohl auf deutscher als auf griechischer Seite Überprüfungen vorgenommen werden, die nicht abbedungen werden können und somit der kurzen Frist von nur 48 Stunden entgegenstehen (vgl. dazu auch den Blogbeitrag des Autors zu Dublin-Verfahren).

Fazit und Ausblick

Insgesamt erfüllt das Abkommen nicht die Voraussetzungen einer Verwaltungsvereinbarung nach Art. 36 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung. Dieser sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Abkommen schließen können, die „die Vereinfachung der Verfahren und die Verkürzung der Fristen für die Übermittlung und Prüfung von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragsteller[n]“ betreffen. Die mit Griechenland abgeschlossene Verwaltungsvereinbarung vereinfacht die Verfahren nämlich nicht, sondern verändert diese grundlegend, indem sie rechtsstaatliche Garantien wie den Rechtsschutz und die Prüfung von Überstellungsverboten verunmöglicht und eine automatische Übernahme ohne Zuständigkeitsprüfung vorsieht. Zudem soll eine automatisierte Empfangsbestätigung die zustimmende Antwort ersetzen und einen Zuständigkeitsübergang bei Nicht-Widerspruch innerhalb von sechs Stunden auslösen. Dies ist keine „Verkürzung der Fristen“, sondern eine von der Verordnung abweichende Vorgehensweise, was den Mitgliedstaaten gerade nicht erlaubt ist, wie der EuGH in seiner Rechtsprechung immer wieder festhält und zwar bezogen auf die Kriterien, die Fristen und den Verfahrensablauf. Dies gilt auch in Sondersituationen, wie Wiederaufnahme-Verfahren nach Aufgriff oder beim Zusammentreffen verschiedener Verfahren. Das unter dem Abkommen vorgesehene Vorgehen ist mithin sowohl europarechtlich als auch nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylgesetz rechtswidrig. Eine Anwendung des Abkommens ist daher in jedem Einzelfall rechtswidrig, da es keinen rechtlich zulässigen Verfahrensablauf enthält.

Das Abkommen speist sich meiner Analyse nach aus zwei gedanklichen Quellen. Zum Einen nimmt die Ausgestaltung Bezug auf die vom EuGH für nicht mehr anwendbar erklärte deutsche Rechtsprechung zum fehlenden subjektiven Recht in Dublin-Verfahren und zum Anderen werden Anleihen bei dem von Deutschland maßgeblich mitgestalteten Vorschlag für eine Dublin-IV-Verordnung genommen. Dort ist eine die Zuständigkeit auslösende Notifizierung ohne Rechtsschutzgarantie im Inland vorgesehen. Dieser Vorschlag ist aktuell aber noch sehr weit von einer Einigung zwischen den Mitgliedstaaten entfernt und das Europäische Parlament steht dem Vorschlag ebenfalls sehr kritisch gegenüber.

Das gewollte Recht ist nicht das geltende Recht. Deutschland sollte daher vom in Nr. 15 enthaltenen, einseitigen Kündigungsrecht der Vereinbarung schnellstmöglich Gebrauch machen, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden und die Anwendung des Abkommens zu beenden.


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