Im Netz der Sicherheit: das BKA-Gesetz und die Grenzen der Zentralisierung
Die Aufarbeitung des Falles Anis Amri kreist um die Frage, welche Behörde welche Maßnahmen hätte ergreifen können oder müssen, die den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin vielleicht verhindert hätten. Neben dem Ausländerrecht, insbesondere den Regelungen zur Abschiebung, steht das allgemeine Sicherheitsrecht im Mittelpunkt des Interesses. Erste Neuregelungen sollen auf Bundesebene getroffen werden.
In dem am 1. Februar 2017 vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf der Neufassung des BKA-Gesetzes ist neben einer Vielzahl von informationsbezogenen Bestimmungen eine Regelung zur Fußfessel für sog. Gefährder enthalten, die als Modell für die Landesgesetzgebung dienen soll. Die Vorlage einer verfassungsrechtlich umstrittenen Regelung durch den Bund soll die Länder sicherheitsrechtlich inspirieren. Der Bund kann im Sicherheitsrecht aber nicht nur als Vorreiter fungieren, er kann auch gleich anstreben, die ganze Aufgabe zu übernehmen. In diese Richtung ging der Vorschlag des Bundesinnenministers zur Jahreswende 2016/17, der darauf zielte, Landesämter für Verfassungsschutz zu Gunsten der Stärkung des Bundesamtes aufzulösen oder zumindest umzuorganisieren. Doch die Verfassungsordnung setzt Grenzen. Die Frage, ob Bund oder Länder besser in der Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten, bedarf differenzierender Antworten, bei denen die Ebene der Europäischen Union einzubeziehen ist. Effektivität ist nicht der einzige Maßstab, hinzu tritt vorrangig die angemessene Wahrung der Freiheit.
Elbphilharmonie statt Bauhaus
Sicherheit in Deutschland wird im föderalen System gewährleistet. Im Hinblick auf Aufgaben und Zuständigkeiten wird von einer Sicherheitsarchitektur gesprochen, die allerdings nicht mit einer klaren und übersichtlichen Struktur aufwarten kann. Die deutsche Sicherheitsarchitektur ist eher Elbphilharmonie als Bauhaus. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist daher eine zentrale Voraussetzung für die effektive Erfüllung der Aufgaben. Die schiere Anzahl der beteiligten Behörden und deren Kontakte zu Behörden anderer Staaten zwingen notwendig zu Vernetzung und Kommunikation. Allein dies macht die Gewährleistung von Sicherheit zu einem komplizierten Unterfangen. Auch die Zusammenarbeit der Bundesbehörden untereinander ist darauf zu prüfen, ob Optimierungspotentiale bestehen, etwa im Hinblick auf die unterschiedlichen Nachrichtendienste und die Generalbundesanwaltschaft. Im Vordergrund steht aber die Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf den Gebieten der Polizei und des Verfassungsschutzes.
Die Verfassungsschutzbehörden sind unterschiedlich groß und unterschiedlich gut ausgestattet. Die Verfassungsschutzämter der Länder sind teilweise eigenständige Behörden, teilweise handelt es sich um Abteilungen des jeweiligen Innenministeriums. Infolge des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Bund die Kompetenz, auf Bundesebene die Aufgabe des Verfassungsschutzes institutionell abzusichern. Mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz ist das geschehen. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder steht dem Bund gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu. Diese Kompetenz umfasst ausdrücklich die Gewährleistung der Sicherheit eines Landes, bezieht sich allerdings auf die Zusammenarbeit. Vereinzelt wird vertreten, der Bund könne die Länder zu bestimmten Maßnahmen hinsichtlich ihrer Behörden verpflichten, z.B. zur Ausstattung mit bestimmten Befugnissen (BK-Werthebach/Droste, Art. 73, Nr. 10 Rn. 74). Dies ist abzulehnen, weil der Begriff der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder nicht die Zuständigkeit der Länder für ihre Verwaltungsorganisation und die materielle Gewährleistung von Sicherheit im Land überrollen kann (Maunz/Dürig/Uhle, Art. 73 Rn. 235). Der Bund hat die ihm zustehenden Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen mit den Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes weit ausgereizt. Weiter gehende Änderungen der Systematik des Verfassungsschutzes setzen eine Verfassungsänderung voraus.
Die Stärkung des Bundes auf dem Gebiet der Sicherheit erfolgte zuletzt in der Föderalismusreform des Jahres 2006 durch die Einfügung der Gesetzgebungskompetenz zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 lit. a GG). Dem hat der Bund mit der damaligen Änderung des Bundeskriminalamtgesetzes Rechnung getragen. Eben diese bedurfte allerdings der Reparatur durch das Bundesverfassungsgericht, das in seinem Urteil vom 20. April 2016 diese Bestimmungen einer gründlichen Prüfung unterzogen und an einigen Stellen für verfassungswidrig erklärt hat. Dabei ging es um materielle Fragen, in denen der Bundesgesetzgeber über das verfassungsrechtlich gesetzte Maß hinaus Regelungen getroffen hatte. Über eine Reihe von Einzelfragen kann man streiten. Jedenfalls ist aber festzuhalten, dass der Bund nicht notwendig enger an den verfassungsrechtlichen Grenzen agiert als die Länder. Der aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung des BKAG, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen soll, ist umfangreich und birgt Konfliktpotenzial. Dies betrifft nicht nur die bereits erwähnte Einführung einer Bestimmung zur Fußfessel für sog. Gefährder, die nicht verdecken darf, dass zahlreiche weitere Regelungen verfassungsrechtlich weiter diskutabel sind, die gerade auch die informationelle Kooperation und die Einführung neuer Dateistrukturen betreffen.
Änderungen bei Zuständigkeiten und in der Organisation berühren die Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Die Verteilung von Zuständigkeiten der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden beinhaltet zugleich auch die Abgrenzung von Aufgaben und Befugnissen unterschiedlicher Behörden. Damit kommt das Trennungsgebot zum Zuge. Die Auseinandersetzung um seine verfassungsrechtliche Verankerung soll hier nicht weiter nachvollzogen werden, denn der entscheidende Aspekt ist die informationelle Zusammenarbeit der Behörden. Hier hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Antiterror-Datei (BVerfGE 133, 277) klargestellt, dass ein informationelles Trennungsgebot aus den Grundrechten entspringt und damit verfassungskräftig festgelegt ist. Damit ist zu Recht klargestellt, dass eine Informationskooperation der Sicherheitsbehörden möglich, aber den grundrechtlichen Grenzen der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit unterworfen ist. Diesen Vorgaben müssen etwa die Regelungen zur Antiterror-Datei oder zur Rechtsextremismus-Datei gehorchen.
Ein informationeller Staubsauger
Änderungen in den Zuständigkeiten der Nachrichtendienste müssen daraufhin geprüft werden, ob sie sich auf die Rahmenbedingungen des informationellen Trennungsgebotes auswirken. Es kann zu tektonischen Verschiebungen kommen, die ein grundrechtliches Erdbeben auslösen könnten. Eine Zusammenlegung der Ämter für Verfassungsschutz in eine einzige Behörde auf Bundesebene kann und soll zu erheblichen Konsequenzen in der Kooperation mit anderen Behörden führen. Es ist gerade das Ziel derartiger Überlegungen, eine erleichterte Kooperation zu erlauben. Dies darf aber nicht dazu führen, dass der Zweck des Trennungsgebotes ausgehebelt wird. Das Verfassungsschutzgesetz des Bundes enthält Schutzmechanismen gegen zu starke Machtkonzentration, die im Falle organisatorischer Neujustierungen auf ihre Tauglichkeit zu prüfen wären. Im Hinblick auf kleine Behörden in den Ländern kommen organisatorische Straffungen oder die Einführung von Verpflichtungen der Zusammenarbeit mit Elementen wie Weisungsrechten oder Selbsteintrittsrechten in Betracht. Zulieferungen und Datenübermittlung von und zu anderen Behörden können verstärkt und einfacher gesteuert und gewünscht werden. Verbesserte Kooperation kann nur grundrechtskonforme Kooperation sein. Eine starke, zentrale Behörde auf Bundesebene mit erheblichen Ressourcen ist jedoch in der Lage, informationelle Staubsaugerqualität zu entfalten. Hier kommt der Föderalismus in seiner Funktion der Freiheitssicherung zum Zuge. Es kann durchaus geboten sein, mit einer föderalen Gestaltung der Sicherheitsbehörden bzw. deren Beibehaltung einer freiheitsgefährdenden Stärkung und Zentralisierung entgegenzuwirken
Sicherheit können weder die Länder noch der Bund allein gewährleisten. Vielmehr handelt es sich um eine zentrale Staatsaufgabe, die nur kooperativ erfüllbar ist. Zentralistische Elemente sind zu Zwecken der Koordinierung und der grenzüberschreitenden Aufgabenwahrnehmung erforderlich, sie sind aber mit Augenmaß einzusetzen. Diese Aufgabenerfüllung umfasst nicht nur die Zusammenarbeit über die Grenzen der Länder der Bundesrepublik hinweg, sondern auch die europäische und internationale Komponente. Vernetzung ist erforderlich, hat allerdings ihre praktischen wie rechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen. Diese Grenzen liegen auch und gerade in den Grundrechten. Im Netz der Sicherheit dürfen die Grundrechte nicht vernachlässigt werden. Dies betrifft insbesondere auch die Sicherstellung effektiven Rechtschutzes gegen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden, gerade bei informatorischen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden. Eine Reduktion von Lösungsvorschlägen auf die Zerschlagung föderaler Strukturen greift zu kurz.
Die föderale Zuständigkeitsverteilung sollte grundsätzlich keine erschwerte und letztlich mangelhafte Kooperation nach sich ziehen, wie sie der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages und die parallelen Untersuchungsausschüsse einiger Landtage festgestellt haben. Als kurzfristig erreichbare und sinnvolle Lösung bleibt die Verbesserung der Kooperation, allerdings mit einzelnen zentralistischen Spurenelementen. Das Recht etwa der Generalbundesanwaltschaft, Verfahren an sich zu ziehen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BKAG), könnte hinsichtlich seiner Reichweite geprüft werden. Selbsteintrittsrechte oder die Übernahme von Verfahren durch Bundesbehörden, etwa das BKA oder das Bundesamtes für Verfassungsschutz, könnten unter modifizierten Voraussetzungen ermöglicht werden. Die Betätigung solcher Stellschrauben führt aber nicht zu grundlegenden Änderungen der Zuständigkeiten.
Die verfassungsrechtlich äußerst angreifbare Regelung der Fußfessel im BKAG zu Zwecken der Prävention wird nun auch in dem Entwurf zur Änderung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes aufgegriffen. Der politische Druck, der zu unausgereiften oder verfassungsrechtlich zumindest zweifelhaften Lösungen drängt, kann auf Bundesebene ebenso groß oder größer sein als auf Länderebene. Eine bundesstaatlich geführte Diskussion zu gesetzgeberischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten kann zu überzeugenderen Ergebnissen führen, wenn sie besonnen erfolgt. Sicherheit können Bund und Länder am besten gemeinsam, weil sie sich dann gegenseitig bremsen und damit rechtsstaatliche Grenzen effektiv berücksichtigt werden.
Die Vernetzung von Institutionen darf nicht ohne die Vernetzung der Sicherungsmechanismen zum Schutz der Grundrechte erfolgen. Nur auf dieser Grundlage finden Änderungen der Sicherheitsarchitektur die Akzeptanz derer, um deren Freiheitssicherung es geht: der Bürgerinnen und Bürger.
Eine elektronische Fußfessel hat nicht verhindert, dass der gebürtige Algerier Adel Kermiche am 26. July 2016 Pater Jacques Hamel während einer Messe in Saint-Étienne-du-Rouvray die Kehle aufgeschlitzt hat und auf diese Weise ermordet hat.
Eine Maßnahme die unbeachtet lässt, dass sich der islamistische Terror potentiell gegen jeden richtet, darf getrost ein Placebo genannt werden.
Das Asylrecht ist spätestens dann ad absurdum geführt, wenn wir vor sogenannten Schutzsuchenden Schutz suchen müssen, wie es bei zahlreichen Anschlägen in Deutschland der Fall ist.
Nur noch bizarr kann man solche Fälle nennen bei denen hinreichend überführte Terroristen der Antrag auf Asyl die Abschiebung erspart oder die Selbstbezichtigung als Taliban zu einer Haftstrafe führt, die man für den weiteren Aufenthalt gerne in kauf nimmt.