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14 July 2021

Klimaschutz oder Sozialstaat?

Zwei Dimensionen zur Verteilung der Emissionsrechte

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz vom 24. März 2021 hat der Bundestag mit Gesetzesbeschluss vom 24. Juni 2021, der den Bundesrat am 25. Juni 2021 passiert hat, mit dem Ziel umgesetzt, den monierten verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Es zeigt sich, dass er in Zeiten des Wahlkampfes ungeahnte Energien zur Beschleunigung seines Handelns freisetzen kann. Der Gesetzgeber hatte an sich für die Umsetzung Zeit bis Ende 2022. Dies hätte ermöglicht, sorgfältig zu prüfen und auch die rechtswissenschaftlichen Diskurse zu berücksichtigen. So dürften auch die nicht zuletzt hier auf diesem Blog problematisierten verfassungsdogmatischen Dimensionen wohl kaum Eingang in die Erwägungen gefunden haben.

Parallel zur Umsetzung nimmt eine Debatte über die soziale Dimension des Klimaschutzes Fahrt auf, etwa hier oder hier. Allenthalben hört man, die Belastungen durch den Klimaschutz dürften zu keinen sozialen Härten führen. Der soziale Ausgleich müsse beim Klimaschutz mit bedacht werden. Operativ gibt es Vorschläge, die Belastungen etwa durch CO²-Abgaben müssten so ausgeglichen werden, dass Einnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt werden sollten.

Das Spannungsfeld zwischen effektivem Klimaschutz und dessen sozialer Ausgestaltung spiegelt sich auf verfassungsrechtlicher Ebene in der Dichotomie zwischen dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG. Bei den zukünftigen Gestaltungen durch den Gesetzgeber sind beide Dimensionen zu beachten. Die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffene Mengenbetrachtung, ein CO²-Emissionskontingent von 6,7 Gigatonnen bis 2050, hilft zu verstehen, dass die soziale Gestaltung die ökologische nicht beinträchtigen darf. In diesem Sinne hat Klimaschutz Vorrang vor der sozialstaatlichen Flankierung.

Klimaschutz als Mengenbegrenzung und intertemporale Verteilung

Das Grundgesetz verpflichtet in Art. 20a den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen auch in der Verantwortung für die künftigen Generationen zu schützen. Das Gericht hat anerkannt, dass mit dem Klimaschutzgesetz der Gesetzgeber diese Pflicht im Grundsatz angemessen umgesetzt hat. Das Gericht akzeptiert die Zielsetzungen, die Erwärmung des Planeten auf 1,5 bis 2 Grad Celsius zu begrenzen (Rn. 215). Der Gesetzgeber habe mit dieser Zielsetzung die in der einschlägigen Wissenschaft und den völkerrechtlichen Vereinbarungen – dem Pariser Klimaabkommen – entwickelten Maßstäbe vertretbar angewandt. Für Deutschland bestehe nach den wissenschaftlichen Vorgaben bis 2050 ein CO²-Emissionskontingent von 6,7 Gigatonnen (Rn. 219). Dies habe der Gesetzgeber auch so anerkannt (Rn. 230).

Der entscheidende Gesichtspunkt der Entscheidung scheint der zu sein, dass kontingentierte Vorgaben durch den Gesetzgeber nur bis 2030 unmittelbar fixiert worden sind. Es sei nicht ausgeschlossen, so das Gericht, dass das Gesetz mit diesen Zielvorgaben zu kurz greife (Rn. 244). Wenn dem so sei und die Gesamtmenge dann bereits verbraucht sei, dann würden für die Zeit von 2031 bis 2050 übermäßige Belastungen auf die zukünftigen Bürgerinnen und Bürger und auf Wirtschaft und Gesellschaft unvermeidbar sein. Diese Disproportionalität zwischen den Belastungen bis 2030 und der Zeit von 2031 bis 2050 müsse der Gesetzgeber vermeiden, indem er selbst (Rn. 259, 265) von vornherein Zielvorgaben bis 2050 vorsehe. Dies unterlassen zu haben, ist der Kern des Verfassungsverstoßes.

Wenn diese Interpretation zutrifft, liegt der Entscheidung das Bild einer intertemporalen Verteilung einer fixierten Emissionsmenge zugrunde. Klimapolitisch sei sie nur dann sachgerecht verteilt, wenn der Nutzungspfad vollständig durchgeplant ist. Brüche, die verursacht werden, weil für Zeiten ab 2030 keine Planungen vorgesehen seien, könnten unverhältnismäßige Einschränkungen mit sich bringen.

Die Bezugspunkte der Grundrechtseingriffe folgen damit einem „um die Ecke“ gedachten Ansatz, so Callies (ZFU 2021, 355 (356)); sie liegen in Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, gegebenenfalls der Berufs- oder Eigentumsfreiheit, soweit sie menschliches Verhalten vor der Verknappung der CO²-Emissionsrechte schützen. Die Kontingentierung des grundgesetzlich geschützten Emissionsverhaltens im Rahmen eines Budgets, für Deutschland die besagten 6,7 Gigatonnen, stellt die Abfolge der Eingriffe dar. Sie müssen intertemporär verhältnismäßig sein, was schon deshalb ausgeschlossen ist, so das Gericht, weil der Gesetzgeber selbst Planungen nach 2030 unterlassen hat. Dann drohe eine unverhältnismäßige Mehrbelastung.

Verfassungsdogmatisch mag hier noch einiges durchdenkenswert sein. Das Bild, das eine Verteilung der Emissionsberechtigung im Rahmen eines Gesamtbudgets von 6,7 Gigatonnen zeichnet, hilft aber, Orientierung zu geben, wie die folgenden Überlegungen zeigen sollen.

Sozialstaatliche Verteilung der Emissionsrechte

Auf dieses Bild, das das Gericht im Zusammenspiel zwischen den grundrechtlichen Abwehrrechten, der klimapolitischen Schutzmaxime und den intertemporalen Verteilungsanforderungen entwickelt hat, kann man ergänzend gut die sozialstaatlichen Vorgaben auftragen.

Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber, einen in seiner Einschätzungsprärogative liegenden gerechten Sozialschutz aufrechtzuerhalten oder zu gestalten (BVerfGE 22, 180 (204)). Er ist sozusagen zu „sozialer Aktivität“ verpflichtet (BVerfGE 1, 97 (105)). Im Zusammenspiel mit grundrechtlichen Abwehr- oder Leistungsrechten können hier konkrete Pflichten scharfgeschaltet werden. Auch beim Sozialstaatsprinzip erkennt das Gericht durchgängig einen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers an und bemüht sich, ihn zu akzeptieren. Beispielsweise bei der Entscheidung zu der Bemessung der Regelsätze in den Grundsicherungssystemen des SGB II und SGB XII hat das Gericht die Bemessung anhand einer Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EVS anerkannt und betont, der Gesetzgeber könne so oder auch anders vorgehen (dort, Rn. 166). Falls er sich jedoch für einen bestimmten Gestaltungspfad entscheide, seien konsistente innere Logiken zu beachten, damals etwa, dass nicht willkürlich und ohne plausible Begründung bestimmte Bedarfe aus der Bemessung ausgeklammert werden.

Im Klimakontext kann man die sozialstaatliche Dimension so konkretisieren, dass die sich abzeichnenden drastischen Belastungen, die die Begrenzung der Menge des CO², die noch emittiert werden darf, nicht zu sozialen Verwerfungen führen dürfen. Die Verteilung der Emissionsrechte darf beispielsweise nicht bewirken, dass Ärmere zu wenig heizen können oder nicht mehr in der Lage sind, ihre beruflich notwendige Mobilität zu finanzieren. Vielmehr muss die soziale Dimension plausibel und nachvollziehbar mitbedacht werden. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, hier die wesentlichen Impulse zu entwickeln und vorzugeben.

Die Musik wird sicherlich zukünftig bei der Vielzahl der notwendigen klimapolitischen Umsetzungsschritte spielen. Denn mit dem Klimaschutzgesetz hat der Gesetzgeber ja nur eine gesetzliche Planungsdimension, vergleichbar mit dem Haushaltsgrundsätzegesetz (Rn. 6), vorgegeben. Die realen Umsetzungsakte werden dann den jährlichen Haushaltsgesetzen vergleichbar sein, durch Maßnahmen des Bepreisungsrechts durch Umweltabgaben oder Zertifikate, ergänzt sicherlich auch durch Ordnungsrecht.

Zum Verhältnis zwischen dem verfassungsrechtlichem Klimaschutzgebot und dem Sozialstaatsprinzip lässt sich eine allgemeine Aussage treffen. Es scheint plausibel, dass der Klimaschutz Vorrang hat, und zwar in dem Sinne, dass soziale Verteilungsfragen der Emissionsberechtigungen nicht dazu führen dürfen, dass die klimapolitisch ermittelte zulässige Gesamtmenge, in Deutschland also 6,7 Gigatonnen, überschritten wird. Die soziale Gestaltung muss sich also in den klimapolitisch vorgegebenen Rahmen einfügen und darf nicht zu dessen Überschreitung führen.

Herausforderungen der Verteilung –  Zusammenfassende Thesen

Die für zukünftige Klimaschutzgesetzgebung geltenden verfassungsrechtlichen Vorgaben erschöpfen sich nicht in den Anforderungen, die das Gericht aus Art. 20a GG und den Grundrechten abgeleitet hat. Ergänzend erfordert das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG, dass damit verbundene Belastungen sozial ausgestaltet werden.

Die klimapolitische Debatte, die sich um den sozialen Klimaschutz entfaltet, liegt insoweit richtig und greift auch das Sozialstaatsprinzip zutreffend auf. Die soziale Gestaltung des Klimaschutzes kann Emissionsberechtigungen zwischen unterschiedlich betroffenen Gruppen und Schichten umverteilen, darf aber nicht zu einer Erhöhung der Gesamtmenge führen.

Klimaschutz- und Sozialstaatsprinzip geben dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Es wäre ein Fehlverständnis anzunehmen, dass das Gericht die Vorgaben allein entwickelt – was ihm im vorliegenden Kontext unzutreffender Weise oft vorgeworfen wird.

Das vom Gericht aus den Annahmen und Prämissen des Gesetzgebers rekonstruierte Mengenprinzip beim Klimaschutz kann auch für die politische Debatte oder auch ökonomische Diskurse fruchtbar sein.

Ökonomisch könnte man diesen Ansatz aufgreifen, indem man bei dem alten Diskurs über die marktwirtschaftlichen Instrumente des Umweltschutzes sich der Vor- und Nachteile von Abgaben oder Zertifikaten besinnt. Die Steuerungswirkung von Umweltabgaben hängt bekanntlich von deren Höhe ab, so dass eine Falschbemessung des Abgabensatzes Fehlsteuerungen verursachen kann. Dieser Nachteil wird bei der Mengensteuerung über Zertifikate vermieden.

Auch für die umweltpolitische Kommunikation lässt sich dieser Gesichtspunkt nutzen. Hinweise auf bestimmte angeblich wünschenswerte Abgabensätze, etwa beim Benzinpreis, führen regelmäßig zu Debatten, die von hohem Empörungsgehalt gekennzeichnet sind. Die Diskussion ließe sich möglicherweise versachlichen, wenn Ausgangspunkt nicht ein politisch gesetzter Preis, sondern die Emissionsmenge ist, die klimapolitisch noch verträglich ist. Es könnte Klimapolitikern entgegenkommen, die Übersetzung dieser Verknappung in Preissignale nicht selbst vorzunehmen, sondern dafür Mechanismen, etwa den Zertifikatansatz, vorzusehen.

Indem das Gericht auf der Sachverhaltsebene das Konzept der Gesamtemissionsmenge rekonstruiert und seinen Erwägungen zugrunde legt, übersetzt es auch das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen, in eine andere Zieldimension. Durch die Mengenbetrachtung wird viel klarer, was zu tun ist. Sie reduziert die Komplexität der Prognosen in besser Fass- und Vorstellbares. Sie erleichtert auch das verfassungsdogmatische Verständnis.


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