Lücke gestopft
Taterträge aus „Cum/Ex“-Taten können nun auch bei schon verjährtem Steueranspruch eingezogen werden
In einem Beitrag für den Verfassungsblog vom 26. Juli 2020 hatte ich darauf hingewiesen, dass der Fiskus durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz die Möglichkeit verloren hätte, Taterträge aus illegalen Cum/Ex-Geschäften einzuziehen, wenn der betroffene steuerrechtliche Anspruch des Fiskus verjährt war. Mit einer „Reform der Reform“ hat der Gesetzgeber dies nun doch möglich gemacht. Ein Beschluss, den das Bundesverfassungsgericht letzte Woche veröffentlicht hat, lässt darauf schließen, dass diese Rückwirkung auch verfassungsrechtlich Bestand haben wird.
Rückblick
Das Problem mit der Sperrung der strafrechtlichen Einziehung durch den Eintritt steuerrechtlicher Verjährung war ursprünglich durch eine Entscheidung des 1. BGH-Strafsenats entstanden, die der Bundesgesetzgeber durch eine rückwirkende Änderung des Einziehungsrechts hätte korrigieren können. Stattdessen wurde das Problem aber nur für die Zukunft beseitigt. Die dazu zunächst vom Bundesministerium für Finanzen vertretene Auffassung, wonach die mit einer in die Vergangenheit gerichteten Gesetzesänderung verknüpfte (echte) Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig sei, hatte ich als widersprüchlich kritisiert. Außerhalb des Steuerrechts vertritt die Bundesregierung nämlich die Auffassung, dass es verfassungsgemäß sei, das Einziehungsrecht rückwirkend auf Erträge aus Straftaten anzuwenden, die bei dessen In-Kraft-Treten schon (verfolgungs-)verjährt waren.
Debatte um den Umgang mit Erträgen aus Cum/Ex-Straftaten
In der Folgezeit wurde eine rege Debatte um eine mögliche Korrektur des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes geführt. Sowohl die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und als auch die Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag legten entsprechende Gesetzentwürfe vor (einsehbar hier und hier). Andere warnten mit Verweis auf den in der Verfassungsordnung zentralen Grundsatz des Vertrauensschutzes (etwa Bülte, RdF News v. 6. November 2020 oder Maciejewski, wistra 2020, 421) vor einer rückwirkenden Gesetzesänderung. Die Bundesregierung hat sich gleichwohl zum Handeln entschlossen und das Einziehungsrecht durch das Jahressteuergesetzes 2020 mit Wirkung zum 29. Dezember 2020 angepasst. Dabei wurden die durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz gerade erst eingeführten § 375a AO und Art. 97 § 34 EGAO, mit denen der Gesetzgeber den Zusammenhang zwischen steuerrechtlicher Verjährung und der durch die steuerrechtliche Verjährung ausgeschlossenen strafrechtlichen Einziehung für die Zukunft aufheben wollte, wieder aus dem Gesetz entfernt und stattdessen § 73e StGB geändert.
Änderung des Einziehungsrechts durch das Jahressteuergesetz 2020
Konkret hat man in § 73e Abs. 1 S. 2 StGB einen Passus eingefügt, der klarstellt, dass die Einziehung von Taterträgen nicht allein dadurch ausgeschlossen wird, dass der Anspruch des Verletzten (bei Steuerstraftaten ist dies der Fiskus) durch Verjährung erlischt. Nach der Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB ist diese neue Gesetzesfassung unter anderem in manchen besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO), in denen noch nicht über eine Tatertrageinziehung entschieden worden ist, auch rückwirkend anwendbar. Damit bildet die Verjährung von Steueransprüchen in den praktisch relevanten Cum/Ex-Konstellationen künftig kein Hindernis mehr, die Taterträge einzuziehen.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 316h EGStGB
Im Nachgang zu dieser bemerkenswerten gesetzgeberischen Kehrtwende war nun mit Spannung erwartet worden, ob das Bundesverfassungsgericht dieser Form der rückwirkenden Gesetzesanwendung seinen Segen erteilen würde. Bereits seit längerer Zeit war dort eine Vorlage des 3. BGH-Strafsenats anhängig, die zwar keine spezifische Cum/Ex-Konstellation, sondern das zum 1. Juli 2017 tiefgreifend reformierte Einziehungsrecht insgesamt betraf. Konkret ging es dabei um Art. 316h S. 1 EGStGB. Diese Vorschrift ordnet für das gesamte reformierte Einziehungsrecht an, dass es auch auf Taten angewendet werden kann, die vor dem In-Kraft-Treten der §§ 73 ff. StGB n. F. zum 1. Juli 2017 begangen wurden. Der 3. BGH-Strafsenat hat hierin mit Blick auf Straftaten, die am 1. Juli 2017 bereits verjährt waren, eine verfassungswidrige echte Rückwirkung gesehen, und den Art. 316h S. 1 EGStGB unter diesem Gesichtspunkt dem Bundesverfassungsgericht zur konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vorgelegt (Beschluss vom 7. März 2019).
In diesem Normenkontrollverfahren hat das Bundesverfassungsgericht nun mit Beschluss vom 10. Februar 2021 entschieden und ist der Auffassung des 3. BGH-Strafsenats dabei im Ergebnis entgegengetreten. In seiner Begründung bestätigt der Senat zunächst (abermals) die herrschende Meinung, wonach es sich bei einer Vermögensabschöpfung nach den §§ 73 ff. StGB nicht um eine Strafe im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG handele und die von Art. 316h S. 1 EGStGB angeordnete Rückwirkung daher nicht an Art. 103 Abs. 2 GG, sondern am allgemeinen Rückwirkungsverbot zu messen sei. Die vom Gesetzgeber in Art. 316h Satz 1 EGStGB vorgesehene Rückwirkung für Fälle, in denen die rechtswidrige Tat bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung verjährt war, stuft der Senat dabei (zurecht) als „echte“ Rückwirkung ein, die nach ständiger Rechtsprechung nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig ist.
Ein solcher Ausnahmefall sei laut dem Senat mit Blick auf Art. 316h EGStGB allerdings gegeben, da der vom Gesetzgeber mit dem Einziehungsrecht verfolgte Zweck, der Devise „crime must not pay“ zur Geltung zu verhelfen (vgl. dazu insbesondere Rn. 151), einen überragenden Belang des Gemeinwohls darstelle. Er rechtfertige es, das neue Einziehungsrecht auch auf Sachverhalte anzuwenden, in denen hinsichtlich der Erwerbstat bei Inkrafttreten des Reformgesetzes bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war. Die Vertrauensschutzposition der von der Einziehung von Taterträgen Betroffenen stehe demgegenüber zurück (Rn. 152 ff.).
Folgen für die Einziehung von Taterträgen in Cum/Ex-Fällen
Zwar hatte der Senat nicht über die rückwirkende Änderung des § 73e StGB durch das Jahressteuergesetz 2020 zu entscheiden, jedoch lassen sich dem Beschluss sehr deutliche Hinweise entnehmen, dass der Senat auch diesen Vorgang sub specie für verfassungsgemäß halten würde. Schon die Erwähnung des eingangs zitierten Aufsatzes von Maciejewski (Rn. 148) macht deutlich, dass dem Senat die Brisanz seiner Entscheidung für die Debatte um das Jahressteuergesetz 2020 und die damit eng verknüpfte Cum/Ex-Problematik bewusst gewesen ist. Zudem lässt sich auch das Kernargument des Senats ohne weiteres auf die Verjährung von Ersatzansprüchen des Verletzten übertragen, um die es bei der jüngsten Änderung von § 73e StGB ging: die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs, die auch durch die Verfolgungsverjährung der Straftat nicht verblasse. Denn auch wenn die Rechtsordnung es dem Verletzten im Dienste des Rechtsfriedens nach einer bestimmten Zeit versagt, den ihm zustehenden Ersatzanspruch gegen den Täter rechtsförmig durchzusetzen, ist damit keine Billigung der rechtswidrigen Bereicherung des Täters verbunden. Er kann aus der Verjährung des gegen ihn gerichteten Ersatzanspruchs mit Blick auf die Einziehung folglich ebenso wenig Vertrauen schöpfen, den rechtswidrig erlangten und daher dauerhaft bemakelten Vermögensgegenstand behalten zu dürfen, wie er das nach Auffassung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts angesichts des Eintritts der Verfolgungsverjährung für die Anknüpfungstat tun dürfte.
Verfassungsrechtlich gesichert
Man hätte es dem Bundesgesetzgeber schwerlich verübeln können, wenn er es im Dienste der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gänzlich unterlassen hätte, die Regeln des Einziehungsrechts rückwirkend auf bereits (wie auch immer) abgeschlossene Sachverhalte anzuwenden. Der ungleichmäßige Umgang mit dem Rückwirkungsverbot – mutig bei Art. 316h EGStGB einerseits und äußerst zurückhaltend bei § 375a AO und Art. 97 § 34 EGAO andererseits – hatte jedoch den unangenehmen Beigeschmack, dass die Regierungsmehrheit die im Zusammenhang mit dem Einziehungsrecht regelmäßig mit breiter Brust vorgetragenen und in rechtsstaatlicher Hinsicht oftmals grenzwertigen „Kriminalitätsbekämpfung“-Ankündigungen nicht ganz zufällig gerade im Bereich des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts zu Gunsten eines ansonsten (gerade in der noch laufenden Legislatur) häufig fehlenden Augenmaß hintangestellt hat. Diesem Eindruck ist der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 2020 jedenfalls für die hier behandelte Einziehung von Taterträgen aus Cum/Ex-Straftaten entgegengetreten. Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 316h EGStGB ist davon auszugehen, dass er sich dabei trotz mancher Kritik in verfassungsrechtlich gesichertem Fahrwasser bewegt.
Bitte um Kontktaufnahme, die Diskussion ist, ob diese Fragen der Einziehung auch auf nicht-steuerrechtliche Taten (bei verjährten zivilrechtlichen Ansprüchen bzw. wenn gar keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend gemacht wurden), die bereits verjährt sind, adäquat anzuwenden sind. Danke.