Optionen für die dritte Option – Fortschrittliche Regelungsmodelle anderer Länder
Der am 08.11.2017 veröffentlichte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts enthält eine Deadline, die es in sich hat. Bis zum 31.12.2018 muss die Legislative eine verfassungsgemäße Lösung finden, mit der die angegriffenen Regelungen des Personenstandsgesetzes ersetzt werden. Der Beschluss nennt zwei mögliche Lösungswege: die Schaffung einer dritten Option und den generellen Verzicht auf einen personenstandrechtlichen Geschlechtseintrag.
Beide Lösungswege bedeuten Neuland für die rechtliche Geschlechterordnung, allerdings nur für Deutschland. Wer ins Ausland blickt, stellt fest: Andere Länder haben längst innovative Regelungsmodelle gefunden (wie sich beispielsweise im rechtsvergleichenden Teil des vom Verfassungsgerichts zitierten Gutachtens zu „Geschlechtervielfalt im Recht“ des BMFSJ nachvollziehen lässt).
Gleich drei dritte Optionen in Down Under
Im föderalistischen Australien wurden auf Bundesebene und in den für das Personenstandsrecht zuständigen einzelnen Bundesstaaten und Territorien verschiedene dritte Optionen eingeführt. So kann im Australian Capital Territory in der Geburtsurkunde neben „male“ und „female“ aus gleich vier weiteren „dritten“ Optionen gewählt werden: „unspecified“, „indeterminate“ oder „intersex“. Dieser Eintrag ist nicht nur für Neugeborene gedacht, sondern kann auch im Rahmen eines Wechsels des Geschlechtseintrags gewählt werden. Interessant ist, dass die dritten Optionen unabhängig von körperlichen Merkmalen gewählt werden können, also nicht nur intergeschlechtlichen Personen offen stehen, sondern auch anderen Menschen, die sich nicht als „männlich“ oder „weiblich“ identifizieren. Allerdings genügt die Selbstdefinition allein nicht: Wer den Geschlechtseintrag ändern will, muss eine ärztliche bzw. psychologische Bescheinigung vorlegen, wobei für intergeschlechtliche Menschen der Nachweis der Intergeschlechtlichkeit genügt.
Auch auf Bundesebene in Australien ist eine dritte Option mit dem Platzhalter „X“ vorgesehen, die für „indeterminate/intersex/unspecified“ steht und unter anderem im Reisepass verwendet werden kann, aber auch im sonstigen Umgang mit Behörden der Bundesebene.
Hier lohnt sich ein Blick in die Australian Government Guidelines on the Recognition of Sex and Gender. Sie geben Anhaltspunkte, wie die Einführung einer dritten Option bürokratisch umgesetzt werden kann, auch in Bereichen der Datenerhebung und Statistik.
Schwierige Begriffsfindung
Die australische Lösung ist nur eine Möglichkeit, wie eine dritte Option gestaltet werden kann. Gerade bei den konkret verwendeten Begriffen zeigen sich die Schwierigkeiten einer dritten Option. Denn wie in der Stellungnahme von TransInterQueer e.V. (vgl. Rn. 33 des Beschlusses vom 10. Oktober 2017) im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht angemerkt, ist es nur schwer möglich, einen passenden Begriff zu finden, der den mit ihm bezeichneten Menschen gerecht wird. Die australische LGBTI* Community spricht sich mehrheitlich gegen „indeterminate“, „intersex“ und „unspecified“ aus und schlägt stattdessen „non-binary“ als Vereinfachung vor.
(K)ein genereller Verzicht
Will der deutsche Gesetzgeber generell auf einen personenstandrechtlichen Geschlechtseintrag verzichten, stehen ihm weniger Vorbilder zur Verfügung. Länder, die in Fragen der Geschlechtsidentität als besonders fortschrittlich eingestuft werden, weil sie für den Wechsel des registrierten Geschlechts lediglich eine Erklärung der betroffenen Person fordern, nämlich Malta, Argentinien, Dänemark oder Irland (zumindest für Volljährige), halten gleichwohl an einem obligatorischen Geschlechtseintrag fest.
Wie zumindest ein punktueller Verzicht auf binäre Geschlechtsbezeichnungen aussehen kann, zeigt wiederum ein Beispiel aus Australien. Im Australian Capital Territory können beide Elternteile wählen, wie sie auf der Geburtsurkunde eines Kindes bezeichnet werden möchten. Jedes Elternteil kann wählen, wie es auf der Geburtsurkunde eines Kindes bezeichnet werden möchte: als „mother“, „father“, „birth parent“ oder „other parent“.
Wenn schon, denn schon: auch andere Problemfelder regeln
Es ist zu hoffen auch in Zeiten schwieriger Regierungsbildung, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass für umfassende Reformen der rechtlichen Geschlechterordnung genommen wird. Ganz oben auf dem Änderungs-Wunschzettel sollte ein Modell der Änderung des Geschlechtseintrags stehen, das allein auf Selbstdefinition beruht und auf Gutachten verzichtet, wofür vor allem Malta und Argentinien als Vorbilder dienen können. Beide Länder haben zudem das Recht auf Geschlechtsidentität ausdrücklich normiert. Die maltesische Regelung (Artikel 3 Absatz 1 Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act, 2015) garantiert beispielsweise das Recht
„(a) auf Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität;
(b) auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit entsprechend ihrer Geschlechtsidentität;
(c) entsprechend ihrer Geschlechtsidentität behandelt und, insbesondere, als solches in den Dokumenten bezeichnet zu werden, die ihre Identität oder Titel ausweisen;
(d) auf körperliche Unversehrtheit und physische Selbstbestimmung“.
Die Aufzählung liest sich wie eine praktische Check-Liste aller wesentlichen Aspekte, die das nun anstehende deutsche Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen sollte. Die Beteiligten wären gut beraten, sich an dieser Checkliste zu orientieren und vor allem auch den letzten Punkt zu beachten: körperliche Unversehrtheit. Diese kann nur durch ein Verbot geschlechtsanpassender Genital-Operationen an Minderjährigen geschützt werden. Ein solches wurde in Malta kodifiziert.
Empfohlene Taktik: rechtsvergleichendes Rosinenpicken
Knapp ein Jahr klingt nach wenig Zeit für die Einführung einer dritten Option oder gar den gänzlichen Verzicht auf einen personenstandrechtlichen Geschlechtseintrag, vor allem, wenn alle hier angesprochenen Regelungsbereiche mit berücksichtigt werden sollen. Für das Gesetzgebungsverfahren empfiehlt sich daher ein pragmatisches Vorgehen: Rosinenpicken. Die „Rosinen“, die verschiedenen fortschrittlichen ausländischen Regelungen sollten herausgepickt werden und vor allem miteinander verbunden werden. Gelingt dies, könnte in Zukunft das deutsche Regelungsmodell als Vorbild für andere Länder dienen.