06 July 2021

Quarantäne für vollständig geimpfte Reiserückkehrer?

Portugal und Russland gelten neben anderen Staaten ab dem 7. Juli 2021 nur noch als Hochinzidenzgebiete i.S.v. § 2 Nr. 3 lit. a) CoronaEinreiseV, nicht mehr als Virusvariantengebiete i.S.v. § 2 Nr. 3 lit. b) CoronaEinreiseV. Dabei sind die beiden Staaten gerade erst mit Wirkung zum 29. Juni 2021 durch BMG, Auswärtiges Amt und BMI als Virusvariantengebiete eingestuft worden und die 7-Tage-Inzidenz ist in beiden Staaten in der Zwischenzeit weiter gestiegen. Die Rückstufung hat aber gewichtige Auswirkungen: Danach muss man nicht mehr notwendig in Quarantäne gehen, wenn man aus diesen Staaten nach Deutschland einreist und vollständig geimpft ist. Ansonsten bleibt es aber dabei: Für Reiserückkehrer aus Virusvariantengebieten besteht trotz vollständiger Impfung weiter eine Absonderungspflicht. Dies ist einerseits verfassungsrechtlich bedenklich, weil nicht klar ist, ob dieser Grundrechtseingriff überhaupt geeignet ist, den Zweck des Gesundheitsschutzes zu erfüllen. Zum anderen ist dies ein rechtspolitisch ungünstiges Signal für die Impfkampagne in Deutschland, die in absehbarer Zeit ins Stocken geraten könnte.

Quarantänepflicht auch für Geimpfte, Genesene und Getestete

Wird ein Staat als Virusvariantengebiet eingestuft, dann hat das nach § 4 Abs. 2 S. 5 CoronaEinreiseV unter anderem zur Folge, dass man, wenn man sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor der Einreise dort aufgehalten hat, nach Einreise vierzehn Tage in Quarantäne muss. Dabei besteht auch keine Möglichkeit, diesen Zeitraum durch einen Genesenen-, Impf- oder Testnachweis („Freitesten“) zu verkürzen. Diese Regelung ist gerade für Genesene und Geimpfte verfassungsrechtlich problematisch, wobei hier nur Letztere in den Blick genommen werden.

Verfassungsrechtlich zwingend erforderliches Impffolgenrecht

Wenn und soweit feststeht, dass die Impfung bereits eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 verhindert, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vor einem (schweren) Krankheitsverlauf von COVID-19 schützt und schließlich auch die Übertragungswahrscheinlichkeit gegenüber Dritten (erheblich) senkt, dann ist es verfassungsrechtlich zwingend geboten, erhebliche Grundrechtseingriffe wie Kontaktbeschränkungen, Testpflichten und Quarantäneregeln aufzuheben (s. nur hier). Der Eingriff in die Grundrechte – bei der Quarantänepflicht insbesondere Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, aber oft auch Art. 12 Abs. 1 GG – ist dann schon nicht geeignet, um das Ziel des Gesundheitsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zu erreichen.

Zwar ist zuzugestehen, dass noch nicht vollständig geklärt ist, ob und inwieweit der Impfschutz gegenüber der Delta-Variante von SARS-CoV-2 schwächer ausfällt als bei der Alpha-Variante von SARS-CoV-2. Nach ersten Untersuchungen der britischen Gesundheitsbehörde PHE soll zumindest bei mRNA-Impfstoffen die Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen bei 88 Prozent statt 93 Prozent liegen. Ob dieser Unterschied den schweren Grundrechtseingriff rechtfertigt, darf zumindest stark bezweifelt werden. Trotz eines anzuerkennenden Beurteilungsspielraums gesteht selbst Bundesgesundheitsminister Spahn: „Doppelt geimpft schützt gegen Delta.“ Doch selbst wenn man die Quarantäne für vollständig Geimpfte trotzdem für geeignet halten will, bestehen aber jedenfalls schwere Zweifel hinsichtlich der Angemessenheit des Grundrechtseingriffs.

Ohnehin ist fraglich, wie sinnvoll die Einstufung eines Staates als Virusvariantengebiet war, wenn die maßgebliche Delta-Variante in Deutschland schon angekommen ist, bald 50 Prozent der Neuinfektionen ausmacht und sich nach der Ansicht von Epidemiologen auch in Deutschland vollständig durchsetzen wird.

Somit ist die zwischenzeitliche Zurückstufung von Portugal und Russland sowie weiteren Staaten zu Hochinzidenzgebieten zu begrüßen. Für die noch bestehenden elf Virusvariantengebiete, die primär an das Vorkommen der Beta- sowie der Gamma-Variante anknüpfen, bei denen die Frage nach Impfstoffwirksamkeit noch nicht vollständig geklärt ist, gilt die Regelung aus § 4 Abs. 2 S. 5 CoronaEinreiseV jedoch weiterhin.

Die Verfassungswidrigkeit von § 28c IfSG

§ 28c IfSG ermächtigt die Bundesregierung, „durch Rechtsverordnung für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auszugehen ist oder die ein negatives Ergebnis eines Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorlegen können, Erleichterungen oder Ausnahmen von Geboten und Verboten […] zu regeln.“

In der Folge wurde die Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung – SchAusnahmV) vom 8. Mai 2021 erlassen. Die dort geregelten Ausnahmen betreffen jedoch nicht die Quarantänepflicht nach § 4 Abs. 2 S. 5 CoronaEinreiseV.

Richtigerweise zeichnen sich aber etwaige – durch den unterschiedlichen Impfstatus zu rechtfertigende – Ungleichbehandlungen zwischen Geimpften und Ungeimpften durch ein hohes Maß an Grundrechtswesentlichkeit aus; nach der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts unterliegt dies daher dem Parlamentsvorbehalt (s. dazu D. Wolff/P. Zimmermann, JURA 2021 i. E.). Es darf nicht im Belieben des Verordnungsgebers stehen, ob verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigende Grundrechtseingriffe aufgehoben werden oder nicht. Erforderlich ist vielmehr eine parlamentsgesetzliche Regelung, die selbst vorgibt, bei welchen Maßnahmen eine solche Ungleichbehandlung erfolgen darf oder sogar erfolgen muss.

Ungünstiges Signal für die Impfkampagne

Die Quarantäne-Regelung ist zudem ein ungünstiges Signal für die Impfkampagne, was auch in Teilen der Politik erkannt wird (s. hier). Obwohl die Impfung einen wesentlichen Beitrag zum individuellen und kollektiven Gesundheitsschutz leistet, schlägt sich dieser Beitrag nicht durchgehend, sondern nur in spezifischen Fällen (keine Testpflicht, Befreiung von Kontakt- und nächtlichen Ausgangsbeschränkungen) in der Aufhebung von Grundrechtseingriffen für Geimpfte nieder. Bei niedriger Inzidenz wurden und werden Grundrechtseingriffe zu Recht für die gesamte Bevölkerung zurückgenommen. Umso zweifelhafter ist es aber, wenn Grundrechtseingriffe, die gegenüber Ungeimpften noch ihre Berechtigung haben, auch gegenüber vollständig Geimpften aufrechterhalten werden, obwohl sie zur Erreichung des legitimen Zwecks des Gesundheitsschutzes nicht mehr geeignet sind.

Ein solches Signal ist auch deshalb problematisch, weil in der deutschen Politik bislang kaum darüber diskutiert wird, mit welchen Instrumenten die Impfquote gesteigert werden kann – zu nennen sind hier etwa berufs- oder bereichsbezogene Impfpflichten, finanzielle Anreize (Impfboni) und niedrigschwellige Impfangebote für bestimmte Bevölkerungskreise, die es noch nicht überall gibt (aus rechtlicher Sicht s. zu diesen Instrumenten hier; hier; hier; aus verhaltensökonomischer Sicht s. hier). Dies wird umso drängender, je mehr Anzeichen es dafür gibt, dass die Impfkampagne an Tempo verliert, obwohl noch keine Herdenimmunität erreicht ist (s. etwa hier, hier). Wenn für einige der Anreiz zur Impfung allein in der Aussicht bestand, wieder frei ins Ausland reisen zu können, so werden sie es sich möglicherweise anders überlegen, wenn sich diese Aussicht nicht realisiert. Auch deshalb lohnt es sich für die Politik, über die Aufhebung der Quarantänepflicht für vollständig geimpfte Reiserückkehrer aus Virusvariantengebieten nachzudenken.


2 Comments

  1. Jennifer Petzen Sat 10 Jul 2021 at 15:35 - Reply

    Thank you for your paper. I can appreciate the wish to restore fundamental rights; however, I believe we need to consider two important things. First, and unfortunately, the law currently sees fully vaccinated people as not contributing to the infection rates. That is simply not true and goes against scientific evidence. Fully vaccinated can and do pass on the virus and of course can infect others, including people who either cannot be vaccinated (U18) and those who are immuno-compromised and build little or no resistance to the virus after the vaccination. The second point is, what are the rights of these immuno-compromised people and children in terms of being protected by the state? I’m thinking of the UN Conventions (the right to health, rights for the disabled and children’s rights) in addition to German social law. Additionally, I think it would be productive to problematize the legitimacy of the measures that have been taken-we keep hearing from the politicians that the measures were necessary to keep the healthcare system from breaking down or to prevent deaths. But shouldn’t we be thinking about the long-term effects of Covid-19 as well? Isn’t that a major reason to factor in these decisions? Thank you in advance for your response.
    Best
    Jen Petzen

  2. noobie Wed 14 Jul 2021 at 12:29 - Reply

    Mir fehlt vielfach in den Verhältnismäßigkeitsprüfungen und Grundrechtsabwägungen die Berücksichtigung der Unbekannten in der Gleichung. Auf der einen Seite steht die Gewissheit, dass das Covid-Sars2-Virus — insbesondere in mutierter Form — Gesundheit und Leben vieler Menschen bedroht. Auf der anderen Seite bestehen erhebliche Unsicherheiten bei der Wirksamkeit von Bekämpfungsmaßnahmen.
    Diese Unsicherheiten spiegeln sich auch in diesem Beitrag (“…, weil nicht klar ist,…””Wenn und soweit feststeht,…”, “Zwar ist zuzugestehen, dass noch nicht vollständig geklärt ist,…”). Auch Instanzgerichte haben Regelungen in Corona-Verordnungen immer wieder aufgehoben, weil der Verordnungsgeber ihre Wirksamkeit nicht nachgewiesen habe. Aber kann er das überhaupt? Und darf er keine Maßnahmen ergreifen, solange er es nicht kann? Er darf, denn er greift durch Unterlassen ebenso in Grundrechte ein wie durch Handeln. Die Beurteilungsunsicherheiten müssen als gewichtige und mitunter entscheidende Faktoren in Verhältnismäßigkeitsprüfungen und Abwägungen berücksichtigt werden. Bei einer quantitativ und qualitativ so bedeutenden Gefahr wie der Corona-Pandemie müssen Legislative und Exekutive bei erheblichen Unsicherheiten erweiterte Beurteilungsspielräume erhalten. Zunächst muss die Unsicherheit als Teil der Gefahr berücksichtigt werden. Anhand der bekannten Umstände muss bemessen werden, wie hoch das Realisierungsrisiko ist. Weiter muss berücksichtigt werden, was zur Wirksamkeit der Bekämpfungsmaßnahmen bekannt ist. Bei beiden Faktoren muss der Stand der Forschung einschließlich der Qualität der Erkenntnisse (z.B. Peer-Review durchgeführt?) berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss einbezogen werden, dass eine kurzfristige Reaktion erforderlich ist und die Erkenntnis- und Prüfungsmöglichkeiten entsprechend zeitlich beschränkt sind. Dies erweitert den Ermessenspielraum. Anschließend ist jedoch fortlaufend zu prüfen, inwiefern die Unsicherheit noch besteht und — wenn sie sich reduziert hat — ob sie die Maßnahmen noch trägt. Das gilt ebenso für Handlungsbefugnisse der Exekutive — sie enden, sobald das Parlament hinreichend Zeit zur Verabschiedung eines Gesetzes hatte. Auch der dynamische Charakter der Pandemie muss berücksichtigt werden. Insbesondere die Mutationen des Virus führen zu neuen Ungewissheiten und erweitern wieder Spielräume. Eine neue Mutation kann dazu führen, dass ein vollständig Geimpfter wieder andere infizieren kann. Entsprechend kann die Mutation Grundrechtsbeschränkungen für Geimpfte rechtfertigen, die bis zum Auftreten der Mutation unverhältnismäßig waren. Die aus diesen Weiterungen folgenden Machtzuwächse bei Behörden und Verordnungsgebern werden zu Recht mit Sorge betrachtet, sie könnten ein Präzedenzfall für Missbrauch werden. Aber ich glaube, am Ende hat jede Demokratie und jeder Rechtsstaat nur einen wirksamen Schutz: dass ihre Bürger für sie einstehen.

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