27 January 2014

Quergelesen: Gibt es einen “Konstitutionalismus des globalen Südens”?

Die vornehmste Aufgabe einer Verfassung sei es, die Wunden der Vergangenheit zu heilen und die Gesellschaft in eine bessere Zukunft zu führen. Pius Langa, der im Sommer verstorbene erste Präsident des südafrikanischen Verfassungsgerichtshofs, entfaltete 2006 in einem Vortrag an der Universität Stellenbosch mit seinem Konzept eines „transformativen Konstitutionalismus“ eine für westliche Ohren ziemlich radikale Vorstellung von Aufgabe und Ziel einer Verfassung. „Eine vollständige Umgestaltung des Staates und der Gesellschaft“ zählte er dazu, ebenso wie „die Entwicklung von Möglichkeiten, die es Menschen erlauben, in positiven sozialen Beziehungen ihr volles humanes Potential zu verwirklichen“.

Der Verfassungsgerichtshof, den Langa mit seiner Agenda des Wandels entscheidend prägte, hat sich binnen kürzester Zeit eine solide Legitimationsbasis, regionales Prestige und weltweites Ansehen erworben. Doch setzt er damit auch Maßstäbe für Richter jenseits des „Globalen Südens“? Oder bleibt die westliche Verfassungstradition mit ihren Interpreten in Karlsruhe, Washington und Straßburg ein Maßstab, von dem andere nur zu lernen hätten? (In diese Richtung argumentierte unlängst erst der ungarische Verfassungsrechtler András Jakab, als er in seiner Berliner Rechtskulturen Lecture das “Conreason Project” vorstellte).

Der in Bogotá lehrende Verfassungsrechtler Daniel Bonilla Maldonado versammelt in diesem anregenden Band Beiträge zur Rechtsprechungspraxis des südafrikanischen Verfassungsgerichtshofs, des Obersten Gerichtshofs Indiens und des kolumbianischen Verfassungsgerichtshofs. Bei allen Unterschieden agieren diese Gerichte sämtlich in fragilen Demokratien und müssen sich den Herausforderungen politischer Gewalt, sozialer Ungleichheit sowie kultureller und religiöser Vielfalt stellen. Erwächst aus ihrer Rechtsprechung langsam so etwas wie ein „Konstitutionalismus des globalen Südens“? Die Autoren des Bandes, die den Umgang der Richter mit sozialen und wirtschaftlichen Rechten, kultureller Vielfalt und dem Anspruch auf rechtliches Gehör unter die Lupe nehmen, geben erste Antworten.

Daniel Bonilla Maldonado, Hg., „Constitutionalism of the Global South“. The Activist Tribunals of India, South Africa and Colombia. Cambridge University Press, Cambridge 2013, 410 S., geb., 70.- £.


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