RiBVerfG Masing: Vorläufige Einschätzung der „Google-Entscheidung“ des EuGH
Angesichts des Interesses einer inzwischen auch breiteren Fachöffentlichkeit in Anknüpfung an diesbezügliche Diskussionen auf verschiedenen Internetforen habe ich mich entschieden, meinen nachfolgenden, nicht mehr ganz jungen Vermerk mit einer vorläufigen ersten Einschätzung der Google-Entscheidung, anders als zunächst vorgesehen, nun doch öffentlich zu stellen. Es sei jedoch betont, dass er lediglich eine schnell geschriebene, erste vorläufige Einschätzung ist, nicht aber ein endgültig durchgearbeiteter Text, der nach wissenschaftlichen Standards ausgeformt ist. Ich hatte ihn deshalb zunächst nur einzelnen Personen zugeleitet, mit denen ich auch sonst in fachlichem Austausch gestanden habe. Andererseits hat das Papier inhaltlich nie einen spezifischen Vertraulichkeitscharakter gehabt und gibt es von der Sache her keinen Grund, es nicht auch einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist ein Papier, das versucht dazu beizutragen, die Probleme der Google-Entscheidung besser zu verstehen und mir hierüber auch selbst auf der Grundlage von Diskussionen mit wissenschaftlichen Kollegen und Fachleuten schrittweise Klarheit zu verschaffen. Wenn er in diesem Verständnis weiterdiskutiert wird, kann das der Sache nur dienen.
Zusammenfassende Thesen
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Mai 2014 – Google Spain SL – ist von dem anerkennenswerten Anliegen getragen, mit den Grundrechten der Charta ernst zu machen und diese auch gegenüber Wirtschaftsinteressen zur Geltung zu bringen. Dennoch wirft sie gewichtige Bedenken auf.
Zu Recht zwar unterwirft sie Suchmaschinen den europäischen Datenschutzregeln und sieht deren Tätigkeit als datenschutzrechtlich rechtfertigungsbedürftig an. Auch ist die Anerkennung eines Rechts auf Vergessen vom Grundsatz her überzeugend. Die Entscheidung des EuGH ist jedoch in Bezug auf die Einhegung der Macht von Google kontraproduktiv und bringt ein Ungleichgewicht in die Balance von Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, das die liberalen Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen droht.
1. Durch die Entscheidung des EuGH werden Suchmaschinenbetreiber als für Löschungsanträge Verantwortliche zu einer privaten Schiedsinstanz mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen über die Kommunikation im Netz erhoben. Das Urteil droht damit die bereits erhebliche Macht der Suchmaschinenbetreiber zu verfestigen.
2. Die Suchmaschinenbetreiber sind zur inhaltlichen Beurteilung der sich gegenüberstehenden Interessen zwischen dem Kommunikationsinteresse der Internetseitenbetreiber und der Betroffenen in der Regel nicht in der Lage. Wenn sie die Entscheidung hierüber nicht den Datenschutzbehörden zuschieben ‑ die dann zu Kommunikationsregulierungsbehörden würden ‑, bestehen große Anreize, auf Beschwerde Betroffener Nachweise ungeprüft zu sperren. Dies geht über die Kommunikationsinteressen der Internetseitenbetreiber und deren Nutzer einseitig hinweg.
3. Durch die rigide, nicht nur auf spezifische Problemkonstellationen begrenzte Abkoppelung der Befugnis zum Nachweis einer Äußerung von der Befugnis zur Äußerung selbst werden die differenzierten rechtlichen Maßgaben zur Verbreitung von Informationen nivelliert. Zugleich stehen sich Äußernde und Betroffene mit ihren gegensätzlichen Interessen- und Rechtspositionen nicht länger gegenüber. Die Betreiber von Internetseiten mit ihren Kommunikationsinteressen werden weder materiell noch verfahrensrechtlich gleichberechtigt in die Entscheidung über die Frage von Nachweissperren eingebunden. Indem sie durch solche Sperren aber faktisch „unsichtbar“ werden können, sind sie hiervon jedoch maßgeblich betroffen.
4. Entsprechend der strukturellen Auskoppelung der Kommunikationsinteressen und der hinter ihnen stehenden Freiheitsrechte soll nach Ansicht des EuGH die Abwägung von einem prinzipiellen Vorrang des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geprägt sein, von dem nur „in besonders gelagerten Fällen“ ‑ etwa für Persönlichkeiten des öffentliche Lebens ‑ Ausnahmen gelten. Überdies wird die Verbreitung von Informationen von Privaten unbesehen an dem öffentlich-rechtlichen Datenschutzrecht entnommene Zweckbindungsgrundsätze gebunden, die hier nur begrenzt passen. Das Ergebnis ist, dass eine ausgewogene Balance zwischen Kommunikationsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz aus den Augen gerät.
5. Durch solchen grundsätzlichen Vorrang des Persönlichkeitsschutzes vor der Meinungsfreiheit drohen die – zum Teil in einem konfliktreichen Prozess mühsam zur Durchsetzung gebrachten – Errungenschaften der Rechtsprechung, mit denen diese eine offene, auch gegenüber herkömmlichen Ehrbegriffen, Moralvorstellungen und sozialen Geltungsansprüchen potenziell kritische Auseinandersetzung und öffentliche Kommunikation ermöglicht hat, weithin überspielt zu werden.
6. Die vom EuGH mit dieser Entscheidung intendierten, im Kern auch berechtigten Anliegen einer Effektivierung des Persönlichkeitsschutzes – einschließlich der Anerkennung eines Rechts auf Vergessens ‑ hätten demgegenüber auch auf differenziertem, dem Spannungsverhältnis von Freiheit und Persönlichkeitsschutz Rechnung tragendem Wege verfolgt werden können.
7. Die Schwierigkeiten reflektieren zugleich die unterkomplexe Ausgestaltung des europäischen Datenschutzrechts, das pauschal nur eine Form von Datenverantwortlichkeit und dabei ununterschieden gleiche Pflichten für öffentlich-rechtliche und private Akteure aller Art begründet. Ein gehaltvoller Grundrechtsschutz müsste demgegenüber schon auf regulatorischer Ebene problemadäquate und abgestufte Regelungen einfordern. Die künftige Datenschutzgrundverordnung wäre hierfür der Ort, greift das Problem aber nicht differenziert auf.
Vorläufige Einschätzung der „Google-Entscheidung“ des EuGH
Die durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Mai 2014 (C-131/12 – Google Spain SL u.a.) geschaffene Rechtslage wirft gewichtige Bedenken auf. Zwar unterwirft sie Suchmaschinen zu Recht den europäischen Datenschutzregeln. Im Ergebnis droht sie jedoch die Macht der Suchmaschinenbetreiber, und damit insbesondere auch von Google, zu verstärken anstatt sie zu beschränken, und bringt ein Ungleichgewicht in die Balance von Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, das die liberalen Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen droht.
Die nachfolgenden Überlegungen sind nur eine vorläufige Einschätzung. Sie verstehen sich nicht als verfassungs- bzw. europarechtliche Beurteilung der dogmatischen Konsistenz der genannten Entscheidung und setzen insbesondere nicht an der Frage an, ob und ggfs. wieweit der EuGH die Vorgaben der Richtlinie und der Grundrechtecharta möglicherweise unzutreffend auslegt. Ihr Ziel ist allein eine vorläufige kritische Analyse der tatsächlichen Verwerfungen und rechtspolitischen Verschiebungen, die sich aus der Entscheidung nach derzeitiger Rechtslage ergeben. Insbesondere geht es hierbei um eine Abschätzung der Folgen, die die Entscheidung bei Gesamtbetrachtung der Internetkommunikation für das Verhältnis von Freiheit und Persönlichkeitsschutz hat. Dabei zeigt sich, dass die Kommunikationsfreiheiten hierbei erheblich unterbelichtet bleiben. Entsprechend wird mit ihr für Deutschland die liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Kommunikationsfreiheiten durch eine eigene Rechtsschicht überlagert, die deren Wertung für die Frage des Suchmaschinennachweises durch eine einseitig auf dem Persönlichkeitsschutz beruhende Dogmatik ersetzt und hierüber naheliegende Lösungsansätze für ausgeglichenere Lösungen verstellt.
Ein Grund hierfür liegt freilich nicht in der neuen Entscheidung, sondern zugleich in dem pauschal undifferenzierten Rechtsinstrumentarium, das die Datenschutzrichtlinie zur Verfügung stellt. Durch die geplante Datenschutzgrundverordnung würde dies nach derzeitigem Stand nicht behoben. Hier wäre aber der Ort dafür.
1. Gegenstand
Ein spanischer Staatsbürger sah sich in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, weil die Suchmaschine Google noch im Jahre 2010 bei Eingabe seines Namens einen Hinweis auf zwei Seiten der Tageszeitung La Vanguardia aus dem Jahre 1998 anzeigt, in denen die Versteigerung seines Grundstücks wegen seiner damaligen Schulden bei der Sozialversicherung angekündigt wurde. Auf seinen Antrag entschied die spanische Datenschutzbehörde zugunsten der Zeitung, da die betreffenden Informationen dort rechtmäßig veröffentlicht worden seien. Google Spain und Google Inc. wurde dagegen aufgefordert, die betreffenden Daten aus ihrem Index zu entfernen und den Zugang zu den in Rede stehenden Zeitungsmeldungen in Zukunft zu verhindern. Auf Vorlage der hiergegen angerufenen spanischen Gerichte bestätigte nun der EuGH der Sache nach diese Entscheidung.
2. Zutreffender Ausgangspunkt
Zunächst ist hervorzuheben, dass die Entscheidung des EuGH ersichtlich davon beseelt ist, seine Aufgabe des Grundrechtsschutzes auch gegenüber wirtschaftlichen Interessen ernst zu nehmen und den europäischen Grundrechten inhaltliche Durchschlagskraft zu verleihen. In diesem Sinne ist diese Entscheidung rückhaltslos zu begrüßen und hat sie Anerkennung verdient.
Überzeugend ist insoweit, dass nunmehr endgültig klargestellt ist, dass Suchmaschinen wie Google Europäischem Recht und dem Recht der Mitgliedstaaten unterworfen sind, unabhängig von der Frage, wo die entsprechenden Server stehen.
Überzeugend ist gleichfalls der Grundansatz des EuGH, die Bedeutung der Suchmaschinen nicht zu marginalisieren, sondern sie als eigene Form der Datenverarbeitung zu verstehen. Der Nachweis von Internetseiten hat eine eigene Bedeutung, die am Recht der informationellen Selbstbestimmung bzw. an den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten eigens zu rechtfertigen ist. In der Tat darf die Bedeutung dieser Suchmaschinen für den Schutz der persönlichen Freiheit nicht unterschätzt werden.
Die aus diesem Ausgangspunkt gezogenen Schlussfolgerungen sind meines Erachtens jedoch kontraproduktiv und einseitig.
3. Problemhintergrund
In Frage steht, unter welchen Bedingungen Suchmaschinen auf Internetseiten verweisen dürften, auf denen personenbezogene Daten (d.h. Informationen zu ‑ natürlichen oder juristischen ‑ privaten Personen) enthalten sind, bzw., anders herum gewendet, wann private Personen von einem Suchmaschinenbetreiber verlangen können, dass sie betreffende Angaben nicht mehr nachgewiesen und damit praktisch nicht mehr gefunden werden können. Der EuGH schichtet diese Frage strikt von der Frage der Rechtsmäßigkeit der nachgewiesenen Informationen ab (siehe unten). Im praktischen Ergebnis hängt sie hiermit aber eng zusammen. Denn die vom EuGH entwickelten Grenzen der Suchmaschinenbetreiber für den Nachweis personenbezogener Informationen dienen dazu und sollen dazu dienen, die Verbreitung bestimmter Informationen wegen ihrer rechtsverletzenden Wirkungen für die Betroffenen zu verhindern.
Materiell berührt die Entscheidung damit Probleme, die üblicherweise im Rahmen des Äußerungsrechts abgehandelt werden: Wann darf wer über wen welche Informationen verbreiten. Dies verweist auf das Spannungsfeld zwischen der durch die Kommunikationsgrundrechte geschützten Äußerungsfreiheit einerseits und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts andererseits.
Die diesbezüglichen rechtlichen Regelungen sind komplex und beschäftigen seit jeher die Gerichte verschiedener Gerichtsbarkeiten. Dementsprechend vielfältig und abgestuft sind auch die verfassungsrechtlichen Maßgaben, die hierfür im Laufe der Zeit entwickelt wurden. Es seien nur einige Beispiele genannt: Wann eine Äußerung als Beleidigung untersagt werden darf und wann sie als Wahrnehmung der Meinungsfreiheit hinzunehmen ist, unterliegt vielfach gestuften Rechtsvermutungen, Deutungsanforderungen und Abwägungsvorbehalten. Ebenfalls unterliegt ausdifferenzierten Regelungen, wann eine Person über eine andere welche Tatsachen behaupten darf, wie hierbei die Frage der Wahrheit der Tatsachenbehauptung zu beurteilen ist und diesbezüglich Darlegungs- und Beweislast zu verteilen sind; hierbei ist etwa auch zwischen der Presse und Privatpersonen zu unterscheiden. Wiederum spezifische Regeln gelten für die Frage was als „Privatsphäre“ der Berichterstattung in welchen Situationen entzogen ist. Eigene Anforderungen gelten auch hinsichtlich der sogenannten „Verdachtsberichterstattung“, d.h. der Berichterstattung über Personen, die Straftaten beschuldigt werden, aber noch nicht verurteilt sind, und wieder eigens sind die Anforderungen hinsichtlich der Verbreitung von Informationen von verurteilten Straftätern, wobei sich die Anforderungen hier etwa danach unterscheiden, wie lange die Verurteilung zurückliegt und ob eine Berichterstattung deren Resozialisierung entgegenstehen kann. Die Frage, welche Informationen veröffentlicht werden können, hängt zum Teil aber auch von amtlichen Entscheidungen ab, etwa wenn Verbraucher vor bestimmten Missständen oder Gefahren gewarnt werden oder etwa die Namen bestimmter Personen in Form berufsrechtlicher Sanktionen veröffentlicht werden. In der Wirtschaft und im Umweltrecht werden bestimmte unternehmensbezogene Informationen durch Transparenzpflichten vom Gesetzgeber bewusst als öffentlich und für die Öffentlichkeit bestimmt festgelegt. Zum Teil regelt der Gesetzgeber aber auch Fristen, während derer bestimmte Informationen gespeichert und genutzt werden dürfen und nach denen dieses nicht mehr der Fall ist (Regelungen zur Straftilgung aus dem Bundeszentralregister, Publikationsregelungen des Gewerbe- und Insolvenzrechts usw.); solche Fristen können zum Teil auch für die private Nutzung und Verbreitung von Informationen eine Rolle spielen.
Die meisten dieser Regelungen sind zunächst unabhängig von der Verbreitungsform des Internets entstanden, wobei es aber durchaus auch Entscheidungen gibt, die – etwa bezogen auf Internetportale – speziell auf das Internet zugeschnitten sind. Richtig ist, dass die Tragfähigkeit dieser Regelungen in Bezug auf die neuen Wirkungen, die sich aus der Verbreitung über das Internet ergeben, zum Teil neu auf den Prüfstand stehen und möglicherweise angepasst werden müssen. Die Frage, ob insoweit eine Veränderung der Kriterien erforderlich ist, lässt sich dabei nicht einheitlich entscheiden, sondern kann nur schrittweise entschieden werden. Dieser Prozess ist in vollem Gange.
Ein Problem, das hierbei noch am wenigsten gelöst ist, ist die dauerhafte Abrufbarkeit von einmal in das Netz eingestellten Informationen. Diskutiert wird das unter dem Stichwort eines „Rechts auf Vergessen“. Auch beim Bundesverfassungsgericht sind diesbezüglich Verfahren anhängig.
Das Spannungsverhältnis zwischen Äußernden und Betroffenen ist bisher grundsätzlich zwischen den sich insoweit mit je eigenen Rechten gegenüberstehenden Parteien ausgetragen und entschieden worden. Auch die beim BVerfG anhängigen Verfahren betrifft eine Konstellation, in der es um die Klage gegen den Äußernden ‑ ein Online-Archiv ‑ geht und hierbei um die Frage, ob dieses die Daten so einzustellen hat, dass Suchmaschinen sie nicht finden. Mit der hiervon unterschiedenen, nun vom EuGH beantworteten Frage, ob sich der Betroffene statt gegen den Äußernden auch an einen Suchmaschinenbetreiber wenden kann, um ihn betreffende Äußerungen durch eine Sperre entsprechender Nachweise „unsichtbar“ zu machen, stellt die Folgefrage, ob bzw. wieweit diese Auseinandersetzung nun auf eine Metaebene geschoben werden kann.
4. Die Thesen des EuGH
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs enthält zur Lösung des inhaltlichen Konflikts vier Thesen:
‑ Der Suchmaschinenbetreiber trägt die volle Verantwortlichkeit für die mögliche Persönlichkeitsverletzung durch den Inhalt der von ihm nachgewiesenen Seiten. Er muss deshalb prüfen, ob die Informationen auf der von ihm nachgewiesenen Internetseite aus dem Gesichtspunkt des Datenschutzes verbreitet werden dürfen oder ob dies die Rechte der betreffenden Person verletzt.
‑ Für diese Prüfung kommt es nicht auf die Frage der Rechtsmäßigkeit der Informationen selbst an. Auch wenn eine Internetseite rechtmäßig bestimmte Informationen enthält und zugänglich macht, folgt hieraus nicht, dass diese Informationen auch durch die Suchmaschine nachgewiesen werden müssen. Der Nachweis von Informationen gegenüber den Internetnutzern, die die Suchmaschine benutzen, unterliegt anderen Kriterien als die Frage, unter welchen Umständen diese Informationen seitens des Äußernden veröffentlicht werden dürfen.
‑ Maßgeblich für die Frage, ob eine Internetseite nachgewiesen wird, ist eine umfassende Abwägung, die alle Umstände der konkreten Situation der betroffenen Person berücksichtigt. Diese Abwägung hat unabhängig davon zu erfolgen, ob die Veröffentlichung der fraglichen Informationen als solche rechtmäßig ist. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Daten nicht länger zugänglich sein dürfen, als es für die Realisierung der Zwecke, für die sie erhoben oder weiterverarbeitet werden erforderlich ist.
‑ Bei der Abwägung gilt in Bezug auf namensbezogene Suchvorgänge und Nachweise materiell eine Vermutung des Vorranges des Privatheitsschutzes, wie er durch die Artikel 7 und 8 EuGrCh gewährleistet ist: Nach Ansicht des EuGHs „überwiegen die durch diese Artikel geschützten Rechte der betroffenen Personen im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der Internetnutzer“. „In besonders gelagerten Fällen“ – etwa betreffend Personen des öffentlichen Lebens – kann die Abwägung anders ausgehen.
5. Der formale Aspekt der Entscheidung: Vollverantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber für den Inhalt der nachgewiesenen Seiten
Die Entscheidung des Gerichtshofs ist zunächst hinsichtlich des formellen Lösungsansatzes erheblichen Bedenken ausgesetzt.
Dem Suchmaschinenbetreiber wird die volle inhaltliche Verantwortung für die jeweiligen von ihm nachgewiesenen Internetseiten zugewiesen. Diese Verantwortung ist, soweit ersichtlich, nicht weiter konditioniert, d.h. sie greift nicht nur subsidiär, sondern primär, unmittelbar und – bezogen auf den einzelnen Nachweis – umfassend. Ein Betroffener soll jede Art von Persönlichkeitsrechtsverletzungen seitens Dritter im Internet zum Anlass nehmen können, die Unterbindung eines entsprechenden Nachweises in der Suchmaschine zu erwirken. Der Suchmaschinenbetreiber wird somit zur Anlaufstelle für die Geltendmachung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz allgemein.
Der Suchmaschinenbetreiber hat damit in einer Auseinandersetzung zwischen (mindestens) zwei Parteien zu entscheiden, deren Hintergründe er nicht näher kennt. In dieser Situation hat er, praktisch betrachtet, im Wesentlichen drei Möglichkeiten, wie er mit Anträgen auf Nachweissperren umgeht:
– Zum einen kann er eine Beschwerdestelle einrichten, die im Falle von Beanstandungen die entsprechenden Treffer sperrt. Naheliegenderweise wird eine solche Sperre ohne jede Kontrolle (bzw. allenfalls nach einer rudimentären Plausibilitätskontrolle) angeordnet werden, um auf diese Weise eine effektive, günstige und wirksame Befriedung herbeizuführen.
Eine solche Praxis wäre jedoch im Sinne der Freiheit der Internetkommunikation äußerst bedenklich: Die gesperrten Internetseiten, die auf diese Weise nicht mehr gefunden werden können, würden damit insoweit von ihrem Publikum praktisch abgeschnitten, ohne hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt zu haben oder hiervon auch nur zu wissen. Zwar bleibt es bei ihrer Freiheit, Äußerungen im Netz zu veröffentlichen, jedoch werden diese Äußerungen ohne deren Mitwirkung aus der allgemeinen Internetkommunikation de facto ausgesondert.
– Denkbar ist freilich auch, dass die Suchmaschinenbetreiber Beschwerden von Betroffenen zunächst grundsätzlich ignorieren und die Betreffenden auf die Datenschutzbehörden verweisen. Der EuGH macht diese ausdrücklich dafür verantwortlich, entsprechende Sperren gegebenenfalls gegenüber den Suchmaschinenbetreibern anzuordnen. Diese könnten insoweit also die Politik verfolgen, entsprechende Anordnungen zunächst abzuwarten und dann zu befolgen.
Auch diese Lösung ist mit erheblichen Problemen behaftet: Zwar wäre damit gewährleistet, dass die Entscheidung über den Ausgleich von Äußerungs- und Persönlichkeitsschutzinteressen nicht bei einem privaten Konzern läge. Die Datenschutzbehörden würden dabei jedoch nicht nur mit einer kaum mehr zu bewältigenden Zahl von Verfahren behelligt, sondern würden zu einer allgemeinen Kommunikationsregulierungsbehörde über privatrechtliche Auseinandersetzungen. Dies ist schon grundsätzlich bedenklich. Streitigkeiten, die bisher weithin im Zivilrechtsweg dezentral ausgetragen wurden, würden nun weithin in die Zuständigkeit einer – vermutlich erhebliche Ausmaße annehmenden – Behörde und damit ins Verwaltungsrecht verlegt. Soweit deren Tätigkeit bis zur ersten Anordnung kostenfrei bliebe, wären damit überdies die Streitkosten auf die öffentliche Hand ausgelagert. (Sollte man demgegenüber, was dann naheläge, hierfür gegenüber den Suchmaschinenbetreiber kostendeckende Gebühren erheben, wäre anzunehmen, dass die Suchmaschinenbetreiber von einer solchen Strategie wieder abrücken und sich der vorgenannten Strategie – grundsätzliche Sperrung der monierten Informationen – zuwenden würden.).
– Ausgehend von den Anforderungen des EuGH müssten allerdings eigentlich die Suchmaschinenbetreiber selbst die jeweils gebotene Abwägung vornehmen, wofür sie sich zunächst die maßgeblichen Informationen beschaffen müssten. Sollten sie dieses wirklich in Angriff nehmen, müsste hierfür ein erheblicher Aufwand getrieben werden, so dass insbesondere eine angemessene Organisation, ein transparentes Verfahren (insbesondere die Gewährung von Gehör gegenüber der anderen Seite) und auch Regeln für den vorläufigen Rechtschutz sichergestellt sind. Die Suchmaschinenbetreiber würden dann zu privaten Schiedsinstanzen mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen über die Kommunikation im Netz auch in inhaltlicher Hinsicht.
Die prinzipiell umfassende Verantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber für den Inhalt der von Ihnen nachgewiesenen Internetseiten schränkt damit deren Macht nicht ein, sondern droht deren Macht weiter zu verfestigen, indem ihnen auch Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich des Inhalts der von Ihnen vermittelten Seiten zugeschrieben werden. Freilich geht es hierbei stets nur um die Frage, welche Seiten nachgewiesen werden, nicht aber um die Frage, was Inhalt der betreffenden Internetseiten selbst sein darf. Gerade wenn man aber – zu Recht – die Bedeutung dieses Nachweises ernst nimmt, liegt in einer solchen generellen Abschichtung der Frage der Zulässigkeit des Nachweises von der Frage der Zulässigkeit des Inhalts keine adäquate Lösung: Denn eine Internetseite, die durch die Suchmaschinen nicht gefunden wird, ist aus den Kommunikationszusammenhängen weitgehend ausgeschlossen. Verglichen mit den – in der Öffentlichkeit noch vor kurzem so heftig kritisierten – Plänen zu einer Gesetzgebung, die es demokratisch verantwortlichen Behörden erlaubt, bestimmte Internetseiten (betreffend etwa Kinderpornographie) sperren zu lassen, ist die Zuschreibung der Verantwortung für Persönlichkeitsverletzungen Dritter an privatwirtschaftliche Suchmaschinenbetreiber für die Freiheit der Interkommunikation m.E. wesentlich bedrohlicher.
6. Der materielle Aspekt der Entscheidung: Der grundsätzliche Vorrang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Materiell soll sich die Entscheidung, ob ein Nachweis zulässig ist, unabhängig von der Rechtmäßigkeit der nachgewiesenen Internetseite beurteilen. Die Rechtmäßigkeit der Information auf der entsprechenden Internetseite indiziert die Rechtsmäßigkeit des Nachweises der Information nicht. Vielmehr sollen die Anforderungen an einen Nachweis ersichtlich höher und persönlichkeitsschützender sein als die Anforderungen an die Veröffentlichung der Äußerung. Der EuGH verweist insoweit insbesondere auch auf Veröffentlichungen der Presse, für die mit dem sogenannten „Medienprivileg“ erweiterte Berichtsmöglichkeiten als für andere Unternehmen gelten, und führt aus, dass diese für die Suchmaschinenbetreiber nicht gelten würden. Nicht alle Informationen, über die die Presse berichten darf, dürfen also auch durch die Suchmaschinen vermittelt werden.
a) Über die Frage, welche Informationen im Rahmen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen kommuniziert werden können, legt sich damit also auch materiell eine eigene Schicht, die diese Kommunikation – soweit sie durch Suchmaschinen vermittelt wird – zum Schutze des Persönlichkeitsrechts eigenständig beschränkt. Hierdurch werden bestehende gesetzliche Regelungen – von Transparenzpflichten bis hin zu verschiedenen Fristen, innerhalb derer bestimmte Informationen zugänglich gemacht werden – vom Ansatz her überspielt. Auch sonst werden die differenzierenden Maßgaben des Äußerungsrechts grundsätzlich unmaßgeblich. Die – zum Teil in einem konfliktreichen Prozess mühsam zur Durchsetzung gebrachten – Errungenschaften der Rechtsprechung, mit denen diese eine offene, auch gegenüber herkömmlichen Ehrbegriffen, Moralvorstellungen und sozialen Geltungsansprüchen potenziell kritische Auseinandersetzung und öffentliche Kommunikation ermöglicht hat, werden damit vom Grundsatz her außer Kraft gesetzt. Gerade auch im Presserecht ist das deutlich: Es ist nicht erkennbar, dass der EuGH die Nachweisverbote der Suchmaschinenbetreiber auf veraltete Nachrichten und damit das Problem des Vergessens beschränkt.
b) Für die Frage des Nachweises von Internetinformationen tritt stattdessen die ‑ jedenfalls bisher ‑ nur allgemein gehaltene Anforderung an eine umfassende Abwägung. Diese setzt nicht nur die nicht zuletzt auch freiheitssichernden Maßgaben des Äußerungsrechts außer Kraft, sondern soll nach Ansicht des EuGH vielmehr von einem prinzipiellen Vorrang des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geprägt sein. Bei dem Ausgleich zwischen dem Interesse der Internetnutzer und den Grundrechten der betroffenen Personen aus den Art. 7 und 8 EuGrCh „überwiegen die durch diese Artikel geschützten Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der Internetnutzer“. Es gilt also ein Vorrang der Privatheit gegenüber der öffentlichen Kommunikation. Nur „in besonders gelagerten Fällen“ könne der Ausgleich von der Art der betreffenden Information und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information – etwa im Blick auf Personen des öffentlichen Lebens – anders ausgemittelt werden.
In diesen Abwägungsmaßgaben wird ‑ durch die rigorose Verselbständigung der Frage des Nachweises von der Frage der Zulässigkeit der Information als solcher ‑ das Interesse der Äußernden an einer gleichberechtigten Teilhabe an Information weitestgehend aus den Augen verloren. Deren Interessen kommen allein mittelbar als Interessen der Internetnutzer in den Blick, die dabei schwach sind. Unmittelbar finden demgegenüber das Interesse und die Rechte derjenigen, die Informationen unbeschränkt über ihre Internetseiten verbreiten wollen, bei dieser Sichtweise keinen Ort. Ebensowenig wie sie verfahrensmäßig in die Entscheidung über die Sperrung von Nachweisen eingebunden sind ‑ zumindest ist hierfür in der Entscheidung nichts ersichtlich ‑, findet Ihr Interesse an der Verbreitung von Informationen inhaltlich Berücksichtigung. Wieweit sie insoweit überhaupt Rechte geltend machen könnten, ist bei solcher strikter Verselbständigung des Verfahrens zur Rechtsmäßigkeit des Nachweises auch nicht einfach zu begründen: Es versteht sich jedenfalls nicht von selbst, dass ein Betreiber einer Internetseite einen Anspruch auf Nachweis oder auch nur Gleichbehandlung durch Suchmaschinen hat. Eingebettet in den Lösungsansatz des EuGH ist das aber problematisch. Denn wenn materiell die Rechtmäßigkeit einer Treffermeldung von einer inhaltlichen Beurteilung des Veröffentlichungsinteresses gegenüber dem Privatheitsanspruch des Betroffenen abhängig gemacht wird, müssen sich beide Seiten mit zumindest gleichen Rechten gegenüberstehen; bei die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Gegenteil sogar eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede. Indem der EuGH durch eine unangemessen strikte Abkopplung der Nachweisbefugnis von der Äußerungsbefugnis solche Waffengleichheit aufhebt, gibt er einseitig den Schutz der Persönlichkeit vor der Äußerungsfreiheit den Vorrang.
c) Der inadäquate Vorrang des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Kommunikationsfreiheit kommt auch in einer starken Betonung der datenschutzrechtlichen „Zweckbindung“ durch den EuGH zum Ausdruck. Der EuGH erhebt zum maßgeblichen Gesichtspunkt der Abwägung, dass die Daten nicht länger nachgewiesen werden dürften, als es für die Realisierung der Zwecke, für die sie erhoben oder weiter verarbeitet wurden, erforderlich ist. Auch damit wird der Ambivalenz von Persönlichkeitsschutz und freier Kommunikation zwischen Privaten nicht hinreichend Rechnung getragen. Die engen Anforderungen an die Zweckbindung des Datenschutzrechts wurden als Maßgabe für die Datenverarbeitung der öffentlichen Hand entwickelt: Der Staat, der selbst kein Freiheitsträger ist, darf personenbezogene Daten nur zu den Zwecken verarbeiten, zu denen es ihm durch Gesetz ausdrücklich erlaubt ist. Diese Grundsätze lassen sich nicht unverändert auf das Verhältnis zwischen Privaten übertragen. Zwar mögen auch für das Verhältnis zwischen Privaten Elemente dieses Gedankens mittelbar und modifiziert – etwa bezogen auf die Reichweite einer Einwilligung – nutzbar gemacht werden können. Eine verobjektivierte Kontrolle, wann welche Daten für welchen Zweck noch notwendigerweise veröffentlicht werden müssen, verfehlt aber den Charakter des Informationsaustauschs zwischen Privaten, der eben auch hinsichtlich des Zwecks maßgeblich von privater Freiheit geprägt ist. Die unterschiedlichen Problemlagen öffentlichen und privaten Datenschutzes werden hier miteinander vermengt.
7. Fragen nach der Reichweite der Entscheidung und Folgeprobleme
Vom konkret entschiedenen Sachverhalt her ist der Fall von der Problematik namensbezogener Abfragen und möglicher Persönlichkeitsverletzungen, die sich aus dem Inhalt der insoweit nachgewiesenen Seiten ergeben, geprägt. Es scheint zweifelhaft, ob der EuGH auch über diese Konstellation hinaus weitere Aussagen treffen wollte, und man wird die Entscheidung insoweit nicht überinterpretieren dürfen. Der Logik der Argumentation nach jedoch wirft die Entscheidung weit darüberhinausgehende Konsequenzen auf.
Indem der EuGH dem Suchmaschinenbetreiber eine primäre und unmittelbare Verantwortlichkeit für Persönlichkeitsverletzungen aus dem Inhalt der angezeigten Seiten zuweist, beschränkt sich seine Entscheidung der Argumentation nach nicht auf namensbezogene Abfragen. Wenn denn der Suchmaschinenbetreiber der allgemeinen Verantwortung als Datenverantwortlicher in Bezug auf den von ihm nachgewiesenen Inhalt unterliegt, darf er persönlichkeitsverletzende Seiten konsequenterweise gar nicht anzeigen. Auch eine Recherche, die sich auf Versteigerungen des Jahres 1998 bezieht, dürfte dann solange nicht angezeigt werden, als hierbei der Klarname der betroffenen Eigentümer erkenntlich wird, bzw. kritische Berichte über etwa einen Arzt dürften dann nicht nur auf namensbezogene Anfrage, sondern auch nicht durch Nachweis des entsprechenden Bewertungsportals nachgewiesen werden.
Auch kann sich die Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers vom dem Ausgangspunkt des EuGH her eigentlich nicht auf eine erst nachträgliche Kontrolle nach Antrag des Betroffenen beschränken, sondern gehört die sorgsame Abwägung zu den allgemeinen Pflichten, die der Suchmaschinenbetreiber generell von sich aus zu befolgen hat. Wie gesagt, die Entscheidung verhält sich dazu nicht ausdrücklich und man täte ihr sicher Unrecht, wenn man dies als ihre gewollte Folge darstellen würde. Jedoch sind dies Konsequenzen, die sich aus der Argumentation zunächst ohne weiteres ergeben und die wieder einzufangen schwer fallen wird.
Besonders eklatant sind die Folgen der Entscheidung für den Suchmaschinennachweis von Daten, die unionsrechtlich (gemäß Art. 8 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie) als besonders geschützt gelten. Hierzu zählen insbesondere alle personenbezogenen Daten, „aus denen die … ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen …“. Wenn der EuGH die Suchmaschinenbetreiber undifferenziert und primär mit den allgemeinen datenschutzrechtlichen Pflichten der Datenverantwortlichen belegt, müssten Treffermeldungen zu solchen Daten ‑ wenn der Betreffende sie nicht selbst offenkundig öffentlich gemacht hat ‑ praktisch immer unzulässig sein. Entsprechendes gilt für den Nachweis von Treffern, die Straftaten oder strafrechtliche Verurteilungen betreffen. Dies aber ist in einer offenen demokratischen Gesellschaft unhaltbar. Der EuGH mag dies möglicherweise nicht intendiert haben. Wie er bei seinem Ausgangspunkt angesichts des dann klaren Wortlauts der Richtlinie und seiner ausdrücklichen Zurückweisung der Maßgeblichkeit des Medienprivilegs für die Suchmaschinen aber darüber hinwegkommen will, ist völlig unklar; immerhin hatte der Generalanwalt auf dieses Problem ausdrücklich hingewiesen.
An diesen Folgeproblemen wird freilich auch sichtbar, dass das Problem nicht erst in der Auslegung der Richtlinie durch den EuGH liegt, sondern auch in der undifferenzierten Rechtslage des Unionsrechts selbst. Wenn diese mittels einer übergreifenden Richtlinie pauschal nur eine Form von Datenverantwortlichkeit schafft, die ununterschieden gleiche Pflichten für öffentlich-rechtliche und private Akteure aller Art begründet und dabei die Kommunikationsfreiheiten weithin auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen und ein Medienprivileg reduziert, ist eine differenzierte Antwort auf die vielschichtigen Herausforderungen der Internetgesellschaft kaum möglich. Ein gehaltvoller Grundrechtsschutz muss schon auf regulatorischer Ebene – auf der auch politische Gestaltungsaufgaben, die nicht alle unmittelbar durch die Grundrechte vorgegeben sind, ihren Platz haben ‑ problemadäquate und abgestufte Regelungen einfordern.
Die in Vorbereitung begriffene Datenschutzgrundverordnung wäre hierfür der Ort. Nach deren derzeitigem Stand soll insoweit der bisherige Grundansatz jedoch im Wesentlichen nur fortgeschrieben werden. Mit einer unterkomplexen Regelungsstruktur aber ist ein differenzierter Grundrechtsschutz kaum zu bewerkstelligen.
8. Gesichtspunkte für die Lösung der Sachfragen
Hinter der Entscheidung des EuGH steht der Versuch, die Bedeutung der Suchmaschinen datenschutzrechtlich zu erfassen und das Problem der ständigen Abrufbarkeit von Daten und der nur beschränkten Effektivität eines Vorgehens gegen Betreiber einzelner Internetseiten zu adressieren. Insoweit konzentriert sich der EuGH mit seiner Entscheidung auf die Suchmaschinenbetreiber und sucht in deren Inpflichtnahme einen Befreiungsschlag. Ob diese Konzentration auf die Suchmaschinen ohne Berücksichtigung des netzförmigen Zusammenwirken mit den Internetseitenbetreibern der richtige Ansatz ist, scheint zweifelhaft. Tragfähige Lösungen können vermutlich besser in der Beachtung der Wechselwirkung der verschiedenen Akteure im Netz und in der Berücksichtigung der interdependenten Wirkungen der Netzaktivitäten insgesamt gesucht werden, anstatt in einer einseitigen Fixierung auf abgekoppelte einzelne Akteure im Netz. Die separierte Konzentration auf die Suchmaschinen dürfte insoweit genauso wenig geeignet sein wie eine einseitige Fixierung auf die Betreiber von Internetseiten und -diensten.
a) Richtig ist freilich, dass die Suchmaschinen einen maßgeblichen Anteil an den Gefährdungen haben, die das Internet für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit sich bringt. Sie tragen zur Auffindbarkeit der verschiedenen personenbezogenen Informationen bei und haben maßgeblichen – freilich nicht alleinigen – Anteil an der Ubiquität und ständigen Abrufbarkeit der Daten durch jedermann. Sie schaffen damit eigene Gefährdungen, für die sie datenschutzrechtlich verantwortlich gemacht werden können und müssen.
Das gilt zunächst ohnehin für Konstellationen, in denen sich Gefährdungen des Persönlichkeitsrechts durch die Selektion oder durch die Generierung eigener Informationen durch die Suchmaschinen selbst (zum Beispiel im Rahmen der Autocomplete-Funktion) ergeben. Zu Recht hat hier der BGH vor einem Jahr eine datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber auf den Weg gebracht.[1]
Meines Erachtens gibt es auch darüber hinaus gute Gründe – insofern ist dem EuGH beizupflichten -, den Suchmaschinenbetreibern in bestimmten Fällen den Nachweis von Internetseiten auch aus Gründen zu versagen, die im Inhalt der nachgewiesenen Seiten liegen. Mit solchen Inpflichtnahmen unmittelbar der Suchmaschinenbetreiber sollte dabei jedoch unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der verschieden Akteure im Netz und der sich hieraus ergebenden Effekte differenzierend umgegangen werden.[2]
b) Dort wo nicht die Generierung eigener Informationen durch Suchmaschinen in Frage steht, spricht in meinen Augen vieles dafür, die Rechtmäßigkeit des Nachweises einer Internetseite eng mit der Rechtmäßigkeit der Äußerung auf der betreffenden Internetseite selbst zu verzahnen. Der Grundsatz, dass Informationen, die rechtmäßig öffentlich ins Netz gestellt werden, jedenfalls grundsätzlich auch rechtmäßig nachgewiesen werden dürfen, hat zumindest gute Gründe auf seiner Seite. Auf diese Weise wird berücksichtigt, dass sich bei der Frage, welche Informationen verbreitet werden dürfen, in der Regel (mindestens) zwei Seiten mit gegenläufigen Rechten gegenüberstehen, zwischen denen ein Ausgleich zu suchen ist. Fällt dieser Ausgleich zugunsten der Äußerungsfreiheit aus, ist es in einer freien Gesellschaft naheliegend, dass damit zugleich auch die Zulässigkeit der freien Verbreitung dieser Information umfasst ist. Gerade wenn man in Rechnung stellt, welche elementare Bedeutung den Suchmaschinen zur Auffindbarkeit von Informationen im Netz zukommt, spricht für eine solche Verbindung vieles.
Ausgehend hiervon dürfte es im Sinne eines effektiven Ausgleichs der sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen ebenfalls richtig sein, die Auseinandersetzung über Persönlichkeitsverletzungen durch Verbreiten personenbezogener Daten auch verfahrensmäßig jedenfalls im Grundmodus dort anzusiedeln, wo der Konflikt liegt, die maßgeblichen Informationen vorliegen und die jeweiligen Interessen und Rechte authentisch verteidigt werden können: dezentral zwischen Betroffenen und sich Äußernden.
c) Der EuGH stützt seine Entscheidung freilich darauf, dass im Internet ungelöste Probleme bestehen, die einen Schutz Betroffener durch im Internet verbreitete Informationen zum Teil effektiv kaum möglich machen.
Das erste Problem liegt darin, dass das Internet nicht vergisst: Bestimmte Informationen können ursprünglich rechtmäßig und für den Betroffenen zumutbar verbreitet worden sein, erhalten eine eigene belastende Bedeutung dann aber dadurch, dass sie auch nach längerer Zeit noch abrufbar und auffindbar sind. In der Tat steht hier die Rechtsordnung erst am Anfang adäquater Problemlösungen. Jedoch ist fraglich, ob dieses tatsächlich allein ein Problem der Suchmaschinen ist. Die Frage, wie lange die Verbreitung von bestimmten Äußerungen aufrechterhalten werden darf, ist vielmehr auch und primär eine Frage der verantwortlichen Internetseitenbetreiber und bedarf jedenfalls auch als solche eines Interessenausgleichs der verschiedenen Seiten. Auch hierzu gibt es zum Teil bereits Regelungen für das Verhältnis zwischen Äußernden und Betroffenen und ergeben sich solche Regelungen aus gesetzlich differenzierenden Maßgaben. Weithin fehlen solche freilich noch und muss das „Recht auf Vergessen“ nähere Konturen bekommen. Ein spezifisches Problem sind hierbei die Archive von (insbesondere) Zeitungen. Tatsächlich hängen diese Probleme maßgeblich auch mit der Erschließung durch Suchmaschinen zusammen: Denn diese können lang zurück liegende Berichte über Einzelne der Vergangenheit entreißen und sie zu Lasten der Betroffenen präsent halten. Auch hier jedoch ist fraglich, ob nicht jedenfalls primär eine Konfliktlösung besser auf der Primärebene, d.h. zwischen Betroffenem und Archivbetreiber gesucht werden kann und sollte. Der Archivbetreiber kann nämlich seine Informationen so einstellen, dass sie von Suchmaschinen nicht mehr zu finden sind. Dieser Weg eröffnet zunächst eine Auseinandersetzung über die Berechtigung der fortdauernden Berichterstattung zwischen den in ihren Rechten Betroffenen und erlaubt hierbei zugleich differenzierte Lösungen (- so kann der vollständige Artikel noch zugänglich sein, nur ein Auffinden des Artikels über eine namenbezogene Recherche ausgeschlossen werden). Technische Möglichkeiten hierfür bestehen; sollten sich insoweit Lücken zeigen, könnte den Suchmaschinenbetreibern aufgegeben werden, entsprechende technische Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Eine Lösung auf dieser Ebene hätte nicht nur auch hier die genannten Vorteile einer sachnäheren Verortung des Konflikts, sondern würde zugleich Wirkung gegenüber allen Suchmaschinenbetreibern entfalten.
Ein weiteres Problem sieht der EuGH darin, dass ein Vorgehen gegen die Betreiber von persönlichkeitsverletzenden Internetseiten in manchen Fällen effektiv kaum möglich ist. Der EuGH verweist insoweit etwa auf die Möglichkeit, dass persönlichkeitsverletzende Äußerungen, die auf einer Internetseite entfernt werden, auf anderen Internetseiten gespiegelt werden, so dass ein Vorgehen gegen die jeweiligen Internetseitenbetreiber letztlich erfolglos bleibt. Ebenso verweist er auf die Möglichkeit, dass persönlichkeitsverletzende Äußerungen auf Internetseiten veröffentlicht werden, die in Drittländern betrieben werden, in denen effektive Rechtschutzmöglichkeiten nicht bestehen. In der Tat kann in solchen Fällen eine ergänzende Verantwortlichkeit auch der Suchmaschinenbetreiber in Betracht zu ziehen sein. Zu überlegen wäre insoweit etwa, ob hier nicht subsidiäre Sperrpflichten der Suchmaschinenbetreiber einen adäquaten Schutzmechanismus darstellen würden, etwa in dem Sinne, dass ein Nachweisverbot dann erwirkt werden kann, wenn ein erfolgreiches Vorgehen gegen einen Internetseitenbetreiber durch anderweitige Veröffentlichungen unterlaufen wird oder sonst der Nachweis erbracht wird, dass Rechtschutz gegen Internetseitenbetreiber effektiv und zumutbar nicht zu erreichen ist. Hier lassen sich viele verschiedene Regelungen denken, die der näheren Ausgestaltung bedürften.
In diesen Fällen sprechen gute Gründe dafür, auch Suchmaschinenbetreiber wegen der von ihnen vermittelten Seiten und deren Inhalten in Pflicht zu nehmen. Auch darüber hinaus mag es Konstellationen geben, in denen eine solche Inpflichtnahme der Suchmaschinenbetreiber angemessen ist. Praxis ist dieses etwa auch im Bereich des Urheberrechtsschutzes[3]. Es würde sich insoweit der Grundidee nach aber eher um eine subsidiäre Inpflichtnahme handeln. Wenig einleuchtend ist demgegenüber, dass gelegentliche Schwierigkeiten des Rechtschutzes im Netz ganz allgemein die primäre und unmittelbare Verantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber für den Inhalt der nachgewiesenen Seiten begründeten.
d) Eine unmittelbare und primäre Einbeziehung der Suchmaschinenbetreiber in den Persönlichkeitsrechtsschutz dürfte sachlich am ehesten dort angemessen sein, wo ein Antrag auf Sperrung des entsprechenden Nachweises an möglichst wenige einzelfallbezogene Voraussetzungen gebunden ist und damit möglichst wenig Kenntnisse hinsichtlich der konkret In Frage stehenden Konfliktlinien verlangt. Von daher mag man die Entscheidung des EuGH zum Anlass nehmen, über eine generelle Beschränkung der Erschließungsfunktion des Internets nachzudenken – und ein Stück mag die Entscheidung hierauf hinauslaufen.
Ausgehend davon, dass sich die Entscheidung maßgeblich nur auf Treffer bei namensbezogene Abfragen bezieht und sie hierbei auch darauf abstellt, dass gerade in der Zusammenführung persönlicher Informationen aus verschiedenen Lebensbereichen zu einem Persönlichkeitsprofil ein zentrales Problem liegt, mag man überlegen, ob es für den Persönlichkeitsschutz sachgerecht sein kann, dem einzelnen eine mehr oder weniger freie opt out-Option einzuräumen, seine Person nicht zum Gegenstand von unmittelbaren Internetrecherchen machen zu lassen. Ausgenommen von dieser opt out-Option wären Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Den oben genannten Einwänden gegen eine primäre Verantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber würde ein solches Modell jedenfalls in wesentlicher Hinsicht dann entgehen, wenn hierbei nur die Option bestünde, entweder den eigenen Namen sperren zu lassen, oder ihn recherchierbar zu halten, nicht aber hinsichtlich der einzelnen Treffermeldungen zu unterscheiden. Der Anspruch auf Sperrung wäre dann so ähnlich wie die Sperrung eines Namens im zentralen Telefonbuch. Über die jeweiligen Foren wären die Informationen weiterhin erhältlich, aber sie wären nicht mehr weltweit gegenüber jedermann in Form eines Persönlichkeitsprofils erschlossen. Durch das Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip wären nicht nur die Suchmaschinenbetreiber von schwierigen, ihnen sachlich kaum möglichen Entscheidungen befreit, sondern würde auch einem einseitigen Persönlichkeitsschutz gegenüber der Meinungsfreiheit jedenfalls ein Stück weit entgegengewirkt: Dann kann der einzelne nicht mehr einseitig Berichte herauspicken und nur die unliebsame Berichterstattung unter Vermeidung einer Auseinandersetzung mit den Äußernden herausfiltern. Ein Antrag wäre dann nicht mehr die einseitige Durchsetzung der Selbstwahrnehmung gegenüber der Fremdwahrnehmung, sondern der prinzipielle Rückzug aus der allgemeinen Öffentlichkeit in einen Privatbereich oder in selbstdefinierte Öffentlichkeiten.
Auch ein solches Konzept würde eine weitreichende Beschränkung der Informationsfunktion des Internets zur Folge haben. Die Erschließungsfunktion des Internets würde damit erheblich eingeengt und sich nur noch auf solche Personen beziehen, die aufgefunden werden wollen bzw. dem zumindest nicht widersprechen. Über ein solches Konzept lässt sich aber rechtspolitisch diskutieren. Dem Einzelnen würde damit eine differenziertere Entscheidung ermöglicht, in welchen Foren er Daten gegenüber welcher Öffentlichkeit preisgibt, ohne sich aber dabei einseitig auch in diesen Foren selbst gegenüber Kritik immunisieren zu können. Freilich bleibt auch insoweit das Problem, dass damit den Äußernden (z.B. Bloggern) bewusst der Weg abgeschnitten wird, ihre Informationen, Kommentare und Kritik so zu präsentieren, dass sie von allen gefunden werden können. Für schlichte Privatbürger mag man das für eine vertretbare Lösung halten. Freilich sind auch bei einer solchen einschränkenden Einräumung eines primären Sperrantragsrechts gegenüber den Suchmaschinenbetreibern die Probleme nicht gelöst. Die Anreize für Suchmaschinenbetreiber, vorschnell die Privatheit von Bürgern auf bloßen Antrag hin anzunehmen bleiben ebenso bestehen wie zahlreiche Abgrenzungsprobleme. Soll eine opt out-Option auch für Berufsträger (Ärzte, Anwälte), nicht prominente Beamte (Lehrer), Geschäftsleute etc. gelten? Wie sind Nachweissperren einzurichten, wenn verschiedene Personen den gleichen Namen tragen? Bezieht sie sich auch auf juristische Personen?
Ob man das Internet in diesem Umfang seiner Erschließungsfunktion berauben will, ist eine weitreichende Frage, die jedenfalls mit Bedacht entschieden sein will. Angemessen wäre es wohl, über diese Frage nicht in erster Linie im Wege gerichtlicher Ableitungen, sondern ausdrücklich politisch zu entscheiden, auch wenn es grundrechtliche Rahmenanforderungen geben mag, deren Wahrung die Gerichte dann nachvollziehend kontrollieren müssen. Die anstehende Reform des Datenschutzrechtes auf Europäischer Ebene gibt für eine solche politische Entscheidung Gelegenheit.
Die Schaffung eines solchen prinzipiellen, damit aber auch begrenzten Rechts auf Sperrung namensbezogener Recherchen ist freilich nicht das Konzept des EuGH. Der EuGH verlangt eine einzelfallgezogene Abwägung und eine hierbei allen Umständen Rechnung tragende Entscheidung über den jeweiligen einzelnen Treffernachweis durch den Suchmaschinenbetreiber. Was sich hieraus praktisch ergibt, bleibt abzuwarten. Es ist jedenfalls keine fernliegende Befürchtung, dass hiermit wahlweise nicht nur eine opt out‑Option gegenüber namensbezogenen Recherchen, sondern de facto eine opt out-Option gegenüber unliebsamer Berichterstattung zu Lasten der Äußernden und der Kommunikationsfreiheit eröffnet wird.
9. Offene Fragen
Dieser Vermerk hat nicht den Anspruch die Frage aufzugreifen, wie das Bundesverfassungsgericht künftig mit diesen Problemen umzugehen hat. Diese Frage lässt sich in abstrakter Weise auch kaum klären – hier liegt alles daran, welche Fälle in welchen Konstellationen an es herangetragen werden.
Nicht aufgegriffen wird insbesondere die Frage, ob, wie weit und in welcher Art das Bundesverfassungsgericht in diesem Problemkreis Grundrechtsschutz gewährleisten kann. Keine Frage besteht, dass der EuGH für seine Entscheidung – wie immer – Vorrang in Anspruch nimmt und hier die Unionsgrundrechte zur Anwendung bringt. Ob daneben auch deutsche Grundrechte anwendbar sind, wäre näher zu prüfen. Ausgehend von der Grundannahme des EuGH, dass die Richtlinie eine Vollharmonisierung anstrebt, gibt es gute Gründe, dieses jedenfalls aus Sicht des EuGH zu verneinen und einen ausschließlichen Grundrechtsschutz des Unionsrechts anzunehmen. Andererseits lässt sich – auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH – erwägen, ob hier nicht konkurrierender Grundrechtsschutz zur Anwendung kommt, weil die Richtlinie und auch die vorliegende Entscheidung zahlreiche Umsetzungs- und Abwägungsspielräume eröffnet. Ob die Konkretisierung dieser Spielräume als Anwendung abschließenden und zwingenden Unionsrechts verstanden wird, die zum ausschließlichen Grundrechtsschutz durch die Grundrechtscharta führt, oder als einzelstaatliche Gestaltung, die durch Unionsrecht nur angeleitet ist und damit in den Bereich fällt, in denen sich Unionsgrundrechte und mitgliedstaatliche Rechte überlappen, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Wie das Bundesverfassungsgericht sich diesen Fragen nähern sollte und welche verfahrensrechtlichen oder inhaltlichen Konsequenzen hieraus jeweils zu ziehen wären, braucht hier nicht beantwortet zu werden. Dies gilt auch für die Frage, ob dann, wenn man hier von einem ausschließlichen Grundrechtsschutz durch die Grundrechtscharta der Union ausgeht, das Bundesverfassungsgericht damit seiner Aufgabe der Gewährleistung von Grundrechtsschutz tatsächlich wirksam entbunden wäre.
Keine Antwort sucht dieser Vermerk gleichfalls auf die Frage, in welche Richtung die von der Entscheidung des EuGH aufgeworfenen Probleme in der Zukunft sachlich entschärft werden können. Bei dieser Entscheidung handelt es sich naturgemäß um die Entscheidung nur einer konkreten Konstellation, die ungeachtet der abstrakten Obersätze möglicherweise eng geführt und in ihrem Sprengpotenzial auch entschärft werden kann. Trotz der Vermutung für den Schutz der Persönlichkeit gegenüber den Kommunikationsinteressen der Internetnutzer lässt die Entscheidung etwa Abwägungsspielräume, die im Sinne der Freiheit der Kommunikation auch in weiterem Umfang den Nachweis personenbezogener Informationen zulassen als im Fall von Personen des öffentlichen Lebens. Auch kann man fragen, wie ernst die Abkopplung der Kriterien für die Nachweispflicht von der Rechtsmäßigkeit der nachgewiesenen Information in anderen Fällen als dem Vorliegenden tatsächlich zu nehmen ist. Auch mag hier bei restriktiver Lesart eine rechtliche Regelung, die die Beschwerde an den Suchmaschinenbetreiber unter Subsidiaritätsanforderungen stellt, nicht völlig ausgeschlossen sein. Wie jede Entscheidung enthält die Entscheidung Unklarheiten, die genutzt werden können, um wenigstens extreme Auswirkungen ihres Ansatzes wieder einzufangen. Unmittelbar entschieden ist nur der Anspruch auf Nachweissperre gegenüber veralteten Zeitungsmeldungen zu einer Versteigerung in einer Rechtslage, die hierfür keine spezifische Problemlösung vorsah. Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind aber ‑ wie sich auch in den Reaktionen von Google zeigt ‑ erheblich. Die Entscheidung schafft praktisch wie rechtlich Strukturen, die einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsschutz und einer freiheitlichen Kommunikation in einer demokratischen Gesellschaft sehr schwer machen.
Karlsruhe, 21. Mai 2014
[1] Wieder eigene Fragen – auch grundrechtlicher Art – ergeben sich aus der Marktmacht, die gerade die Suchmaschine Google hat. Diese Probleme liegen jedoch auf einem anderen Feld und sind im vorliegenden Kontext unerheblich.
[2] Da es in vorliegendem Vermerk nicht um die abschließende Rekonstruktion überzeugender Lösungen geht, wird hier auch nicht erörtert, wie sich diese Fragen im Einzelnen grundrechtsdogmatisch beantworten. Insoweit sei hier auch nicht die Frage vertieft, ob solche Inpflichtnahmen grundrechtsdogmatisch eher als eine Inpflichtnahme der Suchmaschinenbetreiber durch den Gesetzgeber in Wahrnehmung von dessen Schutzpflichten zugunsten der Betroffenen zu beurteilen ist, oder als unmittelbare datenschutzrechtliche Verantwortung des Suchmaschinenbetreibers selbst.
[3] Die Erfahrungen hier zeigen, wie mit solchen Beschwerden umgegangen wird: So berichtet Google beispielhaft von in einem Monat 24 Millionen URLs, deren Löschung beantragt wurde; in 97 % der Fälle wurde dem entsprochen, in der Regel ohne Rücksprache mit den Betreibern der Seiten. Ob das im Urheberrecht, in dem es um das Verhindern von vorneherein rechtswidriger Aktivitäten geht, gerechtfertigt ist, ist hier nicht zu diskutieren. Für die Sperre von Meinungsseiten wäre eine entsprechende Praxis ein echtes Problem.
Ich hatte beim Lesen ein Deja-Vu meiner eigenen Gedanken, die ich seit Jahren mit mir herumtrage und hin und wieder im Netz hinterlasse. Vielen Dank, dass ich nicht mehr der einzige bin, der die freiheitsfeindliche Dynamik sieht. Die ist aber viel allgemeiner, als durch die Konzentration auf das Urteil ersichtlich ist. Denn nicht nur beim Datenschutz besteht das Problem, das ich als “Drittfreiheitsiquidation” bezeichne. Der Adressat der Maßnahme, normalerweise ein Mittler im Internet, hat keine eigenen Rechte, die sich gegen die Maßnahme richten. Der Kunde des Mittlers ist nicht Adressat der Maßnahme, also kann er sich nicht wehren. Damit entsteht eine Lücke im Rechtsweg. Dies betrifft alle Formen der Informationsunterdrückung im Internet, sei es wegen Äusserungen, sei es wegen Urheberrechtsverletzungen oder wegen anderer Informationsverbreitungsverbote, wie z.B. bei Pornographie. Es kommt immer zu dieser Dynamik, die den Mittler (die OECD sagt Intermediär) faktisch dazu zwingt, ohne weitere Prüfung automatisiert zu unterdrücken oder zu löschen, allein um die Masse der Anfragen zu skalieren. Auch die Opfer des Overblocking haben allenfalls einen Rekurs gegen den Mittler, nie aber gegen den Ursprung einer Maßnahme. Meine Gedanken zum EuGH finden sich bei Netzpolitik: https://netzpolitik.org/2014/kommentar-zum-eugh-urteil-das-gericht-hat-recht-aber-das-ergebnis-ist-falsch/
Ich bin der Meinung, der EuGH konnte nicht anders. Denn der Generalanwalt hatte in seinem Antrag einen Ausweg formuliert. Denn die Suchmaschine ist nur ein Cache. Wenn die Seite weg ist, dann kann man sie auch nicht mehr suchen. Wenn doch, ist es ein eigenes Angebot. Es stellt sich dann die Frage nach zugänglichen Archiven wie z.B. archive.org. Wäre archive.org in Europa illegal?
[…] AUF VERGESSEN RiBVerfG Masing: Vorläufige Einschätzung der “Google-Entscheidung” des EuGH: Da ist es. Wir hatten schon darüber berichtet, dass Matthias Spielkamp auf iRights.info […]
Sehr geehrter Prof. Dr. Johannes Masing, unbeeindruckt von Ihrer Erwartung, mit wissenschaftlichen Kollegen und Fachleuten schrittweise Klarheit verschaffen zu können, kommentiere ich nachstehend Ihren interessanten Artikel als den des Wissenschaftlers. Ich verstehe mich dabei als Teil einer weiteren Öffentlichkeit.
Der Vermerk mit seinen vielen und teilweise verschlungenen Gedankengängen ist ein Labyrinth. Damit die eigenen Gedanken darin sich nicht verlaufen, suchte ich nach einem Zugang, der wieder einen Ausgang (schrittweise Klarheit) ermöglichen sollte.
Der Zugang der rechtlichen Würdigung des Urteils ist mit dem Zweifeln gepflastert, über diesen Klarheit zu diesem Urteil („Google-Entscheidung“ des EUGH) verschaffen zu können. Das Urteil wirft zu gewichtige, zu fragwürdige, Bedenken auf.
Woher nun das Anliegen, nach fast fünf Jahren Rechtskraft mit einem Grundrecht aus in 50 Artikeln beschriebenen der Charta ernst machen zu wollen?
Ernst zu machen, einerseits einen Vorrang des Persönlichkeitsschutzes Recht zu zusprechen, aber andererseits nicht einem Schadenersatz für festgestellte Verletzung eines Persönlichkeitsrechts?
Ernst zu machen, ohne Effektivierung des Persönlichkeitsschutzes auf differenziertem (wie z.B. BVerfG, 1 BvR 1783/05 vom 13.6.2007, Absatz-Nr. (1 – 151) insbesondere in den Absätzen 84 bis 89), dem Spannungsverhältnis von Freiheit und Persönlichkeitsschutz Rechnung tragendem Wege?
Klarheit ist mit einer rechtlichen Würdigung des Urteils nicht zu verschaffen, allein weil das Urteil Google den europäischen Datenschutzregeln unterwirft, die unzureichend problemadäquat und abgestuft sind. Dass dieses Urteil einer zutreffenden Auslegung der Grundrechtcharta und der Vorgaben der Richtlinie dazu entspräche, kann nicht begründet werden
Der Zugang zur Gesamtbetrachtung der Internetkommunikation für das Verhältnis von Freiheit und Persönlichkeitsschutz ist durch Hürden des beliebigen Verstehens eines INTERNET-Rechts erschwert.
Klarheit kann verschafft, diese Hürden überwunden werden, mit einem Verstehen der informationstechnologischen und -technischen Wirklichkeit des als INTERNET Bezeichneten. Es ist ein weltweiter Verbund von Rechnernetzwerken als Infrastruktur, auf deren Basis dem Anwender verschiedene Dienste zur Verfügung stehen. So zum Beispiel auch, Daten suchen zu können. Diesen Suchdienst, auch wenn nicht im gleichen Umfang, stellen auch andere und nicht nur Google zur Verfügung
Zu diesem Verstehen gehört ebenso, dass zwischen Daten und Informationen zu unterscheiden ist: nur Daten werden übertragen. Und dass die Übertragung von Daten unabhängig von ihrem Inhalt, dem Absender, oder dem Empfänger erfolgt. Unabhängig auch davon, welche Empfänger übertragene Daten als Informationen verstehen und verwenden.
Eine Übertragung von Daten erfolgt nicht nur durch Äußerer, sondern auch durch Empfänger, ohne Kenntnis derjenigen davon, zu denen diese Daten gehören.
Vor Übertragung ihrer Daten, vor ihren Weiterverwendung und ihrer beliebigen Verwendung als Informationen können nur diejenige geschützt werden, die sich der Kommunikationsfreiheit des INTERNETS – ganz gleich mit welchen technischen Mitteln – entsagen.
Die bisher einzige Klarheit, die bei dieser Gesamtbetrachtung der Internetkommunikation zu verschaffen ist.
Der Zugang zur wissenschaftlichen Problemanalyse
– ausführlich, differenziert und auch verständlich für den Nicht-Rechtswissenschaftler – lädt geradezu ein, sich nicht nur zum PROBLEMHINTERGRUND schrittweise Klarheit zu verschaffen. Das gemeinte Fehlen ihrer Ausformung nach wissenschaftlichen Standards wird dafür nicht als Hindernis gesehen. Ebenso wenig ein Hindernis darin, dass am Ende der Verschaffung von Klarheit noch offene Fragen zu beantworten wären.
Die rechtswissenschaftliche Analyse hat zum bestehenden Problem Klarheit verschafft (bestätigt): Grundrechtspositionen stehen sich gegenüber und ein allgemeiner Vorrang einer Grundrechtsposition ist wissenschaftlich nicht zu begründen. Das bedingt also einen effektiven Ausgleich (des Verstehens) der Grundrechtpositionen.
Solange auf der Grundlage deklarierter Grundrechte Betroffene wegen vermeintlich empfundener oder tatsächlicher Verletzung ihrer Persönlichkeit klagen, und nicht der Grundsatz zur Anwendung kommen soll, wer sich öffentlich äußert, ist im Sinne der Persönlichkeitsrechte nicht schützenswert, muss zu diesen Klagen Recht gesprochen werden. Auch trotz der Mühen vielfach zu stufender Rechtsvermutungen, Deutungsanforderungen und Abwägungsvorbehalte.
Die Rechtsprechenden sollten dabei ersichtlich davon beseelt sein, den auf Schutz seiner Persönlichkeitsrechte Klagenden überzeugen zu wollen, ihm damit Klarheit zu einer ausgewogenen Balance zwischen seiner Kommunikationsfreiheit und seines Persönlichkeitsrechtsschutz verschafft zu haben.
Die Rechtsprechung mag also einer juristisch-dogmatischen Konsistenz entsprechen und insoweit als rechtswissenschaftlich begründet verstanden werden. Die offenen Fragen sind damit aber nicht zu beantworten. Mit Rechtsprechung kann Überzeugung, aber kein wissenschaftlich begründete Klarheit dazu verschafft werden.
Um sich nicht im Labyrinth zu verlaufen und einen Ausgang daraus finden zu können, kann und sollte der Rechtsprechende nicht der Recht sprechende Wissenschaftler sein.
[…] Freiburg und Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dieser Beitrag erschien zuerst auf Verfassungsblog.de und ist lizensiert unter Creative Commons BY-NC-ND 4.0. Auf iRights.info erschienen bereits zwei […]
[…] Masing, Vorläufige Einschätzung der „Google-Entscheidung“ des EuGH, VerfBlog, 2014/8/14, […]
Bei der „Google-Entscheidung“ des EuGH geht es nicht um das “Recht auf Vergessen”, sondern um das “”Recht auf Vergessen werden”.
Das ist ein wesentlicher Unterscheid.