12 May 2021

Sie haben ihm ein Denkmal gebaut

Über die Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung

In der Woche, in der Frankreich des 200. Todestags Napoleon Bonapartes feierlich gedachte, schaffte auch der Deutsche Bundestag erinnerungspolitische Fakten. Ohne Gegenstimmen bewilligte er ein Gesetz zur Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung. Doch die vordergründige Einmütigkeit des Plenums täuscht. Denn eine wesentliche Frage bleibt ungeklärt: Haben sie Helmut Kohl nun ein „Denkmal“ gebaut? Oder doch die Weichen für eine „kritische Auseinandersetzung“ mit seinem (politischen) Werk und Leben gestellt? An der erinnerungspolitischen Ausrichtung der neuen Stiftung scheiden sich die Geister der Parlamentarier – was schließlich auch die Rechtswissenschaft auf den Plan rufen sollte.

Irrungen, Wirrungen

Auch wenn im Gesetzgebungsverfahren zuletzt alles ganz schnell ging, hat die Verwirklichung einer Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung (kurz: BHKS) insgesamt mehrere Jahre in Anspruch genommen. Obwohl es immer wieder öffentliche Stiftungs-Bekundungen gab, konnte lange nichts Handfestes vorgewiesen werden. Dieser Zustand war wohl primär der Vielzahl von Akteuren und Interessen geschuldet. So forderten sowohl die CDU und die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung als auch das Bundeskanzleramt sowie das Bundesarchiv Mitsprache ein. Auch der Umstand, dass die Zuordnung von 400 Aktenordnern aus dem Nachlass des Bundeskanzlers a.D. nicht abschließend geklärt ist, verkomplizierte die Angelegenheit. Schließlich komplettiert sich dieser Kreis durch die Interessen der Kinder Kohls sowie dessen Witwe, Maike Kohl-Richter. Sie alle wollen ein Stück vom „Kohl-Kuchen“.

In der jetzt anvisierten Stiftungslösung findet Maike-Kohl-Richter allerdings keinerlei Berücksichtigung. Mehr noch: Am Tag der Verabschiedung des Errichtungsgesetzes meldete sich Kohl-Richter medienwirksam mit einer elfseitigen Presseerklärung zu Wort. Die CDU, so die Kohl-Erbin, verstoße gegen den Willen ihres verstorbenen Mannes, dessen unbedingter Wille es gewesen sei, dass eine Helmut-Kohl-Stiftung ihren Sitz in Ludwigshafen erhalte – und nicht in Berlin.

Neben der Besetzung der Stiftungsorgane und einer damit einhergehenden institutionellen Mitsprache seitens der Alleinerbin war im gesamten Schöpfungsprozess die Ortswahl ein wiederkehrend strittiger Punkt. Der Streit konzentrierte sich im Wesentlichen auf Berlin als Hauptstadt eines vereinigten Deutschlands und Oggersheim als Geburts- und Wohnort Helmut Kohls. Der Bundestag hat diesen Zwist nun (zumindest vorerst) zugunsten Berlins entschieden.

Recht der Politikergedenkstiftungen

Obwohl die BHKS bereits die siebte Politikergedenkstiftung und die vierte „Kanzlerstiftung“ ist, sind derartige Stiftungen von der Rechtswissenschaft bisher weitgehend unbemerkt geblieben. Dies mag daran liegen, dass ihre normative Einkleidung geradezu eintönig monoton anmutet: Als Stiftungen des öffentlichen Rechts beruhen sämtliche Politikergedenkstiftungen auf Bundesgesetzen, die sich auf den ersten Blick kaum voneinander unterscheiden. Schaut man jedoch genauer hin, offenbart sich ein Bild, das den schillernden Persönlichkeiten, derer gedacht werden soll – von Bismarck über Ebert, Adenauer, Heuss, Brandt bis Schmidt und nunmehr Kohl –, schon eher gerecht wird.

Als wesentlich im Recht der Politikergedenkstiftungen erweist sich der jeweilige Stiftungszweck. Legt man die Errichtungsgesetze aller Politikergedenkstiftungen übereinander, kristallisieren sich drei wesentliche Zweckelemente heraus: ein personales, ein historisch-edukatives und ein wissenschaftlich-politisches Element. Alle drei Elemente finden sich nunmehr auch im Errichtungsgesetz der BHKS (BHKSG) wieder.

Zweck der neugeschaffenen Stiftung ist es gemäß § 2 Abs. 1 BHKSG erstens, das „Andenken an das politische Wirken Dr. Helmut Kohls für Freiheit und Einheit des deutschen Volkes, für den Frieden in der Welt, für die Versöhnung mit den europäischen Nachbarstaaten und die europäische Integration“ zu wahren (personales Element). Laut Gesetzesbegründung soll sie damit die Erinnerung an das Leben Helmut Kohls „lebendig“ halten.

Zweitens soll die BHKS einen „Beitrag zum Verständnis der deutschen und europäischen Geschichte“ leisten (historisch-edukatives Element). Konkret soll etwa gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 BHKSG ein „Helmut-Kohl-Zentrum“ mitsamt einer Dauerausstellung in Berlin errichtet werden. Hier wird zugleich die Verbindung zwischen personalem und historisch-edukativem Element deutlich. Plakativ gilt das Motto: „Biografien erzählen – Geschichte entdecken“ – ein Wahlspruch, dem sich alle Stiftungen gleichermaßen verschrieben haben.

Zuletzt findet sich das wissenschaftlich-politische Element in § 2 Abs. 2 Nr. 3 und 4 BHKSG. Demnach soll Forschung betrieben sowie wissenschaftliche Arbeiten und Veröffentlichungen im Sinne des Stiftungszwecks gefördert werden. Auch die politische Zusammenarbeit mit „anderen nationalen und internationalen Einrichtungen“ ist vorgesehen.

Berlin statt Oggersheim

Ist die Kohl-Stiftung also eine weitere typische Politikergedenkstiftung? Nicht zwangsläufig. Denn wirft man einen genauen Blick auf das personale Element einerseits und das wissenschaftlich-politische Element andererseits, weicht die BHKS in zwei Punkten wesentlich von den anderen Stiftungen ab.

Hinsichtlich des wissenschaftlich-politischen Elements schweigt das Gesetz im Falle Helmut Kohls zu einem Aspekt auffallend laut: Während die Stiftungszwecke der übrigen Politikergedenkstiftungen nämlich ausnahmslos vorsehen, Wissenschaft, Forschung und politische Zusammenarbeit durch die Bereitstellung von wertvollem Archivmaterial zu bereichern, enthält § 2 BHKSG nichts dergleichen. Der Hintergrund ist der eingangs erwähnte Zwist zwischen dem Bund und Maike Kohl-Richter. Hartnäckig verschließt die Kohl-Erbin den archivalischen Schatz des „Kanzlers der Einheit“ in Oggersheim vor den Augen der Öffentlichkeit. Ihr Ziel: Eine „vorurteilsfreie, quellengestützte Aufarbeitung“ des Kohl’schen Lebenswerks soll nicht gefährdet werden. Aufgrund dieser persönlichen Haltung Kohl-Richters wird die BHKS wohl einstweilen darauf verzichten, der Öffentlichkeit zeitgeschichtlich bedeutendes Archivmaterial zur Verfügung zu stellen. Denn mit einer gerichtlichen Geltendmachung eines Herausgabeanspruchs, von der der Bund bereits bisher abgesehen hat, ist wohl auch zukünftig nicht zu rechnen (instruktiv: hier).

Der Zwist zwischen Kohl-Richter und dem Bund führt unmittelbar auch zum personalen Element, wo eine zweite Besonderheit der Kohl-Stiftung schlummert. Während alle anderen Stiftungen nicht nur der politischen Persönlichkeit gedenken wollen, sondern auch dem Privatmenschen hinter dem Amt näher zu kommen gedenken, verzichtet die BHKS sehenden Auges darauf, indem sie ihren Sitz in Berlin erhält. In einem Änderungsantrag schlug die FDP-Fraktion daher vor, den Stiftungssitz nach Oggersheim zu verlegen. Nur in Oggersheim sei „eine enge Verknüpfung mit der […] Person“ Helmut Kohl gegeben. Mit Berlin jedoch, sei Helmut Kohl „in keiner Weise“ verbunden – Oggersheim statt Berlin also?

Nein, denn alle anderen Fraktionen, so auch CDU/CSU, lehnten den FDP-Änderungsantrag ab. Damit wird auch die zu errichtende Gedenkstätte „Helmut-Kohl-Zentrum“ in Berlin entstehen. Zweifellos stellt die Bundeshauptstadt einen Ort dar, den Helmut Kohl als Kanzler der Einheit „entscheidend […] verändert und geprägt“ hat. Doch eins ist unbestritten: Wer auf Berlin statt Oggersheim setzt, verzichtet auf ein persönlichkeitsprägendes Element des Rheinpfälzers, der zu weltpolitisch bedeutungsvollen Gesprächen in sein pfälzisches Stammrestaurant lud und Saumagen kredenzen ließ.

Hol den Vorschlaghammer!? – Aufklärung, Verklärung

Politikergedenkstiftungen bewegen sich in einem Spannungsfeld – und dies gleich in zweierlei Hinsicht: Erstens fungieren sie einerseits als öffentliche Gedenkstätten, greifen aber andererseits auf sehr private, nahezu intime Ressourcen zurück – man denke etwa an das authentisch erhaltene Adenauer-Haus in Rhöndorf. Zugegeben: Es hat seinen Charme am Frühstückstisch Adenauers zu stehen und ins Rheintal zu blicken; die Wahrung kritischer Distanz fällt so aber schwer (Zündorf, Akteure zwischen Monarchie, Diktatur und Demokratie, in: Hertfelder u.a. (Hg.), Erinnern an Demokratie in Deutschland, 2016, S. 97). Doch weil Politikergedenkstiftungen im Sinne ihres personalen Stiftungszwecks auch darauf zielen, eine Verbindung ins Private herzustellen, sind sie auf die Mitwirkung der Erben angewiesen. Dass das historisch-edukative Element aufgrund dessen teilweise zurückgedrängt wird, ist wohl nicht zu vermeiden.

Zweitens zielen Politikergedenkstiftungen zwar einerseits auf ein objektives Andenken, doch wohnt den Stiftungszwecken andererseits auch die Gefahr einer nicht immer angemessenen Heroisierung inne. Zur Verdeutlichung sei hier auf die eingangs erwähnten Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 200. Todestags Napoleon Bonapartes verwiesen. Freilich liegt es fern, das Andenken Helmut Kohls mit dem Napoleon Bonapartes zu vergleichen, geschweige denn gleichzusetzen. Nichtsdestotrotz zeigt ein Blick über den Rhein nach Westen, dass selbst zwei Jahrhunderte nach dem Tod einer nationalen Persönlichkeit der erinnerungspolitische Diskurs noch hin- und hergerissen sein kann zwischen monumentaler Heroisierung und aufgeklärter Erinnerung.

Genau in diesem Interessenswirrwarr operieren in Deutschland die Politikergedenkstiftungen. Mit Blick auf das Recht ist die Organisationsform – die Stiftung des öffentlichen Rechts – jedenfalls klug gewählt, soll sie doch ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien Autonomie und Neutralität ermöglichen. Doch auch der rechtlich-organisatorischen Unabhängigkeit sind faktische Grenzen gesetzt. So hebt bereits allein der Umstand der Stiftungsgründung den für andenkenswürdig erachteten Politiker auf einen monumentartigen Sockel. Zudem begünstigt die Einbindung der Erben in die Stiftungsorganisation eine privat-motivierte Verklärung und versperrt so möglicherweise den Weg hin zu einer aufgeklärten Erinnerungspolitik. Eines zeigt der Fall Kohl jedoch genau: Die Deutung des politischen Wirkens auf Seiten des Staates und auf Seiten der Familie ist nicht immer kongruent, konfliktgeladen und somit kompromissanfällig. Aufgeklärte Geschichte ist jedoch nicht kompromissfähig.

Berlin und Oggersheim?

Die Gründung einer BHKS ist nunmehr sicher und endgültig auf den Weg gebracht. Ist das Kriegsbeil in der Causa Kohl damit begraben? Berlin statt Oggersheim für immer? Ein Blick auf die übrigen Politikergedenkstiftungen beweist, dass eine Wandlung durchaus möglich ist: Auch die Willy-Brandt-Stiftung war ursprünglich ausschließlich in der Bundeshauptstadt beheimatet. Doch im selben parlamentarischen Atemzug mit der Errichtung der BHKS verschaffte ihr der Bundestag in dieser Woche ein weiteres gesetzliches Standbein in der Hansestadt Lübeck, der Geburtsstadt Willy Brandts. Kohls pfälzische Heimat ist also noch lange nicht abgeschrieben – vielleicht heißt es also schon bald: Berlin und Oggersheim.


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