22 September 2015

TTIP-Rechtsschutz zu Ende denken

Vergangene Woche hat die EU-Kommission ihren Reformvorschlag für das Investitionsschutzkapitel im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) vorgestellt. Die zahlreichen Verbesserungen setzen in vielen Punkten Maßstäbe und sind zu Recht überwiegend positiv aufgenommen worden. Eine grundsätzlichere, auch jetzt wieder aufgeworfene Frage bleibt allerdings weiterhin offen: Warum sollen nur ausländische Investoren, nicht aber einheimische Unternehmen, Verbraucher und Arbeitnehmer, die jeweils zu ihren Gunsten vereinbarten Schutzstandards einklagen können? Ist die einseitige Klagemöglichkeit nicht ein ungerechtfertigter Vorteil ausländischer Investoren gegenüber anderen von TTIP betroffenen Personen und Gruppen?

Der „Privilegierungseinwand“ und ein zu erwartendes Ungleichgewicht

Dieser „Privilegierungseinwand“ wurde bislang eher als wenig spezifiziertes politisches Schlagwort vorgebracht. Er geht aber von der zutreffenden Grundannahme aus, dass neben ausländischen Investoren auch einheimische Unternehmen sowie Verbraucher und Arbeitnehmer zukünftig (untechnisch gesprochen) Marktteilnehmer der gemeinsamen transatlantischen Freihandelszone sein werden. Sie werden dort untereinander und zu ausländischen Investoren in Wirtschaftsbeziehungen und z.T. auch wirtschaftlichen Wettbewerb treten. Auch ihre Rechte und Interessen werden von TTIP berührt werden.

Im Verhältnis ausländischer Investoren zu diesen anderen Gruppen zeichnet sich nach wie vor ein Ungleichgewicht ab: Dieses äußert sich einerseits darin, dass materielle Schutzstandards – z.B. Arbeitsstandards – voraussichtlich weit weniger stark im Vertragstext verankert werden als der Investitionsschutz (dies gilt zumindest für bisher bekannte Texte, etwa zu CETA). Dazu kommt aber auch ein Ungleichgewicht bei den Durchsetzungsmöglichkeiten: Selbst, soweit Schutzvorschriften in TTIP aufgenommen werden (was zumindest in bestimmten Bereichen zu erwarten ist), wird es voraussichtlich keine Möglichkeit für einheimische Unternehmen sowie Arbeitnehmer und Verbraucher geben, solche Schutzstandards vor einer TTIP-Streitbeilegungsinstanz geltend zu machen. Im Verfahren vor einem TTIP-Gerichtshof bliebe ihnen im Wesentlichen nur eine reaktive Rolle: Sie könnten entweder in einem zuvor von einem Investor begonnenen Klageverfahren an der Seite des beklagten Staates intervenieren (ohne dabei aber eigenständige Streitgegenstände einbringen zu können) oder als amicus curiae auftreten (siehe jeweils Sec. 3 Art. 23 TTIP-Vorschlag). Dagegen werden sie – anders als Investoren – voraussichtlich keine Möglichkeit haben, die Einhaltung der ihrem Schutz dienenden Vorschriften initiativ einzuklagen. Diese Verschiebung der Balance zugunsten ausländischer Investoren kann in der Vertragspraxis dazu führen, dass diese ihre Interessen besser zur Geltung bringen können, während umgekehrt hinsichtlich der übrigen Marktteilnehmer Umsetzungsdefizite auftreten können.

Die bisher bekannten Regeln über die Einbindung von Stakeholdern und Zivilgesellschaft, die die fehlende Rechtsschutzmöglichkeit abfedern und theoretisch zu einer aktiveren Rolle anderer Marktteilnehmer beitragen könnten, können in ihrer derzeit bekannten Ausgestaltung trotz einiger beachtenswerter Ansätze keinen äquivalenten Ersatz bieten (zu einigen diesbezüglichen Problemen hier, zu bisherigen Erfahrungen aus anderen Abkommen hier, zu Verbesserungsvorschlägen hier).

Abseits dieser Einbindungsmechanismen sind inländische Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher auf internationaler Ebene also weiterhin davon abhängig, dass ihre in Rechte und Interessen durch die Vertragsstaaten im Wege der zwischenstaatlichen Streitbeilegung zur Geltung gebracht werden. Diese zum Teil schon in bisherigen Freihandelsabkommen bestehenden – und wohl auch im TTIP zu erwartenden – zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismen stimmen jedoch kaum zuversichtlicher: So ist z.B. im Bereich von Arbeitsstandards schon fraglich, inwiefern die zu erwartenden Mechanismen überhaupt rechtsverbindliche Entscheidungen treffen können werden (siehe z.B. Kap. 24 Art. 9 – 11 CETA-E). Zudem zeigen Erfahrungen mit früheren Abkommen, dass die Durchschlagskraft zwischenstaatlicher Mechanismen stark vom goodwill der beteiligten Regierungen und allgemeinen politischen Gegebenheiten abhängt. Obwohl es Gewerkschaften und NGOs mehrfach gelungen ist, die Vertragsstaaten zu einer Inanspruchnahme arbeitsrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen zu bewegen, konnte dies den Anliegen der Petenten dennoch oft nicht hinreichend Geltung verschaffen (siehe dazu etwa hier).

Wollen einheimische Unternehmen sowie Verbraucher und Arbeitnehmer ihre Rechte und Interessen durch eigene Rechtsbehelfe geltend machen, sind sie letztlich weitestgehend auf Rechtsschutz vor nationalen Gerichten verwiesen. Vor diesen Gerichten werden sie sich zudem ausschließlich auf nationales Recht berufen können, weil etwaige TTIP-Schutzvorschriften dort wohl nicht direkt einklagbar sein werden (bereits bekannte Klauseln in anderen Abkommen schließen dies jedenfalls ausdrücklich aus, z.B. Kap. 33 Art. 14.16 CETA-E).

Gerade im Vergleich mit dem Investitionsschutz erscheint der Verweis anderer Gruppen auf den nationalen Rechtsschutz bemerkenswert, sind es doch ausgerechnet bestehende oder befürchtete Defizite innerstaatlicher Gerichtsverfahren, die oft als Begründung für eine besondere Schutzbedürftigkeit von Investoren durch einen internationalisierten Investitionsschutz ins Feld geführt werden.

Eine subjektiv-rechtliche Position auch für andere Marktteilnehmer als möglicher Weg zu größerer Chancengleichheit?

Wie ist mit diesem Ungleichgewicht umzugehen? Eine verbreitere Reaktion ist, materielle und prozessuale Investitionsschutzvorschriften ebenfalls insgesamt abzulehnen. Eine solche „negative Angleichung“ des Investorenschutzes mit dem Schutz anderer Marktteilnehmer ist freilich nicht die einzige Option. Um die beschriebene Ungleichheit zwischen den Marktteilnehmern abzufedern, könnte vielmehr ebenso gut im Wege einer „positiven Angleichung“ auch diesen anderen Gruppen eine stärkere eigene Position zur Einforderung der ihrem Schutz dienenden Vorschriften eingeräumt werden.

Dies mag Manchem zwar ebenso politisch unerreichbar erscheinen wie noch vor wenigen Monaten die Idee eines TTIP-Investitionsgerichtshofs. Andererseits kann gerade die EU auf eine jahrzehntelange Erfahrung im Austarieren von Rechten und Interessen verschiedener Markteilnehmer in einem überstaatlichen Wirtschaftszusammenschluss zurückblicken. Neben der ausreichenden Sicherung materieller Schutzstandards sind hierbei auch wichtige Erfahrungen in der Ausgestaltung des Rechtsschutzes gemacht worden. Die Etablierung von Individual- bzw. Verbandsklagemöglichkeiten für alle Marktteilnehmer, nicht zuletzt auch als funktionale subjektive Rechte zur besseren Implementierung gemeinsamer Schutzstandards, haben jedenfalls in Europa nicht zur Schwächung, sondern eher zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die heutigen europäischen Mechanismen 1:1 auf TTIP übertragen werden sollen (oder auch nur könnten). Auch bedeutet das nicht, dass nunmehr jeder Marktteilnehmer zwangsläufig unmittelbaren Zugang zum TTIP-Gerichtshof erhalten muss, da auch andere, ähnlich effiziente und auf die jeweiligen Eigenheiten der Schutzstandards zugeschnittene Ausgestaltungen denkbar sind. Der Vergleich illustriert aber das Potenzial einer (auch) auf wirtschaftliche Chancengleichheit unter den Betroffenen bedachten Ausgestaltung der materiellen, vor allem aber auch der prozessualen Vertragsbestimmungen. Eine stärkere subjektive Stellung der übrigen Marktteilnehmer, insbesondere auch Möglichkeiten einer eigenen prozessualen Durchsetzung könnte Ungleichgewichte auffangen und dadurch auch dazu beitragen, die allgemeine Akzeptanz des TTIP zu erhöhen.

Wie eine solche Gestaltung verbesserter Rechtsschutzmöglichkeiten im TTIP (und denjenigen Abkommen, denen es als Blaupause dienen soll) konkret aussehen könnte, muss einer zukünftigen Darstellung überlassen werden; aus juristischer Sicht erscheint sie ohne Zweifel anspruchsvoll, aber keinesfalls unmöglich. In den letzten Monaten haben Kommission, Regierungen, Öffentlichkeit und Wissenschaft jedenfalls eindrücklich zur Schau gestellt, dass eine intensive Auseinandersetzung mit einer Materie wie dem Investitionsschutzrecht trotz aller Mühe und mancher Begleiterscheinungen innerhalb kurzer Zeit zu bemerkenswerten Ergebnissen gelangen kann. Es wäre zu begrüßen, wenn dieser Weg der kontroversen, aber letztlich konstruktiven Debatte auch für die vielen weiteren Baustellen des Großprojekts TTIP fortgeführt würde.


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22 September 2015

Thinking out legal remedies under TTIP

Last week, the EU commission presented its reform proposal for the investment chapter in the currently negotiated EU-US free trade agreement TTIP. The proposal has rightly sparked an overall positive response, as its many improvements set new benchmarks for international investment law. However, a more fundamental question, brought up again in the aftermath of the Commission’s proposal, still remains open: Why should only foreign investors, and not domestic enterprises, consumers and workers, have the right to claim TTIP provisions intended to protect their respective rights and interests? Isn’t an exclusive right to bring individual claims an unjustified advantage for foreign investors over other individuals and groups that are equally affected by TTIP?

The “privilege argument” and a remaining imbalance

This “privilege argument” has so far been put forward as a rather unspecific political objection. Yet, it is based on the correct assumption that, similar to foreign investors, domestic enterprises, consumers and workers will be “market actors” (in a non-technical sense) of the envisaged transatlantic free trade area. They will enter into economic relations and sometimes economic competition with foreign investors and among each other. Their rights and interests are likely to be affected by TTIP as well.

Among foreign investors and these other groups, one can detect an emerging imbalance: First, substantive standards of protection benefitting other groups – such as labour standards – are likely to be less pronounced in TTIP than substantive rules of investment protection (this at least applies to other treaties already been made public, such as CETA, for example). Second, there is an imbalance concerning opportunities to claim and enforce these standards: Even where substantive standards of protection will be included in TTIP (which can be assumed at least for certain areas), it is unlikely that there will be any avenue for domestic enterprises, consumers and workers to claim these standards before a TTIP dispute settlement body. In procedures before a TTIP investment court (as proposed by the Commission), their role will be mostly be a reactive one: They could either, after a claim has been brought by an investor, intervene in support of the respondent state (however, without being able to bring an own claim for relief), or they could act as amicus curiae (see for both Sec. 3, Art. 23 TTIP-Proposal). However, contrary to investors, it is unlikely that they will be entitled to claim substantive standards of protection on their own initiative. This procedural inequality could lead to a treaty practice where foreign investors have better chances to accentuate their rights and interests, whereas on the other hand, deficits could emerge in the protection of the remaining groups.

In theory, rules on stakeholder and civil society participation could help to mitigate the lack of judicial avenues and could lead to a more active role of other market actors. Yet, despite some interesting elements, the current design and practice of civil society participation is unlikely to provide an equivalent substitution (on some of the issues see here, on practical experience see here, on proposals for improvement see here).

Apart from these participatory mechanisms, domestic enterprises, consumers and workers, as far as the international level is concerned, are still by and large dependent on the TTIP state parties to claim and enforce “their” standards of protection through inter-state dispute settlement. However, these mechanisms, which are known from earlier agreements and are likely to be included in TTIP as well, are not a particular cause for optimism either: Regarding labour standards, for example, it is doubtful whether the respective bodies are competent to make legally binding decisions at all (see e.g. Ch. 24 Art. 9 – 11 CETA-Draft). Moreover, experience with earlier agreements shows that the efficacy of inter-state dispute settlement mechanisms highly depends on the governments’ goodwill and the general state of political relations among the parties. Whereas on several occasions, trade unions and NGOs successfully persuaded governments to initiate labour dispute settlement procedures, the eventual outcome often did not sufficiently meet the petitioners’ demands (see e.g. here).

As a consequence, to bring a claim on their own behalf, domestic enterprises, consumers and workers have to seek redress before national courts. Moreover, it is likely that they will only be able to invoke standards of domestic law, as any TTIP standards may not be directly enforceable in domestic courts (at least, classes in comparable agreements explicitly exclude this, see e.g. Ch. 33 Art. 14.16 CETA-Draft).

Particularly in comparison with investment protection, this is somewhat surprising, as one main argument frequently made in favour of internationalised investment protection points at alleged or actual insufficiencies of domestic court systems and legal proceedings.

A subjective legal position for other groups as a possible avenue towards more equality of chances?

How to deal with this imbalance? A widespread reaction is to simply reject substantive and procedural investment protection rules as a whole. Yet, such a “negative approximation” of the protection of investors and other market actors is only one option. To adjust the imbalance, the parties could as well pursue a “positive approximation”, strengthening the position of other groups to claim the standards protecting their rights and interests on their own.

At first glance, this might appear no less politically out of reach than the idea of a TTIP Investment Court only a few months ago. On the other hand, especially the EU has decades of experience in balancing the rights and interests of different market actors in the context of an international economic arrangement. Besides securing substantive standards of protection, experiences have also been made with regard to the design of legal remedies. Establishing individual or collective remedies for all relevant groups, not least as “functional subjective rights” for the better implementation of common standards of protection, has at least in Europe rather strengthened than hampered the economic development. Of course, this is not to say that the current European mechanisms should (or even could) be incorporated into TTIP one-to-one. Furthermore, this is not to argue that all groups should have direct access to a TTIP Court, as other, equally efficient arrangements that better take into account the peculiarities of the respective standards are conceivable. However, the comparison illustrates the potential of a model of substantive, and even more so procedural, treaty provisions that (inter alia) aim at maintaining and promoting an economic balance among the groups affected by the treaty. A stronger position of the remaining market actors, including procedural avenues for enforcement, could be a way to address imbalances and thereby enhance the overall acceptance of TTIP.

Conclusion

How such a model of enhanced legal remedies in TTIP (and those agreements for which TTIP is intended to be a model) could look like in detail has to be left to future analyses. From a legal perspective, drafting it is without doubt a demanding, but by no means an impossible exercise. During the last months, the EU Commission, governments, the public and academia have impressively shown that intensively engaging in subject-matters such as international investment law, despite all the efforts and occasional side effects, can produce remarkable results within a short period of time. It would be appreciated if such a controversial, but eventually constructive debate could be maintained and continued with regard to other open issues in TTIP.


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