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16 April 2014

Die TTIP- Verhandlungsposition der EU-Kommission – ein überzeugender Reformansatz mit leichten Schwächen im Detail

Den Organisatoren möchte ich einleitend für ihre Initiative zu diesem Symposium herzlich danken. Ein entsprechender Austausch ist seit längerem überfällig. Der Zeitpunkt für das Symposium ist mit der Veröffentlichung der EU-Verhandlungsposition zum TTIP zudem exzellent gewählt. Nach zwei kurzen Bemerkungen zum Einführungstext der Organisatoren sollen verschiedene Aspekte der Verhandlungsposition der Kommission in Kontext des TTIP angesprochen werden.

Zum Einführungstext

Der Einführungstext leitet exzellent in das Thema und die Bedeutung der TTIP-Verhandlungen ein. Zwei eher nebensächliche Aussagen des Texts möchte ich gleichwohl aufgreifen, um Aspekte aufzudecken, die in der medialen Berichterstattung untergegangen sind.

In der Einführung wird das Verfahren von Vattenfall gegen Deutschland im Kontext des Atomausstiegs als ein in der Tat anschauliches Beispiel für die Wirkungsweise investitionsschutzrechtlicher Klagemöglichkeiten angesprochen. In den Medien war das Verfahren Sinnbild eines missbräuchlichen Investitionsschutzes. Dies ist insoweit problematisch als dieses Verfahren (ebenso wie die beiden auch gerne als Negativbeispiele zitierten Philip Morris-Verfahren gegen Australien und Uruguay) bislang nicht entschieden ist. So sollte das Vattenfall-Verfahren mit Bedacht zitiert werden, weil es zwar zur Illustration der unterschiedlichen Interessenslagen von Staaten und Investoren dienen kann, jedoch bislang noch kein Beispiel dafür bietet, dass in vergleichbaren Fällen stets mit Ergebnissen zu rechnen ist, die man als problematisch werten müsste.

Weiter ist an einer Stelle der Einführung davon die Rede, dass das Investitionsrecht Investoren die Möglichkeit eröffne, hohe Schadensersatzzahlungen gegenüber ihren Gaststaaten einzuklagen. Dass dies potentiell möglich ist, kann kaum bestritten werden. Die Aussage mag bei einigen Lesern jedoch den Eindruck erwecken, dass dies stets der Fall sei. Betrachtet man den Ausgang der Verfahren, so lässt sich für die bis heute im ICSID-System durchgeführten Schiedsverfahren feststellen (ca. 2/3 aller Investitionsverfahren werden hier verhandelt), dass bereits 36% dieser ICSID-Verfahren mittels eines Vergleichs oder anderweitig beendet werden (ICSID Caseload-Statistics, issue 2014-1, Chart 8, zu den Details der Beendigungsgründe Chart 8b). Von den verbleibenden 64% entschiedener Fälle, scheitern 25% aufgrund fehlender Zuständigkeit oder Zulässigkeit (d.h. sie gehen für den Kläger in der sog. jurisdiction phase verloren), in 28% der Fälle wird die Klage zudem vollumfänglich abgewiesen. In der verbleibenden Hälfte der Verfahren wird ein Schadensersatz zugesprochen (46%), wobei dessen Höhe nicht selten deutlich unter dem Wert des Klagebegehrens liegt. Eine Untersuchung aus dem Jahre 2009 hat festgestellt, dass die durchschnittliche Klagesumme pro Investitionsverfahren bei 343 Mio US$ lag, der zugesprochene Schadensersatz sich jedoch „nur“ auf lediglich im Durchschnitt 10 Mio US$ belief.

So ist es auch in doppelter Hinsicht falsch, wenn in Medienberichten behauptet wird, die Kläger würden 70% der Verfahren gewinnen. Dies gilt nur für diejenigen Verfahren, die die Hauptsache (sog. merits) erreichen, wobei auch Pyrrhussiege (also Urteile, die nur einen Bruchteil der Klagesumme zusprechen) miterfasst werden. Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die Aussage der hohen Schadensersatzzahlungen erheblich.

Zum Verhandlungstext

Nunmehr sollen die Reformvorschläge der Kommission adressiert werden. Dabei sei vorweggeschickt, dass ich den Ansatz der Kommission für sehr brauchbar halte, auch wenn in der Folge einzelne Kritikpunkte angesprochen werden sollen. Insbesondere die nachfolgend von mir nicht eingehender anzusprechenden Forderungen der Kommission im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Schiedsverfahren (Vorschlag umfänglicher Transparenzbestimmungen) und zur ausdrücklichen Anerkennung staatlicher Regulierungsinteressen soweit es um besondere öffentliche Interessen geht (Umwelt, Gesundheit etc.) sind sehr zu begrüßen. Sie stellen Kernreformen gegenüber dem bisherigen System dar und tragen wesentlich zu einer besseren Balance zwischen den Interessen von Investoren und Gaststaaten bei. Mit solchen Veränderungen wird das System seine wichtige Schutzfunktion für Auslandsinvestitionen und auch seine entwicklungspolitische Funktion deutlich besser erfüllen als bislang.

Ohne Reform bleibt das reformbedürftige System

Vorab sei eine allgemeine, nicht auf das TTIP bezogene Anmerkung erlaubt. Die aktuellen Regeln des Investitionsschutzrechts, wie sie ihren Ausdruck in dem heutigen System mitgliedstaatlicher BITs finden, sind – wie auch anderweitig beschrieben – reformbedürftig. Da es sich dabei um ca. 1300-1400 Abkommen handelt, die auch im Wesentlichen alle noch in Kraft sind, sollte es ein Anliegen sein, diese Abkommen schrittweise durch Regeln zu ersetzen, die den Interessensausgleich zwischen Investoren und Gaststaaten befördern. Geschieht diese Ablösung nicht, so hat das alte System mit seinen Defiziten weiterhin Bestand. Der Kommission ist insoweit zuzustimmen, dass es bereits vor diesem Hintergrund ein Anliegen aller interessierten Gruppen sein sollte, sich konstruktiv an dieser Entwicklung zu beteiligen. Wer das TTIP pauschal ablehnt, entscheidet sich gegen Reformen und zugleich – wenn auch ungewollt – für eine Stabilisierung des bestehenden Systems.

Definition der Investition – Sonderproblem eines Interessensschutzes von Anteilseignern

Ein in den bisherigen Abkommen im Wesentlichen nicht angemessen gelöstes Problem betrifft Klagemöglichkeit von Anteilseigern im Hinblick auf Wertverluste ihrer Anteile, die dadurch eintreten, dass der Gaststaat in die Rechtspositionen des lokal inkorporierten Unternehmens eingreift. Auslandsinvestitionen werden oft über lokal inkorporierte Unternehmen durchgeführt. Greift der Staat dann in die Rechtspositionen des lokalen Unternehmens ein, so erleiden dessen Anteilseigner im Reflex oft Wertverluste ihrer Anteile. Die Zulassung von Wertverlustklagen der Anteilseigner, die sich auch diese Schäden beziehen, eröffnet die Gefahr paralleler Verfahren in faktisch derselben Sache und zudem die Möglichkeit einer doppelten Kompensation. Auch können solche Klagen die Interessen der Gläubiger des Unternehmens gefährden. Entsprechend sind sie in nationalen Rechtsordnungen und auch im allgemeinen Völkerrecht jedenfalls im Grundsatz ausgeschlossen.

Zu dieser rechtlich sehr komplizierten Problematik hat die Kommission im Hinblick auf ihre Verhandlungsposition wie es scheint nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Die diesbezüglichen Formulierungen des CETA-Texts zum Investitionsbegriff (Question 1) indizieren solche Wertschutzklagen, wenn sie alle Kapitalanlagen (assets) schützen, die ein Investor „owns or controls, directly or indirectly“ und gleichzeitig das Unternehmen selbst (enterprise) und zudem any kind of interest in an enterprise als Beispiele für Investitionen benennen. Die Regeln zur Vermeidung von parallelen Verfahren (Question 7) im angeführten Art. X-21 CETA, welche auch bei Wertschutzklagen einen Verzicht des Unternehmens auf eigene Klagemöglichkeiten verlangen, lösen das Problem nur unzureichend, da es bei Wertschutzklagen nicht darum geht, die verletzten Rechte des Unternehmens und den diesem entstandenen Schaden (prozeßstandschaftlich) geltend zu machen.

Eine bessere Lösung würde darin bestehen, die Klagemöglichkeiten von fremdbeherrschten Unternehmen zu stärken, auch wenn sie lokal inkorporiert sind, und Wertschutzklagen nur ganz ausnahmsweise zuzulassen.

Corporate Social Responsibility (CSR)

Die Kommission betont im Kontext des Investitionsbegriffs (Question 1), dass Investitionen entsprechend den bisherigen Regeln nur geschützt seien, wenn sie im Moment der Investition nicht gegen das Recht des Gaststaates verstoßen. So soll vermieden werden, dass etwa auf Grundlage von Bestechung erlangte Investitionen Schutz erhalten. Es fragt sich aber, ob nicht auch ein späteres Verhalten des Investors eine Rolle hinsichtlich des Schutzes spielen sollte. So ist es nach dem gegenwärtigen System möglich, dass Investoren, die zu einem späteren Zeitpunkt gegen grundlegende Grundsätze der CSR verstoßen, geschützt bleiben. Hier sollte überlegt werden, inwieweit ein Schutz nur gewährt wird, wenn der Investor ausgewählten Standards entspricht. Deutschland macht eine Unterstützung für Investitionen im Ausland in Gestalt von Garantien und Krediten bereits heute davon abhängig, dass diese Nachhaltigkeitskriterien gerecht werden.

Problem eines treaty shoppings über das CETA

Unter treaty shopping versteht man die Möglichkeit von Investoren ihre Investitionen so zu strukturieren, dass sie unter den Schutz möglichst vieler Investitionsschutzabkommen fallen. In den Medien wurde die Frage aufgeworfen, ob es US-amerikanischen Unternehmen im Falle des Scheiterns des TTIP möglich sei, ihre Investitionen in Europa über in Kanada gegründete Unternehmen durchführen und damit Investitionsschutz über das CETA zu erhalten. Solche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen für US-amerikanische Investoren in Deutschland bereits heute aufgrund der derzeit 131 gültigen Abkommen Deutschlands mit Drittstaaten. Diese erlauben teilweise auch Investitionen über sogenannte mailbox companies, die keiner substantiellen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen und lediglich zur Erlangung eines Investitionsschutzes oder aus steuerrechtlichen Gründen gegründet wurden. Die Ablehnung des CETA allein zur Vermeidung einer auch anderweitig möglichen Nutzung durch US-amerikanische Unternehmen würde – wie bereits oben angesprochen – eher stabilisierend auf das aktuelle System wirken.

Schutzstandards

Im Bereich der Schutzstandards für Investoren (etwa Eigentumsschutz oder Schutz vor Diskriminierungen) ist es grundsätzlich sehr zu begrüßen, dass sich die Kommission um die Konkretisierung der Tatbestände bemüht und dabei auch weitgehend das Interesse des Staates an einer nicht von Schadensersatzzahlungen bedrohten legitimen Regulierung im Blick behält.

Konkretisierung des Schutzstandards der billigen und gerechten Behandlung (fair and equitable treatment, FET)

Sehr zu begrüßen ist insbesondere die Konkretisierung der in der Praxis sehr bedeutsamen Generalklausel der billigen und gerechten Behandlung über Fallgruppen. Im Hinblick auf die praktische Relevanz in der Rechtsprechung ist ein besonderes Augenmerk auf den Schutz legitimer Erwartungen über FET zu richten. Die Kommission will insoweit legitime Erwartungen nur dann als geschützt anerkennen, wenn diese auf konkreten staatlichen „Zusagen“ (specific representations) beruhen. Ziel ist es, ein späteres gesetzgeberisches Tätigwerden des Staates, welchem keine entsprechende Zusage entgegensteht, generell als zulässig ansehen zu können. Mir scheint, dass dieser Ansatz eine im Hinblick auf den Investorenschutz im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung erhebliche Einschränkung bedeutet. Warum sollte nicht auch eine gesetzliche Regelung, die niedrige Steuersätze vorsieht, die legitime Erwartung begründen, dass diese nicht von heute auf morgen exorbitant angehoben werden?

Gleichzeitig fällt auf, dass in die FET-Regelung, anders als etwa bei den Diskriminierungsregeln oder der Regel zur indirekten Enteignung, keine spezifische Ausnahmebestimmung zum Schutz legitimer Regulierungsinteressen aufgenommen wurde. Zwar spricht die Kommission von einem right to regulate als einem basic underlying principle, hat dies jedoch wie es scheint im Kontext des FET-Standards nicht hinreichend konkretisiert. So ist unklar, ob eine Verletzung der durch eine staatliche Zusage erweckten legitimen Erwartung gerechtfertigt werden kann, wenn es bspw. um Umwelt- oder Gesundheitsschutz ginge. Selbst im Falle einer staatlichen Zusage sollte es möglich sein, gebotene Regulierungsmaßnahmen zum Schutze besonderer öffentlicher Interessen vornehmen zu dürfen. Hier könnte dann auch über die Möglichkeit von Teilentschädigungen nachgedacht werden, die generell ein probates Mittel wären, einen angemessenen Ausgleich zu finden.

In diesem Kontext ist auch auffällig, dass das legitime Regulierungsinteresse der Staaten nach der Vorstellung der Kommission nicht in Gestalt einer allgemeinen Ausnahmeklausel zum Schutz besonderer öffentlicher Interessen nach dem Vorbild des Art. XX GATT verankert ist. Eine solche für alle Standards gleichermaßen verbindliche Ausnahmeklausel (für die Diskriminierungsregeln scheint sie ja auch bereits vorgesehen zu sein) erscheint vorzugswürdig. Damit würden auch keine besonderen Missbrauchsmöglichkeiten für die Staaten geschaffen, da der Anwendungsbereich des Ausnahmeregimes über Formulierungen, die den Ausnahmecharakter einer Berufung auf legitime Regulierung betonen (necessary to), hinreichend einschränkbar ist.

Aufnahme einer umbrella clause

Soweit ich die Verhandlungsposition überblicke, wird darin nicht die Frage der Aufnahme einer umbrella clause (Bestimmung, die die Staaten zusätzlich zu den ausdrücklichen Schutzstandards der Abkommen dazu verpflichtet, alle weiteren gegenüber dem Investor eingegangenen Verpflichtungen zu wahren) thematisiert. Während das Verhandlungsmandat des Rates zum TTIP eine solche Regelung vorsieht, hatte sich das Parlament hierzu zurückhaltend geäußert.

Die Aufnahme einer umbrella clause erscheint unproblematisch, sofern im Sinne der Rechtssicherheit konkretisiert wird, welcher Rechtsgrundlage die zu beachtenden anderweitigen Verpflichtungen des Staates gegenüber dem Investor entspringen. Eine Einbeziehung von Verpflichtungen aus Investor-Staat-Verträgen liegt nahe, zumal es sinnvoll ist, alle aus einer Investition erwachsenden Rechtsstreitigkeiten in einem einheitlichen Verfahren beizulegen. Zu diesem Zwecke dürfen anderweitige Streitbeilegungsregeln in den Investor-Staat-Verträgen nicht als Verzicht (waiver) einer sonst begründeten Zuständigkeit von Investitionsschiedsgerichten betrachtet werden. Entsprechende Fragen sollte die Verhandlungsposition, soweit nicht vorgesehen, berücksichtigen.

Grundsätzliche Anmerkungen zum Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus

Die Streitbeilegungsregeln gehören zu den Regeln der Abkommen, über die man im Detail leidenschaftlich streiten kann. Davon losgelöst sollte kein Zweifel daran bestehen, dass ein effektiver Streitbeilegungsmechanismus für die Wirksamkeit der Regeln zentral ist.

Streitbeilegungsmechanismus grundsätzlich nur so gut wie das anzuwendende Recht

Im Zentrum der Kritik der letzten Wochen und Monate stand der Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus. So wird in der medialen Berichterstattung in Teilen der Eindruck erweckt, Missbrauchsmöglichkeiten des Systems seien gerade diesem Durchsetzungsmechanismus geschuldet.

Als generell anerkannter Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten auch im Völkerrecht kann die Schiedsgerichtsbarkeit zunächst nur so gut sein, wie das Recht, das es anzuwenden gilt. Wenn die Regeln generalklauselartig bleiben und weiterhin auf ca. 3000 sich inhaltlich ähnelnden, aber nicht deckungsgleichen Abkommen beruhen, dann muss es – aufgrund der damit eröffneten umfänglichen Auslegungsspielräume – zwangsläufig zu Problemen kommen. Auf Grundlage der gegenwärtigen Abkommen eine vollständige Rechtssicherheit gewährende und fehlerfrei agierende Schiedsgerichtsbarkeit zu erwarten, wäre vermessen.

Vor diesem Hintergrund gilt es, den Blick speziell auch auf die Reformvorschläge zum materiellen Recht zu lenken, da diese wesentliche Weichen für die schiedsgerichtliche Urteilsfindung und ein Rechtssicherheit gewährendes Streitbeilegungssystem legen (hierzu ja bereits oben).

Geeignetheit des Schiedsgerichtsbarkeit für Streitbeilegung im Investitionsrecht

Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit gerade für die Streitbeilegung im internationalen Investitionsrechts als nicht optimal erscheint. Speziell in Abwesenheit einer echten zweiten Rechtsprechungsinstanz (das Aufhebungsverfahren der ICSID-Konvention kann als solche nicht betrachtet werden) wäre aufgrund der Bedeutung der Regeln und des öffentlichen Interesses ein Rechtssicherheit gewährendes System ein Kernanliegen. Die stets unterschiedliche Besetzung der Gerichte erschwert das Erreichen dieses Ziels. So wäre ein fester Gerichtshof vorzugswürdig, da dieser eine größere Gewähr für eine konstante und berechenbare Rechtsprechung bieten würde. Dies gilt im Grundsatz auch für den Fall der ergänzenden Schaffung einer zweiten Instanz (Question 12).

Ein solcher fester Gerichtshof ist allerdings auch eine Frage der Finanzierbarkeit. So ist es sehr zu bedauern, dass die Kommission entgegen dem generellen Auftrag in Art. 21 Abs. 1 EUV, bei gemeinsamen Problemen (der Staatengemeinschaft) multilaterale Lösungen zu suchen, nicht entsprechende Wege beschreitet. Ein multilateraler Ansatz würde die Schaffung eines geeigneteren Streitbeilegungsmechanismus in Gestalt eines festen Gerichtshofs begünstigen.

Erforderlichkeit einer Investor-Staat-Streitbeilegung im TTIP?

Auch demokratische und rechtsstaatliche Systeme, wie sie sich in OECD-Staaten finden, sind nicht davor gefeit, Maßnahmen zu ergreifen, vor denen ausländische Investoren geschützt werden müssen. Im Hinblick auf die USA dürfte der Sachverhalt im Loewen-Fall als anschauliches Beispiel dienen: Aufgrund eines Jury-Urteils im Bundesstaat Mississippi wurde ein ausländischer Investor, dessen ausländische Nationalität und ethnische Herkunft in dem Verfahren von der gegnerischen Seite wiederholt hervorgehoben werden durfte, ohne, dass das Gericht dagegen einschritt, zu einen Schadensersatz in Höhe von 975 Mio. US$ verurteilt, obgleich der Streitgegenstand deutlich unter 10 Mio. US$ lag. Insgesamt haben sich die USA bis heute in ca. 15 Verfahren auf der Beklagtenseite wiedergefunden (wobei es bislang noch zu keinen Verurteilungen gekommen zu sein scheint).

Im Hinblick auf die EU-Mitgliedstaaten und auch die EU selbst belegen zahlreiche gegen Mitgliedstaaten geführte Verfahren, dass auch in diesen Systemen Verstöße gegen das Investitionsschutzrecht durchaus vorkommen können und ein entsprechender Klagemechanismus auch in dieser Hinsicht gerechtfertigt erscheint. So wurden bis heute über 90 Verfahren gegen heutige Mitgliedstaaten der EU eingeleitet (siehe Zahlen aus UNCTAD IIA Issue Note No.1, May 2013. Anders als man denken könnte, war die Verletzung der Schutzstandards dabei nicht immer die Folge eines EU-Beitritts (speziell der Staaten der Osterweiterung).

Davon losgelöst kann man sagen, dass bei Betrachtung der Verfahrenszahlen in ihrer Gesamtheit mittlerweile ca. 25% aller Verfahren gegen OECD-Staaten geführt werden.

Transparenzregelungen der Investor-Staat-Streitbeilegungsregeln

Die angestrebten und sicherlich auch erreichbaren Transparenzregeln sind sehr zu begrüßen. Sie gehen weit über die Regeln zur Öffentlichkeit von Verfahren hinaus, die aus dem deutschen Prozessrecht bekannt sind. Speziell ist auch die Möglichkeit für NGOs und andere interessierte Gruppen vorgesehen, sich mit eigenen Stellungnahmen in die Verfahren einzubringen (sog. amicus curiae briefs)

Konsequenzen der Abschaffung des Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus

Ein völkerrechtliches Regelwerk ohne effektiven Streitbeilegungsmechanismus ist speziell im Hinblick auf das Investitionsrecht ohne Wert. Für langfristige Investitionsentscheidungen ist es bedeutsam, auch die Entscheidung zu einer Klage im Falle staatlicher Eingriffe selbst kontrollieren zu können und nicht von der Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat abhängig zu sein. Eine Beseitigung des Schutzmechanismus der Investorenklage kommt der faktischen Abschaffung des Schutzsystems für die Zukunft gleich. Hierfür ist die geringe Zahl der Verfahren des diplomatischen Schutzes im Investitionskontext ein Beleg.

Das Gebot der Erschöpfung des nationalen Rechtswegs

In diesem Zusammenhang sind auch Überlegungen zur Rechtswegerschöpfung zu sehen. So wird teilweise gefordert, bei Beibehaltung einer Investor-Staat-Klagemöglichkeit eine vorgeschaltete Rechtswegerschöpfung vor nationalen Gerichten zur Voraussetzung zu machen. Entsprechende Regeln finden sich im Kontext des diplomatischen Schutzes, mit dem der Heimatstaat Verletzungen gegenüber seinen Staatsangehörigen gerichtlich geltend machen kann, soweit der andere Staat hierzu sein Einverständnis gegeben hat. Das Gebot der Rechtswegerschöpfung dient dazu, dem Gaststaat die Gelegenheit zur Korrektur des selbst gesetzten Unrechts zu geben.

Üblicherweise wird in den Abkommen geregelt, dass eine zumindest sechsmonatige Verhandlungsphase der Klage vorausgeht. Ausweislich der in der Verhandlungsposition angeführten CETA-Regelung (Art. X-21) würde es sich nach Vorstellung der Kommission um eine 180-Tage-Frist handeln (zuzüglich weiterer 90 Tage, die für die EU-interne Festlegung der Wahrnehmung der Beklagtenrolle gebraucht werden). Damit wird dem Interesse des Staates, sein womöglich gesetztes Unrecht zu korrigieren, angemessen Rechnung getragen. In der Praxis hat sich das Gebot der Erschöpfung des nationalen Rechtswegs nach meiner Einschätzung oft als wenig erfolgreich und damit als Hindernis bei der Wiederherstellung des gewünschten Rechtsfriedens erwiesen. In der Tat besteht die Gefahr, dass solche Klauseln den Mechanismus seiner Effektivität berauben. Eine womöglich zeitlich auszudehnende Warte- bzw. Verhandlungsklausel, die Fristbeginn und Ablauf klar definiert, erscheint vorzugswürdig, da auch hier der Gaststaat die Gelegenheit hat, die Streitigkeit einvernehmlich zu regeln. So kann dem Ansatz der Kommission in diesem Punkte zugestimmt werden.

Abschließende Überlegungen und Gesamtbewertung

Entkopplung des Investitionsschutzes von den Handelsregelungen

In den letzten Monaten hat sich eine Entwicklung vollzogen, mit der nicht gerechnet werden konnte. Die jeweils vorgesehen Investitionsschutzkapitel haben sich aufgrund der medialen Kritik zu einer Belastung der gesamten FTA-Verhandlungen entwickelt. Ursprünglich war man in der Kommission wohl der Hoffnung, dass eine einheitliche Verhandlung nicht nur der besseren Regelung der sich überschneidenden Bereiche von Handel und Investitionen nützen, sondern auch die Gesamtverhandlungsposition stärken würde. Nachdem dies nun nicht der Fall ist, sollte man in der EU überlegen, neu anzusetzen und einem multilateralen Ansatz für den Bereich des Investitionsschutzes zu folgen. Entsprechende Vorschläge liegen von wissenschaftlicher Seite bereits vor.

Das Europäische Parlament wird zustimmen müssen

Das Inkrafttreten des TTIP setzt innerhalb der EU die Zustimmung sowohl von Rat als auch Parlament voraus. Die Erfahrung im Kontext der ACTA-Ratifikation im Europäischen Parlament hat gezeigt, welch kritische Hürde es damit für das TTIP zu nehmen gilt. Entsprechend muss die Kommission ein besonderes Augenmerk auf die Forderungen des Parlaments legen. Bereits aus diesem Grunde liegt die in den Medien wiederholt geäußerte Befürchtung, Konzernlobbys könnten ihre Wunschzettel der Kommission ins Stammbuch diktieren, eher fern und dient wohl anderen Interessen. Mit der von der Kommission vorgelegten Verhandlungsposition wird nach meinem Verständnis den Forderungen des Parlaments speziell im Hinblick auf Kernfragen wie der Transparenz der Verfahren und der Anerkennung staatlicher Regulierungsinteressen entsprochen. Soweit sich entsprechende Positionen auch in einem zu verhandelnden TTIP-Investitionsschutzkapitel wiederfänden, womit ich angesichts der bekannten Positionen der USA rechne, so sollte das Parlament sich mit seinen Forderungen darin wiederfinden.

Insgesamt kann die Verhandlungsposition der Kommission damit bei aller Kritik im Detail als ein den zentralen Reformbedürfnissen gerecht werdender Standpunkt betrachtet werden, den noch weiter zu verbessern unserer aller Anliegen sein sollte. Dabei wäre es vielleicht auch nützlich, sich der auch von mir angenommenen entwicklungspolitischen Dimension des Investitionsschutzes bewusst zu sein, welche in den Diskussionen bislang ebenfalls nicht angemessen berücksichtigt wird.


3 Comments

  1. Emil N. Wed 16 Apr 2014 at 21:37 - Reply

    Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Beitrag und insbesondere die informative Einleitung, die viele der in den Medien immer aufs Neue wiederholten Statistiken widerlegt oder zumindest in ein anderes Licht rückt.

  2. Maria Anna Dewes Thu 24 Apr 2014 at 16:30 - Reply

    ..”Bereits aus diesem Grunde liegt die in den Medien wiederholt geäußerte Befürchtung, Konzernlobbys könnten ihre Wunschzettel der Kommission ins Stammbuch diktieren, eher fern und dient wohl anderen Interessen…”

    Sie sind schlecht informiert. Die Vorverhandlungen zu TTIP finden ausschließlich Vertretern großer Konzerne oder deren Lobbyisten statt. Wenn Sie das nicht glauben können, lesen Sie folgendes Protokoll einer Sitzung vom 05.12.13 zum Thema IP (Interlectual Property)

    http://icg.greens-efa.org/pipermail/hub/2013-December/000083.html

    Pedro Velasco Martins, der Chefverhandler für das Kapitel Immaterialgüterrecht der europäischen Union, traf am 5. Dezember inoffiziell Industrievertreter, um die Rahmenbedingungen für die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP abzustecken.

  3. […] Rechtsstaatlichkeit, will Monika Polzin Schiedsgerichte vor staatlicher Einflussnahme schützen, bezeichnet Jörn Griebel ein Abkommen ohne Schiedsgerichtsbarkeit für „wertlos“. Wer sieht hier welches […]

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