Verbote sind Verbote sind Verbote
Der Berliner Mietendeckel und das Problem der „Schattenmieten“
Letzte Woche hat die 65. Kammer des Landgerichts Berlin eine Entscheidung zur Praxis von „Schattenmieten“ veröffentlicht (Az. 65 76/20). Anders als zuvor die 67. und die 66. Kammer geht sie davon aus, dass die Vermieterseite auch weiterhin Mieterhöhungen vor Gericht durchsetzen kann, obwohl der Berliner „Mietendeckel“ (MietenWoG) laufende Mieten auf dem Stand vom 18. Juli 2019 einfrieren wollte. Die vertraglichen Vereinbarungen, so die Kammer, blieben nämlich durch die im MietenWoG geregelten Verbote überhöhter Mieten unberührt. Das Gesetz hindere während seiner Laufzeit lediglich, eine solche überhöhte Mietforderung durchzusetzen.
Diese Lesart des Gesetzes hätte verheerende praktische Konsequenzen. Sie ist zivilrechtlich verfehlt und verfassungsrechtlich keinesfalls geboten.
Praktische Konsequenzen von „Schattenmieten“
Zunächst zu den praktischen Konsequenzen: Während der Laufzeit des Gesetzes würde sich der Anstieg der Mieten als „Schattenmieten“ ungehindert fortsetzen, die höheren Mieten müssten in dieser Zeit lediglich nicht bezahlt werden. Im Februar 2025, wenn das Gesetz außer Kraft tritt, würden die Mieten dann mit einem Satz auf das Niveau springen, das sie auch ohne das Gesetz in diesem Zeitpunkt erreicht hätten. Das gleiche gilt bei Neuvermietungen und auch im Falle von Mietabsenkungen: Weil vertragsrechtlich angeblich alles bleibt, wie es ist, folgt 2025 das dicke Ende.
Um es an einem Fall vorzuführen: Eine Wohnung ist zu einem für ihre Lage, Größe und Ausstattung moderaten Preis von 1.000 EUR vermietet. Der Vermieterin war über lange Zeit das gute und verlässliche Verhältnis zum Mieter wichtiger, als jährlich die vertragsrechtlich gerade noch mögliche Miethöhe auszureizen. Vor Inkrafttreten des MietenWoG wird die Wohnung an eine Investorin verkauft, die im aufgelaufenen Abstand der vereinbarten Miete zur ortsüblichen Vergleichsmiete die Renditechance schlechthin sieht. Wenn sich das MietenWoG – wie in der Lesart der 65. Kammer – nicht auf die zivilrechtlichen Vereinbarungen auswirken würde, könnte die Vermieterin im ersten Schritt eine Mieterhöhung um 150 EUR verlangen. Das könnte sie in der Laufzeit des Gesetzes auch noch einmal wiederholen. Am Ende stünde eine Miethöhe von 1.323 EUR, also eine Mieterhöhung um ein Drittel. Die müsste der Mieter ab März 2025 auch bezahlen. Anfang 2026 könnte die Vermieterin die Miete noch einmal auf 1.521 EUR erhöhen, das ist dann eine Steigerung um insgesamt 50%. Sofern der Mieter finanziell nicht ausgesprochen komfortabel aufgestellt ist, wird er eine solche Erhöhung in so kurzer Zeit nicht tragen können. Ganz zu schweigen von den Fällen, in denen die Miete schon bei Neuabschluss eine Vertrags doppelt so hoch ist wie die nach dem MietenWoG zulässige Miete.
Diese Lesart beraubt das Gesetz also seiner wesentlichen Wirkung. Das Mietpreisniveau würde nicht wie beabsichtigt zumindest mittelfristig auf ein sozialverträgliches Maß zurückgeführt, die Wirkungen des weiter ungebremsten Mietenanstiegs wären lediglich ausgesetzt. Mit Außerkrafttreten des Gesetzes würden die Mieten dann umso explosionsartiger ansteigen, was sich in einer großen Entmietungswelle niederschlagen würde. Das Gesetz entpuppte sich am Ende als eine existentielle Bedrohung für breite Teile der Berliner Mieterschaft.
Zivilrechtliche Irrwege
Nun zu den zivilrechtlichen Fragen. Die 65. Kammer meint, die Regelungen in §§ 3-5 MietenWoG verböten es nicht, eine Miete zu vereinbaren, die nach den Maßgaben des Gesetzes überhöht ist. Verboten sei allein, die zivilrechtlich wirksam vereinbarte überhöhte Miete zu fordern und entgegenzunehmen. Die Regelungen in §§ 3-5 MietenWoG stellten also kein gesetzliches Verbot dar, das gemäß § 134 BGB die vertragsrechtliche Nichtigkeit der Vereinbarung einer Schattenmiete bewirken würde.
Wenn der Mietendeckel aber kein gesetzliches Verbot im Sinn von § 134 BGB darstellt, wie wirken sich die Verbotsregeln des Gesetzes denn dann im Vertragsverhältnis aus? Im Urteil der 65. Kammer findet sich hierzu nichts. Das Gericht scheint die Frage nicht weiter bedacht zu haben, denn es zeigt sich: Die Folgen gehen entweder noch über den oben aufgezeigten Mietensprung ab 2025 hinaus oder erscheinen abseitig.
Um die Lesart der Kammer zivilrechtsdogmatisch zu verarbeiten, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, dass das MietenWoG wirklich gar keine Auswirkungen hätte auf vertragliche Vereinbarungen und die Verpflichtungen, die sich aus den Vereinbarungen ergeben. Mieterhöhungen und Neuabschlüsse zu höherem Mietzins wären weiterhin wirksam möglich, Mieterinnen und Mieter schuldeten die vertraglich vereinbarte Miete in voller Höhe. Der Vermieterin wäre es lediglich für die Geltungsdauer des Gesetzes untersagt, Mietzahlungen anzunehmen, die über das nach §§ 3-5 MietenWoG zulässige Maß hinausgehen. Nimmt sie sie dennoch an, begeht sie eine Ordnungswidrigkeit und muss gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 MietenWoG ein Bußgeld zahlen (je nach Höhe des Bußgeldes könnte sich das rechnen).
Nimmt die Vermieterin die Zahlungen nicht an und überweist den Mehrbetrag zurück, gerät sie in Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff. BGB. Der Annahmeverzug hätte aber keine relevanten Folgen, der Mieter bliebe weiter zur Leistung verpflichtet. Sobald das Gesetz 2025 außer Kraft tritt, wäre die Vermieterin darum berechtigt, die bis dahin unverjährten Mietforderungen geltend zu machen. Mieterinnen und Mieter müssten mit Nachforderungen jedenfalls bis Januar 2022 rechnen – im obigen Beispiel wären das noch einmal an die 10.000 EUR.
Die Alternative ist, das Verbot in §§ 3-5 MietenWoG als rechtliche Teilunmöglichkeit der Mieterleistung anzusehen. Die Konstruktion wäre die folgende: Weil es der Vermieterin rechtlich verboten ist, den überhöhten Anteil der Miete anzunehmen, ist es dem Mieter insoweit unmöglich, seine Leistung zu bewirken. § 275 Abs. 1 BGB schließt jedoch die Forderung auf eine unmögliche Leistung aus. Der Mieter würde also von der Verpflichtung zur Zahlung des überhöhten Anteils frei, und es drohte ihm in 2025 auch keine Nachzahlung über drei Jahre.
Doch das ist nicht die einzige Folge der Unmöglichkeit. Sie hat auch Auswirkungen auf die Pflicht zur Gegenleistung. Die jüngere Vergangenheit hat schöne Beispiele geliefert: Ein fest gebuchtes Hotelzimmer muss nicht bezahlt werden, wenn das Hotel wegen entsprechender Corona-Verfügung niemanden beherbergen darf. Entsprechend bedeutet das für die Vermieterin, dass sie die Wohnung auch nur noch in dem Umfang überlassen muss, in dem sie die Gegenleistung erhält (§ 326 Abs. 1 BGB). Sie kann zum Beispiel ein Gästezimmer in passender Größe zusperren. Ist das nicht möglich, kann die Vermieterin für die nicht mehr geschuldete Mehrleistung Wertausgleich nach § 326 Abs. 4 BGB verlangen, und zwar sofort, denn solche Forderungen erfasst das MietenWoG nicht. Legt man also Unmöglichkeit zugrunde, bewirkt das MietenWoG überhaupt nichts.
Sicherlich: Ein freundliches Instanzgericht könnte freihändig bestimmen wollen, dass die Vermieterleistung doch nicht angepasst wird, § 326 BGB also irgendwie ausgesetzt ist. Zivilrechtlich begründen kann man das aber nicht. Wollte man darum diese Folge – alternativ – dem MietenWoG entnehmen, stellte sich die Frage, warum das Land keinesfalls für ein gesetzliches Verbot mit Wirkung nach § 134 BGB zuständig sein sollte, ohne Weiteres aber für eine Suspendierung von § 326 BGB.
Unbegründete Sorge um die Gesetzgebungskompetenz
Das führt in den verfassungsrechtlichen Kontext. Die Auslegung der 65. Kammer wurde augenscheinlich motiviert durch eine Sorge um die Verfassungsmäßigkeit des MietenWoG, genauer um dessen Vereinbarkeit mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Die 65. Kammer meint, ihre Lesart sei als verfassungskonforme Auslegung zwingend. Dem Land Berlin fehle nämlich für gesetzliche Verbote mit Auswirkung auf die mietvertraglichen Abreden die Gesetzgebungskompetenz. Den Argumenten der doch inzwischen recht zahlreichen Stimmen aus der Rechtswissenschaft, die das anders sehen, wird das Gericht dabei nicht wirklich gerecht.
Tatsächlich ist diese Auffassung irrig. Das wurde bereits an anderer Stelle entfaltet und sei hier nur noch einmal kurz zusammengefasst: Das MietenWoG liefert bezifferte Preisgrenzen und enthält darum kein bürgerliches Recht. Bürgerliches Recht bedeutet nämlich Vertragsfreiheit und damit Preisfreiheit. Daran ändert auch die Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB) nichts, denn die enthält keine Preisgrenze, sondern eine spezielle Regelung des Wuchers. Der gehört aber schon seit jeher zum bürgerlichen Recht, weil er keine politischen Preise setzt, sondern ortsübliche Preise verteidigt.
Da das MietenWoG kein bürgerliches, sondern öffentliches Recht liefert, regelt es auch nicht denselben rechtlichen Sachverhalt, der Vorrang des Bundesrechts nach Artikel 31 GG greift darum nicht. Wer schließlich meint, der Bund habe mit dem sozialen Mietrecht eine abgeschlossene Konzeption für die soziale Wohnungsversorgung in Großstädten verabschiedet, die das Land nicht stören dürfe, dem sei ein Blick in § 558 Abs. 2 S. 2 BGB empfohlen, verbunden mit dem Hinweis, dass die Vorschrift zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, als in München, Hamburg und Berlin noch eben solche Mietpreisgrenzen galten, wie sie heute das MietenWoG enthält.
Fazit: Nichtigkeit von Schattenmieten
Was bedeutet das für die Praxis der Schattenmieten? Der Berliner Mietendeckel liefert gesetzliche Verbote im Sinne von § 134 BGB. Vereinbarungen von „Schattenmieten“, sei es bei Neuabschlüssen, sei es über Mieterhöhungsverlangen, verstoßen gegen diese Verbote und sind gemäß § 134 BGB nichtig. Vermieterinnen können sich auch nicht aufschiebend bedingt, mit Wirkung zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens, einen höheren Mietzins versprechen lassen. Denn auch solche Vereinbarungen verbietet das MietenWoG natürlich.
Gegenwärtige Vereinbarungen von Mieten, die nach den Maßgaben des MietenWoG überhöht sind, haben nur in dem Fall rechtlich Bestand, in dem das Bundesverfassungsgericht das Gesetz doch für verfassungswidrig erklären würde, und zwar mit Wirkung für die Vergangenheit. Das aber ist recht unwahrscheinlich. Erstens: Selbst wenn das Gericht einen Verfassungsverstoß annehmen würde, dürfte es seinem Spruch angesichts der andernfalls drohenden sozialen Folgen eigentlich nur Wirkung für die Zukunft verleihen. Zweitens: Das Gesetz ist, so wie es steht, mit dem Grundgesetz vereinbar.
Florian Rödl ist Prozessvertreter des Landes Berlin in den MietenWoG-Verfahren vor dem BVerfG.
Kann denn überhaupt das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz nur für die Zukunft für nichtig erklären, wenn es formell verfassungswidrig ist?
wenn ein unzuständiger Gesetzgeber ein Gesetz erlässt kann es doch keine Wirksamkeit für keinen Zeitpunkt haben
ansonsten wäre ja dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet, dass ein Gesetzgeber bewusst formell verfassungswidrige Gesetze erlässt in der Hoffnung, dass das Gesetz bis zu einer Gerichtsentscheidung schon Auswirkungen hat
Tatsächlich ist die Frage, ob ein Gesetz seitens des Bundesverfassungsgerichts für “verfassungswidrig und damit nichtig” (mit Wirkung für die Vergangenheit), oder als “mit dem Grundgesetz unvereinbar” (mit Wirkung für die Zukunft) zu erklären ist, auch dann zu entscheiden, wenn es sich um einen Verstoß gegen formelles Verfassungsrecht handelt.
Der Missbrauch, den Sie befürchten, ist m.E. durch die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung ausgeschlossen. Entsprechende Anträge wurden in den laufenden Verfahren auch gestellt. Die wurden aber abgelehnt, weil das Gericht jedenfalls keinen offensichtlichen Kompetenzverstoß erkennen konnte.
Das war auch ganz richtig. Nur ganz wenige Stimmen haben den Ländern die Kompetenz für das Wohnungswesen bestritten. Die Reichweite dieser Kompetenz ist bis heute seriös streitig. Darum sollten auch diejenigen, die dem Land Berlin die Kompetenz für das MietenWoG bestreiten, nicht behaupten, der Berliner Gesetzgeber habe bewusst seine Kompetenzgrenzen überschritten.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das MietenWoG Bln mit folgender Erwägung abgelehnt:
“Entgegen dem Vorbringen der Antragstellenden ist auch nicht erkennbar, dass Vermieterinnen und Vermieter jenseits des durch § 11 Abs. 1 Nr. 4 MietenWoG Bln sanktionierten Forderns und Entgegennehmens einer unzulässigen Miete daran gehindert wären, sich für den Fall der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes oder Teilen desselben bei Neuvermietungen eine höhere Miete versprechen zu lassen, und ihnen deshalb ein insoweit irreversibler Schaden entstehen könnte.”
BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.03.2020, 1 BvQ 15/20, Rn. 27.
Dürfen wir Ihren Ausführungen entnehmen, dass das BVerfG von einer unzutreffenden Auslegung des einfachen Rechts ausgegangen ist und eine einstweilige Anordnung doch noch zu ergehen hat?
Die von Ihnen zitierte Passage des Bundesverfassungsgerichts beruht nicht auf einer anderen Gesetzesauslegung als der unseren. Das Gericht erwähnt zwar nur das Fordern und Entgegennehmen. Das liegt aber daran, dass in jenem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bußgeldtatbestand in § 11 Abs. 1 Nr. 4 MietenWoG im Zentrum stand, der sich eben auf eine Sanktion von Fordern und Entgegennehmen beschränkt.
Wir verstehen die Passage so, dass das Gericht darin die Folge angibt, sollte es das Gesetz für nichtig erklären: die getroffenen Abreden sind von Anfang an wirksam. Das entspricht unserer Darstellung. Wir halten lediglich eine Nichtigkeitserklärung (mit Wirkung für die Vergangenheit) nicht für wahrscheinlich.
Sofern die Passage darüber hinaus den Eindruck erwecken könnte, Vermieter könnten gegenwärtig wirksam eine Vereinbarung über eine höhere Zweitmiete treffen, deren Verbindlichkeit zwischen den Parteien vom Ausgang der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abhängen soll, hätten wir gewisse Zweifel, ob die zivilrechtliche Folge der Vereinbarung einer solchen – unseres Erachtens – Rechtsbedingung richtig bestimmt wäre. Aber das aufzuklären, führt hier zu weit. Dieser etwas technische Aspekt, um den es hier zivilrechtlich geht, den das Gericht aber auch nicht ausdrücklich zur Sprache bringt, wird sicherlich nicht den Ausschlag gegeben haben in der vom Gericht vorgenommenen Gesamtabwägung im Zuge der Beurteilung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Wäre es also aus Sicht des Mieters sinnvoll, einer Mieterhöhung zuzustimmen, da diese zunächst ja nicht gefordert werden darf und im Falle des „Überlebens“ des Mietendeckels ja gemäß § 134 BGB unabhängig von dieser Zustimmung nichtig ist und somit dann niemals zur Wirkung kommt?