Warum Vertrauen in die Neutralität der Justiz ein schützenswertes Verfassungsgut ist
Verhüllende Bekleidung wie der Hidschab (das Haare, Hals und Teile der Stirn abdeckende Kopftuch) signalisieren die Zugehörigkeit zu einer islamischen Glaubensrichtung. Gleichzeitig handelt es sich um eine Sittsamkeitspraktik, die europäische Gesellschaften mit der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ konfrontiert: Es kehren Erwartungen an die „ehrbare“ Frau zurück, die diesen Status durch ihr Auftreten nach außen demonstrieren soll. Verfassungsrechtlich wird darüber diskutiert, in welchen Kontexten rechtliche Verbote zu begründen sind. In ihrem Beitrag zum Verfassungsblog spricht sich Aquilah Sandhu dafür aus, dass das Tragen eines Hidschab in der Rolle einer Richterin zulässig sein müsse.
Frau Sandhu hat 2015 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg geklagt, weil ihr bei Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst durch eine Auflage untersagt worden war, bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung, etwa Sitzungsdienst der Staatsanwaltschaft oder Zeugenvernehmung, „Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale“ zu tragen, „die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung“ zu beeinträchtigen. Das erstinstanzliche Urteil (das Rechtsmittelverfahren ist offenbar noch nicht abgeschlossen) gab der Klägerin deshalb Recht, weil bislang das für den Grundrechtseingriff erforderliche Parlamentsgesetz fehlt (VG Augsburg, Urteil vom 30.06.2016 – Aktenzeichen Au 2 K 15.457). Rechtspolitisch gesehen ist die Frage, ob von einer gesetzlichen Verbotsnorm abzusehen ist, weil diese verfassungswidrig wäre. Das Verwaltungsgericht Augsburg, das nur auf den Gesetzesvorbehalt abstellt, deutet in einem Satz das Gegenteil an: Es liege nahe, dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit durch das Tragen eines religiös motivierten Kopftuchs gefährdet werde (a.a.O., Rn. 57).
Unstreitig ist der Ausgangspunkt: Auf grundrechtliche Freiheitsrechte können sich auch Personen im Richteramt berufen. Einschlägig ist auf jeden Fall Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit). Streiten könnte man sich darüber, ob auch das Recht auf Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) heranzuziehen ist. Der Wortlaut lässt es zu, den Schutzbereich auf religiöse Zeremonien und religiöse Handlungen zu beschränken. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht eine weite Auslegung festgeschrieben, die Alltagshandlungen und die Bekleidung in beruflichen Kontexten einschließt (s. die Nachweise in BVerfGE 138, 296, Rn. 85 ff.). Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass religiöse Bedürfnisse absolut und kontextunabhängig vorrangig sind. Auch nach den religionsfreundlichen Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts ist Religionsausübung einschränkbar, wenn eine Gefahr für die Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang besteht (a.a.O., Rn. 98). Die zentrale Frage ist also: Gibt es Allgemeininteressen mit Verfassungsrang, die es rechtfertigen, Richterinnen das Tragen eines Hidschab zu untersagen?
Frau Sandhu vertritt, dass es kein hinreichend gewichtiges Interesse am neutralen Auftritt von Richtern gebe. Entgegenlautende Überlegungen würden auf „Putativgefahren“ verweisen, es werde „aufgrund subjektiver Fehlvorstellungen auf eine objektiv nicht bestehende Gefahrenlage geschlossen“. Der Erwerb der Befähigung zum Richteramt im vorgeschriebenen Ausbildungsgang müsse genügen. Sie geht nicht auf § 39 DRiG ein („Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“). Ihre Ausführungen implizieren aber, dass diese Norm aufzuheben sei. Ein Richter müsse lediglich für sich selbst „gewissenhaft prüfen, ob er ausreichend Distanz und Neutralität zur konkreten Rechtsfrage aufbringen kann und sich im Zweifel selbst ablehnen“; wer dies nicht tue, dem drohe die „Schelte der Rechtsmittelinstanz“ oder unter Umständen Strafe wegen Rechtsbeugung.
Damit unterschätzt Frau Sandhu die Bedeutung von Neutralität und Vertrauen für die Justiz in demokratisch verfassten Rechtsstaaten. Ein Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist, dass nicht nur angestrebt wird, sondern es auch tatsächlich gelingt, mit Gerichtsentscheidungen Konflikte zu beenden. Dies setzt in freiheitlich-demokratischen Systemen voraus, dass Akte der Justiz auf breite Akzeptanz stoßen, die nur dann zu sichern ist, wenn der Richterschaft Vertrauen entgegengebracht wird. In Diktaturen oder in Staaten mit besonders fest verankerten Eliten mag es effektive Macht ermöglichen, breiten Rückhalt in der Bevölkerung als überflüssig zu erachten. Die Handlungsbedingungen für die Justiz in normativ egalitären, demokratischen Staaten sind jedoch komplizierter. Konflikte sind nicht durch das bloße Faktum des Entscheids durch eine Autoritätsperson abzuwürgen, sondern es bedarf der befriedenden Konfliktbeendigung. Dies erfordert, dass die freiwillig oder unfreiwillig von Gerichtsentscheidungen betroffenen Personen ein bestimmtes Maß an Vertrauen in die Richtigkeit haben. Vertrauen in die Richtigkeit der Entscheidung beruht aus der Perspektive der Betroffenen, die in der Regel nicht selbst rechtskundig sind, zu wesentlichen Teilen auf Vertrauen in die Unparteilichkeit der Richter. Es ist schwer, in quantifizierender Weise anzugeben, wieviel Vertrauen erforderlich ist und welches Maß an Misstrauen (das es natürlich immer geben wird) unterhalb einer schädlichen Schwelle bleibt. Für meine Argumentation muss der Verweis auf generelle Zusammenhänge genügen.
Vertrauen ist in sozial, kulturell und religiös fragmentierten Gesellschaften leicht zu erschüttern, wenn sich Richter im Gerichtssaal in augenfälliger Weise als Angehörige einer sozialen, kulturellen oder religiösen Gruppe zu erkennen geben. Vor allem diejenigen, die sich als Verlierer sehen, etwa weil sie in einem Zivilprozess unterliegen oder in einem Strafprozess Angeklagte sind, sind für Signale empfänglich, die auf eine ihnen ungünstige Vorprägung der entscheidenden Richter deuten. Die dritte Gewalt muss in ihren Begegnungen mit realen Menschen funktionieren, weshalb es nicht überzeugt, in diesem Kontext auf den normativ konstruierten „besonnenen Verfahrensbeteiligten“ (so Frau Sandhu) abzustellen. Es wäre wünschenswert, wenn im Vertrauen auf allseitig praktizierte Toleranz und Zurückhaltung Gruppenzugehörigkeiten im Gerichtssaal nicht mehr als relevant wahrgenommen würden – aber es wäre realitätsfremd, unbedingtes Vertrauen aller in die Unvoreingenommenheit oder Selbstdisziplin aller anderen vorauszusetzen.
Repräsentanten der Justiz müssen in einer nicht perfekten Welt deshalb schon den Anschein vermeiden, Vertreter von Partikularinteressen zu sein. Die Richterrobe sollte weder mit sichtbaren religiösen Symbolen kombiniert werden noch mit anderen augenfälligen Bekenntnissen zu politischen, moralischen, sozialen oder kulturellen Gruppen. Ein exklusiver Fokus auf die religiöse Signifikanz von verhüllender Bekleidung verkennt dabei einen Teil der Probleme. Über den Faktor „erkennbare Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft“ hinaus kann unter bestimmten Umständen das Vertrauen in die Neutralität einer Richterin auch dadurch beeinträchtigt werden, dass ihre Kopfverhüllung traditionelle sexualmoralische Vorstellungen zum Ausdruck bringt. Auch wenn mit der eigenen Sittsamkeitspraktik keinerlei Anspruch verbunden ist, andere dazu zu bekehren, ist es unter den Bedingungen fragmentierter Gesellschaften problematisch, deutlich sichtbar partikulare Moralvorstellungen und/oder Religionszugehörigkeit auszudrücken.
Wer nicht bereit ist, auf auffallende Symbole gruppenbezogener Identität zu verzichten, kann nicht ein Richteramt beanspruchen. Dies gilt auch, wenn Anwärter ernsthaft und glaubwürdig versichern, ihre Zugehörigkeiten bei konkreten Entscheidungen ausblenden zu können. Zu der verantwortungsvollen Richterrolle gehören nicht nur die fachliche Ausbildung und die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, sondern auch Verständnis für die Funktionsbedingungen, die für das System Justiz von zentraler Bedeutung sind. Richter müssen sich der Fragilität des Vertrauens in die Justiz bewusst sein, und sie müssen bereit sein, das eigene Auftreten daran auszurichten. Es ist kein schlüssiger Gegeneinwand, dass, worauf Frau Sandhu ausführlich verweist, die äußere Wahrung des „Anscheins der Neutralität“ trügen könne. In diesem Punkt hat sie natürlich Recht: Es ist nie auszuschließen, dass hinter dem ordnungsgemäß-neutralen Auftritt eine Persönlichkeit steht, die wenig geneigt ist, sich um Reflektion ihrer Gruppenzugehörigkeiten und innere Distanz zu ihren Vorprägungen zu bemühen. Im Kontext einer über viele Jahre kulturell-christlich geprägten Gesellschaft gibt es Beispiele für richterliche Entscheidungen, bei denen ein Zusammenhang mit entsprechenden Vorprägungen auf der Hand liegt. Aber wie immer gilt: Probleme verschwinden nicht, indem man sie gegeneinander aufrechnet. Berechtigte Kritik an manchmal schwach ausgeprägter Selbstreflexion eliminiert nicht die Einschätzung, dass Richter es unterlassen müssen, ihre Gruppenzugehörigkeiten im Gerichtssaal sichtbar zu machen. Die sich beschleunigende Entwicklung zu multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften sollte vielmehr Anlass sein, zukünftig auf allen Ebenen der Organisation von Justiz, auch in der Juristenausbildung, Verständnis für die Funktionsbedingungen zu fördern und zu äußerer Neutralität ebenso wie zu Selbstreflektion anzuhalten.
Die im Artikel genannten Argumente kann ich voll und ganz zustimmen. Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu, die man die staatliche Neutralitätspflicht aufweichen: Wo endet dann die persönliche Religionsausübung im Amt? Darf der Richter dann z.B. eine kurze Messe vor der Urteilsverkündigung abhalten? Wenn nein, warum nicht?
Interessieren würde mich dann natürlich die weiteren rechtspolitischen Schlussfolgerungen von Frau Hörnle in Bezug auf (den Anschein) richterliche(r) Neutralität.
Es scheint ja auch die Überzeung der Verfasserin zu sein, dass ein rein äußerliches Bekenntnis zur Richterlichen Neutralität nicht ausreichend ist.
Entsprechende Diskussionen über grundsätzliches Misstrauen in Bezug auf die Neutralität gibt es in Bezug auf Richter*innen oder Staatsanwält*innen, die eine über die bloße Mitgliedschaft hinausgehende Funktion in Parteien haben (wie etwa ein leitender Oberstaatsanwalt und AfD-Landesvorstand oder ein Verwaltungsrichter und SPD-Landesvorsitzender), oder für Richter*innen, die in ihrem Rechtsgebiet wissenschaftlich oder beratend (nur) für eine Seite tätig sind (wie die Vorsitzende Richterin einer Mietrechtskammer, die für Haus- und Grundstücksverbände arbeitet).
Wenn nun nicht mehr auf das konkrete Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit abgestellt werden soll, sondern schon der Eindruck fehlender Neutralität auf jeden Fall vermieden werden muss, so sollte auch die aktive politische Betätigung oder die parteiische Betätigung im eigenen Rechtsgebiet generell verboten werden.
Mich würde interessieren, ob Frau Hörnle Neutralität selbst als neutral ansieht oder vielmehr selbst als ein Partikularinteresse betrachtet werden könnte? (unabhängig von möglichen Ausführungen im positiven Recht)
> in Bezug auf Richter*innen oder Staatsanwält*innen, die eine über die bloße Mitgliedschaft hinausgehende Funktion in Parteien haben …
Diesen Zustand gibt es in der deutschen Justiz seit Jahrzehnten und er hat bisher offenbar nicht zu Problemen geführt, die nicht im Rahmen der bestehenden Regularien (z.B. Befangenheitsantrag) gelöst werden können.
Dass man nun eine Diskussion darüber eröffnen will, kann ich mir nur aus Frustration im Hinblick auf die Unvereinbarkeit von Kopftuch und Richteramt erklären.
Ein staatlich angeordnetes Kruzifix in Klassenräumen muss (nach bisheriger Rechtsprechung des BVerfG) bei nachgewiesener Belastung auf Antrag abnehmbar bleiben.
Eine Lehrerin mit Kopftusch im Schuldienst muss bei nachgewiesener Belastung (eines Schulfriedens) umsetzbar sein o.ä.
Dies gebieten grundrechtlich auszugleichende Interessen.
Für eine Richterin kann eine solche Möglichkeit problematisch bleiben.
Derzeit scheint dies kaum ausdrücklich geregelt.
Soweit sich eine Kopftuchträgerin hierbei wehren wollte, was grundsätzlich nicht allgemein ausschließbar schiene, können Gerichtsverfahren im Hinblick auf einen zu gewährleistenden gesetzlichen Richter auf unbestimmte Zeit belastet sein.
Das kann eventuell Eignungsmängel für eine richterliche Tätigkeit gegenüber anderen möglichen Richtern begründen.
Insofern kann eine Besetzung von Richterstellen für Streitentscheidungen mit Koptuchträgerinnen vor anderen möglichen Richtern etc., probelmatisch bleiben.
Wer von vornherein für eine bestimmte amtlich richterliche Tätigkeit eine kaum generell auschließbare Art “Befangenheit” für unbestimmt viele Fälle und Verfahren mitbringt, kann damit für solche Tätigkeit unter Umständen bereits anfänglich weniger geeignet als andere scheinen.
Sehr geehrte Frau Prof. Hörnle, danke für diese Replik!
Sehe ich das richtig, dass Sie § 39 DRiG im Verhältnis zu Art. 97 GG einen eigenständigen Gehalt zusprechen und ihn als hinreichend konkrete Rechtsgrundlage für ein Kopftuchverbot erachten? Ich bin – entgegen Ihrer Annahme – gerade nicht für die Aufhebung von § 39 DRiG, sondern sehe ihn nur als einen konkretisierenden Ausschnitt des Art. 97 GG, der auch die Pflicht des Richters umfasst, „sich innerhalb und außerhalb des Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierte Unabhängigkeit nicht gefährdet wird” (BVerfG, B. v. 30.08.1983 – 2 BvR 1334/82). Und ich vertrete nicht, dass dieses Vertrauen etwa redundant wäre, sondern vielmehr, dass man es auch einer muslimischen Richterin entgegenbringen können muss.
§ 39 DRiG darüber hinaus glaubensbeschränkende Wirkung zuzusprechen, erachte ich angesichts der Rechtsprechung des BVerfG als mit der Verfassung unvereinbar, v.a. weil dann ja letztendlich ein vorbehaltslos gewährleistetes Grundrecht (so behandelt das BVerfG Art. 4 GG noch immer) durch einfaches, nicht mehr die Verfassung konkretisierendes Recht eingeschränkt würde. Denn das BVerfG sieht in seiner Kopftuch-Leitentscheidung im allgemeinen (aber inhaltlich im Prinzip identische) beamtenrechtlichen Mäßigungsgebot gerade keine Grundlage dafür, das religiös motivierten Tragen eines Kopftuchs zu untersagen (BVerfGE 108, 282 (308)).
§ 39 DRiG kann m.E. vielmehr mit Blick auf die Schrankendogmatik nur insoweit der Glaubensfreiheit entgegengehalten werden, als er Verfassungsrecht (hier: Art. 97 GG) konkretisiert. Deshalb auch mein Fokus auf dieser Verfassungsnorm. An der Relevanz von § 39 DRiG (allerdings primär als allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG) gedenke ich nicht zu zweifeln.
Hingewiesen sei abschließend noch darauf, dass es nicht meinem frommen Wunschdenken entspricht, auf den “besonnenen Verfahrensbeteiligten” abzustellen, sondern dies vielmehr ein gängiger topos ist. So nehmen Gerichte (vielleicht etwas pathetisch) bspw. die “ruhig und vernünftig denkende Partei” (OLG Stuttgart, B. v. 28.11.2006, 3 W 83/06) oder die „vernünftige und besonnene Partei“ (OLG München, B. v. 7.1.16, 8 W 2476/15) als Maßstab – bleibt zu hoffen, dass dieser auch im zunehmend pluralistischen Gemeinwesen weiterhin gilt und dass der “homo sapiens” (im wörtlichen Sinne) nicht zur aussterbenden Spezies wird…
Freundliche Grüße
Das Kopftuch hat ohne jeden Zweifel auch eine politische Symbolik. Damit ist § 39 DRiG für den vorliegenden Fall relevant.
Verfassungsrechtliche Einschränkungen für Religion im Amt können etwa aus negativer Religionsfreiheit anderer und Gewährleistung von “Funktionieren des Staates und seiner Organe, wie seiner Gerichtsbarkeit” folgen etc.
Danach kann Religion im Amt nicht allgemein stets vorrangig, sondern nur abwägend zulässig sein. Bei Richterinnen mit Kopftuch kann ein danach eventuell nötig mögliches, abwägendes Zurücktreten von Religion im Amt in Konflikt mit einer Gewährleistung eines gesetzlichen Richters geraten o.ä. Das kann Probleme für das ” Funktionieren des Staates und seiner Organe, wie seiner Gerichtsbarkeit” mit sich bringen.
@Aqilah Sandhu
Bezug nehmend auf den letzten Absatz Ihrers Kommentars soviel:
Die “ruhig und vernünftig denkende Partei” und/oder “besonnenen Verfahrensbeteiligte(n)”, muss zu allererste aufseiten des Gerichts wirken.
Jemand der mit seinem Gewissen, das Ablegen eine Stück Stoffs oder des “Nudelsiebes des Spaghettimonsters” nicht vereinbaren kann, erbringt geradezu den Gegenbeweis.
Wenn Sie bereit und in der Lage wären, das eine mit dem anderen zu tauschen, damit ihr strenges (und natürlich gesetzeskonformes) Urteil von den Parteien anerkannt wird, haben sie ohne Zweifel die notwendige Eignung zum Richteramt erwiesen.
Ach ja, das das Volk beschlossen hat, das Richter Beamte sind, die ihr leben lang vom Volk versorgt werden, hat bestimmt auch einen Grund …
Hallo @Pascal,
Wie Sie, auf den Vergleich, zwischen Religionszugehörigkeit und der Teilhabe/Teilnahme am verfassungsmäßigen Recht/Pflicht des mündigen, aufgeklärten Bürgers kommen, erschließt sich nicht.
Recht ist der kodifizierte Wille des Souveräns unseres Staates, das Volk. Wenn eine Beamter seine Freizeit opfert, um seinem Souverän zusätzliche Dienste zu leisten – was soll daran schlecht sein.
Der CDU-Beamte spricht ja sein Urteil eben nicht im Namen seiner Partei (sollte er zu mindestens nicht) sonder im Namen des Volkes, dem er sich über das normale Maß eines Bürger hinaus zum Dienste verpflichtet hat.
@ Frau Sandhu
“Und ich vertrete nicht, dass dieses Vertrauen etwa redundant wäre, sondern vielmehr, dass man es auch einer muslimischen Richterin entgegenbringen können muss.”
Sie setzen meinem Verständnis nach voraus, dass eine muslimische Richterin immer – auch im Amt – ihr Kopftuch trägt, das quasi Islam = Kopftuch ist.
Damit machen Sie – finde ich – einen Gedankensprung, der am Ende zu einer m. E. fehlerhaften Bewertung führt.
Es gibt muslimische Frauen, die kein Kopftuch tragen – oder es abnehmen, wenn die Gelegenheit es erfordert.
Man kann man ja gerne jedweder Religion folgen – aber bitte in einem Rahmen, der auch für andere gilt. Würden Sie das Ansehend es Gerichts als beschädigt ansehen, wenn der Richter ein Nudelsieb auf dem Kopf trägt? Wenn die Richterin einem kambodschanischen Fruchtbarkeitskult folgt, der das Tragen von Kleidung verbietet, und sie naher nackt an der Richterbank sitzt? Ist es für Sie okay, wenn der Staatsanwaltschaft, in Befolgung seiner tiefen radikalchristlichen Ãœberzeugung vor Verlesung der Anklageschrift verkündet, dass Frauen ihren Männern zu gehorchen haben und Gott alle Sünderinnen in der Hölle schmoren lassen wird?
Sie mögen das Tragen des Kopftuchs als weniger absurd oder weniger störend empfinden als meine o. g. Beispiele. Aber für viele gilt das nicht. Und auch auf die müssen wir Rücksicht nehmen.
Was ist besser:
– Frau Sandhu nimmt Ihr Kopftuch ab, bevor sie den Gerichtssaal betritt,
oder
– ein signifikanter Prozentsatz an Prozessbeteiligten nimmt ihre Urteile nicht ernst und hält sie für eine religiöse Radikale?
Wie würden Sie als Vertreterin des Staates entscheiden? Würden Sie eher Gefahren von der Institution abwenden oder – bei allem Respekt vor religiösen Gefühlen – eher emotional geprägten Einzelinteressen eines gut bezahlten und privilegierten Staatsdieners höher stellen?
Und noch mal die Frage:
Wäre es Ihnen gleichgültig, wenn eine Richterin sich explizit als Hindu zu erkennen gibt, wenn gerade ein religiös aufgeladener Krieg zwischen Pakisten und Indien läuft?
Falls ja:
Könnten Sie sich vorstellen, dass vielleicht eine Person, die nicht so besonnen ist wie Sie, das anders sehen würde?
@ Pascal
“Wenn nun nicht mehr auf das konkrete Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit abgestellt werden soll, sondern schon der Eindruck fehlender Neutralität auf jeden Fall vermieden werden muss, so sollte auch die aktive politische Betätigung oder die parteiische Betätigung im eigenen Rechtsgebiet generell verboten werden.”
Ein Fehler rechtfertigt nicht den nächsten. Dass bspw. diese Berliner Richterin sich dem starken Verdacht einer tendenziösen Rechtsprechung aussetzt, betrachtet wohl niemand als positiv. Das sind Fehlentwicklungen, die man vielleicht nicht immer gesetzlich verboten hat, aber die sicherlich nicht als Leitbild für andere gelten sollten.
Ähnlich sieht es m. E. mit dem Kruzifix in Amtsräumen aus. Ja, diese Verwaltungs-/Gerichtspraxis existiert. Man mag sie kritisieren – ich persönliche tue das. Aus Protest nun gleiches (Un)Recht für alle zu fordern, ist m. E. nachvollziehbar und valides Argument. Aber dem sollte nicht nachgegeben werden. Bestes Ergebnis für alle wäre, wenn Kruzifix wie Kopftuch aus dem Gerichtssaal verschwinden würden.
Gerade in Bayern – wo sich auch der Fall der Frau Sandhu abspielt – wurde doch kürzlich ein Richter (oder sogar Referendar?) abgelehnt, weil er sich rechtsradikal positioniert hatte. Dass das ausgerechnet in der stramm konservativen Bayerischen Justiz passiert, ist m. E. ein sehr gutes Zeichen: Radikalität nach links, rechts, oben, unten wird nicht geduldet.
Nun hat man das doofe Kreuz zugelassen, ja – es ist halt Bayern. Aber wenn man diese eine Pille schluckt, wahrt man doch die Neutralität mit strengem Blick. Und das gilt für den Fascho wie die Muslima. Mir erscheint das fair.
@Leser: ich fasse es nicht. Sie vergleichen ernsthaft jemand, der sich rechtsradikal positioniert hat, mit einer grundgesetztreuen Muslima? Damit verlassen wir die Ebene einer ernsthaften Diskussion.
Frau Hörnle schreibt: “Repräsentanten der Justiz müssen in einer nicht perfekten Welt deshalb schon den Anschein vermeiden, Vertreter von Partikularinteressen zu sein”. Die Frage, die sich mir stellt, ist, wo hier die Grenzen zu ziehen sind. Selbstverständlich wäre der Fall einer vergewaltigten Frau, die in einem Sexualstraffall einen männlichen Richter ablehnt, weil dieser sexistische Einstellungen haben *könnte*, ein übertriebenes Gegenbeispiel. Gerade deshalb kann die verzerrte Perspektive der Rechtunterworfenen im Endeffekt bei Abwägung aller Rechtsgüter nicht entscheidend sein, sondern nur das *tatsächliche* Verhalten der Richterinnen und Richter.
@ Christian Boulanger
Ja, weil es um ein einheitliches Thema geht: Privatansichten bleiben zuhause, wenn es zum Dienst geht.
Sie werden bemerken, dass die Rechtsfolge bei dem Rechtsradikalen und der Muslima unterschiedliche sind: beim ersten vollständiges Verbot, bei der zweiten die Auflage, das Kopftuch abzunehmen.
Ich sehe das als abgestufte, angemessene Reaktionen, beide zu demselben Zweck (“Anschein der Neutralität” der Gerichte, wie Frau Sandhu es nennt).
“Selbstverständlich wäre der Fall einer vergewaltigten Frau, die in einem Sexualstraffall einen männlichen Richter ablehnt, weil dieser sexistische Einstellungen haben *könnte*, ein übertriebenes Gegenbeispiel. Gerade deshalb kann die verzerrte Perspektive der Rechtunterworfenen im Endeffekt bei Abwägung aller Rechtsgüter nicht entscheidend sein, sondern nur das *tatsächliche* Verhalten der Richterinnen und Richter.”
Geschlecht und Hautfarbe kann ein Richter nicht ablegen, Kopftuch / Nudelsieb / FC-Bayern-Schal / Kruzifix schon.
Wenn ersteres ginge, wäre das auch toll, geht aber halt leider nicht. Fangen wir mit den Punkten an, die ggw. technisch umsetzbar sind.
Soweit “nur” private Gefühle – auch wenn es religiöse Gefühle sind – zurückzustellen sind, hat die Pflicht dem Staat und den Bürgern gegenüber m. E. Vorrang.
Mal ehrlich: Wir sprechen über Stellen mit mindestens R1-Besoldung, Beihilfe und zahlreichen anderen Privilegien, dabei aber – trotz aller Arbeitsbelastung – letztlich ohne jede Ergebnisverantwortung. Man entscheidet kraft Amtes, notfalls mit Unterstützung staatlichen Zwanges, über das Schicksal anderer.
Wenn man auf dieses Wohlfühlpaket nicht mit einer gewissen Rücknahme eigener Interessen reagieren kann, wenn man nicht sieht, dass diese Macht nur mit äußerster Zurückhaltung bzgl. der eigenen Person auszuüben ist, ist das m. E. unangebracht.
@Leser: Danke für Ihre Erläuterungen, die mich allerdings nicht überzeugen. Hier (in diesem Kommentarbereich) geht im Kern um den von Frau Hörnle genannten § 39 DRiG („Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“) und die empirische Frage, ob das Kopftuch dieses Vertrauen gefährdet, sowie welche normativen Schlüsse daraus gezogen werden müssen. Die anderen von Ihnen genannten Punkte geben Ihre (legitime) persönliche Meinung zum Thema wieder, haben aber nur bedingt rechtliche Relevanz. Sollte bei einer Abwägung die Religionsfreiheit stärker wiegen als die abstrakte Gefahr, dass die Neutralität gefährdet werden könnte, ist es irrelevant, welche Besoldungshöhe oder Befugnisse im Spiel sind. Das Recht kann den Menschen nicht in den Kopf schauen und auch nicht für sie entscheiden, ob sie ein Kopftuch ablegen können oder nicht. Was man wissen kann, ist, ob sie sich allgemein rechts- und insbesondere grundgesetzkonform verhalten und äußern. Da weiß man beim Nazi ziemlich schnell Bescheid.
“Sollte bei einer Abwägung die Religionsfreiheit stärker wiegen als die abstrakte Gefahr, dass die Neutralität gefährdet werden könnte, ist es irrelevant, welche Besoldungshöhe oder Befugnisse im Spiel sind.”
Naja, eine gewisse Rolle spielt das m. E. schon. Jedenfalls würde ich persönlich an den Richter einen schärferen Maßstab anlegen als an den Rechtspfleger, an diesen wiederum einen schärferen als an den Justizwachtmeister. Je höher das Amt, je größer Spielraum und Befugnisse, desto mehr Zurückhaltung kann und muss m. E. auch verlangt werden. Für die gesteigerte Verantwortung, parallel dazu die größere Zurückhaltung, gibt es dann auch mehr Moneten. So schnöde das ist, korreliert damit m. E. die Kopftuchfrage durchaus mit der Besoldung.
Sie haben recht, dass man die Stellung innerhalb der behördlichen Hierarchie nicht einfach ignorieren kann. Jedoch würde auch eine Reinigungskraft (m/w, mit oder ohne Kopftuch), die antisemitische Flyer verteilt, wohl ebenso suspendiert wie eine Richterin, die gleiches tut. Nur: was hat das alles mit einem Stück Stoff zu tun? Es geht ja um die Zuschreibung, die von außen an diesen Stoff herangetragen wird. Wenn ich zeigen kann, dass die Person außer dem Stück Stoff noch ein Weltbild hat, das den Werten des Grundgesetzes widerspricht, und sich entsprechend äußert und agiert, dann ist die Person für die Justiz und den Beamtendienst ohne Frage ungeeignet. Ich bin aber nicht überzeugt, dass in anderen Fällen wegen der (sicherlich bestehenden) Vorurteile vieler Menschen die Vermutung der Neutralität aufgegeben werden muss.
In meinen Augen ist der Streit um das Kopftuch nur eine Scheindebatte, die vom Kern des Themas ablenkt, denn kein vernünftiger Mensch kann gegen das Tragen eines Kopftuches an sich ernsthaft etwas einzuwenden haben – schon gar nicht in der dezenten Form wie Frau Sandhu dies tut.
Die Diskussion sollte sich m.E. künftig weniger um äußerliche Symbole drehen, sondern den Artikel 4 GG direkt in den Fokus nehmen.
Eine bedingungslose Glaubensfreiheit – losgelöst von grundlegenden ethischen Normen – darf es meiner Meinung nach nicht geben.
Zur Erläuterung sei beispielhaft auf das nachfolgend verlinkte kurze Video verwiesen:
https://www.youtube.com/watch?v=BUJrd6J7TUY
An die pastafari-Anhänger: kleiner Hinweis zum dogmatischen Unterschied zwischen “Kopftuch / Nudelsieb / FC-Bayern-Schal”.
Ersteres ist von der vorbehaltlos (aber nicht grenzenlos) gewährleisteten Glaubensfreiheit geschützt, während das zweite als reine Satire ein Fall für den durch allgemeine Gesetze einschränkbaren Art. 5 GG ist und das letztgenannte wohl als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den geringsten Hürden für eine Einschränkung unterliegt.
> kein vernünftiger Mensch kann gegen das Tragen eines Kopftuches an sich ernsthaft etwas einzuwenden haben …
Die zentrale Frage ist der Kontext:
Ich habe selbstverständlich etwas gegen das Tragen des Kopftuchs, wenn das einen Zwang darstellt.
Wenn Grundschulkinder in Deutschland ein Kopftuch tragen, dann stellt das einen Zwang dar.
Wenn eine bedeutende Minderheit oder gar die Mehrheit der Frauen ein Kopftuch trägt, dann wird das Kopftuch zum Zwang.
Ich habe selbstverständlich etwas gegen das Tragen des Kopftuchs, wenn das eine politische Manifestation darstellt.
Sowohl im Iran als auch in der Türkei und in etlichen anderen islamischen Ländern waren und sind Kopftücher Vorboten und Manifestationen einer Islamisierung, die sich keineswegs auf den Bereich der Religion beschränkt hat, sondern massiv poltisch gewirkt hat und die Säkularisierung – ein zentraler Wert unseres Grundgesetzes – beendet haben.
Der Islam muss damit auch als radikale poltische Bewegung gesehen werden und nicht nur als eine Religion unter anderen. Ein Vergleich mit Rechtsradikalen ist damit nicht nur legitim, sondern geboten.
Ich will daran erinnern, dass in den vergangenen sechs Monaten im Namen des Islam in Deutschland etwa halbsoviel Menschen umgebracht wurden, wie von der RAF in zwanzig Jahren.
Wer in diesem Kontext im Kopftuch einer Richterin kein Problem sieht, hat nicht Verstanden, welcher Voraussetzungen es für ein funktionierendes juristisches System bedarf.
Abschließend der Hinweis, dass im Amt eines Richters der Religionstreue vielleicht auch mit angemessen geschlossener Kleidung oder besipielsweise Teilbedeckung der Haare oder mit künstlichen Haarteilen Ausdruck verliehen werden könnte. Das schaffen andere Regligionsgemeinschaften auch.
Wem das zu wenig ist, der soll sich dann halt besser einen anderen Beruf suchen, statt sich als Opfer religiöser Diskriminierung zu inszenieren.
“Ersteres ist von der vorbehaltlos (aber nicht grenzenlos) gewährleisteten Glaubensfreiheit geschützt, während das zweite als reine Satire ein Fall für den durch allgemeine Gesetze einschränkbaren Art. 5 GG ist und das letztgenannte wohl als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den geringsten Hürden für eine Einschränkung unterliegt.”
Die Einordnung als Satire-Partei hat zur “Lex Sonneborn” geführt, weil man erkannt hat, dass eine Zurückweisung von Parteien, letztlich weil man sie albern findet, die Demokratie gefährden kann.
Sehr geehrte Frau Prof. Hörnle,
ist Ihr Beitrag eine Art Kolumne oder erhebt Sie den Anspruch, ansatzweise (soweit in ein Blog möglich) rechtlicher/verfassungsrechtlicher Wissenschaftlichkeit?
Es mag nachvollziehbare Gründe geben, sich, insbesondere in spezifischen Fragen, die in etwa auch gerade im Rechtsstreit sexualmoralische Vorstellungen tangieren könnten, ‘unwohl’ zu fühlen, sich einer Richterin mit augenscheinlich frommem Weltbild zu ‘unterwerfen’. Unabhängig von der geschlechtlichen Dimension darüber hinaus, viel eher auf politisch/ideologischen Dimensionen wohl (jedenfalls für mich persönlich).
Es mag auch verfassungstheoretisch kritisierbar sein, einen zu zu weiten Schutzbereich der Religionsfreiheit zu vertreten und ein solches Verbot auch mit dem Art. 4 GG für vereinbar zu halten.
Ihr Beitrag hingegen vermischt die nachvollziehbare symbolische/Gefühlsebene des ersten Aspekts, während er vorgibt, Anspruch des Letzteren zu haben. Verfassungsdogmatischer Anforderung wird er jedenfalls nicht gerecht, so überheblich es von Seiten einem Ihrer Studierenden auch klingen mag.
Abzusehen davon, dass Ihnen persönlich und auch einer Vielzahl von Rechtsunterworfenen im Geltungsbereich des GG derzeit, symbolische Abgrenzungs- und Identititätsfragen offenbar bedeutender erscheinen, als der tatsächliche Rechtsgehalt/Substanz eines Urteils etwa. Deshalb, weil Ihnen der äußerliche Schein mehr im Vordergrund steht, als Inhalte des Urteils. Offensichtlich subjektive Prägungen von RichterInnen, die sich in einem Urteil widerspiegeln erachten sie, für weniger problematisch, als den äußerlichen Schein der oder des Urteilenden. Danach erscheint es auch folgerichtig, dass die theoretischen Ausführungen der Klägerin zur Frage von grundsätzlicher “Objektivität” der Richterschaft, mit keinem Wort ihrerseits Beachtung findet.
“Aber wie immer gilt: Probleme verschwinden nicht, indem man sie gegeneinander aufrechnet.”
Das mag eine anekdotisch/erzieherisch nett klingende Feststellung sein. Doch auch hier fehlt es an der Berücksichtigung der Wertung des Gleichheitssatz des Art 3 GG. Während die Neutralität einer Richterin und damit das Vertrauen für Sie und in gewisserweise zugegebenermaßen auch für mich, an der Frage des Kopftuchs einen gewissen Schaden nehmen kann, kann das Vertrauen anderer, entweder an anderen Aspekte die nicht mit dem äußerlichen Schein zusammenhängen oder aber, wie in meinem Fall, zusätzlich auf multidimensionaler Ebene an vielen Aspekten Schaden nehmen und viel schwerwiegender sein, als das Kopftuch.
Neben der Auslegung des Eigentumsbegriffs und ob dieser Begriff von einem Mitglied der Partei FDP oder der Linken ausgelegt wird, können es, wie Sie sagen, in einer multiethnischen Gesellschaft auch an Aussagen wie diese sein, die von professoraler Seite kommen und bei denen das Vertrauen an die Neutralität und in der Fähigkeit zum Richteramt erheblichen Schaden nehmen können:
“Damit unterschätzt Frau Sandhu die Bedeutung von Neutralität und Vertrauen für die Justiz in demokratisch verfassten Rechtsstaaten. Ein Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist, dass nicht nur angestrebt wird, sondern es auch tatsächlich gelingt, mit Gerichtsentscheidungen Konflikte zu beenden. Dies setzt in freiheitlich-demokratischen Systemen voraus, dass Akte der Justiz auf breite Akzeptanz stoßen, die nur dann zu sichern ist, wenn der Richterschaft Vertrauen entgegengebracht wird. In Diktaturen oder in Staaten mit besonders fest verankerten Eliten mag es effektive Macht ermöglichen, breiten Rückhalt in der Bevölkerung als überflüssig zu erachten. Die Handlungsbedingungen für die Justiz in normativ egalitären, demokratischen Staaten sind jedoch komplizierter.”
Diese koloniale Attitüde, der Klägerin letztlich neben juristischen, (verfassungsdogmatisch nicht tatsächlich durchgreifenden Argumenten, da unklar bleibt, ob Sie nun sogar nicht einmal eine weitergehende gesetzliche Konkretisierung für ein Verbot notwendig erachten sondern vielmehr § 39 Drig hinreichend sein soll und welches Verfassungsgut genau es konkretisieren soll) auch ein fehlendes Verständnis für demokratischen Werte beiläufig zu unterstellen, mit dem ganz offensichtlich persönlichen und sinngemäßem Hinweis, dass Sie es ja wohl herkunftbedingt anders kennen würde, ist unerträglich.
(Ironischerweise übrigens auch, kann gerade diese historisch kontinuierliche Attitüde überhaupt als Ursprung für das Entstehen von der heutigen “multikulturellen” Gesellschaften anzusehen sein, über deren Ausgestaltung nun gestritten wird)
Denn, wie Sie anmerken:
“Vertrauen ist in sozial, kulturell und religiös fragmentierten Gesellschaften leicht zu erschüttern, (…) [Wenn] Angehörige einer sozialen, kulturellen oder religiösen Gruppe [sich] zu erkennen geben.”
Hier kann man leicht den Anspruch verstanden sehen, sich als die demokratisch und kulturell “höherwertigere” Diskutantin zu erheben.
Sie schreiben,
“Die dritte Gewalt muss in ihren Begegnungen mit realen Menschen funktionieren, (…) es wäre realitätsfremd, unbedingtes Vertrauen aller in die Unvoreingenommenheit oder Selbstdisziplin aller anderen vorauszusetzen”
Es wäre hier noch dringend notwendig, das Verständnis von “realen Menschen” und darüber, was unter “Selbstdisziplin” eigentlich zu verstehen ist, zu erläutern.
@Moheb Shafaqyar, Di 17 Jan 2017 / 10:58
Mit Ihrem Beitrag beweisen sie erneut das was ich schon auf Grund ihres Artikel zum Thema vermutet habe.
Ihnen geht es alleinig um die Durchsetzung Ihres (eingebildeten) Rechts und die Betonung ihrer Sonderrolle und damit als ein “höherwertigere” Person darzustellen.
Eine Sache die Sie bei jeder Gelegenheit gerne andern unterstellen.
Oder wenn es das Kopftuch nicht gebe würden Sie das es erfinden.
Liebe Frau Sandhu,
danke für Ihre zum Nachdenken anregenden Kommentare! Zu § 39 DRiG: Ob man mit dieser Generalklausel Einschränkungen der Persönlichkeitsentfaltung begründen könnte, die auch mit Blick auf die Religionsfreiheit dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen? Das lasse ich offen. Mein Ausgangspunkt ist, ob detailliertere Regeln ggf. verfassungswidrig wären oder nicht, was von der Abwägung zwischen individuellen Freiheitsrechten und Allgemeininteressen abhängt. § 39 DRiG erwähne ich, weil darin eine Prämisse zum Ausdruck kommt, die für die verfassungsrechtliche Abwägung wichtig ist: Eine funktionsfähige Justiz ist auf Vertrauen angewiesen. Vertrauen ist ein sozialpsychologisches Phänomen. Die reale Bevölkerung ist maßgeblich, nicht Idealpersonen, die sich für religiöse, politische, soziale Gruppenzugehörigkeiten nicht interessieren.
Nun verweisen Sie darauf, dass die Rechtsprechung in Entscheidungen über Befangenheitsanträge auf den „besonnenen Prozessbeteiligten“ abstellen. Guter Punkt! Aber meine Gegenfrage wäre: Wie sollte sonst bei Befangenheitsanträgen entschieden werden? Wenn die rein subjektive Einschätzung „der Richter hat was gegen mich“ als Begründung ausreichen würde, wäre das das Ende aller Gerichtsverfahren. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass auch auf der Systemebene die Idealperson der Maßstab sein kann. Wenn es um das Allgemeininteresse an einer funktionierenden Justiz geht, die tatsächlich Rechtsfrieden herstellen und Konflikte beenden kann, führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass viele Menschen auf Signale der Gruppenzugehörigkeit mit Misstrauen reagieren. Insbesondere die verlierenden Parteien und Angeklagten, für die ja Befriedung wichtig ist, neigen dazu. Rechtstheoretisch gewendet: Das Recht darf an manchen Stellen fingieren, es mit „vernünftigen Personen“ zu tun zu haben. Aber wenn es um die großen Funktions- und Systemzusammenhängt geht, wäre es verfälschend, auf eine perfekte statt auf die reale Welt abzustellen.
Herzliche Grüße, Ihre Tatjana Hörnle
Liebe Frau Hörnle, haben Sie herzlichen Dank für ihren klugen Artikel und die – fast noch bessere – Duplik!
Der unverschämte Ton des Kommentars von Moheb Shafaqyar sollte nicht verallgemeinert werden. Ich kenne viele Muslime, die sich weitaus gemäßigter ausdrücken und sachlich bleiben. Wahrscheinlich versucht hier nur ein Troll, die Position der Gegenseite zu karikieren.
@ Moheb Shafaqyar
Ich muss ja sagen, dass es Respekt gebietet, die eigene Professorin unter Klarnamen im Internet zu flamen, aber ob es besonders klug ist, ist eine andere Frage.
“Koloniale Attitüde”… Und das gerichtet an einen Inländer in dessen Heimat zu einem rein inländischen Thema.
Chuzpe.
Zur Sache:
“”Aber wie immer gilt: Probleme verschwinden nicht, indem man sie gegeneinander aufrechnet.”
Das mag eine anekdotisch/erzieherisch nett klingende Feststellung sein.”
Das ist keine nette Anekdote, sondern in diesem Kontext eine schlichte Paraphrasierung des Lehrsatzes “Keine Gleichheit im Unrecht.”
Auch und gerade wenn man das Kruzifix-Urteil falsch findet, heißt das nicht, dass Religionsfreiheit plötzlich alles erlaubt, dass die Funktionsfähigkeit des Staates hinter den religiösen Gefühlen seiner eigenen Diener zurückzustehen hat.
Es geht hier nicht um ein Kopftuchverbot in der Öffentlichkeit oder im Gerichtssaal generell, sondern für einen herausgehobenen Staatsdiener während der Amtsausübung.
Da muss man, bei allem Verständnis, gewisse Einschränkungen einnehmen.
@hgs
Interessant. Doch allein zum Verständnis: Ich würde es etwas bedenklich halten, Rückschlüsse von (meinem Namen?) auf eine Religionszugehörigkeit zu schließen, zumal ich noch nie einer angehörig war.
Aber offenbar erweitern Sie und das war auch in gewisser Weise der Grund für den emotionalen Ausfall und den unverschämten Ton wohl, tatsächlich die Gefahr besteht, eine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Weltbild auf solche Merkmale wie Name oder Äußerlichkeiten zu erweitern oder ein etwaiges, fehlendes demokratisches Verständnis und für Rechtsstaatlichkeit zu schließen.
@Moheb: Sie haben meinen – kurzen – Kommentar offenbar nicht verstanden.
Ihre eigenen Ausführungen sind sprachlich nicht nachvollziehbar, entsprechen in Grammatik, Syntax und Orthographie nicht den Standards, die (am unteren Ende) für ein Jurastudium in Deutschland erwartet werden. Ich bleibe daher bei meiner Vermutung, dass sich hinter Ihrem vermeintlichen Klarnamen ein Troll verbirgt.
@Leser
Ich habe mich in der Sache überhaupt nicht gegen ein Verbot ausgesprochen bzw. es nicht für unvereinbar mit Art. 4 GG gehalten.
Allein die Herleitung und es mit dem – im Ergebnis – “Volksempfinden” (Stichwort ‘reale Menschen’ ohne ‘Selbstdisziplin’) zu begründen, ohne eine hinreichend parlamentarische Konkretisierung hielt ich für bedenklich. So wie ja auch das VG Augsburg im Ãœbrigen. Vor allem aber, dass es eine verletzende Art sein kann, dem Gegenüber ein fehlendes Verständnis für einen demokratischen Rechtsstaat zu unterstellen. Mit sinngemäßem Verweis der Klägerin darauf, dass wir ja hier schließlich in Deutschland und nicht in einer Diktatur leben (Wie es die Klägerin kennt).
Eh, Moment mal. Sie sind NICHT gegen ein Verbot, sondern finden lediglich die Begründung nicht gut?
Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber das habe ich dem Text nicht entnehmen können.
Vielleicht könnten Sie klarstellen, was genau Sie meinen.
Vielen Dank für diese ausführliche Antwort! In der Tat ist die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen zentral. Und ich bin ganz bei Ihnen, dass Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines Richters stets durch objektive Anhaltspunkte gerechtfertigt sein müssen.
Es ist auch sicher richtig, „dass viele Menschen auf Signale der Gruppenzugehörigkeit mit Misstrauen reagieren“.
Nur: Es ist aus meiner Sicht wichtig, dieses Misstrauen gerade nicht gegen die Glaubensfreiheit in Stellung zu bringen, sondern vielmehr abzubauen und auf die „Einübung von gegenseitiger Toleranz“ (BVerfGE 108, 282 (310)) hinzuwirken. Das Misstrauen ist bekanntlich regional unterschiedlich stark ausgeprägt und hängt von vielen Faktoren ab. In einem neutralen Staat sollte jedoch niemand aufgrund vorhandener Ressentiments auf seine staatsbürgerlichen Rechte verzichten müssen.
Beste Grüße, Aqilah Sandhu
Abschließend tatsächlich nochmal eine Klarstellung, nach der – offenbar folgenreichen – Idee mit Klarnamen geschrieben zu haben:
Es gehört für mich zum guten und respektvollen Umgang, eine scharfe Kritik nicht mit Decknamen und im Anonymen zu äußern. Karrierebewuststein, sittliche Vorstellungen oder ein fragwürdiges Verständnis von Kollegialität unter ProfessorInnen und WeggefährtInnen – wie in der Rechtswissenschaft üblich – sollten nämlich gewisse Grenzen haben.
Vielleicht kann es die Leserschaft hier nicht ganz nachvollziehen, aber der Duktus von Frau Hörnle kann aus anderen – und dazu gehört meine – Perspektive(n) ebenso scharf und polemisch aufgefasst werden, wie man mich verstanden hat. Es mag für viele nichts an der Anspielung hängen, dass Frau Hörnle Frau Sandhu fehlendes Verständnis für die Verfasstheit von demokratischen Rechtsstaaten attestierte. Dass Sie die diesen Vorhalt damit eränzt, dass es anderswo, also in Diktaturen ja anders sein mag, bei ‘uns’ ginge das aber nicht. In diesen Ländern möge man Vertrauen in Justiz mit Macht sichern können, hier hingegen geht das nur mit breiter Akzeptanz in der Bevökerung.
Hat das Frau Sandhu etwa behauptet?
Oder ist es der “äußerliche Schein”, der dieser Vermutung gleichsam naheliegt?
Könnte mir Frau Hörnle als potenzielle Prüferin in meiner mündlichen Examensprüfung Ähnliches – aufgrund meines dunkelhäutigeren, äußerlichen Scheins – unterstellen?
Es mag vielleicht auch gewissen subjektiven Wahrnehmungen entsprechen, die mir das in Ihrem Fall nicht als sehr abwegig erscheinen lassen.
Diesen Hinweis und diese Anspielung mag man nicht im Ansatz problematisch erachten. Aber das scheint offenbar immer eine Frage der Perspektive zu sein und gewisse gesellschaftliche Tendenzen scheinen eben auch in wissenschaftlichen Communitys stärker vorzudringen.
Meine Meinung (welche eigentlich, die politische, soziologische oder verfassungsdogmatische?) zu einem solchen Verbot spielte keine Rolle und muss es auch nicht. Auch wenn ich zur besseren Einordnung trotzdem gerne offenbaren möchte, dass eine Frau mit Kopftuch in mir weitaus größeres Unbehagen auslöst, als Sie sich vielleicht vorstellen können und Sie es mit meiner Hautfarbe möglicherweise in Verbindung bringen würden. Aber ich bin da wohl etwas ‘selbstdisziplinierter’. Gänsehaut hingegen bekomme ich, wenn ich weiß, dass ein Berliner Oberstaatsanwalt (der Stadt in der ich lebe) Funktionsträger bei der AFD ist oder wenn ich an die Justizvorgänge mancher ostdeutscher Länder denke. Das wiederum wird die Autorin nicht allzu sehr betreffen. Richter, die Funktionsträger einer solchen Partei sind können – ohne dass es sich äußerlich manifestiert – wesentlich schwerere Vertrauensschäden bei mir verursachen. Ein Aufrechnen von solchen Konstellationen spiegelt sich sehr wohl in vielen Rechtsprinzipien wieder, wie etwa in der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 GG). Mein Vertrauen in die Justiz kann außerdem demnach auch viel schwerwiegender, unabhängig vom äußerlichen Schein einer Person in anderen Elementen geschädigt werden. Mir bedeutet der Schein und die Symbolik möglicherweise weniger. Ist das Vertrauen von Frau Hörnle oder von “realen” Menschen, von denen Sie spricht und von denen man interessanterweise nicht stets ‘Selbstdisziplin’ erwarten könne höherwertiger? Und wäre eine solche Annahme egalitär? Ist das Grundrecht der jeweiligen RicherInnen in beiden Fällen nicht vergleichbar betroffen? Ist allein der “äußerliche Schein”/das Symbol ausschlaggebend? Fragen über Fragen, über diese neuartige Schrankenkonstruktion.
Grundrechtsdogmatisch und das wird denke ich kein(e) VerfassungsrechtlerIn anders sehen, ist es anerkannt, dass das Grundrecht in Art 4 GG (meiner laizistischen Idealvorstellung zuwiderlaufend) schrankenlos gewährleistet ist. Es wird in Verbindung mit Überbleibseln aus der Weimarer Reichsverfassung vertreten, dass dies anders sei. Aber das brachte Frau Hörnle nicht an. Bringt man nun verfassungsimmanente Schranken oder Grundrechtekollision entgegen, müssten die Grundlagen und die Güter im Grundgesetz zu finden sein. Dann wiederum müsste, gerade bei schrankenlos gewährleisteten Grundrechten, immer eine einfachgesetzliche Konkretisierung (Generalklauseln für ein konkretes Verbot sind da schwierig) erfolgen.
All das kann der Gesetzgeber ja auch vermutlich regeln, ja er kann ja bekanntermaßen auch die Verfassung ändern, das ist Politik und das ist mein Verständnis vom Volksvertrauen in der hiesigen repräsentativen Demokratie.
All jene grundlegende Verfassungsdogmatik des 2. Semesters im Jurastudium jedoch, vernachlässigt Frau Hörnle. Vielmehr zeigt sie ein außergewöhnlich tiefes Verständnis für ‘reale Menschen’ auf, denen man nicht allzu viel Selbstdisziplin aufzuerlegen habe. Alles ohne Kontext.
Schließlich muss man sich nach alledem deshalb auch Kritik aussetzen können, wenn das alles auch noch mit besagter Attitüde geschieht. Beachtet man dabei noch, dass der Beitrag von Frau Sandhu intellektuell mehr abverlangte als die Replik zum völkischen Empfinden. Welch Ironie.
Sehr geehrter Herr Shafaqyar,
Ihre Beiträge halte ich nicht in allen Punkten für gelungen, sie sind jedoch insofern hilfreich, als dass sie eine weitere Perspektive in die Diskussion einbringen.
Ihr wiederholter Hinweis auf eine “Attitüde” von Frau Hörnle, die sie als “historisch”, “kolonial” und “verletzend” bezeichnen, ist letzendlich das stärkste Argument gegen Ihren eigenen Standpunkt.
Ich habe diese Attitüde überhaupt nicht wahrgenommen. Der Hinweis auf Diktaturen löst bei mir eher die Erinnerung an Hitler aus, als beispielsweise Gedanken an das gegnwärtige politische System in Pakistan, dass ich als sehr zersplittert, aber im Hinblick auf die regelmäßigen Wahlen grundsätzlich demokratisch wahrnehme.
Ihr anderes Empfinden und das Erkennen einer “Attitüde” kann ich und will ich Ihnen aber deswegen nicht absprechen. Ich habe noch nie in Ihrer Haut gesteckt. Ich erlebe keine Alltagsdiskriminierung – auch keine positive -, was mit einer anderen Hautfarbe wahrscheinlich der Fall wäre.
Ihre recht scharfe und emotionale Reaktion bestätigt aber letzendlich genau eine zentrale Aussage von Frau Hörnle:
“… es wäre realitätsfremd, unbedingtes Vertrauen aller in die Unvoreingenommenheit oder Selbstdisziplin aller anderen vorauszusetzen.”
Sie selbst sind eben auch nicht unvoreingenommen, wenn Sie alleine auf der Basis dieses Artikels eine Diskriminierung bei der Prüfung durch Frau Hörnle befürchten. Sie zeigen hier eine Erwartungshaltung, die geradezu danach sucht in ihrem Mißtrauen bestätigt zu werden.
Darf ich Ihnen als “realem Menschen” hier nicht doch etwas mehr Selbstdisziplin abverlangen? Muss ich Ihnen wirklich so viel Verständnis entgegenbringen?
Warum verlassen Sie sich nicht auf die Inhalte und das Urteil der mündlichen Prüfung bei Frau Hörnle, statt ihr Voreingenommenheit und mangelnde Neutralität zu unterstellen?
Das ist doch genau die Forderung, die Sie selbst an die Prozessbeteiligten bei Richterninnen mit Kopftuch stellen.
Sie sehen, dass mit dem Vertrauen ist gar nicht so einfach. Es kann jede Sekunde weg sein …
“Es ist aus meiner Sicht wichtig, dieses Misstrauen gerade nicht gegen die Glaubensfreiheit in Stellung zu bringen, sondern vielmehr abzubauen und auf die „Einübung von gegenseitiger Toleranz“ (BVerfGE 108, 282 (310)) hinzuwirken.”
So wie man Liebe nicht erzwingen kann, kann man Toleranz nicht einklagen.
“ein Berliner Oberstaatsanwalt (der Stadt in der ich lebe) Funktionsträger bei der AFD ist oder wenn ich an die Justizvorgänge mancher ostdeutscher Länder denke”
Auch mir wird dabei Angst und Bange.
Gerade solche Ängste – so irrational sie sein mögen – zeigen auf, wieso eine vielleicht im Einzelfall auch als ungerecht empfundene Härte gegenüber den Dienern des Staates nötig ist. Denn der Bürger kann sich im Einzelfall kaum wehren: Dafür sind die Hürden für einen Befangenheitsantrag zu hoch.
[„Ihr anderes Empfinden und das Erkennen einer “Attitüde” kann ich und will ich Ihnen aber deswegen nicht absprechen. Ich habe noch nie in Ihrer Haut gesteckt. Ich erlebe keine Alltagsdiskriminierung – auch keine positive -, was mit einer anderen Hautfarbe wahrscheinlich der Fall wäre.“]
Das freut mich. Zum Thema „positive Diskriminierung“ würde ich Ihnen hingegen gerne noch einen unterhaltsamen Zugang ans Herz legen:
https://www.youtube.com/watch?v=dw_mRaIHb-M
Weil es offenbar doch Menschen zum Nachdenken anregen kann, noch eine Erwiderung:
[“Ihr wiederholter Hinweis auf eine “Attitüde” von Frau Hörnle, die sie als “historisch”, “kolonial” und “verletzend” bezeichnen, ist letzendlich das stärkste Argument gegen Ihren eigenen Standpunkt.”]
Ganz einem Blog gerecht werdend, möchte ich Ihnen gar nicht erst mit Luhmann, Foucault oder anderen Systemtheoretikern entgegnen. Sondern es etwas runterbrechen und Sie ein wenig zu weiterer Reflexion anregen:
Schon einmal vom sog. Tone policing gehört?
https://en.wikipedia.org/wiki/Tone_policing
Es hat stets auch eine soziologische/klassistische Komponente, seine eigene besondere ‘Kultiviertheit’ hervorzuheben und damit die dahinterstehende Aussage für das Ignorieren/Nichternstnehmen/Disqualifizierung von nervigen DiskursteilnehmerInnen zu bezwecken. Das ist so offensichtlich, dass es mir zu viel anstrengend geworden ist darauf Acht zu geben.
Stile und Herangehensweisen sind nämlich immer auch biographisch geprägt. Gerne können Sie Ihren Nachwuchs ja zu höchster Harmonieerhaltung erziehen. Aber nicht Jedermanns Fundament der Sozialisation und Prägung/Natur erlaubt es auf größtmögliche Harmonie – die, zynisch wie ich bin, für mich kein Selbstzweck ist – ausgerichtet zu sein (Vielleicht haben all die – Stichwort: “angry black/brown women und men” Grund etwas angry zu sein?).
Auch wissenschaftliches Interesse kann für den einen aus einem ‘Luxuriösitätsmoment’ heraus erwachsen sein, was beneidenswert ist (Oder aber vielleicht auch manchmal eher eine systemisch intendierte Beschäftigungstherapie für intellektuelle Ressourcen: http://www.intellectualtakeout.org/blog/why-professors-are-writing-crap-nobody-reads). Das hat dann entsprechende Auswirkungen auf die jeweilige “Streitkultur”. Das Interesse kann hingegen auch getrieben sein von einer Art Existenzialität, wo es dann dem Anspruch es nicht gerecht werden würde, Streit zu vermeiden um bloß das kuschelige Klima nicht in Gefahr bringen zu wollen.
[“Ich habe diese Attitüde überhaupt nicht wahrgenommen. Der Hinweis auf Diktaturen löst bei mir eher die Erinnerung an Hitler aus, als beispielsweise Gedanken an das gegnwärtige politische System in Pakistan, dass ich als sehr zersplittert, aber im Hinblick auf die regelmäßigen Wahlen grundsätzlich demokratisch wahrnehme.“]
Frau “Prof. Dr. Tatjana Hörnle” – die interessanterweise Wert darauf legt, dass unter den Kommentaren eines Blogbeitrags Ihre akademische Titel nicht fehlen dürfen – hat uns nun leider nicht die Ehre erwiesen klarzustellen, wie Sie das gemeint hat. Wenn Sie sich aber den Absatz (beginnend mit: „Frau Sandhu“,verstehe etwas nicht) noch einmal genauer durchlesen – Nicht nur von “Diktaturen”, sondern von irgendwelchen “Elitengesellschaften” war die Rede – könnten Sie da vielleicht Ihre Assoziation überdenken? Ein nicht weniger „unverschämter“, wenn auch vielleicht kultivierterer Ton – wie ich finde.
[“Sie selbst sind eben auch nicht unvoreingenommen, “wenn Sie alleine auf der Basis dieses Artikels eine Diskriminierung (…) durch Frau Hörnle befürchten.”]
Es ist nicht allein der Beitrag. Sondern die Gesamtschau der Person, Ihrer Forschungsinteressen und Themen und den aus meiner Sicht oftmals nicht gut gelungenen – da sehr ergebnisorientiert selektiv ausgesuchten – interdisziplinären Ansätzen. In gewisser Weise ‘interdiszlipinär’ ist ja auch der – dabei bleibe ich – nicht gelungene verfassungsrechtliche Exkurs einer Strafrechtlerin, die den Drang zur Äußerung zu einem – erneut sehr spezifischen Thema – hatte.
[Ihre recht scharfe und emotionale Reaktion bestätigt aber letzendlich genau eine zentrale Aussage von Frau Hörnle:
“… es wäre realitätsfremd, unbedingtes Vertrauen aller in die Unvoreingenommenheit oder Selbstdisziplin aller anderen vorauszusetzen.”]
Eben. Wollen wir aber nun beginnen Unvoreingenommenheiten gegeneinander aufzuwiegen?
[“Darf ich Ihnen als “realem Menschen” hier nicht doch etwas mehr Selbstdisziplin abverlangen? Muss ich Ihnen wirklich so viel Verständnis entgegenbringen?]
Meine Kernbotschaft bestand gerade darin zu zeigen, dass ich tagtäglich für alle möglichen Seiten Selbstdisziplin aufzubringen habe. Für die Kopftuchtägerin, (die mir wahrscheinlich noch befremdlicher ist als Ihnen, wie bereits gesagt) für Frau Hörnle, die, wenn ich mich nicht täusche Vorsitzende des Prüfungsausschusses der Fakultät ist/war. Für Horst Seehofer, dem die realen Menschen auch sehr am Herzen liegen. Aber auch muss ich Selbstdisziplin etwa dafür aufbringen, dass Dick Cheney oder Tony Blair auf freiem Fuß sind, aber Frau Hörnle sich ‚Ihres Systems‘ und Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit so erhaben fühlen muss.
[“Das ist doch genau die Forderung, die Sie selbst an die Prozessbeteiligten bei Richterinnen mit Kopftuch stellen.”]
Das ist ganz und gar nicht „meine Forderung“ gewesen. Ich würde mir selbstverständlich viel lieber den “undisziplinierteren” Weg aussuchen. Meine gesamte Botschaft bestand eher darin, an die Regeln, die uns (und mich) ja vielleicht genau davor wahren – uns dieser Undiszipliniertheit hinzugeben – ein Stück weit zu erinnern.
> Auch mir wird dabei Angst und Bange.
Warum?
Die AfD und ihre erdrutschartigen Wahlerfolge sind das Ergebnis eines demokratischen und zum Grundgesetz volkommen konformen Vorganges:
Viele Bürger finden sich durch die Parteien im Bundestag nicht mehr repräsentiert und tun das, was man bisher jedem geraten hat, bei dem diesen Gefühl aufkam: “Dann gründe halt deine eigene Partei.”
Offenbar haben die nun damit grandiosen Erfolg.
Man kann diese Partei begrüßen oder ablehnen. Wer ihr aber Rechte nehmen will, die andere Parteien haben, verabschiedet sich vom Grundgesetz.
@Shafaqyar @Populist Danke für den konstruktiven und höflichen Austausch, der sich von vielem unterscheidet, was sonst in letzter Zeit hier so zu lesen ist. So können kontroverse Diskussionen auch über weltanschauliche Gräben hinweg funktionieren.
Die Wahrnehmung der Kommentare von @Shafaqyar als “konstruktiv und höflich” finde ich überaus bemerkenswert!
Wer noch nicht genug hat: auf dem Blog des Berliner Arbeitskreises Rechtswirklichkeit bespricht Sophie Arndt europarechtliche Aspekte religiöser Neutralität und Bekleidungsvorschriften: http://barblog.hypotheses.org/1359
Wer aus dem linken Spektrum noch nicht genug hat und noch immer meint, Neutralität sei doof, kann man hier gucken:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article161318995/Dresdner-Richter-preist-oeffentlich-die-NPD-und-Hoecke.html
@dfwef: Ich habe mich missverständlich ausgedrückt. Mir ging es um den Austausch zwischen @Shafaqyar und @Populist, der anders als in vielen Fällen am Ende zivilisiert abgelaufen ist. Den ursprünglichen Beitrag von Herrn Shafaqyar habe ich damit nicht gemeint, ich finde ihn ziemlich kontraproduktiv und im Ton unangemessen.
“Die AfD und ihre erdrutschartigen Wahlerfolge sind das Ergebnis eines demokratischen und zum Grundgesetz volkommen konformen Vorganges”
Ich habe mit dem Post nicht behaupten wollen, dass die AfD undemokratisch sei – ob sie das ist, wird sich wahrscheinlich erst zeigen, wenn/falls Sie irgendwo Regierungsverantwortung übernimmt.
Aber auch demokratische Prozesse können zu Ergebnissen führen, die nicht jeder mag oder die bei sachlicher Betrachtung unsinnig wirken.
Und die AfD hat ein paar solcher Positionen, wozu ich bspw. die fehlende Abgrenzung gegenüber rechten Schreihälsen und die recht kühl wirkende Sozialpolitik zähle. Das sind Punkte, die ich für einen Staatsanwalt problematisch finde. Mitgefühl und klare Trennung von radikalen Positionen gehören zum Job des Staatsanwalts, gerade weil die Aufgabe eher zu Härte anhält und sich rein tatsächlich (ohne das hier bewerten zu wollen) häufig gegen Randgruppen richtet.
Ich persönlich glaube, dass die AfD dem Lande nicht gut tun würde. Das heißt nicht, dass es rechtswidrig wäre, dort Mitglied zu sein, sie zu wählen oder einige Ideen zu teilen. Ich selbst kann einige Sorgen gut nachvollziehen, die die Partei bedient. Aber insgesamt gefällt mir das Paket nicht gerade.
Gerade deswegen finde ich die Rufe nach Kopftüchern für Richter, Gebetsräumen an Universitäten usw. so gefährlich: Damit radikalisiert man die, die einen “stillen” Islam/Migranten zähneknirschend hinnehmen, aber einen “lauten” Islam/Migranten nicht.
Man mag es – wie hier ja auch kritisiert wurde – unfair finden, von Minderheiten zu verlangen, “leise” aufzutreten. Ist es auch – die Welt ist unfair. Wenn man es nicht tut, kommen Leute wie die AfD an die Macht. Das macht es nicht besser, sondern schlechter. So ist das Leben als Minderheit nun einmal in einem von Mehrheiten beherrschten System, auch bekannt als Demokratie.
Der VGH Kassel hat sich geäußert – pro Kopftuchverbot:
https://vgh-kassel-justiz.hessen.de/irj/VGH_Kassel_Internet?rid=HMdJ_15/VGH_Kassel_Internet/sub/52a/52a70cd4-e456-3c51-d064-8712ae8bad54,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm