Weniger selbstverständlich als es scheint: Einsperren ist Freiheitsentzug
Da kann man eigentlich auch selber drauf kommen: Wenn man jemand stundenlang in eine Haftzelle sperrt, dann ist das Freiheitsentzug. Mit der Folge, dass nach Art. 104 II GG ein Richter darüber zu entscheiden hat, ob und wie lange man eingesperrt bleibt, und nicht die Polizei.
Dass die tägliche Strafjustizpraxis bisweilen zu einer sonderbaren Rechtswahrnehmung führen kann, zeigen zwei heute veröffentlichte Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: Dabei ging es um eine Gruppe von Leuten, die sich auf einem leerstehenden Grundstück in Hamburg mit Bauwägen niedergelassen hatten. Die Polizei kam und ließ sich die Ausweise zeigen. So weit, so unproblematisch.
Anschließend aber wurden alle Anwesenden, etwa 80 Leute, verhaftet und aufs Revier gefahren und dort in Zellen gesperrt. Irgendwann tief in der Nacht wurden die Verhafteten dann fotografiert, dann ließ man sie laufen.
Das Landgericht Hamburg fand das völlig in Ordnung: Die Fotos seien nötig gewesen für die bevorstehenden Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch, und weil es so viele Leute waren, habe das eben ein bisschen gedauert. Und von Freiheitsentzug könne keine Rede sein, weil es sich nur um unmittelbaren Zwang zum Zwecke der erkennungsdienstlichen Behandlung gehandelt habe.
Die 1. Kammer des Ersten Senats konnte dagegen weit und breit keinen guten Grund erkennen, Leute über Stunden in Gefängniszellen zu sperren, nur um am Schluss ein paar Fotos von ihnen zu schießen. Die Kläger hatten sich mit ihrem Personalausweis ausgewiesen, damit war die Feststellung ihrer Identität gesichert.
Und natürlich, betont die Kammer, sei es Freiheitsentziehung, wenn man Leuten ihre Freiheit entzieht:
Das Festhalten des Beschwerdeführers in Gewahrsamszellen auf der Polizeiwache und im Polizeipräsidium sowie die jeweilige Verbringung dahin stellen eine vollständige Aufhebung seiner Bewegungsfreiheit dar. Dabei stellt der Einschluss in Zellen den typischen Fall der hoheitlichen Freiheitsentziehung dar, den das Grundgesetz unter die besonderen Voraussetzungen des Art. 104 Abs. 2 GG stellen wollte.
Foto: Melissa O’Donohue, Flickr Creative Commons
Da hat man sich in Hamburg offenbar von der berüchtigten französischen Garde à vue inspirieren lassen.
Zum Skandal im Skandal, nämlich dem Verfassungsverstoß durch das Bundesverfassungsgericht: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2011/04/06/stundenlang-einsperren-geht-nur-mit-gutem-grund/#comment-474293
Wer nun meint, ein Verfassungsverstoß durch das BVerfG müßte strukturell ungesühnt bleiben, der mag sich wundern, daß das BVerfG selbst das Gegenteil vertritt: http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=2%20BvR%20750/06
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