Auf der schiefen Bahn
Die Paritätsgesetzgebung nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts Brandenburg
Brandenburg und Thüringen haben 2019 als erste Bundesländer die politischen Parteien gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Kandidatenlisten paritätisch aufzustellen. Das Verfassungsgericht Thüringen hatte das Landesgesetz in Thüringen am 15.7. 2020 kassiert (VerfG 2/20), am 23.10.2020 hat nun auch das Verfassungsgericht Brandenburg das Landesparitätsgesetz einstimmig für verfassungswidrig erklärt (Az.: VfGBbg 9/19, VfGBbg 55/19). Der Versuch, die Parteien und ihre Mitglieder bei der Kandidatenauswahl inhaltlichen Vorgaben des Gesetzgebers zu unterwerfen (zusammenfassend Laskowski), war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Freiheit der Parteien und ihrer Mitglieder nach Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG, und die für die Kandidatenwahl geltende Freiheit und Gleichheit der Wahl gemäß Art 38 Abs. 1 S. 1 GG, lassen inhaltliche staatliche Vorgaben für dieses Auswahlverfahren seitens des staatlichen Gesetzgebers grundsätzlich nicht zu. Sie kollidieren insbesondere mit der von Grundgesetz geschützten Staatsfreiheit und Autonomie der Parteien bei Fragen der programmatischen Ausrichtung und den damit untrennbar verbundenen personellen Entscheidungen.
Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als Grundlage der Paritätsgesetzgebung?
Eine Beschränkung der Staatsfreiheit und der Autonomie der Parteien bei inhaltlichen und personellen Entscheidungen lässt sich nicht über das Gebot der Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG (und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen) rechtfertigen. Weder die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG noch eine erweiternde Auslegung im Sinne der aktuellen Paritätsgesetzgebung sprechen dafür, die Norm auch auf den politischen Willensbildungsprozess (politische Parteien und Parlament) anzuwenden. Die Paritätsgesetzgebung verkennt den grundlegenden Unterschied zwischen Quotenregelungen bei Personalentscheidungen und im Prozess der politischen Willensbildung. Berufsbezogene Quotenregelungen sind zwar grundsätzlich zulässig, sofern sie nicht starr ergebnisorientiert sind (Hömig/Wolff, Grundgesetz 12. A. 2018, Art. 3 Rn. 18), die Freiheit der Parteien und ihrer Mitglieder bei Kandidatenauswahl gemäß Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG i.V. mit dem Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 und 2 GG entfaltet hingegen eine grundsätzliche Sperrwirkung, wenn es um inhaltliche Vorgaben des Gesetzgebers für die Bestimmung von Kandidaten zu den Wahlen geht. Staatliche Vorgaben zur Parität von Frauen und Männern für die Kandidaten überschreiten den zulässigen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei wahlrechtlichen Regelungen und sind verfassungswidrig (Lübbe-Wolff, Die Zeit, 22.10.2020; Morlok/Hobusch, NVwZ 2019, 1734 ff.). Das Argument, Parteien seien „keine Privatvereine“ und müssten sich gesetzliche Vorgaben für die Kandidatenauswahl gefallen lassen, um den Anteil der Frauen in der Gesellschaft widerzuspiegeln, kann auch nicht überzeugen. Es ist viel zu undifferenziert und weder bezogen auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen noch die Schlussfolgerungen tragfähig, wie es jetzt auch das Verfassungsgericht Brandenburg festgestellt hat.
Das Gebot, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern, lässt sich nicht auf den politischen Willensbildungsprozess übertragen. Zudem unterliegen die Parteien als nicht-staatliche Träger keiner Bindung an Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, weshalb bereits die Grundvoraussetzungen für eine Abwägung zwischen dem Gebot der Förderung der Gleichberechtigung und der Freiheit der Parteien fehlen. Selbst wenn man dies anders sieht, verbieten die Wahlgrundsätze der Freiheit und Gleichheit aus Art. 38 Abs. 1 GG (und die landesverfassungsrechtlichen Regelungen) inhaltliche Vorgaben des Gesetzgebers im Wahlprozess. Der Verweis auf vom Bundesverfassungsgericht zugelassene Einschränkungen dieser Wahlgrundsätze verkennt, dass die Paritätsgesetzgebung nicht mit den sonstigen eng gefassten Ausnahmefällen zu Fragen des Wahlsystems (BVerfGE 95, 408 (418); 120 82 (106 f.); 131, 316 (335)) vergleichbar ist (von Ungern-Sternberg). Die Rechtsprechung betont zwar die Integrationsfunktion der Wahlen, diese bezieht sich aber stets auf das Wahlsystem selbst, und nicht auf inhaltliche Vorgaben des Gesetzgebers wie bei der Paritätsgesetzgebung.
Paritätsgesetzgebung setzt Grundgesetzänderung voraus
Deshalb wird auch das Bundesverfassungsgericht nicht anders entscheiden als die Landesverfassungsgerichte. Die Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts Thüringen sind nicht nur unbegründet und realitätsfern, sondern auch ihre Zulässigkeit ist zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht hat das Demokratiemodell des Grundgesetzes bereits in vielen Entscheidungen konkretisiert. Eine vom Staat vorgegebene Gruppenrepräsentanz im Parlament außerhalb des Verfahrens freier und gleicher Wahlen ist diesem Modell völlig fremd, weshalb zwingend eine Grundgesetzänderung gemäß Art. 79 Abs. 2 GG erforderlich wäre (von Ungern-Sternberg). Diese würde allerdings weitere Fragen nach der sachlichen Tragfähigkeit und den Grenzen einer derartigen Grundgesetzänderung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG aufwerfen.
In anderen Bereichen gibt es durchaus stimmige und erfolgreiche Versuche, rechtliche Bestimmungen, die objektiv als Herrschaftsinstrument zur Unterdrückung von Minderheiten oder strukturell benachteiligten Gruppen dienen, in emanzipatorischer Weise neu zu interpretieren. Im Falle der Paritätsgesetzgebung stehen dem jedoch die fest umrissenen Vorgaben des demokratischen Willensbildungsprozesses entgegen. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes enthält auch keine rechtliche Verpflichtung, die Gesellschaft – die zu 51,7 % aus Frauen besteht – spiegelbildlich im Parlament abzubilden. Das hat im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang ausdrücklich betont (BVerfGE 118, 277 (333)).
Auch die Forderung nach einem effektiven Einfluss von Frauen im Sinne einer „materiellen Demokratie“ (so Röhner), räumt das Problem der Paritätsgesetzgebung nicht aus. Denn im Ergebnis wird auch hier eine Gruppenvertretung eingefordert, die im Rahmen der bestehenden repräsentativen Ordnung des Grundgesetzes nicht umsetzbar ist. In der Debatte wird oft die Frage „Welche Demokratie wollen wir ?“ mit der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Paritätsgesetzgebung vermischt. Auch mit Blick auf die zahlreichen Paritätsregelungen in anderen europäischen Ländern wird jetzt eine Debatte zu der Frage geführt werden, ob eine Grundgesetzänderung in dieser Frage erstrebenswert (dazu Volkmann) und letztlich auch zulässig wäre. Diese Frage wurde in der bisherigen Debatte überwiegend nur schlagwortartig gestreift („Rückfall in den Ständestaat“ contra Perspektive einer „materiellen Demokratie“). Dabei kann es aber nicht nur um die Frage der Paritätsgesetzgebung gehen, sondern um die Grundsatzfrage, wie tragfähig das repräsentative Demokratiemodell für eine Gruppenrepräsentation ist. Im Rahmen dieser Debatte muss der von Mangold gestellten Frage zu Kosten und Nutzen eines gruppenbasierten Ansatzes näher nachgegangen werden (Mangold, in: Eckertz–Höfer/Schuler–Harms (Hrsg.), Gleichberechtigung und Demokratie – Gleichberechtigung in der Demokratie, 2019, S. 109 ff. (124).
Repräsentationslücken und die soziale Ordnung des Grundgesetzes
Die Zusammensetzung des Parlaments weist zahlreiche soziale „Repräsentationslücken“ auf. Teilweise sind sie sogar deutlich größer als bei dem Anteil von Frauen in den Parlamenten, etwa unter dem Aspekt der in hohem Maße parteiübergreifenden akademischen Mittelschichtorientierung (s. etwa Schmidt, Das politische System Deutschlands, 3. A. 2016, S. 140 ff.). Bei der Suche nach Möglichkeiten, diese Repräsentationslücken zu schließen, ist auch eine gesetzlich vorgegebene Gruppenrepräsentation immer mal wieder in der Diskussion. Sie ist aber nicht ernsthaft Gegenstand rechtspolitischer Konzepte, da das repräsentative Demokratiemodell des Grundgesetzes dem entgegensteht.
Sich allein auf Geschlechterparität im Parlament zu konzentrieren, ist auch deshalb sachlich und rechtlich nicht tragfähig, da damit eine exklusive Gruppenrepräsentation verbunden wäre, die andere Repräsentationslücken ausblendet (Lübbe-Wolff, Die Zeit, 22.10.2020). Teilweise wird darauf verwiesen, dass das Grundgesetz nur für Frauen eine besondere Förderung vorsehe (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG), nicht aber für andere sozial benachteiligte Gruppen. Das ist allerdings nicht nur sachlich fragwürdig, sondern verkennt auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen der sozialen Ordnung des Grundgesetzes. Denn das 1994 in das Grundgesetz aufgenommene Fördergebot in Art. 3 Abs. 2 S. 2 2 GG konkretisiert lediglich das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG, das fordert, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Freiheit über die bloße formale rechtliche Freiheit hinaus für alle sozial Benachteiligten zu schaffen und auszubauen (Jarass, in: Jarass/Pieroth, 15. A. 2018, Art. 20 Rn. 159 f.).
Bei der Begründung der Paritätsgesetzgebung, die Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als exklusive Förderbestimmung für Frauen interpretiert, geht dieser Zusammenhang zwischen Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG und dem Sozialstaatsgebot verloren. Eine emanzipatorische Verfassungsinterpretation kann nur für solche Projekte beansprucht werden, die der Perspektive einer „materiellen Freiheit für alle“ verpflichtet sind. Wird dagegen Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als exklusive Förderbestimmung für Frauen zur Beseitigung struktureller Nachteile gegenüber Männern interpretiert, und ein gleichgerichteter Anspruch anderer sozial Benachteiligter verneint, gerät das Projekt der Parität von Frauen und Männern in Parteien und Parlament verfassungsrechtlich und rechtspolitisch auf eine schiefe Bahn (Morlok/Hobusch, NVwZ 2019, 1734 ff.). Dazu kommt, dass Frauen zwar gemeinsame Interessen in der Frage der Gleichberechtigung gegenüber Männern und sonstigen Diskriminierungen haben, zugleich aber eine diverse Gruppe darstellen. Sozial marginalisierte Frauen sind zusätzlichen Benachteiligungen ausgesetzt. Ohne nachhaltige Verbesserung ihrer Ressourcen sind sie (wie Männer in vergleichbarer sozialer Lage) von einer politischen Teilhabe bereits weit unterhalb der Frage einer Kandidatur auf Wahllisten ausgeschlossen, da die materiellen Voraussetzungen für den Freiheitsgebrauch unzureichend sind.
Offene Wahllisten als Perspektive?
Der Gesetzgeber kann den Frauenanteil im Parlament nur mittelbar erhöhen, das heißt ohne dass er auf die Besetzung der Listen der Parteien einwirkt. Ein verfassungsrechtlich möglicher Weg verläuft über eine Wahlrechtsreform, die den Wählern mit der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens einen stärkeren Einfluss auf die Kandidatenlisten einräumt. Der Übergang von den bisherigen starren zu offenen Listen, die den Bürgern einen stärkeren Einfluss auf die Rangfolge der Kandidaten in den Listenplätzen ermöglicht, ist verfassungsrechtlich zulässig, da der Gesetzgeber selbst die Wahllisten dann nicht inhaltlich beeinflusst. Eine derartige Wahlrechtsreform eröffnet gerade auch Wählerinnen mehr Einfluss auf die Reihenfolge der Listenbesetzung durch die Parteien.
Die aktuelle Paritätsgesetzgebung setzt neben den Parteien zusätzlich den Gesetzgeber als Mitakteur bei der Besetzung der starren Listen ein, ohne den Wählern selbst größere Einflussmöglichkeiten zu eröffnen. Ein Grund dafür ist, dass starre Listen verbunden mit der Paritätsvorgabe die angestrebte Parität im Parlament zielsicher erreichen können, während aus der Abkehr von starren Listen ohne gesetzliche Quotenregelung nach den Erfahrungen auf kommunaler Ebene kein sicherer Vorteil für Listenkandidatinnen folgt (Mehr Demokratie e.V.). Als Alternative zur verfassungswidrigen Paritätsgesetzgebung könnte die Abkehr von starren Listen aber auf gesetzlichem Weg Bewegung in die Kandidatenbesetzung der politischen Parteien bringen. Die „Risiken“, die mit der verstärkten Einflussnahme der Wähler verbunden sind, wären dann als „Preis“ zu zahlen. Dies steht im Einklang mit demokratischen Ordnung, die auf Chancengleichheit und nicht auf gesetzlich vorgeschriebene Parität angelegt ist. Die Ergebnisse der Forschung deuten zudem darauf hin, dass sich offene Listen perspektivisch wohl durchaus vorteilhaft für Frauen auswirken können (Mehr Demokratie e.V.).
Die Kombination von gesetzlicher Ergebnisparität und starren Wahllisten ist auch nicht verfassungsrechtlich zulässig, solange sich der Gesetzgeber nicht für eine Abkehr von starren Listen entscheidet (Brosius-Gersdorf). Dieser Rettungsanker für die Paritätsgesetzgebung, der vor allem auch die Begründungsschwächen der aktuellen Paritätsgesetzgebung widerspiegelt, erlegt dem Gesetzgeber ebenfalls eine nicht verfassungsrechtlich begründbare Verpflichtung zur Parität auf. Dennoch weist dieser Ansatz in die mögliche Richtung einer Reformgesetzgebung, die den Wählern stärkeren Einfluss auf die Wahllisten (und weitergedacht vor allem auch auf die Besetzung der noch weit wichtigeren Wahlkreiskandidaten durch geschlechtsgemischte Tandems) eröffnet. Bei einem derartigen Reformmodell wären rechtspolitisch allerdings auch die Belange der Parteien zu reflektieren. Diese haben ein nachvollziehbares Interesse daran, zumindest die Spitzenkandidaten auf Grund des angestrebten Profils der Partei in den Wahlen und danach auf der Wahlliste abzusichern. Eine derartige Reform ist politisch möglich, aber nicht verfassungsrechtlich zwingend, da das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt hat, dass starre Wahllisten keineswegs demokratiewidrig sind, sondern eine verfassungsrechtlich zulässige Wahlrechtsregelung im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BVerfGE 122, 304 (314); 47, 253 (283) m.w.N.).
Verbesserte Rahmenbedingungen für die politische Tätigkeit von Frauen
Um die Teilhabe von Frauen unterhalb der Paritätsgesetzgebung zu stärken, müssen vor allem die Rahmenbedingungen für die politische Arbeit von Frauen innerhalb der Parteien und Parlamente verändert werden. Überkommene, nominierungsrelevante Faktoren wie langfristiges und zeitintensives Engagement in einer Partei begünstigen Männer und sind eine wesentliche Ursache für die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Parteipolitisches Engagement ist nämlich oft nicht mit Familienarbeit vereinbar, die auch heute noch zum größten Teil Frauen bewältigen. Außerdem können neue Partizipationsangebote, nicht nur bezogen auf die Mitarbeit von Frauen, aber gerade auch von Frauen, die Mitgliedschaft in politischen Parteien attraktiver machen (Höhne, APuZ 38/2020). Entscheidend für eine stärkere Repräsentanz von Frauen in der Politik ist nämlich der Anteil von Frauen unter den Parteimitgliedern, vor allem bei den Parteien, die in dieser Frage deutliche Defizite aufweisen (CDU mit nur 25 % weiblichen Parteimitgliedern, was auch Streitfragen bei der gegenwärtigen Quotendebatte auslöst). Bei all diesen Fragen ist allerdings zu beachten, dass „Frauen“ eine sehr diverse Gruppe darstellen, und vor allem sozial marginalisierte Frauen ohne Optimierung ihrer Ressourcen kaum Chancen auf politische Teilhabe haben, selbst wenn formale Beteiligungsrechte erweitert werden.
Der Streit über weitere parteiinterne Quotierungsregelungen kann nur innerhalb der Parteien selbst ohne gesetzliche Einwirkung ausgetragen werden. Dass die stärkere Berücksichtigung von Frauen (zunehmend) eine hohe innerparteiliche Akzeptanz bei den meisten Parteien findet, legt nahe, dass sich der Frauenanteil künftig auch ohne gesetzlich verbindliche Regelung erhöhen wird. Wie sich die Quotendebatte innerhalb der CDU/CSU entwickelt, wird auch für die Gesamtentwicklung von Bedeutung sein. Umgekehrt gehört es zur Freiheit der Parteien, wenn sie sich Quotierungen widersetzen (teils auch unter Zustimmung von Frauen in den Parteien) und sich auf diese Weise in der Parteienkonkurrenz und gegenüber den Wählern ihr spezielles Profil schaffen.
Ich frage mich weshalb mein Kommentar vom 27. Oktober bis jetzt nicht veröffentlicht wurde. Ist meine Kritik am deutschen Wahlsystem unerwünscht? Oder ist sie zu weitgehend? Bitte beachten Sie, dass ich deutsche akademische Forscher, welche zwar von der parteipolitischen angehauchten Konsensus-Wahldogmatik ignoriert werden, zitiere. In Deutschland lässt man den Einfluss, welche die meines Erachtens allzu kompromissbereite Rechtsprechung des BVerfGs in Thema starre Wahllisten auf die Wahlsysteme anderer Länder ausübt, außer Acht. Ich lebe in Italien. Die kommentierte Rechtsprechung zur Parität auf den Wahllisten hat jetzt endlich das Problem der starren Listen aufgeworfen. Wolfgang Hecker stellt sich gezwungener Weise die Frage, ob die neue Rechtsprechung, wenn sie vom BVerfG bestätigt würde, den Bundesrat nicht zwingen würde die starren Listen mit einer vollständig personalisierten Verhältniswahl zu ersetzen. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit Wahllogik und Wahlsystemanalyse und verteidige diese kritische Analyse del starren Listen seit jeher. Starre Wahllisten sind mit der klassischen freiheitlichen Wahl- und Demokratietheorie (Condorcet, Mill, Hare, D’Hondt, Hagenbach-Bischoff, Arrow) unvereinbar.
Bitte sagen Sie mir ob und gegebenenfalls wann Sie meinen Kommentar veröffentlichen. Oder sagen Sie mir bitte warum Sie ihn nicht veröffentlichen.
Mein Kommentar (leicht verbesserte Version):
Ich bin grundsätzlich mit dieser sehr genauen Analyse einverstanden, versuche aber über das positive Recht Deutschlands hinaus zu denken. Ein chinesisches Sprichwort sagt, dass das was man schlecht anfängt, selten gut aufhört. Das Paritätsproblem im Wahlgesetz ist ein Produkt der starren Listen, nicht nur in Deutschland. Starre Listen sind undemokratisch. Repräsentative Demokratie setzt freie und gleiche Wähler die zwischen gleichen Kandidaten freie und gleiche Abgeordnete welche keinem Mandatszwang unterstehen voraus. Starre Listen verletzen diese Grundsätze (auch wenn sie in der Rechtsprechung des BVerfGs nicht verfassungswidrig oder demokratiewidrig sind). Sie sind ein Überbleibsel des Parteienstaates (Leibholz, Kelsen; Kritik: Emmanuel Towfigh, Old Weimar … 2012; Das Parteienparadox … 2015). Sie würden einer ernsthaften Prüfung aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht standhalten. Sie sind vor allem nicht notwendig (nicht einmal für Listen-Verhältniswahl). Sie dienen keinem legitimen politischen Ziel (Listen-Verhältniswahl ist von einer de facto Bestimmung der Abgeordneten durch die Partei zu unterscheiden). Es geht letztendlich nicht um die „vom Grundgesetz geschützte Staatsfreiheit und Autonomie der Parteien“, sondern um die noch grundsätzlichere personelle Freiheit der Wähler, Kandidaten und Abgeordneten, inklusiv in politischen Parteien, auf Wahllisten oder in Bundestagsfraktionen. Eigentlich hat Deutschland von Anfang an kein demokratisches Wahlsystem (Volker von Prittwitz, 2011, http://www.bpd.de, Hat Deutschland ein demokratisches Wahlsystem? Meine Analyse in Comment réformer le système électoral luxembourgeois, 2019, Legitech). Eine vollständig personalisierte Verhältniswahl (Volker von Prittwitz, 2003, http://www.bpd.de) etwa nach finnischem Model könnte das Problem lösen. Ohne starre Listen würde sich die Paritätsproblematik ganz anders stellen.
Linkkorrektur: Prof. Volker von Prittwitz’ zwei Artikel sind 2003 und 2011 in der Bundesanstalt für politische Bildung, http://www..bpb.de, veröffentlicht worden.