16 January 2016
Dem Freistaat zum Gefallen: über Udo Di Fabios Gutachten zur staatsrechtlichen Beurteilung der Flüchtlingskrise
Unter großer medialer Aufmerksamkeit wurde in dieser Woche ein von der Bayrischen Staatskanzlei in Auftrag gegebenes Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio vorgestellt. Darin wird die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisiert und dem Freistaat in Aussicht gestellt, gegen das aktuelle Grenzregime in Karlsruhe erfolgreich zu klagen. Während die Presse damit die Position Bayerns gestärkt sah, bestätigt eine kritische Lektüre diesen Eindruck kaum. Der juristische Gehalt des Gutachtens ist erstaunlich dürftig. Dies gilt sowohl für die staatstheoretische Herleitung einer Pflicht des Bundes gegenüber den Ländern auf wirksame Einreisekontrollen (1.) als auch für die These, dass systemische Defizite des Schengen/Dublin-Systems zu Selbsthilfe- und Gegenmaßnahmen Deutschlands berechtigten (2.). Continue reading >>
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15 January 2016
Gemischte Abkommen der EU: Chance auf mehr parlamentarische Beteiligung
TTIP, CETA – Handelsabkommen der Europäischen Union werden derzeit heiß diskutiert. Nicht nur was drinsteht, sondern auch wie sie zustande kommen, ist umstritten. Eine politisch wie juristisch besonders interessante Frage ist dabei, ob der Bundestag solchen Abkommen zustimmen muss. Diese Frage stellt sich im Moment nicht bei den prominenten Beispielen TTIP und CETA, sondern bei dem sonst wenig beachteten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen den westafrikanischen Staaten, ihrer Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA und der EU und ihren Mitgliedstaaten. In dieser Woche hat der Bundestag dazu in einer öffentlichen Anhörung des Rechts- und Verbraucherausschusses ein halbes Dutzend prominenter Staats- und Völkerrechtler befragt. Continue reading >>12 January 2016
Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum – Rechtslage und Reformbedarf in Deutschland
Die massenhaften sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und Hamburg haben eine Debatte über den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung im öffentlichen Raum angestoßen, die als solche längst überfällig war – wenn auch gewiss nicht ihre Instrumentalisierung für rassistische Politiken oder einen Sicherheitsstaat mit totalitären Zügen.[i] Allerdings fehlen in dieser Debatte nicht nur Kenntnisse über das tatsächliche Geschehen und seine Hintergründe, sondern es gibt auch große Unsicherheiten bezüglich der Rechtslage. Im Folgenden soll daher die Rechtslage zu sexueller Belästigung[ii] im öffentlichen Raum in Deutschland kurz dargestellt und möglicher Reformbedarf identifiziert werden. Continue reading >>Vom Recht der Opposition auf Oppositionsrechte
Muss die Mehrheit der Minderheit genügend Rechte geben, dass es in Deutschlands Demokratie eine effektive Opposition gibt? Darüber wird morgen vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts mündlich verhandelt. Die Fraktion DIE LINKE hatte ein Organstreitverfahren angestrengt, um geklärt zu wissen, ob die derzeitigen Quoren für die Oppositionsrechte im 18. Deutschen Bundestag verfassungsmäßig sind. Continue reading >>06 January 2016
Zur integrativen Kraft des Religionsrechts: Subventionen statt Staatsleistungen?
Die hohe Zahl der nach Europa fliehenden Muslime beflügelt die Angst vor Integrationsproblemen. Wie kann ein weltanschaulich neutraler Staat verhindern, dass Religionsfreiheit von Misstrauen zersetzt und demokratisches Zusammenleben durch fundamentalistische Glaubensvorstellungen gefährdet wird? In einem kürzlich erschienenen Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung setzt Christian Waldhoff auf die integrative Kraft staatskirchenrechtlicher Kooperation und schlägt vor die Verfassung zu ändern. Anstelle historisch begründeter Staatsleistungen an die Kirchen sollten zukünftig Religionssubventionen treten, von denen auch Muslime profitieren könnten. Was ist von diesem Vorschlag zu halten? Continue reading >>01 January 2016
Polish Constitutional crisis goes to Europe – or does it?
The latest move by the Polish government in its attempt to disembowel the Constitutional Court looks, on first sight, like a conciliatory gesture: The Minister of Foreign Affairs has submitted two proposals amending the Act on the Constitutional Court to examination by the Venice Commission, the expert body on constitutional issues of the Council of Europe. Does this turn to Europe signal a change of heart in the revolutionary zeal on the part of the Polish government? Not so fast. On closer inspection, the request appears conspicuously ambiguous. The motion does not even specify in sufficient detail what text(s) the Venice Commission is to provide its opinion on. Continue reading >>29 December 2015
Brasilien: Institutionelle Eigenheiten der politischen Krise
Brasilien erweckt derzeit durch Krisennachrichten Aufmerksamkeit. Die Wirtschaftszahlen sind schlecht. Nicht enden wollende Korruptionsskandale und ein Amtsenthebungsverfahren gegen die 2014 wiedergewählte Präsidentin Dilma Rousseff halten das eben noch als „Wirtschaftsmacht der Zukunft“ gepriesene Land in Atem. Bei einem Kurzbesuch 2015 konnte ich mir nicht nur über die immer wieder erstaunliche brasilianische Vitalität einen Eindruck verschaffen, sondern auch feststellen, wie niedergeschlagen Politik und Land eingeschätzt werden. Continue reading >>
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24 December 2015
Frankreich im Ausnahmezustand: Eine Verfassungsänderung à la française
Ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk? Am 23. Dezember 2015 legte der französische Ministerrat den Vorschlag für die Aufnahme zweier neuer Artikel in die Verfassung vor. Sorgen bereitet vor allem die Konstitutionalisierung der Notstandsbefugnisse der Exekutive, die künftig in der Verfassung geregelt sein sollen. Insbesondere die weitreichenden polizeilichen Befugnisse führen zu einer Machtverschiebung zugunsten der Exekutive und stellen ein Einfallstor für schwerwiegende Beschränkungen von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten dar. Durch die Konstitutionalisierung des Notstands wird die (verfassungs-)gerichtliche Überprüfbarkeit der Maßnahmen deutlich eingeschränkt. Continue reading >>23 December 2015
Chess-boxing around the Rule of Law: Polish Constitutionalism at Trial
In the conflict between the Polish government and the constitutional court, we are watching a sort of chess-boxing, a hybrid game consisting of rounds in chess and boxing, where the parties attempt to outsmart the opponent and if this doesn’t help, they simply punch. Contravention of the division of powers and disregard for the idea of limited government has repeatedly been perpetrated by the ruling party Law & Justice and “their” President Duda. It remains to be seen if the attempts made are understood by the perpetrators as a tool to facilitate party’s short-term objectives or as an ultimate goal to redesign Poland’s institutional order. Continue reading >>22 December 2015
Die EU rüstet auf: Außengrenzschutz der nächsten Generation
Als Teil eines umfassenden Legislativpakets schlägt die Europäische Kommission vor, notfalls auch ohne oder gegen den Willen des betroffenen europäischen Küstenstaates EU-Grenzschutzoperationen durchzuführen. Der erwartete Aufschrei potentiell betroffener Staaten zum Erhalt ihrer domaine reservé in Sachen souveräner Grenzsicherung ließ nicht lange auf sich warten. Der Vorschlag bringt zwar einige Neuerungen. Letztendlich vertieft die Kommissionsvision allerdings nur die hybride Grenzschutzstruktur, statt (endlich) den Weg eines konsequenten einheitlichen supranationalen Grenzschutzes einzuschlagen. Continue reading >>
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21 December 2015
Mit Kanonen auf Spatzen: zur Neuregelung der Parteienfinanzierung
Am letzten Donnerstag hat der Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition die Neuregelung der Parteienfinanzierung beschlossen. Auf den ersten Blick füllt sie nur u.a. eine Lücke im bisherigen Recht, die es der AfD erlaubte, über einen dubiosen Goldhandel zusätzliche staatliche Mittel zu erhalten. Auf den zweiten Blick hat es die Neuregelung aber in sich: Bei Verstoß gegen die Rechenschaftspflicht droht künftig der Verlust des Parteienstatus. Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Parteifreiheit. Continue reading >>
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“Court-packing” in Warsaw: The Plot Thickens
The wheels of Polish constitutional upheaval keep rolling relentlessly and in one direction – to the full dismantling and paralyzing the Constitutional Court and all it stands for. However, it is not just the tempo itself of the legislative process that is out of ordinary, but the ruthlessness with which the new majority carries out its plan. A new chapter in obliterating the Court was added on 15th of December, 2015 when the majority came forward with a draft of the amendments to the Law on the Constitutional Court. Continue reading >>
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L’état d’urgence in the wake of the Paris attacks and its judicial aftermath
With the shock of the Paris attacks still fresh, further images started to flood the media in their immediate aftermath: Soldiers were not only seen boarding Rafale fighter jets but also patrolling the streets in France and Belgium, police raids were and are still conducted day and night throughout France, numerous arrests were made and even more people set under house arrest. Those internal executive measures in France are based on the déclaration de l’état d’urgence (in parts already discussed here). Now that the situation slightly calmed down, but with the state of emergency still enacted, the first administrative court decisions on those measures are in, deeming the police behavior just on all points. Continue reading >>
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17 December 2015
Schengen und die versteckte Wiedereinführung der Grenzkontrollen
Verstößt es gegen Schengen, dass Busunternehmen gezwungen werden, die Pässe ihrer Kund/innen zu kontrollieren? Gut möglich, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden und dem Antrag eines Busunternehmen stattgegeben, das eine derartige Verfügung erhalten hatte. Das Verfahren ist über Deutschland hinaus von Bedeutung und könnte sich auch auf die Strafbarkeit des Schleusens auswirken, wenn man das Antidiskriminierungsrecht hinzuzieht. Continue reading >>
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15 December 2015
European Defence: Myth or Reality?
After the attacks of November 13, the French President François Hollande called for Europe’s help in the fight against ISIS and islamist terror. Europe justified its inaction by arguing that the Treaties leave no choice. Especially, Article 42 would only make viable the intergovernmental procedure, i.e. bilateral agreements that every state should stipulate with France. It cannot be neglected, though, that the first six paragraphs of Article 42 draw a common strategy in the defence and foreign affairs sectors, which has to be followed with the consent of all the States. Now, this shared – even if not exclusive – competence of the EU was not triggered. Why not? Continue reading >>
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European Defence: Myth or Reality?
After the attacks of November 13, the French President François Hollande called for Europe’s help in the fight against ISIS and islamist terror. Europe justified its inaction by arguing that the Treaties leave no choice. Especially, Article 42 would only make viable the intergovernmental procedure, i.e. bilateral agreements that every state should stipulate with France. It cannot be neglected, though, that the first six paragraphs of Article 42 draw a common strategy in the defence and foreign affairs sectors, which has to be followed with the consent of all the States. Now, this shared – even if not exclusive – competence of the EU was not triggered. Why not? Continue reading >>
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11 December 2015
“We are not in a Seminar”: Some Thoughts on the Legislative’s and Executive’s Prerogative in Determining International Law
"We are not in a seminar but in parliament": With these words the German Minister of Foreign Affairs has tried to brush aside international law arguments against the deployment of German soldiers within the fight against ISIS. To put these propositions in a nutshell: France feels that it has been attacked and this is sufficient for invoking self-defense. In any case it does not matter what international law precisely says. Both of these suggestions are more than dubious. Continue reading >>
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Eine “Charta der Grundrechte für die digitale Zeit”, und warum wir sie brauchen
“Ich surfe, also bin ich.” Das ist nach der Internet-Milieu-Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet das neue Credo der sogenannten Digital Natives. Auch das Verfassungsrecht reagiert auf diese Entwicklung. Das Internet ist heute auch “Grundrechtsverwirklichungsnetz“. Entsprechend laut werden die Rufe nach neuen Katalogen digitaler Grundrechte. Jüngst hat auch der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz eine “Charta der Grundrechte für die digitale Zeit” gefordert. Macht eine solche Charta Sinn? Was kann sie leisten? Wie weit soll sie reichen? Und wer soll sie ausarbeiten? Continue reading >>
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10 December 2015