Der Gesetzgeber ist gefordert! Ein Vorschlag zur Regelung der Zirkumzision im „Gesetz über die religiöse Kindererziehung“
Die Entscheidung des LG Köln vom 07.05.2012 in der Rechtssache Wa. 151 Ns 169/11 hat im In- und Ausland ein lebhaftes Echo gefunden [Auf dem Verfassungsblog kommentierten bislang Maximilian Steinbeis, Hans Michael Heinig und Georg Neureither, A.K.]. Deutschland droht nicht weniger als ein veritabler Kulturkampf. Die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland ist ernsthaft bedroht – nachdem man mit der gezielten Zuwanderung von Juden aus den ehemaligen GUS-Staaten und den damit verbunden erheblichen Integrationsanstrengungen doch gerade diese Zukunft staatlicherseits sichern wollte. Doch auch die Muslime in Deutschland erleben die Entscheidung des Gerichts, vielleicht aber noch mehr die anschließende medial ausgetragene Auseinandersetzung als eine Sarrazinisierung der öffentlichen Meinung in Deutschland und fragen sich, ob die lange Phase weitgerühmter Religionsfreiheitlichkeit und Religionsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung tempi passati sind.
Der Bundesaußenminister hat die (außen)politische Brisanz des Kölner Gerichtsurteils früh erkannt und erklärt, dass die Entscheidung nicht das letzte Wort in der Sache sein könne. Mit einiger Verzögerung haben sich dann auch anderen Protagonisten aus den politischen Eliten positioniert. Die Bundesregierung, aber auch die Fraktionsspitzen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich inzwischen dafür ausgesprochen, schnell Rechtssicherheit zugunsten der Juden und Muslime in unserem Land zu schaffen, gegebenenfalls durch eine gesetzgeberische Klarstellung. Seitdem werden unterschiedlichste Ansätze für legislatives Handeln diskutiert, u.a. eine Ergänzung des Patientienrechtegesetzes. Dabei wird übersehen, dass es seit den 1920er Jahren bereits ein unmittelbar einschlägiges Gesetzeswerk gibt: Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung. Es regelt u.a. Konflikte zwischen den Eltern in rebus religionis, trifft Anordnungen für den Fall der Pflegschaft oder Vormundschaft und bestimmt die Religionsmündigkeit Heranwachsender.
Dieses Gesetz könnte man wie folgt ergänzen:
„§ 3a
Die elterliche Sorgeberechtigung in religiösen Angelegenheiten umfasst auch die Einwilligung in eine von medizinisch qualifiziertem Personal de lege artis durchgeführte Zirkumzision, wenn eine solche nach dem religiösen Selbstverständnis der Sorgeberechtigten zwingend geboten ist. Im Falle einer Vormundschaft oder Pflegschaft findet § 3 Abs. 2 Anwendung.“
Die vorgeschlagene gesetzgeberische Klarstellung erfüllt drei Ziele:
– Eine solche Regelung schafft Rechtssicherheit und verhilft der elterlichen Freiheit, über die religiöse Beheimatung ihrer Kinder zu entscheiden, zur effektiven Entfaltung. Mit der ausdrücklichen Zuweisung der Entscheidung zum Bereich der elterlichen Sorgeberechtigung wird seitens des Gesetzgebers verdeutlicht, dass die Eltern rechtswirksam, d.h. die strafrechtliche Rechtswidrigkeit ausschließend, in die Zirkumzision einwilligen können.
– Eine solche Regelung entspricht der staatlichen Schutzpflicht für das gewichtige Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit. Deshalb wird nur die klassische Zirkumzision, d.h. die Beschneidung bei männlichen Personen, als relativ geringfügiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von der Klarstellung erfasst. Die Genitalverstümmelung bei Mädchen oder andere gravierende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte bleiben selbstredend strafbar. Zudem wird die Klarstellung an die Bedingung geknüpft, dass die Beschneidung von medizinisch qualifiziertem Personal de lege artis durchgeführt wird.
– Schließlich sollte eine gesetzgeberische Regelung auf Fälle beschränkt werden, in denen ein staatliches Verbot der Beschneidung zu einem ernsthaften Gewissenskonflikt der Eltern führen würden. Soweit die Beschneidung bloßer Ausdruck von Brauchtum und nicht Ausfluss des als zwingend erlebten religiösen Selbstverständnisses, kann der Gesetzgeber entscheiden, dass das Elterninteresse zurückzustehen hat. Im Zweifelsfall ist das religiöse Selbstverständnis zu plausibilisieren.
Den jüdischen Eltern in Deutschland läuft die Zeit davon – für das Judentum ist eine Beschneidung acht Tage nach der Geburt in der Tradition von Gen 17,12 religiös zwingend geboten. Für die Muslime in Deutschland ist der Zeitdruck mangels fester Altersgrenzen bei der Zirkumzision nicht ganz so gravierend, die Frage, ob man als Muslim, als Muslima (mit den identitätskonstituierenden religiösen Überlieferungen) „zu Deutschland gehört“ aber ähnlich drängend. Der Gesetzgeber ist deshalb aufgefordert, zeitnah und sachgerecht eine gesetzliche Klarstellung zu verabschieden. Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung ist dafür der richtige systematische Ort.
Hans Michael Heinig ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insb. Kirchen- und Staatskirchenrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und leitet im Nebenamt das Kirchenrechtliche Institut der EKD.
Wen wird’s wundern, ich hätte mit dem Vorschlag ein Problem.
Aber wahrscheinlich ist das nicht der Ort, um grundlegend über die Frage zu diskutieren, warum Religion Sonderrechte verleihen sollte.
Es ist in unserer Rechtsordnung ja nun mal so angelegt.
Ich würde darüber hinaus aber auch bezweifeln, dass der Gesetzgeber überhaupt in der Lage ist (bzw. sein sollte), mittels eines sprichwörtlichen Federstriches das Abschneiden von Körperteilen bestimmter Menschen gewissermaßen einfach vom Strafrecht auszunehmen, auch noch ohne stichhaltige Begrüdnung für einen Sonderfall, einfach weil es schon so lange üblich ist. Als Verfassungsgericht würde ich das nicht zulassen, aber vielleicht ist unter anderem deshalb auch gut so, dass ich in keinem Verfassungsgericht sitze.
Bitte um Verzeihung wegen des doppelten Kommentars. Nächstes Mal denke ich vorher zu Ende.
Mich würde interessieren, wie die anwesenden Befürworter der Zulässigkeit von Beschneidung ganz allgemein ihre Kriterien dafür beschreiben würden, wann Menschen Teile von anderen Menschen abschneiden dürfen sollten.
Das ist ja das eigentliche Thema, und ich glaube, dass mindestens mir eine Antwort helfen würde, diese Position besser zu verstehen.
@Muriel
Es ist ganz allgemein so, dass u.U. “Menschen Teile von anderen Menschen” abschneiden dürfen, z. B. beim Friseur. Nämlich dann, wenn eine wirksame Einwilligung vorliegt. Es geht daher bei dem Vorschlag von Heinig darum, die Wirksamkeit der Einwilligung (durch die Eltern) klarzustellen.
Ein guter Vorschlag am richtigen sedes materiae. Lediglich das Wort “zwingend” sollte gestrichen werden, da ansonsten wieder (religiös “unmusikalische”) Staatsanwaltschaften und Gerichte dazu eingeladen werden, das ihnen gegebene Ermessen zu erweitern und unzulässig in das Elternrecht und die Religionsfreiheit einzugreifen.
@neukoellner: Ja gut, das ist mir schon klar.
Aber die Einwilligung der Eltern ist nicht die des Kindes.
Auch wenn die Eltern einwilligen, darf kein Arzt einfach den kleinen Finger eines Neugeborenen abschneiden.
Ich verstehe schon, wofür der Gesetzvorschlag gut ist. Ich wüsste nur gerne, aus welchem allgemeinen Prinzip er sich aus Sicht seiner Befürworter rechtfertigt.
Für dich könnte ich die Frage dann so umformulieren: Allgemein formuliert, unter welchen Umständen ist die Einwilligung der Eltern in das Abschneiden eines Teils ihres Kindes wirksam?
@neukoellner: Und nun bitte die Erklärung, warum diese Einwilligung wirksam sein sollte. Immerhin bewirkt sie einen generellen, vom Willen des betroffenen (im Übrigen auch bei 8-12 jährigen Muslimen) Vorrang der Religionsfreiheit der Eltern vor der körperlichen Unversehrtheit des Betroffenen.
Schon in dem Vorschlag wird deutlich, dass der Betroffene zum Objekt der Religionsausübung werden soll. Das ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der Vorschlag ist im Weiteren auch unausgereift. Denn er bezieht die – erst im Nachhinein feststellbare – ordnungsgemäße Ausführung der Bescheidung in die Voraussetzung der Einwilligung ein. Diese muss aber zwingend vollständig vor der Beschneidung vorliegen. Das wird auch aus der Wortwahl deutlich. Der Vorschlag stellt auf die “durchgeführte” und nicht die “durchzuführende” Zirkumzision ab.
Bis heute keine Argumente außer “haben wir schon immer so gemacht” gefunden. Das ist kein starkes Argument.
Der Vorschlag und alle vergleichbaren Vorschläge ist scharf abzulehnen. Religiöse Gruppen dürfen keine derartigen Sonderrechte eingeräumt bekommen. Auch dann nicht, wenn einer dieser Gruppen in der Vergangenheit in diesem Land unbegreiflich großes Unrecht angetan wurde.
Und für den Vergleich mit dem Haareschneiden hat sich der “neukoellner” eigentlich eine Schelle verdient, so dumm ist der Einwurf. Haare wachsen nach, Vorhäute eher selten.
[…] […]
@Muriel, Malte S.
Ich würde sagen, die Einwilligung ist in der Regel wirksam, wenn sie nicht gegen die guten Sitten stößt (was z.B bei dem Fingerbeispiel der Fall wäre). Zudem gibt es natürlich das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. (Das zwar nicht die Eltern unmittelbar bindet, aber den Staat, was wohl keinen Unterchied macht). Auf der anderen Seite stehen aber ebenfalls Grundrechte (Art. 4, 6). Es ist nun nicht so, dass etwa der Religionsausübungsfreiheit hier von vornherein der Vorrang einzuräumen wäre. Aber dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit doch wohl auch nicht.
Ich gabe ja zu, dass man diesen Grundrechtsfall auch zugunsten von Art. 2 II entscheiden kann, aber zwingend ist das keinesfalls. Warum also nicht mal in die restliche Welt schauen, und feststellen, dass wir mehr oder weniger das einzige Land wären, in dem diese Praxis bei Strafe verboten ist? Muss es das wirklich sein? Sind die anderen wirklich alle Geisterfahrer?
@Stormking
Dein Gepöbel wäre etwas souveräner, wenn Du mich wenigstens verstanden hättest.
Die Religionsfreiheit von A und B kann diese niemals zur Körperverletzung von C berechtigen. Daß C das Kind von A und B ist, ist meiner Meinung nach dabei unerheblich. Art. 6 II GG schützt das Recht der Eltern zur “Pflege und Erziehung der Kinder”. Unter keine dieser Alternativen halte ich das medizinisch nicht notwendige Abtrennen von Körperteilen für subsumtionsfähig.
@ neuköllner:
“Ich würde sagen, die Einwilligung ist in der Regel wirksam, wenn sie nicht gegen die guten Sitten stößt”
An einem acht Tage alten Kind aus religiösen Gründen herumzuschnippeln verstösst vehement gegen das sittliche Gefühl – und zwar nicht nur gegen meines. Ist die Sache jetzt geklärt?
Auf das Sittlichkeitsbefinden abzustellen war schon immer gefährlich.
Zum Gesetzesvorschlag: Er ist leider nicht akzeptabel, da es förmlich nach einem Juden- und Muslimgesetz riecht – da Protestanten wie Katholiken dieses Sonderrecht wohl kaum in Anspruch nehmen werden.
Der vorgeschlagene Artikel löst kein einziges Problem ausser jenem, dass damit die jüdischen und muslimischen Verbände wieder ruhiggestellt sind.
Ich hätte einen Gegenvorschlag:
wie wäre es, wenn man Eltern, die im religiösen Wahn die körperliche Integrität ihrer Kinder durch Genitalverstümmelung verletzen und dies öffentlich mit Ohrlochstechen oder Haareschneiden vergleichen, einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen würde? Es könnten erhebliche Zweifel daran bestehen, dass sie die für das Kindeswohl gebotene Sorge tragen können. Ein Gutachten wäre einzufordern.
@turtle of doom
Ich habe den Begriff der guten Sitten erwähnt, weil er im Gesetz steht. Gewiss sind solche Generalklauseln nicht unproblematisch, in vernünftigen Händen jedoch handhabbar. Zumal sich über sie auch grundrechtliche Wertungen einbauen lassen.
Warum das oben skizzierte Gesetz deswegen Bedenken ausgesetzt sein soll, weil es sich faktisch nur an Juden und Moslems richtet, verstehe ich nicht. Lies mal § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierschutzG. Oder ist dir der auch ein Dorn im Auge?
@Muriel
Ich seh ein Kiterium darin, wieviele Betroffene später den Eingriff positiv oder negativ bewerten.
Wie passt denn zusammen, dass mit großem Brimborium das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert wurde, Eltern jetzt also für eine Ohrfeige vor den Kadi kommen können, die Amputation gesunden Gewebes ohne Betäubung (ein Mohel benutzt idR keine Narkose, auch keine örtliche) aber straffrei sein soll?
[…] Beschneidung Komiker sind. Wer will, kann dazu noch weitere Beiträge studieren, z.B. hier, und hier (ohne Anspruch auf […]
Gibt es eigentlich irgendeinen sachlichen Grund dafür, gezielt und ausschließlich Zwangs*zirkumzisionen* zu erlauben?
Möglicherweise vertretbar (vor Art. 3) wäre es, eine Einwilligung der Eltern in “de lege artis durchgeführten Opetationen aus weltanschaulichen Gründen, die keine schweres physischen Schäden verursachen” zu ermöglichen.
Wer Zwangszirkumzision erlaubt, muss es z.B. auch erlauben, wenn jemand seinen Kindern aus weltanschaulichen Gründen die Ohrläppchen aboperieren lässt oder ihm ein Kruzifix auf die Brust tätowieren möchte.
Oder worin liegt die Rechtfertigung dafür, das anders zu behandeln?
Wer sich gegen eine religiöse Indikation für Beschneidungen von Kindern aussprechen möchte, der kann das beispielsweise hier tun: http://www.avaaz.org/de/petition/Schutz_der_Kinder_vor_Beschneidungen/?launch
@Mirco: “wieviele Betroffene”
Wenn wir nur nach Mehrheiten gingen, dann bräuchten wir Grundrechte nicht. Grundrechte sind dazu da, Minderheiten zu schützen. Auch Minderheiten innerhalb von Minderheiten.
Konkret: Auch Beschneidungsgegner innerhalb der Minderheitsreligionen Judentum/Islam. Sprich auch die – selbst wenn es eine Minderheit ist – Männer, die es nicht gut finden, als Muslime/Juden in ihrer Kindheit ohne ihre *eigene* Einwilligung beschnitten worden zu sein.
Aus meiner Sicht verstößt die vorgelegte Formulierung gegen Art. 3 III GG. Die Eltern die aus religiösen Gründen eine Beschneidung durchführen wollen, werden gegenüber denen die dies aus nichtreligiösen Gründen wollten, klar bevorzugt. Jetzt mag die Vorstellung Beschneidungen aus nichtreligiösen Gründen durchzuführen abstrus erscheinen. Ist sie aber nicht.
Ich sage ja, jeder Versuch, die Beschneidung kleiner Knaben zu legalisieren, gleicht der Titanic, die in der Wüste Sahara gestrandet ist und trotzdem mit einem Eisberg kollidiert und untergeht.
Es liegt so völlig schief in der rechtlichen Landschaft. Besser die Hände davon lassen.
@ neukoellner: Ja, der Passus im Tierschutzgesetz ist mir auch ein Dorn im Auge. Keine Sonderrechte für irgendeine Glaubensgruppe – das ist mein Ideal.
Wer gegen Beschneidung ist muss auch gegen Abtreibung sein. Bei Abtreibung kann das Kind auch nicht entscheiden ob es abgetrieben werden will. Scheiss Doppelmoral in Deutschland.
Die Frage bei Abtreibung ist ja gerade, ob der Fötus, der abgetrieben wird, überhaupt ein Kind *ist* – oder ein Teil des Körpers der Schwangeren.
@Neukoellner, insbesondere im HInblick auf seine rhetorischen Fragen:
“Warum also nicht mal in die restliche Welt schauen, und feststellen, dass wir mehr oder weniger das einzige Land wären, in dem diese Praxis bei Strafe verboten ist? Muss es das wirklich sein? Sind die anderen wirklich alle Geisterfahrer?”
Hier ein Bericht über “Religiöse Riten in der Praxis”
http://www.taz.de/!96617/
@Hannah
Es gibt aber zwei Gruppen. Diejenigen, die beschnitten wurden und das nicht gut finden, aber auch diejenigen, die nicht beschnitten werden durften (im Alter von 8 Tagen) und so in ihrer religiösen Identität beschnitten sind.
Egal wie man entscheidet, man wird zwangsläufig auch falsch entscheiden. Da wird das Größenverhältnis der Gruppen relevant.
@ Mirco: Sie vergessen eine Gruppe: Diejenigen, die zwangsbeschnitten wurden – und später psychisch gar nicht mehr *in der Lage sind*, das zu hinterfragen. Geschweige denn, es zu kritisieren.
Wie schwer das teilweise ist, sieht man selbst in die USA, wo es diese Tradition ohne religiöse Begründung gibt. Bei Männern dort habe ich teiweise den Eindruck, sie finden Zwangsbeschneidungen ganz toll – und zwar allein deshalb, weil sie selbst zwangsbeschnitten wurden. Vielleicht bildet sich da so eine Art Stockholm-Syndrom.
@ Herr Heinig / Herr Steinbeis (Sie schlagen ja in eine ähnliche Kerbe):
Möchte sich vielleicht einer von Ihnen zu meinem obigen Beispiel äußern, dass Eltern ihrem Neugeborenen ein Kruzifix auf die Brust tätowieren? Oder dass sie aus weltanschaulicher Überzeugung und zur “Markierung” ihrem Kind ein Ohrläppchen abschneiden?
Beides sind m.E. weit weniges schwere Eingriffe als eine Zwangszirkumzision. Wollen Sie so etwas auch legalisieren? Wenn nein, warum nicht?
@zirp
Das ist durchaus ein Aspekt. Man neigt in der Regel dazu, seinen Körper so anzunehmen, wie er ist.
Eine Frage: Müsste dann nicht auch (schon aus Gleichstellung der Religionen) die Beschneidung von Mädchen in gewissen Grenzen erlaubt werden. Ich meine die Entfernung oder Beschneidung der äußeren Schamlippen – wie von einigen afrikanischen Naturreligionen praktiziert- entspricht der Beschneidung der Vorhaut beim Jungen. Verstößt ein Gesetz welches nur eine Beschneidung eines Jungen erlaubt nicht sogar 2-fach gegen den Gleichheitsgrundsatz?
1) Gleichstellung von Religionen
2) Gleichstellung von Mann und Frau – in diesem Fall Mädchen und Jungen. Wieso kann einem Jungen das Recht auf körperliche Unversehrtheit verwehrt werden wenn Mädchen dieses Recht haben?
Mir ist weiterhin völlig unklar, wie eine einfachgesetzliche Erlaubnis der Beschneidung die verfassungsrechtliche Argumentation des LG Köln aushebeln soll. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht durch einfachgesetzliche Normen eingeschränkt werden.
Und dass es über dem Elternrecht sowohl allgemein wie speziell dem der Religionsausübung steht, hat noch kein mir bekannter Beitrag zu dieser Diskussion inhaltlich/juristisch widerlegen können.
@ Marc B.
“Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht durch einfachgesetzliche Normen eingeschränkt werden.”
Vgl. jedoch Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Das einschränkende Gesetz muss selbstverständlich seinerseits verfassungsgemäß sein. Und bei dieser Frage spielen dann eben auch andere grundrechtlich geschützte Güter eine Rolle. Es ist ein offenbar verbreitetes Missverständnis, dass dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Vorrang vor anderen Grundrechten zukomme. http://de.wikipedia.org/wiki/Praktische_Konkordanz
@hamburger
Ist es so schwer zu verstehen, was ich damit sagen will?
ich teile ihre ziele. die juden und muslime in deutschland brauchen schnell rechtssicherheit. und: am ende kann nur stehen, dass religiöse beschneidungen erlaubt sind. das wort “zwingend” finde ich auch (wie mancher vorredner) nicht zwingend, potentiell sogar gefährlich.
ich hätte bloß eine frage: was ist “medizinisch qualifiziertes personal”?
das ist ja offenbar eine der großen fragen, auf die es hinaus läuft. eine approbation wäre ja ein kriterium, unter das ich subsumieren kann. aber damit wäre niemandem geholfen. wie erfasse ich den mohel – ohne zugleich auf kriterien zu verzichten, mit denen ich gewisse scharlatane mit gott und messer aussortieren kann. also: mit welchem abstrakten kriterium beschreibe ich den unterschied? reicht “medizinisch qualifiziert”? gibt es kriterien, anhand derer ich diese qualifikation bestimmen kann?
@neukoellner
Was wollen Sie denn damit sagen?
[…] Things got a little awkward in the comments section of my earlier circumcision post today, because commenter Jade pointed out a rather glaring, embarrassing and altogether unforgivable shortcoming in my argument. The problem doesn’t concern the ruling of the court in Cologne, but rather the constitutionality of a law that would potentially undo this judgement, as proposed by Mrs. Merkel. (Prof. Hans Michael Heinig suggested an actual text on the Verfassungsblog here.) […]
Gut, dass Herr Heinig (Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche) mich noch einmal daran erinnert hat, dass ich demnächst aus der evangelischen Kirche austreten werde. Ich finde es beschämend, dass sich kein Kirchenvertreter für das Wohl des Kindes ausspricht.
Herr Heinig möchte Zirkumzision erlauben, “wenn eine solche nach dem religiösen Selbstverständnis der Sorgeberechtigten zwingend geboten ist.”
Was bitte hat das “religiöse Selbstverständnis der Eltern” mit dem Kind zu tun? Es handelt sich wohl eher um religiöse Befriedigung der Eltern auf Kosten der Kinder. Eventuell handelt es sich auch um Nachgeben der Eltern an den Druck vom gesellschaftlichen Umfeld. Genau davor müssen Kinder geschützt werden.
Sehr geehrter Prof. Heinig,
möchten sie die Inzision der weiblichen Klitoris bei Mädchen, die einen geringeren Eingriff als die Beschneidung bei Knaben darstellt, ebenfalls erlauben?
Sehen sie dazu auch auf
http://jungle-world.com/jungleblog/1790/
“»Beschneidung obligatorisch für Frauen und Männer«
von Thomas von der Osten-Sacken
Warum ein Gesetz zur Legalisierung der männlichen Beschneidung eigentlich von niemandem wirklich gewollt werden kann”
sowie
http://www.shafiifiqh.com/what-is-the-ruling-on-circumcision-for-women/
und das unten angebene Video bei 28:00
Bitte beachten Sie, dass die Inzision der Klitoris ist keine Beschneidung der weiblichen Genitalien ist. Sie aber dennoch, soweit ich das weiß, bei Mädchen in verboten.
http://www.frauenblog.ch/2009/06/04/genitalverstuemmelung/
Mit freundlichen Grüßen
Kritiker
Einen interessante Dokumentation des niederländischen Fernsehens zum Thema Jungenbeschneidung und am Rande Mädchenbeschneidung aus dem Jahre 2004
http://www.youtube.com/watch?v=U5kaEEckXmU
http://vimeo.com/10468813
In einem Interview des Autors – Michael Schaap – mit Ayaan Hirsi Ali (28:05 in dem Video) legt diese den Finger offen in die Wunde der niederländischen Gesetzgebung, welche eine Doppelmoral bzw. eine Setzung eines doppelten Standards ist, wie ihm auch deutschen Bundestagsabgeordneten vorschwebt.
Sie macht darauf aufmerksam, dass die Inzision der weiblichen Klitoris, welche ein geringerer Eingriff ist als die männliche Beschneidung, ganz klar eine strafbare Handlung nach niederländischem Recht darstellt – im deutschen mittlerweile wohl ebenso.
Mit anderen Worten – sollte der deutsche Gesetzgeber die religiöse Beschneidung bei Knaben straffrei stellen, dann widerspricht er sich selbst, wenn er gleichzeitig die Inzision der Klitoris bei Mädchen weiterhin verbietet.
@Kritiker
Es ist unredlich, so wie Sie es tun, dem Leser zu suggerieren, von der Osten-Sacken wolle die religiöse Beschneidung von jüdischen Neugeborenen auf rechtlichem Wege verhindert sehen. Vielmehr strebt er eine Ausnahmeregelung an, die ausdrücklich die fortgesetzte Brit Milah in Deutschland ermöglichen würde, wenn auch nicht in Form eines Gesetzes.
@noram
Sie wiederum suggerieren, dass Osten-Sacken ein Beschneidungsbefürworter sei, was auch nicht stimmt. Jedenfalls sprechen sich Osten-Sacken ebenso wie Kritiker gegen ein Gesetz von der Art aus, wie es Herr Heinig vorschlägt. Wie die erwähnte Ausnahmeregelung in der Praxis aussehen könnte, bleibt unklar.
[…] religiös-kultureller Voreingenommenheit droht uns tatsächlich, was manche Kommentatoren bereits beschwören: ein veritabler […]
[…] of religious or cultural bias, we are indeed at risk to be faced with a scenario that is already deplored as a reality by some commentators: a true […]
Warum kommt bei der Diskussion um die männliche Vorhaut eigentlich immer das Argument der weiblichen Zerstümmelung. Damit verliert die ganze Diskussion ihre Sachlichkeit.