07 June 2020

Die Genehmigungs­praxis für deutsche Rüstungs­exporte ist verfassungswidrig!

 „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen.“ Dieser Willy Brandt zugeschriebene Satz, er schmückt so manche Sonntagsrede. Mit Widerspruch ist nicht zu rechnen – von keiner Seite. Das prominent im Grundgesetz verankerte Bekenntnis wider den Angriffskrieg (Artikel 26 Absatz 1) stellt in der Tat eine Klammer dar, die Politik und Gesellschaft in Deutschland nach wie vor im Innersten zusammenhält: Das Friedensgebot, es gehört bis heute zum Identitätskern unserer Verfassungsordnung – und das ist gut so. Pazifistisch ist unser Grundgesetz zwar spätestens seit Einführung der Wehrverfassung im Jahre 1956 nicht mehr. Aber für das Militärische in der deutschen Außen und Sicherheitspolitik zeigt es doch immer noch klare, und im internationalen Vergleich durchaus restriktive Grenzen auf – auch wenn diese mitunter interpretationsfähig und -bedürftig sind. Dies gilt nun nicht nur für den Einsatz der Bundeswehr im Ausland. Auch dem Export von „zur Kriegführung bestimmter Waffen“ begegnet unsere Verfassung seit nunmehr über 70 Jahren mit großem Misstrauen. Die einschlägige Regelung (Artikel 26 Absatz 2) ist gewissermaßen die kleine Zwillingsschwester des Verbots des Angriffskriegs: „Kein Krieg mit deutschen Waffen“, so könnte man etwas pointiert formulieren.  

Weltmeister ist Deutschland auf diesem Gebiet zwar nicht, aber zu den größten Exporteuren von Rüstungsgütern und Kriegswaffen gehört unser Land schon: Derzeit behaupten wir einen guten 4. Platz in dieser Rangliste, ein Podiumsplatz ist in Reichweite. Indes, nicht zuletzt (auch) aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dies alles andere als ein Grund zum Feiern. Denn während sich die deutsche (Verfassungs-)rechtsordnung im Hinblick auf den Export (ziviler) deutscher Waren ganz uneingeschränkt zum Grundsatz des Freihandels bekennt (§ 1 Außenwirtschaftsgesetz), gilt für Rüstungsgüter und Kriegswaffen das genaue Gegenteil: Im Grundsatz verboten und nur unter strengen Voraussetzungen ausnahmsweise erlaubt. Das Leitbild unserer Verfassung lautet also: Je weniger Waffenexporte desto besser – jedenfalls außerhalb von NATO und EU. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag (2018) spricht insoweit eine eindeutige Sprache. Unter der Überschrift „Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ heißt es dort wörtlich: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt.“ Wie die Kanzlerin ihre 2019 bei der Münchener Sicherheitskonferenz nur wenig verklausulierte Forderung nach einer Aufweichung der strengen deutschen Rüstungsexportstandards damit in Einklang bringen will, das bleibt ihr Geheimnis. Und ihren Worten folgen Taten: Mit 7,95 Milliarden Euro haben die Exportgenehmigungen für deutsche Waffen im Jahre 2019 einen neuen, eben nicht nur traurigen, sondern im Lichte der oben skizzierten Grundentscheidung unserer Verfassungsordnung „wider Rüstungsexporte“ letztlich auch verfassungsrechtlich bedenklichen absoluten Rekordstand erreicht. 

Die Klagen über eine eklatante Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen auf dem Papier sehr strengen materiellen Kriterien für einen Waffenexport einerseits und einer diesen Kriterien immer wieder völlig widersprechenden Genehmigungspraxis andererseits sind hinlänglich bekannt, und sie sind vielfach berechtigt – soweit man das wegen der Intransparenz des Verfahrens überhaupt sicher beurteilen kann. Gleiches gilt für die Forderung nach einem längst überfälligen Rüstungskontrollgesetz. Entscheidungen über Rüstungsexporte werden bisher allein nach Maßgabe der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung“ gefällt – wie es das Wort schon sagt, ein Dokument allein von „politischer“, nicht aber „rechtlicher“ Bedeutung. Über die „wesentlichen“ Fragen unseres Gemeinwesens aber, so das Bundesverfassungsgericht, hat der Gesetzgeber selbst zu entscheiden. Wann und unter welchen Voraussetzungen welche deutsche Waffen wohin exportiert werden dürfen, diese Fragen wird man angesichts der überragenden Bedeutung des grundgesetzlichen Friedensgebotes aber mit Fug und Recht als in diesem Sinne „wesentliche“ Fragen ansehen können, ja müssen. Für die Waffenträger (Soldaten) im Ausland gilt dieser Parlamentsvorbehalt längst, warum nicht auch für die Waffen selbst?

All dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich, aber es spielt sich letztlich doch weitgehend in einer politischen Sphäre ab: Hier ist in erster Linie der Gesetzgeber gefordert, dessen Untätigkeit umso ärgerlicher ist, je länger sie andauert. Man mag vermuten, dass hinter den Kulissen sehr erfolgreiche Lobbyarbeit am Werke ist. 

Überraschend wenig diskutiert, und auch von der medialen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, ist in diesem Zusammenhang indes ein anderer Gesichtspunkt: Das Grundgesetz weist die außenpolitisch höchst sensible Entscheidung über Rüstungsexporte aus gutem Grunde ganz explizit dem Kollektivorgan „Bundesregierung“ zu. Tatsächlich getroffen aber wird sie von einem Gremium, das in der Verfassung gar nicht vorkommt, dem „Bundessicherheitsrat“. Auch der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie geht wie selbstverständlich davon aus, dass die Entscheidungen über Rüstungsexporte in der Sache in diesem geheim tagenden Kabinettsausschuss mit externer Beteiligung (u.a. Generalinspekteur der Bundeswehr) getroffen werden – ebenso wie im Jahre 2014 im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Informationsrecht des Bundestages über Rüstungsexporte (2 BvE 5/11). Nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (§ 11) ist die (formale) Letztentscheidung über Rüstungsexporte zwar auf einzelne Bundesminister delegiert worden: Aber auch diese sind im Sinne des klaren und unzweideutigen Wortlauts des Artikels 26 Absatz 2 des Grundgesetzes eben ganz zweifellos nicht die „Bundesregierung als Ganzes“. Und dass die Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers steht, das weiß jeder seriöse Studierende der Rechtswissenschaften nach dem ersten Studienjahr. Die Konsequenz ist ebenso einfach wie eindeutig: Jede einzelne bisher erteilte Exportgenehmigung für Kriegsmaterial ist rechtswidrig, weil von der falschen Behörde getroffen – seit Jahrzehnten.

Wie kann das sein? Ganz einfach: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es ist daher höchste Zeit, dass ein Gericht endlich die Gelegenheit erhält, diese simple Wahrheit auszusprechen und damit die verfassungswidrige Genehmigungspraxis der Rüstungsexporte aus Deutschland zu beenden. Auch nach Saudi-Arabien, aber nicht nur!


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