Die rechtlichen Haken der Fiskalunion
Bislang hatte bei der Euro-Rettung die Politik weitestgehend das Heft des Handelns in der Hand. Die Juristen standen am Rande und sahen zu. Doch jetzt, da der Beschluss steht, aus der Euro-Zone eine Fiskalunion als neues europarechtliches Gebilde zu schmieden – innerhalb der bestehenden Verträge oder außerhalb der Architektur der EU, da schlägt die Stunde der Rechtsexperten: Wie wird das umgesetzt? Erlaubt das Grundgesetz das überhaupt? Und das Europarecht? Das sind Fragen, die Juristen beantworten müssen. So viel kann man bei aller Vorsicht angesichts der vielen Ungewissheiten sagen: Die Antworten verheißen der neuen Fiskalunion alles andere als einen reibungslosen Start.
Die erste Frage, die sich juristisch stellt: Wenn der Vertrag für die Fiskalunion fertig ist, wie wird er in Deutschland ratifiziert – als völker- oder als europarechtlicher Vertrag? Das ist mehr als nur eine technisches Problem: Es geht um die Rolle, die die Volksvertreter im Bundestag dabei spielen sollen. Franz C. Mayer, Europarechtsprofessor in Bielefeld, erklärt den Unterschied so:
Bei Änderungen der EU-Verträge, also bei der europarechtlichen Veränderung werden Parlamentarier schon sehr früh, nämlich bei der Aushandlung der Verträge eng eingebunden. Sie müssen sogar eingebunden werden. Wenn man das ganze als völkerrechtlichen Vertrag anlegt, dann bleibt die Verhandlung im wesentlichen Sache der Bundesregierung. Der Bundestag hat dann vielfach nur die Möglichkeit, das Ergebnis abzunicken. Vor allem aber ist es so, dass bei Änderungen zuletzt immer die 2/3 Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich war. Das heißt hier konkret, dass die Opposition über den Bundesrat ein Wörtchen mitreden kann
Viel spricht dafür, dass die Bundesregierung das Parlament möglichst draußen halten will. So hat sie es auch schon beim Euro-Rettungsfonds ESM praktiziert: Da stellte sich die Regierung auf den Standpunkt, es handle sich nicht um EU-Recht im engeren Sinne. Die Parlamentarier wurden mündlich informiert, bekamen aber nicht einmal die schriftlichen Dokumente ausgehändigt, die mussten sie sich von ihren österreichischen Kollegen besorgen. Die Grünen haben gegen diese Behandlung in Karlsruhe geklagt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass das Bundesverfassungsgericht die Regierung daran erinnert, dass auch die Währungsunion Teil des Europarechts ist und der Bundestag seine europapolitischen Rechte geltend machen können muss.
Noch grundlegender ist aber die nächste juristische Frage: Ist so etwas wie eine Fiskalunion nach dem Grundgesetz überhaupt erlaubt? In seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag hat das Bundesverfassungsgericht erkennen lassen, dass es für weitere Kompetenzübertragungen nach Europa kaum Spielraum sieht. Hier geht es um die Haushaltsautonomie – um das Recht der Deutschen und ihres Parlaments, selbst darüber zu bestimmen, wie viel Geld Deutschland ausgibt, und wofür. Die Fiskalunion fordert von all ihren Mitgliedern, Schuldenbremsen einzuführen. Das ist in Deutschland ohnehin schon der Fall, deshalb kann da kein Problem entstehen. Aber es gibt auch andere Punkte, die die deutsche Haushaltsautonomie tangieren könnten, wie Professor Mayer erklärt:
Hier stellen sich in der Tat Fragezeichen aus verfassungsrechtlicher Sicht. Die bestehen insbesondere im Hinblick auf der Verschärfung der Defizit-Sanktionen. Die qualifizierte Mehrheit im neuen Rettungsschirm-Mechanismus ESM, die anstatt von Einstimmigkeit eingeführt werden wird und bei der Genehmigung des nationalen Haushaltsentwurfs durch die Kommission, sofern das als verbindliche und nicht nur als konsultative Sache angesehen wird.
Heikel wird die Sache dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsautonomie am allerhöchsten Haken aufhängt, den das Grundgesetz überhaupt bietet – dem Demokratieprinzip. Die demokratische Selbstbestimmung der Deutschen über ihre Ein- und Ausgaben darf nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch durch Verfassungsänderung nicht eingeschränkt werden – sie ist durch die so genannte „Ewigkeitsklausel“ geschützt. Ob die Richter in Karlsruhe, die andererseits selbst die Europafreundlichkeit des Grundgesetzes mit größtem Nachdruck betonen, tatsächlich so weit gehen würden, die Ratifikation der Fiskalunion zu verbieten, ist damit noch nicht gesagt. Aber ausschließen lässt es sich nicht. Dann bliebe nur noch ein Weg – ein neues Grundgesetz, das den Weg in die Fiskalunion von vornherein zulässt. Franz Mayer:
Das ist noch weitgehend unklar. Der verfassungsrechtliche Gehalt von Artikel 146 Grundgesetz. der hier eine Rolle spielen könnte, es handelt sich um die letzte Bestimmung des Grundgesetzes, ist überhaupt noch nicht erkennbar. Jedenfalls wenn man Artikel 146 anschaut, ist es nicht zwingend, dass eine Volksabstimmung erfolgen muss. Man könnte auch einen erneuten parlamentarischen Rat, wie man das 1949 gehabt hat, einrichten oder einen Verfassungskonvent einberufen.
Doch nicht nur das deutsche Verfassungsrecht macht Schwierigkeiten, sondern auch das Europarecht: Das fängt schon bei der Frage an, über welche Institutionen die Fiskalunion verfügen soll. Von Kommission, Parlament und Gerichtshof der EU kann sie nicht ohne weiteres Gebrauch machen: Die gehören zur EU, die weiter von 27 Mitgliedsstaaten gebildet und finanziert wird. Die Angelegenheiten der 17 Euro-Länder wurden zwar bisher auch im EU-Rahmen mitbehandelt – aber gegen den Willen von Kommission, Parlament und an der Fiskalunion nicht beteiligter Mitgliedsstaaten wie Großbritannien ließe sich das kaum fortsetzen. Zumal sie diese starke rechtliche Argumente auf ihrer Seite hätten, wie Franz Mayer erläutert:
Denkbar ist, dass der EuGH eingeschaltet wird. Der EuGH kann dann überprüfen, ob die Unionstreue eingehalten wurde, die in Artikel Absatz 3 des EU-Vertrages niedergelegt worden ist. Das ist im Kern die Pflicht, die EU-Verträge nicht zu sabotieren. Dann wäre der EuGH zentraler Akteur und er hat sich in der Vergangenheit schon als nicht zimperlich gezeigt, wenn es um die eigene Bedeutung geht. Er hat schon mehrfach bewiesen, dass er in solchen Fällen dann externe Absprachen, andere Verträge, die seine Rolle berühren, beanstandet. Aber ob er tatsächlich die Verantwortung auf dich nehmen würde, im letztendlich Richtungskonflikt zwischen Großbritannien und dem Rest der EU, Partei zu ergreifen, erscheint mir doch recht fraglich.
Wenn alle rechtlichen Stricke reißen, was dann? Dann müsste die Fiskalunion sich institutionell komplett neu erfinden. Ob sie die Struktur der EU kopiert mit einer starken Kommission im Zentrum, ob sie zu einer politischen Union mit wirklicher europäischer Regierung und Parlament wird, oder ob sie es bei einem bloßen Projekt der nationalen Regierungen belässt – das ist keine juristische Frage. Dann liegt der Ball wieder im Feld der Politik.
Dieser Beitrag lief heute im Deutschlandfunk in der Sendung “Hintergrund“.
Foto: Bill Ohl, Flickr Creative Commons
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Laut Wikipedia ist eine Fiskalunion folgendes:
“Unter einer Fiskalunion versteht man die gemeinsame Fiskalpolitik innerhalb eines föderalen Staates oder mehrerer Länder. Eine Fiskalunion verfügt über gemeinsame Institutionen, die befugt sind, mittels der Beeinflussung von Steuern und Staatsausgaben regionale und konjunkturelle Schwankungen auszugleichen.”
Was auf dem EU-Gipfel beschlossen wurde, hat damit nichts gemein. Wie man konjunkturelle Schwankungen ausgleichen soll, wenn man dazu verpflichtet wird einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen ist mir schleierhaft.
Es handelt sich hierbei wohl eher um Neusprech als um eine wirkliche Fiskalunion mit einer fiskalischen Instanz die dazu befugt ist (am besten demokratisch gewählt) Geld auszugeben. Die einzelnen Länder betreiben weiterhin demokratisch legitimiert Fiskalpolitik, welche aber noch abgesegnet werden muss von einem nicht demokratisch gewähltem Gremium.
In der Tat entspricht der Beitrag, insbesondere mit den Äußerungen von Franz Mayer, nicht der rechtlichen Wirklichkeit. Ohne genaueren Bezug zu seinem Inhalt wird der neue Vertrag hier mit Blick auf das EFSF Urteil des BVerfG problematisiert. Erst einmal sollte man sich das Vereinbarte genau anschauen, bevor über seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit oder Art. 146 GG spekuliert wird… Es geht nur um Mechanismen zur Stabilitätskontrolle, nicht um europäische Haushaltsrechte, oder habe ich da etwas übersehen?
Ergänzend verweise ich im Hinblick auf den Inahlt des geplanten voelkerrechtlcihen Vertrags und seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit auf meinen Beitrag im Verfassungsblog, der sich mit den diesbezüglichen Aussagen und Widersprüchlichkeiten im EFSF Urteil befasst. Viele der gegenwärtigen Missverständnisse, uebrigens bis hin zum Neuner Ausschuss, resultieren aus dem leider nicht immer ganz klaren EFSF Urteil…
[…] also, please note the comment by Christian Calliess to my interview with Franz […]
Hier der Link zu dem angesprochenen Beitrag von Professor Calliess: https://staging.verfassungsblog.de/die-stabilitt-des-euro-der-falle/