23 November 2020

Die Rückkehr der Jedi-Ritter?

Wege zu einer intergouvernementalen Corona-Hilfe

Grenzen schließen und Rückzug ins nationale Schneckenhaus waren die ersten Reaktionen auf die Corona-Krise. Das war nicht sonderlich europäisch. Zwischenzeitlich ist die Einsicht gewachsen, dass doch gerade ein weltweit wütendes Virus in besonderem Maße übergreifende Zusammenarbeit erfordert. Just im Gesundheitsbereich ist indessen die EU absichtsvoll schwach ausgestattet. Für die Bewältigung der ökonomischen Nebenfolgen der Pandemie ist die EU dagegen weitaus besser aufgestellt als die meisten anderen Weltregionen.

Dieser Vorteil droht nun allerdings durch die Weigerung der polnischen und ungarischen Regierung, zuletzt auch des slowenischen Regierungschefs, ein EU-Aufbauinstrument „Next Generation Europe“ (NGEU) mitzutragen, verspielt zu werden. Dieses EU-Aufbauinstrument soll die Mitgliedstaaten finanziell dabei unterstützen, die Folgen der Corona-Pandemie besser zu bewältigen. Zur Umsetzung bedarf es eines neuen Beschlusses über die Eigenmittel der EU nach Art. 311 Abs. 3 AEUV. Da hier Einstimmigkeit im Ministerrat erforderlich ist, entspricht die polnische und ungarische Weigerung einem Veto. Es droht eine Blockade der enormen Finanzmittel in Höhe von 750 Mrd. Euro.

In dieser Situation wird in alle Richtungen überlegt. Neben der Aktivierung der in den Verträgen vorgesehenen verstärkten Zusammenarbeit (Art. 20 EUV, dazu bereits – sehr skeptisch – Martin Nettesheim) wird auch die Option eines Umstiegs in eine außerunionale Lösung erwogen. In diese Richtung hat der niederländische Regierungschef Rutte sich geäußert, allerdings ohne dabei sonderlich konkret zu werden. Könnte man nicht die finanziellen Covid-Hilfsmaßnahmen außerhalb des rechtlich-institutionellen Rahmens der EU intergouvernemental vereinbaren – ohne Polen und Ungarn?

Ein derartiger Ausschluss Polens und Ungarns von den Corona-Hilfen würde konkret für viele Menschen in den betreffenden Staaten erhebliches Leid bedeuten, das muss man sich vorab klar machen. Die Verantwortung dafür läge zwar bei den jeweiligen Regierungen, aber das ändert nichts an der individuellen Tragik. Zugleich treffen auch die bereits erfolgten und bei ungehindertem weiteren Verlauf drohenden weiteren Rechtsstaatsverletzungen der immer autoritäreren Regierungen in Polen und Ungarn letztlich konkrete Individuen und Existenzen. Es ist daran zu erinnern, dass Polen und Ungarn im gegenwärtigen Rechtsstaats-Zustand nicht in die EU aufgenommen werden könnten.

Der Rückfall in das Intergouvernementale und Zwischenstaatliche wird im Kontext der europäischen Integration wohl doch überwiegend meist als Rückschritt, womöglich gar als Ausdruck eines Scheiterns gedeutet, weil statt der wagemutigen supranationalen Zusammenarbeit mit eigenen supranationalen Organen wie dem Europäischen Parlament, dem Gerichtshof oder der Kommission herkömmliche Wege der internationalen Zusammenarbeit eingeschlagen werden, in denen die Regierungen das Heft des Handelns an sich nehmen. Die Rettung der Welt/Mittelerde/Republik durch einige Wenige, gleichsam durch Ausbruch aus dem System, ist auf der anderen Seite ein wiederkehrendes Motiv der Popkultur. Könnten demnach Mark Rutte und die anderen Staats- und Regierungschefs wie die Jedi-Ritter die europäische Republik retten, indem sie das Heft des Handelns in die Hand nehmen?

Die Geschichte der europäischen Integration ist immer wieder von intergouvernementaler Zusammenarbeit jenseits des bestehenden Primärrechts vorangetrieben worden. Die Beispiele reichen vom Schengener Übereinkommen 1985 bis zu den außerhalb des rechtlichen Rahmens der EU etablierten Reaktionen auf die Eurokrise, dem Fiskalvertrag von 2012 und dem Rettungsschirm ESM, ebenfalls aus 2012.

Für die vorliegende Problemlage erscheint eine intergouvernementale Lösung zwar rechtlich möglich, sie erweist sich indessen aus nicht-rechtlichen Gründen als unbefriedigend.

1. Rechtsgrundlage im Primärrecht?

Zunächst einmal ist ein gängiges Missverständnis aufzuklären: für eine derartige intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der EU bedarf es keiner Erlaubnis oder Gestattung in Gestalt einer Rechtsgrundlage in den europäischen Verträgen. Bei der Einrichtung der Euro-Rettungsschirme wurde diese falsche Fährte bis zu dem Punkt verfolgt, dass man vorsorglich eine Bestimmung in den AEUV eingefügt hat, Art. 136 Abs. 3 AEUV. Diese Bestimmung hat indessen lediglich deklaratorischen Charakter und hält das Selbstverständliche fest: die Mitgliedstaaten können im Prinzip außerhalb der EU machen, was sie wollen – solange die Verträge das nicht verbieten und Vorgaben der Verträge nicht umgangen werden. Dies hat der EuGH in der Rs. Pringle für den ESM bestätigt.

Es stellt sich damit für den vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob Verbotsbestimmungen im Primärrecht einer intergouvernementalen Ausgliederung der Corona-Hilfe entgegenstehen.

Das aus der Eurokrise bekannte Bail out-Verbot des Art. 125 AEUV ist jedenfalls kein solches Hindernis, weil die geplanten Finanzhilfen ja auch als unionale Maßnahmen wegen der Beistands- und Solidaritätsklausel in Art. 122 AEUV zulässig wären. Daneben wäre eine zweckgebundene Mittelvergabe (Beseitigung der Folgen der Corona-Pandemie) an Mitgliedstaaten ohnehin im Hinblick auf Art. 125 AEUV unproblematisch – dort geht es ja um die (Re-)Finanzierung der mitgliedstaatlichen Haushalte.

Dass Art. 122 AEUV eine Regelung für Notlagen trifft, präkludiert im Übrigen nicht die Möglichkeit eines Tätigwerdens der Mitgliedstaaten außerhalb der Verträge. Dies ergibt sich ebenfalls aus der Rs. Pringle (vgl. Rn. 103 ff.).

Haushaltsrechtliche Aspekte könnten der intergouvernementalen Option entgegenstehen. Nach Art. 310 Abs. 1 AEUV werden alle Einnahmen und Ausgaben der Union für jedes Haushaltsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt. Man könnte darüber diskutieren, inwieweit europarechtlich Schatten- und Nebenhaushalte zulässig sind, und ob sich möglicherweise wegen des Prinzips der Vollständigkeit des Unionshaushalts und der Haushaltseinheit (vgl. dazu die entsprechende Diskussion um Art. 110 GG) ein unionshaushaltsrechtliches Verbot der Ausgliederung ins Intergouvernementale ergibt. Diese Frage hier in allen Einzelheiten auszuleuchten ist nicht möglich, aber wohl auch nicht nötig. Wenn man aus der deutschen Debatte um die Nebenhaushalte die Idee einer besonderen Rechtfertigung – und damit ausnahmsweisen Zulässigkeit – solcher Konzepte übernimmt, so wird man vorliegend jedenfalls eine besondere Rechtfertigung für eine intergouvernemental angelegte Ausgliederung des Finanzierungszusammenhangs gut vertreten können, schließlich geht es um der außergewöhnlichen Situation einer Pandemie geschuldete Sonderaufgaben.

Auch die Unionstreue (als Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV) kommt als Hindernis für eine intergouvernementale Ausgliederung in Betracht. Könnte es nicht gegen das Prinzip der Unionstreue verstoßen, wenn Mitgliedstaaten schlicht außerhalb des vereinbarten rechtlichen und vor allem institutionellen Rahmens – also insbesondere ohne das Europaparlament befassen zu müssen – Absprachen treffen? Jedenfalls im vorliegenden Fall dürfte jedoch die für alle extra-unionalen Überlegungen kausale Blockadehaltung von Polen und Ungarn das Unionstreueargument neutralisieren. Polen und Ungarn betreiben eine politische Verkopplung von Sachmaterien, nämlich Zustimmung zu NGEU nur dann, wenn die Verabschiedung des Rechtsstaatsmechanismus unterbleibt. Damit wird auf Unionsebene für eine Materie, in der mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden kann, de facto ein Veto beansprucht. Das ist gerade gegen die Verwirklichung der Ziele der Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV) gerichtet. Dann ist das extra-unionale Handeln vielleicht sogar nachgerade geboten.

2. Faktor Zeit

Die ESM-Saga lenkt allerdings den Blick auf ein anderes Problem: den Faktor Zeit. Die seinerzeit durch den ESM veranlasste, dann letztlich rein deklaratorische Änderung des AEUV durch Ergänzung um Art. 136 Abs. 3 EUV, übrigens ein deutsches Anliegen, dauerte zwei Jahre. Jede Lösung, die eine Ratifikation nach den jeweiligen mitgliedstaatlichen Vorkehrungen für völkerrechtliche Verträge erfordert, nimmt bei 27 Mitgliedstaaten eben doch Zeit in Anspruch, man denke alleine an die Ratifikationserfordernisse in der föderalen Unübersichtlichkeit Belgiens. In Deutschland ist seit einiger Zeit auch wegen der nahezu restlosen Absenkung der Zulässigkeitsschwellen zum BVerfG in bestimmten Europafragen (Stichwort Art. 38-Rechtsprechung) sicher einmal mehr mit einem Verfassungsprozess zu rechnen, der weitere, zum Teil erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann. Das CETA-Verfahren (2 BvR 1368/16 u.a.) beispielsweise ist seit vier Jahren anhängig. Entsprechend würde auch die Ratifikation – und in Deutschland, regelmäßig fast nur in Deutschland, die verfassungsgerichtliche Klärung – eines neuen völkerrechtlichen Abkommens erhebliche Zeit erfordern. Wenn die Corona-Hilfen aber erst in einigen Jahren kommen, ist das ökonomisch betrachtet zu spät. Bis dahin sind die Unternehmen und sonstigen Akteure des Wirtschaftslebens, die möglicherweise gerettet werden könnten, längst in der Insolvenz untergegangen.

Allerdings besteht ein ratifikationsbedingter Zeitfaktor – beunruhigenderweise – so oder so, weil ja auch der neue Eigenmittelbeschluss bereits ausweislich des Art. 311 Abs. 3 AEUV durch die Mitgliedstaaten nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert werden muss. Und absehbar würde auch die Ratifikation des neuen Eigenmittelbeschlusses vor dem BVerfG landen, entweder, weil – zu Unrecht – eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat eingefordert wird, und/oder weil selbst bei Zustimmungen mit Zweidrittelmehrheit – erst recht zu Unrecht – einmal mehr der Verweis auf die angeblich berührte Ewigkeitsklausel versucht würde.

Immerhin würde eine auf den AEUV gestützte Maßnahme doch von einer gewissen rechtlichen Vorklärung profitieren, da in Deutschland mit dem Lissabon-Urteil bereits eine grundsätzliche Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit des in Art. 311 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Mechanismus erfolgt ist. Eine völlig neue Entität, etwa ein „ECM“, „Europäischer Coronahilfe Mechanismus“, würde grundsätzlicher überprüft. Letztlich ist so oder so auf eine rasche Klärung etwaiger rechtlicher Einwände im Eilrechtsschutz zu hoffen. Für eine intergouvernementale Variante wären die Hürden dabei wohl deutlich höher. Mögliche Risiken (Garantien, Kapitalabruf) für Deutschland wären einfacher – in einem worst case Szenario – als nicht mehr rechtfertigbare Belastung künftiger Haushalte darstellbar, was ein Abwarten der Hauptsache erforderlich machen könnte. Bei der unionalen Lösung würde dagegen die Union aufgrund ihrer Rechtspersönlichkeit in finanzieller Hinsicht wie ein Schutzschild wirken, weswegen grünes Licht im Rahmen des Eilrechtschutzes wahrscheinlicher wäre.

3. Beschleunigungsmöglichkeiten

Gleichwohl bleibt die Zeitfrage zentral für den Erfolg der Maßnahmen. Als Beschleunigungsmöglichkeiten fallen mir zwei Perspektiven ein, die aber jeweils auf eine weitere Problemdimension führen.

Warum nicht an den ESM andocken?

Warum nicht einfach an bestehende Strukturen andocken und den ESM einsetzen? Hier ergibt ein Blick in den ESM-Vertrag indessen recht schnell, dass dieser nicht so recht passt. Schon der Mitgliederkreis – nur die Euro-Staaten – trifft nicht die Corona-Problemlage, die ja alle 27 Mitglieder der EU betrifft. Auch ohne Polen und Ungarn bleiben 6 EU-Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist (Dänemark, Schweden, Rumänien, Tschechien, Kroatien, Bulgarien). Zudem eignen sich die Zielbestimmungen des ESM nicht so recht (Art. 3 ESM-Vertrag). Vor allem aber passt der ESM auch konzeptionell nicht. Der Euro-Rettungsschirm reicht Kredite aus, gegen Bedingungen („Konditionalitäten“). Über reine Kreditvergabe – womöglich noch mit Konditionalitäten – will man in der Coronakrise ja gerade nicht agieren. Und mehr gibt der ESM aktuell nicht her.

Würde man aber den ESM-Vertrag zwecks besserer Passung ändern, dann wäre man wieder beim Ausgangsproblem: dem Zeitverlust durch Ratifikationserfordernis, weil ja auch die Änderung des ESM-Vertrags der Ratifikation der Vertragsstaaten bedürfte, zuzüglich BVerfG-Verfahrensdauer. Zudem wären beim ESM-Modell sowohl in unveränderter wie in angepasster Form weitere Verzögerungen eingebaut, weil es nach der ESM-Rechtsprechung des BVerfG der parlamentarischen Beteiligung bei jeder Kapitalaufnahme bzw. -auszahlung bedürfte (BVerfGE 135, 317 – ESM, Rn. 162 ff.)

Auch der Blick in die Vorgeschichte zum ESM hilft nicht weiter. Zwar bestand zu Beginn der Eurokrise im Prinzip ein mit der heutigen Problemlage vergleichbares Problem: es mussten schnelle und ökonomisch wirksame Lösungen gefunden werden. Die ersten Rettungsmaßnahmen wurden 2010 für Griechenland als koordinierte bilaterale Absprachen zur Unterstützung Griechenlands eingerichtet. Das führt bei der Coronahilfe nicht weiter. Und das gilt auch für den nächsten Zwischenschritt, vor Abschluss des ESM-Vertrags: zunächst wurde ein – temporärer – Euro-Rettungsschirm in Gestalt einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft mit Sitz in Luxemburg als „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF) – wer denkt sich solche Bezeichnungen aus – eingerichtet. Aber auch hier war die Konzeption (Notkreditvergabe an Eurostaaten in Refinanzierungsschwierigkeiten, Mittelbeschaffung durch eigene Kreditaufnahmen am Kapitalmarkt mit Garantien der Eurostaaten im Hintergrund) eine andere als die, die vorliegend für erforderlich gehalten wird.

Was immer es ist – vorläufig anwenden?

Dann doch lieber eine völlig neue völkerrechtliche Vereinbarung nach dem Muster des ESM – und könnte man für diese dann nicht die vorläufige Anwendung vereinbaren? Möglicherweise komme ich nur deswegen auf diese Idee, weil letzten Monat die vorläufige Anwendung – in dem Fall ging es um das Freihandelsabkommen EU-Kanada, CETA – vor dem BVerfG verhandelt wurde und mir deswegen sehr präsent ist. Aber die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge nach Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention ist jenseits von Freihandelsverträgen doch noch immer eher die Ausnahme. In Deutschland wäre wohl auch dafür eine parlamentarische Zustimmung erforderlich (zuzüglich Verfahren vor dem BVerfG). Im Ergebnis wäre wohl wenig Zeit gewonnen. So oder so bringt diese Überlegung zusätzlich aber eine weitere Problemdimension in den Blick, die bei der Lösungssuche nicht vernachlässigt werden darf: die ökonomische Dimension. Eine lediglich vorläufig angewandte Regelung hätte nämlich bei weitem nicht die ökonomische Durchschlagskraft wie die durch den neuen Eigenmittelbeschluss nach Art. 311 AEUV geplante: da es hier um Verschuldungsmöglichkeiten und Kreditaufnahme geht, würde natürlich die Frage gestellt, ob ein Konstrukt, von dem – Stichwort: vorläufige Anwendung – nicht gesichert ist, dass es in 20 Jahren noch besteht, eine nennenswerte Bonität hätte. Die Frage stellen heißt, sie beantworten.

4. Ökonomische Dimension

Damit landet man bei einigen nüchternen ökonomischen Einsichten. Eine außerunionale Zweckgesellschaft müsste – anders als die EU – erheblich übersichert bzw. kapitalisiert werden, um ein adäquates Rating zu erreichen. Dieses determiniert wiederum die Fähigkeit Gelder am Markt aufzunehmen bzw. ihre ökonomische Kapazität. Erstmals ist zudem die Begabe von verlorenen Zuschüssen geplant. Damit entsteht zwangsläufig ein Finanzierungsdefizit, welches in der unionalen Variante von NGEU über den Unionshaushalt gedeckt werden sollte. Dies scheidet für die außerunionale Alternative aus.

Dementsprechend hätte eine intergouvernementale Absprache, in welcher Rechtsform auch immer, nicht dieselbe Bonität und damit nicht dieselbe Wertigkeit wie die Ausgangskonstruktion nach Art. 311 AEUV.

5. Fazit

Rechtlich ist eine intergouvernementale Alternative vorstellbar, politisch bestünde freilich das Risiko einer Zeitverzögerung durch zunächst erneute Verhandlungen über die Verteilung des Kuchens, schließlich hat sich seit der Einigung auf NGEU in einigen Mitgliedstaaten die Coronalage dramatisch zugespitzt. Auch die Ratifikation würde Zeit beanspruchen, die freilich der neue Eigenmittelbeschluss auch erfordert.

Die ökonomische Einschätzung ist wahrscheinlich am ernüchterndsten: von der Durchschlagskraft der mit dem neuen Eigenmittelbeschluss möglichen Finanzierungsoption wäre die intergouvernementale Variante weit entfernt. Es bleibt dabei: die europäische Integration ist in der ökonomischen Corona-Krisenbewältigung gegenüber den meisten anderen Weltregionen ein unglaublicher Vorteil, der gerade in der NGEU-Konzeption auch ökonomisch voll ausgespielt werden könnte. Alle anderen Optionen wären ökonomisch weniger weitreichend.

Damit scheint die politisch zu entscheidende Frage auf eine Abwägung hinauszulaufen: Ist ein Teilerfolg im langjährigen mehr oder weniger entschiedenen Ringen um die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit oder die maximale ökonomische Kapazität europäischer Hilfemaßnahmen wichtiger. Keine einfache Frage. Wer in diesen Tagen die wirtschaftliche Verwüstung am eigenen Leib erlebt und vor den Trümmern der eigenen ökonomischen Existenz steht, dem wird es schwer fallen, dies gegenüber der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern hintan zu stellen.

Aus der Nähe betrachtet dürfte sich freilich die Frage doch anders stellen: genau besehen geht es zunächst einmal darum, ob die intergouvernementale Option rechtlich und ökonomisch hinreichend realistisch ist, um Polen und Ungarn zum Einlenken zu bewegen, steht doch für diese Staaten ökonomisch auch einiges auf dem Spiel. Das scheint mir der Fall zu sein. Und wenn es in Polen und Ungarn ein Einsehen gibt, dann müssen Ministerpräsident Rutte und die anderen doch nicht zum Lichtschwert greifen und die Jedi-Ritter geben. Diesmal nicht.


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