09 December 2019

Exekutiver Freestyle im Mittelmeer

Zur Praxis der pre-screenings von Schutzsuchenden durch den Verfassungsschutz

„Wir brauchen den Schutz der Verfassung, weil damit Menschenrechte, Freiheit und Demokratie gesichert werden“, heißt es auf der Webseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Die Praxis der pre-screenings von Schutzsuchenden auf Malta und in Italien wird diesem Anspruch kaum gerecht. Kompetenzrechtlich steht sie auf wackligen Füßen. Es entsteht der Eindruck, dass es sich hier um einen exekutiven Freestyle handelt, um in Abwesenheit einer europäischen Regelung migrationspolitische Zielsetzungen zu fördern. Ob sie rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt, kann man ernsthaft bezweifeln.

Vor der Übernahme: Screenings

Im Verborgenen Gutes zu tun: Das schreibt sich das BfV in einer Werbekampagne auf die Fahnen.  Vielleicht hat die Praxis der pre-screenings deshalb bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren. Licht ins Dunkel brachten insbesondere zwei Kleine Anfragen der Fraktion Die Linke. im Bundestag (Drucksachen Nr. 19/9703 und Nr. 19/13863). Das BfV, die Bundespolizei sowie das Bundeskriminalamt sind demnach seit November 2018 in Italien und auf Malta aktiv und befragen dort Schutzsuchende. Diese Befragungen sind als Sicherheitsüberprüfung markiert und bilden die Grundlage für die Übernahme des Asylverfahrens der Befragten durch die Bundesrepublik nach Art. 17 Dublin-III-VO.

Der Hintergrund: 2018 hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, die Asylverfahren einiger aus Seenot geretteter Schutzsuchender zu übernehmen, die sich auf Malta befinden. Um eine politische Lösung zur Verteilung auf mitgliedsstaatlicher Ebene ringt man seitdem. Insbesondere die Idee einer coalition of the willing wird regelmäßig diskutiert. Aktuell sagt die Bundesrepublik Übernahmen aber noch ohne geregeltes Verfahren zu, sondern spricht sich im Einzelfall mit anderen Staaten ab. Bevor nach einer solchen Zusage die Übernahme stattfindet, werden pre-screenings durchgeführt. An ihnen teilzunehmen, ist für Schutzsuchende obligatorisch. Das Verfahren soll nach Auskunft der Bundesregierung sicherstellen, dass Personen aufgenommen werden, „die die Chance hätten, in Deutschland auch als Flüchtlinge oder zumindest als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt [zu] werden“ (vgl. hier S. 2). Gleichwohl betont sie, nach der Übernahme führe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein ergebnisoffenes Verfahren durch (a.a.O., Antwort auf Frage 4). Brisanz erhält das Thema durch die steigende Zahl von Nicht-Übernahmen infolge der Sicherheitsüberprüfungen, die sich aus aktuellen Auskünften der Bundesregierung ergibt (vgl. hier, Antwort auf Frage 3, und hier). Wie steht es also um die Rechtmäßigkeit dieser Praxis, die mit zunehmenden Härten für Schutzsuchende verbunden ist?

Der Auslandseinsatz: kompetenzgemäß?

Fragwürdig mutet bereits der Einsatz des BfV im Ausland an. Schließlich handelt es sich dabei vulgo um den deutschen Inlandsgeheimdienst.  Ist ein solcher Einsatz also überhaupt zulässig? Nach dem konkreten Fall gefragt, weist die Bundesregierung auf Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 der Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 1560/2003 hin (vgl. hier, Antwort auf Frage 1 und 2). Als Rechtsgrundlage überzeugen diese jedoch nicht. Die genannten Normen regeln die Kompetenzen von Staaten, die einen sogenannten Selbsteintritt nach Art. 17 Dublin-III-VO vornehmen. Das heißt: Staaten übernehmen ein Asylverfahren, obwohl sie nach den Dublin-Regeln nicht dazu verpflichtet wären. Sie erklären sich entweder aus Eigeninitiative für zuständig (Abs. 1), oder auf Anruf eines anderen Mitgliedsstaats (Abs. 2). Die Bundesregierung beruft sich nun auf die in Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO verankerte Möglichkeit, geltend gemachte humanitäre Gründe für eine Übernahme zu überprüfen.

Alleine aus einer solchen Ermächtigung eines Mitgliedsstaats, Überprüfungen vorzunehmen, folgt aber noch nichts zur nachrichtendienstlichen Kompetenz des BfV. Aus dem Kompetenzkatalog des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) scheint lediglich § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG nach seinem Wortlaut ein Tätigwerden außerhalb des Bundesgebiets zu ermöglichen, die Ermächtigungen der Nummern zwei bis vier hingegen sind ausdrücklich auf den Geltungsbereich des Gesetzes beschränkt. Hierin ist allerdings noch keine Auslandskompetenz zu sehen, insbesondere, da behördliches Handeln generell auf das Bundesgebiet beschränkt ist, soweit sich aus den Kompetenznormen nicht explizit etwas anderes ergibt (vgl. Meinel, NVwZ 2018, 852 [855]). Es gibt also schon keine Kompetenzgrundlage für den Einsatz des BfV.

Die Befragungen: intransparent

Aber auch das Verfahren an sich ist problematisch. Die Antworten, die Schutzsuchende auf die Sicherheitsüberprüfung geben, sind prägend für den weiteren Verlauf ihres Asylverfahrens und haben zunächst Auswirkungen darauf, welches Land zuständig ist. Eine Ablehnung der Übernahme infolge der Sicherheitsüberprüfung führt zu einer prekären Lage: Malta ist nicht bereit, die Geflüchteten aufzunehmen und gibt ihnen scheinbar keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen (vgl. hier, Vorbemerkung).

Dabei herrscht über den genauen Fragenkatalog des BfV Unklarheit. Die Bundesregierung weigert sich, offenzulegen, ob Fragen zu Fluchtgründen, familiären Bezügen oder Personalpapieren gestellt werden (vgl. hier, Antwort zu Frage 11). Jedenfalls dürfte es aber Fragen geben, die für das Asylverfahren relevant sind, denn dort spielen regelmäßig auch Fragen der öffentlichen Sicherheit im Ergebnis eine Rolle (vgl. § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG). Zwar beteuert das BfV, es teile die Antworten der Befragten nicht mit dem BAMF (vgl. hier, Antwort auf Frage 15) – es teilt sie aber mit den Inlandsgeheimdiensten anderer Mitgliedsstaaten (a.a.O., Antwort auf Frage 4). Gerade bei Schutzsuchenden, deren Asylverfahren infolge der Sicherheitsüberprüfung nicht von Deutschland übernommen werden, drängt sich also die Frage auf, inwiefern diese Entscheidung dann eine Präjudizienwirkung in dem nunmehr zuständigen Staat hat. Eine Garantie dafür, dass dies nicht der Fall ist, besteht jedenfalls nicht. In diesem Fall aber liegt es nahe, dass die Beteiligten – wie im Asylverfahren auch – eine unabhängige rechtliche Beratung und Unterstützung erhalten,.

Aber auch dem Asylverfahren vorgelagert bleiben Fragen offen. Erneut: Der Selbsteintritt ist freiwillig. Auch bei freiwilligem Handeln müssen Behörden jedoch die Grundrechte der Betroffenen achten, daran ändert auch die extraterritoriale Dimension des Falls nichts. Vor allem die Weitergabe von Ergebnissen der Überprüfungen an andere Geheimdienste und auch an das BAMF begründen eine Eingriffslast, die – etwa aufgrund einer möglichen Vorwirkung für Verfahren in Deutschland – eine Grundrechtsbindung plausibel erscheinen lässt. Auf freiheitsrechtlicher Ebene ist dabei insbesondere an das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu denken.

Mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG kann die Befragung aller Schutzsuchender einerseits als unverhältnismäßige Generalisierung verstanden werden. Andererseits könnte die Ablehnung der Übernahme des Asylverfahrens auf Basis einer nicht protokollierten, nicht überprüfbaren und ohne rechtlichen Beistand durchgeführten Befragung eine Ungleichbehandlung darstellen. Sie wäre zu sehen in der unterschiedlichen Behandlung der Befragten – Übernahme und Nicht-Übernahme – auf Basis von Kriterien, die aufgrund dieser Intransparenz nicht nachvollzogen werden können. Art. 3 Abs. 1 GG untersagt der Verwaltung bei Handeln außerhalb der Gesetzesdurchführung – wie hier – insbesondere Entscheidungen aufgrund sachfremder Erwägungen (vgl. Heun, in: Dreier (Hg.), GG, Kommentar, Art. 3 Rn. 57). Dies aber ist nicht auszuschließen, solange die Fragen, die zu der Entscheidung führen, nicht bekannt sind. Möglicher Anknüpfungspunkt sachfremder Erwägungen ist hier die Staatsangehörigkeit, denn den Angaben der Bundesregierung lässt sich entnehmen, dass 21 von 59 abgelehnten Personen Staatsbürger des Sudan sind – von Angehörigen anderer Staaten wurden jeweils höchstens vier abgelehnt (vgl. hier, Antwort auf Frage 6, und hier, Antwort auf Frage 3). Allerdings lässt sich aus den Angaben nicht die Nationalität der nicht abgelehnten Personen ermitteln, sodass die Vermutung einer Ungleichbehandlung sudanesischer Staatsbürger mangels proportionaler Vergleichbarkeit Spekulation bleiben muss. Ließe sie sich erhärten, wäre die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung jedenfalls fraglich.

Grundsätzlich sind es aber nur die Diskriminierungsgründe des Art. 3 Abs. 3 GG, die den Betroffenen die Beweislast erleichtern könnten und die hilfreich wären, um eine Offenlegung der Fragen zu fordern. Ein möglicher Ansatzpunkt ist das Geschlecht, spricht die Bundesregierung doch nur von männlichen Staatsangehörigen, die abgelehnt worden seien (wobei unklar ist, ob bei mehreren Personen einer Nationalität das generische Maskulinum verwendet wird). Hier bedürfte es aber weiteren Datenmaterials. Den Verdacht einer von Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Benachteiligung zu erhärten, könnte eine wichtige Strategie sein, um zu der Frage zu gelangen, ob aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG auch gegen ein pre-screening mit negativem Ergebnis der Rechtsweg eröffnet sein müsste.

Nach der Ablehnung: Rechtsschutz?

Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG besteht gegen alle Akte der deutschen öffentlichen Gewalt. Darunter versteht man im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls alle Handlungen der Exekutive, wobei es auf die Handlungsform nicht ankommt und grundsätzlich keine gerichtsfreien Hoheitsakte anerkannt werden (vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Kommentar, Art. 19 IV Rn. 55). Zusätzlich bedarf es einer Verletzung subjektiver Rechte. Wie oben dargelegt, stehen hier insbesondere Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG im Raum, aber auch gleichheitsrechtliche Verstöße sind durchaus vorstellbar – wenn auch aufgrund der Intransparenz des Fragenkatalogs bislang nicht zu substantiieren. Mit Art. 19 Abs. 4 GG könnte man also die Forderung effektiven Rechtsschutzes gegen die pre-screenings durch das BfV begründen, soweit es gelingt, auf den allgemeinen Gleichheitssatz, die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzustellen. Wo aber ein Rechtsweg ist, da darf auch unabhängige Rechtsberatung nicht fehlen.

Und nun: Transparenz schaffen

Man bewegt sich hier in einem prekären Problemkreis. Das Handeln von Nachrichtendiensten unterliegt oft genug nicht einer in qualitativer Hinsicht vergleichbaren gerichtlichen Kontrolle wie das Verwaltungshandeln etwa der am Asylverfahren beteiligten Behörden. Dies wird auch mit Geheimhaltungs- und Sicherheitserwägungen begründet. Zugleich besteht keine Verpflichtung für die Bundesrepublik, die Asylverfahren zu übernehmen – sie tritt ja freiwillig ein. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Folgen für die Betroffenen in ihrer Schwere nicht mit Verwaltungsakten etwa des BAMF vergleichbar sind. Die Bundesregierung sollte Transparenz über die Kriterien schaffen – auch unabhängig eines subjektiven Anspruchs der Betroffenen. Die handfesten Auswirkungen auf die Betroffenen jedenfalls würden aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG wenigstens erfordern, dass die Betroffenen Zugang zu rechtlicher Beratung erhalten  und die Entscheidungen nachvollziehbar und im Wege des Rechtsschutzes überprüfbar sind.


2 Comments

  1. Ulrich Reinhardt Wed 11 Dec 2019 at 17:05 - Reply

    Sehr geehrter Herr Kokott,

    eine hochinteressante Problemstellung, welche Sie hier beschreiben. Vielen Dank für Ihren Artikel. Gestatten Sie mir bitte die Frage ob Ihnen bekannt ist, wieviele Befragungen hier in einem bestimmten Zeitraum durchschnittlich durchgeführt werden und von was für Zahlen wir hier reden? Handelt es sich um erhebliche Mengen von Personen welche hier eine Rechtsberatung benötigen würden, oder sprechen wir hier eher von einem zahlenmässig geringfügigeren Personenkreis?

    Hochachtungsvoll

    • Lennart Kokott Mon 16 Dec 2019 at 14:51 - Reply

      Sehr geehrter Herr Reinhardt, bis zum Oktober dieses Jahres wurden nach Auskunft der Bundesregierung binnen 18 Monaten 631 Sicherheitsbefragungen durchgeführt – also nicht eben wenige, wie ich finde. Wann und in welcher Frequenz das geschah und bei wie vielen Personen jeweils Sicherheitsbedenken angemeldet wurden, können Sie den beiden verlinkten Kleinen Anfragen entnehmen.

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