Kein Wahlkampf auf Staatskosten
Wie Abgeordnetenmitarbeiter auch künftig in den Wahlkampf einbezogen werden
In der letzten Woche hat der Bundestag eine Änderung des Abgeordnetengesetzes beschlossen. Künftig müssen Abgeordnete mit einem Ordnungsgeld rechnen, wenn sie ihre vom Bundestag bezahlten Mitarbeiter unzulässig für nicht-mandatsbezogene Tätigkeiten einsetzen. Damit soll vor allem verhindert werden, dass Abgeordnete im Wahlkampf unzulässig ihre parlamentarischen Mitarbeiter zum hauptamtlichen Wahlkampfteam umfunktionieren. Hintergrund ist ein entsprechender Hinweis des BVerfG, das die bisherigen Regelungen als nicht ausreichend bemängelt hatte. Bei genauer Hinsicht ist der Bundestag den Forderungen aus Karlsruhe aber nicht nachgekommen, sondern hat ein Aliud beschlossen. Aus praktischen wie aus verfassungsrechtlichen Gründen läuft der Versuch, den Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern im bzw. für den Wahlkampf zu unterbinden, weitgehend ins Leere.
Vom Fernsehreport zur Wahlprüfungsbeschwerde
Wenn sich ein paar Staatsrechtler irgendwo hoch oben im akademischen Elfenbeinturm versteckt halten sollten – Hans Herbert von Arnim ist ganz sicher nicht unter ihnen. Mit seinem scharfen Blick dafür, wo die bisweilen kantige Verfassungsdogmatik im politischen Alltagsgetriebe rundgeschliffen wird, hat sich von Arnim seit Jahrzehnten weit über den juristischen Fachdiskurs als Kritiker der Parteiendemokratie profiliert. Mit einer Änderung am Abgeordnetengesetz (Entwurf, Ausschussfassung) reagiert der Bundestag vor dem Wahljahr 2021 auf einen Teilerfolge von Arnims vor dem BVerfG im letzten Wahljahr 2017. Der Fall zeigt, wie schwierig es nicht nur politisch, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist, gleiche Chancen zwischen Wahlbewerbern herzustellen, die sich zum ersten Mal um ein Mandat bewerben, und solchen, die sich als Abgeordnete um ihre Wiederwahl bemühen.
Die jüngste Schlacht von Arnims beginnt mit einem Bericht von Report Mainz wenige Tage vor der Bundestagswahl 2013. Das Politmagazin begleitete Abgeordneten von CDU, SPD, GRÜNEN und LINKEN in ihrem Wahlkampf. Unter Politikern ist der Name von Arnims hinlänglich im Zusammenhang mit diversen Selbstbedienungsaffären bekannt, von der Hessischen Diätenerhöhungsaffäre 1988 bis hin zur Verwandtenaffäre im Bayerischen Landtag 2013. Deswegen wird man annehmen dürfen, dass die befragten Wahlkampfteams wohl etwas vorsichtiger gewesen wären, wenn sie gewusst hätten, wer diese Art von Wahlkampf im Beitrag kommentieren würde. Aber so berichtete die Büroleiterin eines SPD-Bundestagsabgeordneten ahnungslos und voller Eifer, „jeden Tag zehn, zwölf Stunden Wahlkampf“ für ihren Chef zu machen. Ein CDU-Abgeordneter gab freimütig zu, dass es eben „ein Vorteil (ist), jemand erfahrenes als Hauptamtlichen“ in der Wahlkampfzentrale zu haben und ein Kollege der Grünen wusste beizutragen, dass es in Berlin gerade ohnehin kein großes politisches Geschäft gebe. Treffendes Fazit eines LINKEN-Abgeordneten: Wer den Wahlkampf allein führe, habe eben „den Wert seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verstanden“. Nur der von Report Mainz befragte FDP-Abgeordnete war beim Drehtermin offenbar bereits gewarnt: Kamera aus, bitte.
Der Dreh wurde dann zu einer wahlrechtlichen Stoffsammlung, mit der „Prof. Dr. von A…“, wie es in der amtlichen Entscheidungssammlung heißt, das BVerfG beschäftigte (BVerfGE 146, 327). Mit seiner Wahlprüfungsbeschwerde brachte von Arnim auf 73 Seiten nicht nur den längst entschiedenen Evergreen Fünfprozentklausel erneut auf den Richtertisch, sondern außerdem vermeintlich unfaire Wettbewerbsvorteile der etablierten Parteien durch ihre politischen Stiftungen, sowie durch den Einsatz von Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter im Wahlkampf. Beide Problematiken köchelten seit Jahren vor sich hin – sie werden auch nach der aktuellen Kontroverse weiter köcheln, ohne dass man genau vorhersagen kann, ob es bei fast unvermeidbaren kleineren Einzelfallexplosionen bleibt oder ob es irgendwann doch zum großen Knall kommt.
In der Sache bestätigt
Doch der Reihe nach: Die übergeordnete These, die von Arnim in seiner Wahlprüfungsbeschwerde verfolgt, ist die, dass die Parteien das BVerfG gewissermaßen ausgetrickst, jedenfalls die passenden Werkzeuge gefunden hätten, um die verfassungsrechtliche Beschränkung der Parteienfinanzierung auszuhebeln. Ungeachtet einer Reihe von Korrekturen einer zunächst noch strengeren Rechtsprechung entspricht es bis heute dem Standpunkt des Karlsruher Gerichts, dass die Parteien fortdauernd in der Gesellschaft verankert bleiben und deswegen staatsfern organisiert sein müssen (BVerfGE 85, 264 [283]), weswegen eine staatliche Parteienfinanzierung immer nur eine Teilfinanzierung sein kann (BVerfGE 85, 264 [287]). Diesen Ansatz akzentuierte das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung von 1992 weiter mit einer absoluten und einer relativen Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung. Diese Begrenzungen liefen aber – so von Arnim – ins Leere, weil es die Parteien verstanden hätten, mit der Staatsfinanzierung von Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeitern und parteinahen Stiftungen die Vorgaben aus Karlsruhe zu umgehen. In seiner Wahlprüfungsbeschwerde zitiert von Arnim ein Bild Heribert Prantls: Die Parteien schöpften aus vier Töpfen, und nachdem das Gericht auf einen den Deckel gelegt habe, bedienten sich die Parteien nun aus den drei anderen umso ungenierter (Wahlprüfungsbeschwerde, S. 30).
Eine Reihe von Prozessscharmützeln und Sachstandsabfragen später verwarf der 2. Senat des BVerfG die Wahlprüfungsbeschwerde fünf Tage vor der folgenden Bundestagswahl teils als unzulässig, teils als offensichtlich unbegründet. Wie so oft bei Entscheidungen aus Karlsruhe musste sich der Beschwerdeführer mit Brot in den Entscheidungsgründen zufriedengeben – wobei auch das gut schmecken kann. In der Sache bestätigte der Senat nämlich die Rechtsansichten von Arnims jedenfalls im Grundsatz und gab dem Bundestag zugleich Hausaufgaben auf. Das BVerfG erinnerte daran, dass nach § 12 III 1 AbgG der Erstattungsanspruch auf den mandatsbedingten Aufwand begrenzt und eine Wahrnehmung von Partei- oder Wahlkampfaufgaben nicht erstattungsfähig sei (BVerfGE 146, 327 [Rn. 85]): „Nehmen Abgeordnetenmitarbeiter während ihrer Dienstzeit an Wahlkampfeinsätzen teil und wird dem Abgeordneten der dabei entstehende Aufwand ersetzt, liegt eine unzulässige Inanspruchnahme staatlicher Ressourcen zu Parteizwecken vor“, worin zugleich ein Wahlfehler liegt (BVerfGE 146, 327 [Rn. 90]). Angesichts des erheblichen Missbrauchspotenzials bei der Weiterbeschäftigung von Wahlkreismitarbeitern im Wahlkampf fehle es bisher an den erforderlichen Regeln, die einen ausreichenden Mandatsbezug dieser Tätigkeiten sicherstellten (BVerfGE 146, 327 [Rn. 113 f.]).
Zu kurz gegriffen
Der Wink aus Karlsruhe war klar: Die bisherigen Regeln zum Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern müssen nachgebessert werden. Das ist nun in zwei Schritten geschehen. In einem ersten Schritt hat der Ältestenrat laut Presseberichten die Ausführungsbestimmungen zum Abgeordnetengesetz um eine „Negativliste“ ergänzt, der zufolge Abgeordnetenmitarbeiter nicht dafür herangezogen werden dürfen, Wahlkampfstände zu betreuen oder Wahlplakate aufzuhängen. Wie schwer sich der Bundestag hier mit ausreichender Transparenz tut, zeigt sich daran, dass die Liste bisher nicht im Internet veröffentlicht wurde.((Aus Anlass dieses Beitrags hat der Autor den Bundestag um Übersendung der Liste gebeten. Eine telefonische Rückfrage am 16.10.2020 ergab, dass dieses Anliegen gerade geprüft wird. Die im Internet abrufbaren Ausführungsbestimmungen zum Abgeordnetengesetz sind noch auf dem Stand von 2017.))
In einem zweiten Schritt billigte der Bundestag nun einstimmig einen Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, mit dem § 12 AbgG um folgenden Absatz 3a ergänzt wird: „Ausgeschlossen ist die Erstattung für Tätigkeiten der Mitarbeiter, die nicht der Unterstützung bei der Erledigung der parlamentarischen Arbeit dienen und deshalb nicht in der Arbeitszeit ausgeübt werden dürfen. Das Präsidium kann gegen ein Mitglied des Bundestages, das hiergegen verstößt, ein Ordnungsgeld bis zur Höhe der Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung festsetzen (…)“ (beschlossene Ausschussfassung, S. 3).
Ob der Bundestag damit den Anforderungen aus Karlsruhe genügt, muss bezweifelt werden. Der erste Satz erschöpft sich in einer sehr allgemeinen Wiedergabe der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Zwar regelt der neu eingeführt Absatz sodann ein Ordnungsgeld als Sanktion für eine missbräuchliche Verwendung der eigenen Abgeordnetenmitarbeiter. Das BVerfG hatte indes gar keine weiteren Sanktionen angemahnt, sondern gerügt, dass Abgeordnete – anders als nach § 52 I AbgG die Fraktionen – nicht verpflichtet seien, über den Einsatz der Mittel Rechenschaft abzulegen, dass keine externe Kontrolle der Mittelverwendung stattfinde und dass spezifische Vorkehrungen zur Nachvollziehbarkeit der Grenzen für die Mittelverwendung fehlten (BVerfGE 146, 327 [Rn. 114]).
Tatsächlich scheinen sich noch nicht alle Abgeordneten auch nur der Konsequenzen im Klaren zu sein, die mit der missbräuchlichen Verwendung von Abgeordnetenmitarbeitern ohnehin schon einhergehen. So scheiterte im Ausschuss ein Vorschlag der Grünen, für zweckentfremdete Mittel einen Rückerstattungsanspruch zu normieren (Ausschussbericht, S. 8). Die SPD war laut Ausschussbericht der Auffassung, ein solcher Anspruch sei abzulehnen, weil er sich nicht beziffern lasse. Dass sich der wirtschaftliche Wert einer unzulässigen Inanspruchnahme von Arbeitskraft nicht in Euro und Cent beziffern lassen soll, kann einen nur in Erstaunen versetzen. Richtigerweise ergibt sich der Erstattungsanspruch jedenfalls aus dem ungeschriebenen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, wie der Unionsberichterstatter Patrick Schneider in der Plenarberatung einräumte (S. 22891A).
Die Bezifferung eines etwaigen Schadens ist aber auch deswegen erforderlich, weil eine missbräuchliche Mittelverwendung nicht nur zu einer Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 StGB) führen, sondern darüber hinaus parteienrechtliche Strafzahlungen für die Entgegennahme einer unzulässigen Parteispende der öffentlichen Hand nach § 31c i. V. m. § 25 II Nr. 1 PartG nach sich ziehen kann. Alle drei Sanktionen – Rückzahlung, Strafbarkeit, parteienrechtliche Strafzahlungen – hatte das BVerfG ausdrücklich bereits als geltendes Recht benannt (BVerfGE 146, 327 [Rn. 114]).
Hohe Hürden und ein schmaler Grat
Ungeachtet des beachtlichen Sanktionsapparats dürfte aber aus verfassungsrechtlichen Gründen das Schwert in den meisten Fällen stumpf bleiben. Denn die Hürden dafür, dass überhaupt eine missbräuchliche Verwendung der Abgeordnetenmitarbeiter vorliegt, sind schon materiell-rechtlich sehr hoch und in verbleibenden Graubereichen lässt sich ein Beweis missbräuchlicher Mittelverwendung kaum führen. Genau das musste auch von Arnim vor dem 2. Senat erfahren.
In materieller Hinsicht hat das Gericht ausdrücklich klargestellt, dass Abgeordnete gewissermaßen bis zur letzten Minute und auch im laufenden Wahlkampf für mandatsbezogene Tätigkeiten uneingeschränkt weiter eingesetzt werden dürfen. Das ist konsequent. Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des BVerfG verlangt die Parteiengleichheit gerade nicht, dass der Staat in die vorgefundene Wettbewerbslage eingreift und ohnehin bestehende Unterschiede zwischen den politischen Parteien aktiv ausgleicht (bereits BVerfGE 14, 121 [134]; seither in unterschiedlichsten Zusammenhängen ständig wiederholt). Dabei räumt das Gericht ein, dass bei einer Vielzahl von Tätigkeiten, etwa bei der Beantwortung von Presse- und Bürgeranfragen sowie bei der Koordination von Veranstaltungen und öffentlichen Terminen, Mandats- und Wahlkampftätigkeit letztlich zusammenfallen. Solange die Tätigkeit aber formell mandatsbezogen ist, wird diese Doppelwirkung hingenommen: Nicht zu beanstanden ist, wenn sich mandatsbezogene Tätigkeit auch vorteilhaft auf den parallel laufenden Wahlkampf des Abgeordneten auswirkt (BVerfGE 146, 327 [Rn. 88]).
Soweit es um eindeutige Wahlkampfaktivitäten – Plakate kleben, Wahlkampfstände betreuen – geht, verbleibt ebenfalls noch eine entscheidende Lücke, die sich gerade aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht schließen lässt: Wie der 2. Senat in einem parallel durch von Arnim als Bevollmächtigten betriebenen Organstreitverfahren der ÖDP ausgeführt hatte, kann Mitarbeitern von Bundestagsabgeordneten nicht verwehrt werden, sich in ihrer Freizeit parteipolitisch zu engagieren (BVerfGE 140, 1 [Rn. 99]).
Nach alledem müssen sich Abgeordnete schon sehr ungeschickt anstellen, um einen missbräuchlichen Einsatz ihrer Mitarbeiter gerichtsfest beweisbar zu machen. Genau hieran scheiterte letztlich die Wahlprüfungsbeschwerde von Arnims. Wenig überraschend ließ sich das BVerfG nicht darauf ein, allein aus der Höhe der Abgeordnetenmittel einen Missbrauch derselben abzuleiten (BVerfGE 146, 327 [Rn. 93 ff.]), denn sonst hätte es sich auf bloße Mutmaßungen gestützt. Soweit die Recherchen von Report Mainz diese Vermutungen scheinbar – zumindest für vier Abgeordnete – substantiiert hatten, kam es, wie es kommen musste. Auf Befragen der Staatsanwaltschaft erinnerten sich die betroffenen Mitarbeiter auf einmal ganz anders an den Wahlkampf als noch gegenüber Report Mainz: Nunmehr hatten sie in ihrer Arbeitszeit natürlich nur Bürgeranfragen beantwortet und Wahlkampf ausschließlich in ihrer Freizeit gemacht.
Abgeordnete, die den Wert ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstanden haben, könnten diese Wertschätzung im Spätsommer 2021 also vielleicht dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie ihnen Gelegenheit geben, die im Laufe der Legislaturperiode reichlich angefallenen Überstunden abzubauen. Wer weiß – vielleicht revanchiert sich der ein oder andere, indem er sich in seiner Freizeit im Wahlkampf engagiert?