11 February 2020

Ãœber die Wahrung der demokratischen Form

In einem Artikel von diesem Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagt Redakteur Reinhard Müller den Umgang der Bundespolitik mit der politischen Situation in Thüringen aus verfassungsrechtlicher Sicht. Insbesondere die Feststellung der Bundeskanzlerin, die Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD sei „unverzeihlich“ und solle rückgängig gemacht werden, kommentiert er kritisch. „Die Bundeskanzlerin hat Thüringen im Prinzip nichts zu sagen“, denn um eine Pflicht des Landes gegenüber dem Bund sei es nicht gegangen und mangels Parteivorsitzes habe sie auch kein politisches Mandat dazu, sich in der Sache zu äußern – umso mehr nicht, wenn es um eine demokratische Wahl gehe, die der Landtag aus eigenem Recht vorgenommen habe. Hier gelte es, „die demokratische Form zu wahren“. Juristisch untermauert wird diese Sicht durch einen Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dessen zweiter Senat der Bundesregierung Neutralitätspflichten im politischen Meinungskampf auferlegt habe.

Aus dieser Perspektive erscheint es verfassungsrechtlich zwielichtig, wenn die Bundeskanzlerin die Wahl eines Landesministerpräsidenten kritisiert, weil sie zum einen nicht zuständig und zum anderen zu politischer Neutralität verpflichtet ist. Am ersten Argument ist eigentlich nur interessant, dass es zu diesem Anlass das Licht der Welt erblickt. Das ausgiebige wechselseitige Kommentieren von Bundes- und Landespolitik gehört seit ihrem Anbeginn zu den Selbstverständlichkeiten der Bundesrepublik. Man fragt sich, was Franz-Josef-Strauß oder Johannes Rau dazu gesagt hätten, wenn man sie auf die Kompetenzordnung des Grundgesetzes hingewiesen hätte, als sie sich bundespolitisch äußerten. Dass dies verfassungsrechtlich völlig unproblematisch ist, weil allgemein-politische Äußerungen keiner föderalen Kompetenzordnung unterliegen, ist, soweit ich sehe, noch nie in Frage gestellt worden. Dass es politisch geboten ist, weil Landespolitik und Bundespolitik, namentlich in der Institution des Bundesrates, durch das Grundgesetz absichtsvoll verschränkt wurden, ist ebenso klar. 

Das zweite Argument ist von größerem Interesse. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht es in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 der damaligen Bundesforschungsministerin untersagt, eine Warnung vor der AfD auf die Homepage des Ministeriums zu stellen. Freilich trifft nicht zu, dass es diese Rechtsprechungslinie Angehörigen der Bundesregierung untersagt, sich politisch zu äußern, wie Müller mit einem Halbsatz aus der Entscheidung andeutet. Die berechtigte Wurzel dieser Rechtsprechung liegt nicht im Anliegen einer De-Politisierung der Regierung, sondern in der Sicherung politischer Chancengleichheit zwischen den Parteien der Opposition und den mit ungleich mehr Ressourcen ausgestatteten Angehörigen der Regierung. Entsprechend hat das Gericht eine eindeutige politische Äußerung der damaligen Bundesministerin Schwesig gegen die NPD im Jahr 2014 nicht beanstandet. 

Dennoch bleibt die Vorstellung, die Bundesregierung sei einem Neutralitätsgebot unterworfen, irritierend. Denn als demokratisches Organ kann sie nicht anders, als sich politisch zu äußern – und zwar nicht nur, wenn ihre Angehörigen zugleich ein Parteiamt bekleiden. Sollte eine Antwort auf die politische Krise wirklich darin liegen, mit verfassungsrechtlichen Mitteln aus Politikern Beamte zu machen und die eigentliche Politik damit im Ergebnis denen zu überlassen, die keine Ämter im geltenden System anstreben? Das Verständnis des Regierens als höhere Form des Verwaltens war für Max Weber ein wesentlicher Grund für den gerechtfertigten Niedergang des Kaiserreichs. Gut passt dazu der Ruf nach einer Expertenregierung in Erfurt. Verfassungsrechtlich entsteht auf diese Weise eine seltsame Zwei-Welten-Lehre einerseits aus Systemgegnern, die unter Berufung auf die Meinungsfreiheit fast alles, andererseits aus politischen Amtsträgern, die fast gar nichts mehr sagen dürfen. Die wehrhafte Demokratie kann so nicht im politischen Alltag beginnen.

Die Vorstellung, Politik als „Kompetenzausübung“ zu verstehen und dadurch juristisch weitgehend einzuhegen, ist, das hat Christian Neumeier soeben in einer brillanten von Christian Waldhoff an der HU betreuten Promotionsschrift rekonstruiert, ein Kind des krisengeplagten deutschen Nationalliberalismus des späten 19. Jahrhundert. Eine Entsprechung in anderen demokratischen Verfassungsordnungen wird sie nicht finden. Dass eine Regierungschefin politisch neutral sein sollte, dürfte wohl nirgendwo auf Verständnis stoßen. Wäre sie es, würden sofort Klagen über das innenpolitische Vakuum laut, das eine solche Neutralität zwangsläufig erzeugt. Nicht zum ersten Mal wird hier eine politische Auseinandersetzung in einen Legalitätsdiskurs übergeleitet, der die demokratische Auseinandersetzung schwächt. Im Traum von der unpolitischen Regierung gehen bürgerliche Politikaversion, die nachwirkende Erfahrung mit der Behaglichkeit der alten Bundesrepublik, der Glaube an einen vorpolitischen Selbststand des Rechtsstaats, aber vielleicht auch eine intellektuell ausgezehrte Juristenausbildung eine Allianz ein, die mit dem Politikverständnis des Grundgesetzes nichts zu tun hat.

„Die demokratische Form wahren“ – was immer das bedeuten soll, es kann nicht heißen, politisch neutral zu sein. Hier verwechselt Müller, aber nicht nur er, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Form der Demokratie ist die Form der Politik. 


45 Comments

  1. mq86mq Wed 12 Feb 2020 at 00:34 - Reply

    Der Unterschied ist halt, dass es sich hier um eine Wahl handelt, wo für Amtspersonen an sich ganz andere Maßstäbe bezüglich der Neutralität gelten. Die Wahl war zwar nicht allgemein, aber die Tatsache, dass man dabei die Wahlfreiheit als so schutzwürdig erachtet, dass ihre Geheimheit in der Verfassung festgeschrieben wird, spricht schon für eine vergleichbare Behandlung. Die Wahl war zwar vorbei, aber der Zweck ist ja ersichtlich eine Drohung für die nächste.

    • Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 16:31 - Reply

      Ähm, naja. Die Kanzlerin hat auch bei der nächsten Wahl keine formalen Eingriffs- oder Zugriffsrechte auf den Thüringer Landtag und das dortige Wahlverfahren, oder? Dass sie informell Druck auf ihre Thüringer Parteigliederung macht, ist doch völlig legitim (wenn auch deutlich verspätet)…

      • mq86mq Wed 12 Feb 2020 at 18:10 - Reply

        Soweit die Wahlfreiheit tangiert ist, geht es nicht nur um Eingriffe in das formale Wahlverfahren.

        • Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 18:33 - Reply

          Stimmt, aber: ist denn hier ernsthaft die Wahlfreiheit tangiert? Die Abgeordneten sind doch durch die öffentlichen Äußerungen der Kanzlerin in keiner Weise gebunden.

          • mq86mq Wed 12 Feb 2020 at 18:53

            Wenn Bürgermeister als Amtspersonen Wahlempfehlungen geben, ist auch niemand dran gebunden. Trotzdem kann es zur Ungültigkeit der Wahl führen. Bei allgemeinen Wahlen kann informeller Druck je nach Umständen strafbar sein.

            (Ich sag nicht, dass hier rechtswidriges Verhalten vorliegt, aber deutlich vorher beginnt der Bereich, wo man zumindest die politische Angemessenheit bezweifeln kann.)

  2. Marina F-K Wed 12 Feb 2020 at 06:14 - Reply

    Der Artikel enthält wertvolle Argumente für die Regierungschefs in Polen und Ungarn. Man darf gespannt sein, wie der Autor darauf reagiert, wenn dortige Regierungspitzen dazu auffordern Wahlen zu “korrigieren” und “rückgängig zu machen”.

    • Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 16:34 - Reply

      Wieso?! Das dürfen Kaczinski und co. politisch gerne fordern (wer wollte es ihnen verwehren?) – problematisch würde es erst dann, wenn sie sich die formalen Rechte dazu verschaffen würden. Davon ist Frau Merkel aber nun wirklich weit entfernt…

  3. Marc Robin Wiemert Wed 12 Feb 2020 at 08:34 - Reply

    Selbst wenn man den apolitischen und dem parlamentarischen System fremden Prämissen Müllers folgen würde, könnten diese nicht gegen die Aussagen von Frau Merkel nutzbar gemacht werden.

    Frau Merkel ist herausgehobene Amtsträgerin der CDU:
    Sie ist Mitglied des Organs der Bundes-CDU (Bundesvorstand, §§ 33 Statut der CDU), dass nach der Grundordnung der CDU für die Umsetzung von Bundesparteitagsbeschlüsse zuständig ist (§ 34 Abs. 1 S. 2 Statut).

    Der Bundesparteitag der CDU hat wiederholt – so etwa bei 31. Bundesparteitag 2018 in Hamburg mit den Beschlüsse C 76, C 101, C 164 und C 179
    – Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Kooperationsverbote mit der AfD für alle Parteiebenen beschlossen. Nach § 29 Abs. 1 Statut sind die Beschlüsse “als Grundlage für die Arbeit der CDU-Fraktionen und die von der CDU geführten Regierungen in Bund und Ländern verbindlich.”

    Nach der Grundordnung der CDU war es parteiintern gerade die Aufgabe von Frau Merkel diesen Beschluss umzusetzen. Nach §§ 24, 25 Statut kann der Bundesvorstand dazu gegenüber der CDU Thüringen das “Erforderliche veranlassen, im äußersten Falle einen Beauftragten einsetzen.”

    Ach ja, Frau Merkel hat noch ein weiteres politisches Amt neben der Kanzlerinnenschaft. Sie ist MdB.

  4. Citizen Wed 12 Feb 2020 at 09:14 - Reply

    dpa Meldung vom 11.02.:

    AfD will Merkel verklagen – Jurist: “reiner PR-Trick”

  5. Nico Hard Wed 12 Feb 2020 at 09:58 - Reply

    Der ganzen Problematik könnte man die Frage voranstellen, ob Merkel sich überhaupt in ihrer Rolle als Kanzlerin geäußert hat oder, ob die Äußerungen auf ihre Position als ehemalige Parteichefin, CDU-Politikerin und Vorstandsmitglied zurückzuführen sind.

    Zudem ist die Aussage, dass politisches Regieren keine Kompetenzausübung sei, sehr fragwürdig. Jegliches staatliche Handeln hat sich an der Kompetenzordnung des GG messen zu lassen – erst recht, wenn es um das Verhältnis zwischen Bund und Ländern geht. Das folgt aus dem Bundesstaatsprinzip.

    Ich verstehe den Gedanken und das Gefühl, dass all diese “Vorgaben” einem effektivem Regieren gewissermaßen im Weg stehen. Das ist allerdings der Preis, der für eine rechtsstaatliche Demokratie gezahlt werden muss.

  6. Marina F-K Wed 12 Feb 2020 at 10:59 - Reply

    Worauf zielt der Hinweis auf CDU-Parteibeschlüsse ab?

    Es ist mir vermutlich entgangen, dass in Deutschland Parteirecht Verfassungsrecht überlagert.

    • Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 16:38 - Reply

      Das nicht, aber vermutlich ist Ihnen entgangen, dass auch MdB Merkel das Recht auf freie Meinungsäußerung für sich beanspruchen kann? Mehr hat sie nicht getan.

  7. Heinrich Niklaus Wed 12 Feb 2020 at 11:11 - Reply

    Die Bundeskanzlerin hat gefordert, die demokratisch korrekte Wahl im thüringischen Landtag von Herrn Kemmerich „rückgängig“ zu machen.

    Frau Merkel hat dann nach Pressemitteilungen gegenüber der FDP damit gedroht, alle Landesregierungen, an denen die FDP beteiligt ist, aufzulösen, wenn Ministerpräsident Kemmerich nicht zurücktritt.

    Daraufhin ist Ministerpräsident Kemmerich zurückgetreten.

    Ich nehme zur Kenntnis nach diesem Artikel von Herrn Möllers: Das durfte Frau Merkel zur Durchsetzung von Parteitagsbeschlüssen. Ist das so richtig?

    • Philipp Wed 12 Feb 2020 at 11:55 - Reply

      Nach Herrn Möllers wären dazu gar keine Parteitagsbeschlüsse erforderlich gewesen, dieses Hilfsargument kam von Herrn Wiemert.

      Sie werden im Öffentlichen Recht kaum eine seriöse Person finden, die Merkels Verhalten für auch nur möglicherweise illegal hält. Man mag das Vorgehen politisch unterschiedlich bewerten (war es legitim, war es strategisch klug? usw.), aber verfassungsrechtlich zulässig war es selbstverständlich.

      • Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 16:41 - Reply

        Genau so ist es. Wo die Illegalität liegen soll, ist mir völlig schleierhaft.

      • Heinrich Niklaus Wed 12 Feb 2020 at 18:51 - Reply

        Herr Kemmerich ist doch nicht aufgrund freier Entscheidung zurückgetreten. Auf ein demokratisch gewähltes Verfassungsorgan würde erheblicher Druck ausgeübt, zurückzutreten. Und das soll jetzt damit abgetan werden, die Kanzlerin „hätte ihre Meinung geäußert“?

        Wo steht in der Verfassung des Landes Thüringen, dass die Wahl des Ministerpräsidenten mit den Stimmen einer bestimmten Partei „rückgängig“ zu machen ist, wenn die anderen Parteien und die Bundeskanzlerin dies für richtig halten?

        Damit wird doch unser demokratisches Wahlrecht in Frage gestellt. Ich verstehe nicht, dass man darüber in einem Rechtsstaat einfach hinweggeht.

    • schorsch Wed 12 Feb 2020 at 18:57 - Reply

      So lange gedrückt und es kam doch keine Korinthe dabei raus: Merkel hat gefordert, das „Ergebnis“ der Wahl rückgängig zu machen, nicht die Wahl.

  8. Marina F-K Wed 12 Feb 2020 at 12:38 - Reply

    “Sie werden im Öffentlichen Recht kaum eine seriöse Person finden, die Merkels Verhalten für auch nur möglicherweise illegal hält.”

    Gut zu wissen, dass wer heutzutage seriös sein will, keinen Widerspruch zu Merkels Handlungen äußern darf.

    Wie nennt man nochmal Staatsformen, die Widerspruch gegen den Herrscher nicht dulden?

    • Philipp Wed 12 Feb 2020 at 13:04 - Reply

      “keinen Widerspruch zu Merkels Handlungen äußern darf”: Ist das verschwörungstheoretisch gemeint im Sinne eines eingebildeten liberalen Meinungskartells oder begreifen Sie den Unterschied zwischen (Verfassungs-)Rechtmäßigkeit und Legitimität einfach nicht? Man kann (“darf”) selbstverständlich Merkels Vorgehen politisch, moralisch oder ästhetisch kritisieren (“Widerspruch äußern”). Man macht sich nur rechtswissenschaftlich etwas lächerlich, wenn man es für illegal hält.

      Vielleicht suchen Sie sich besser einen weniger juristischen blog zum Kommentieren?

  9. Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 16:28 - Reply

    Volle Zustimmung, lieber Herr Möllers. Hoffen wir mal, dass der Zweite Senat das in Sachen Seehofer/AfD ähnlich sieht wie Sie…

  10. Marina F-K, Wed 12 Feb 2020 at 18:24 - Reply

    “Das nicht, aber vermutlich ist Ihnen entgangen, dass auch MdB Merkel das Recht auf freie Meinungsäußerung für sich beanspruchen kann? Mehr hat sie nicht getan.”

    Ihr “Recht auf freie Meinugsäußerung” als MdB hat Frau Merkel demnach passenderweise beim Staatsbesuch als Kanzlerin in Südafrika in Gegenwart von Präsident Ramaphosa ausgübt.

    In der Thüringischen Landesverfassung taucht der Begriff “Bundeskanzler” übrigens nicht auf. Ebenso sieht weder das Grundgesetz noch irgendeine Landesverfassung das “Rückgängigmachen” von Wahlen vor, wenn diese regelkonform erfolgt sind.

    In der Thüringischen Landesverfassung steht aber folgendes:

    “Der Landtag ist das vom Volk gewählte oberste Organ der demokratischen Willensbildung.”

    Offensichtlich ficht das unsere Kanzlerin nicht weiter an. Dann bleibt aber festzuhalten, dass sie sich gegen die Verfassung stellt. Das ist nun zwar beileibe nichts Neues, erwähnen darf man es trotzdem.

    • Law as Integrity Wed 12 Feb 2020 at 18:36 - Reply

      Liebe Marina, das “Rückgängigmachen” wurde ja (natürlich) nicht angeordnet, sondern die Kanzlerin hat lediglich ihre Meinung dazu geäußert (ob in Südafrika oder Erfurt tut doch nichts zur Sache). Der Landtag ist völlig frei, zu tun, was er will – wohin das allerdings führt, haben wir ja gesehen… ;-)

      • Heinrich Niklaus Wed 12 Feb 2020 at 19:03 - Reply

        Ich kann Ihnen nicht folgen! Wenn zutrifft, was die WAZ schreibt, hat Merkel die FDP regelrecht erpresst, Kemmerich zum Rücktritt zu bewegen:

        „Die Kanzlerin soll laut einem Zeitungsbericht der FDP angedroht haben, alle Bündnisse mit der CDU zu beenden.“ https://www.waz.de/politik/landespolitik/thueringen-krise-drohte-merkel-mit-koalitions-aus-in-nrw-id228376173.html

        • Law as Integrity Thu 13 Feb 2020 at 14:16 - Reply

          Naja, schön und gut, aber wo steckt denn hierin nun die Rechtswidrigkeit? Selbst, wenn das stimmen sollte: Merkel bräuchte dafür die nötigen innerparteiliche Mehrheiten (die sie nicht bekäme) und die Zustimmung der entsprechenden Landtagsfraktionen. Ein Machtmissbrauch läge dann schon deshalb nicht vor, weil sie ein solches Vorgehen nicht einfach ‘anordnen’ kann. Hätte sie allerdings die entsprechenden innerparteilichen Mehrheiten, wäre doch dagegen (aus demokratietheoretischer Sicht) wenig einzuwenden. Sie scheinen davon auszugehen, dass AM einfach per ‘Ordre de Mutti’ dies oder jenes anordnen kann – das kann sie offenkundig nicht…

  11. Marina F-K Wed 12 Feb 2020 at 19:08 - Reply

    “Wieso?! Das dürfen Kaczinski und co. politisch gerne fordern (wer wollte es ihnen verwehren?) – problematisch würde es erst dann, wenn sie sich die formalen Rechte dazu verschaffen würden.”

    Dachte nicht, dass man das Niveau des Diskutanten Philipp so deutlich unterbieten kann, aber sei’s drum:

    Im Unrechtsstaat sind nicht formale Rechte entscheidend, sondern das, was tatsächlich passiert.

    Wenn das jetzt für Sie eine Neuigkeit war, dann lernen Sie heute halt etwas dazu, mein Lieber.

    • Rydberg Thu 13 Feb 2020 at 08:54 - Reply

      Also wenn Sie schon anderen Kommentatoren ein niedriges Niveau vorwerfen wollen, sollten Sie vielleicht erst bei sich selbst anfangen, gerade wenn Sie glauben wir leben in einem Unrechtsstaat. Entweder Sie nehmen die hier geäußerten Rechtswissenschaftlichen Argumente zu Kenntnis oder ich schlage vor Sie suchen sich einen Blog, der eher zu Ihrer Couleur passt

      • Jo Sat 15 Feb 2020 at 03:52 - Reply

        Also man kann schon legitim die Meinung vertreten, wir würden in einem Unrechtsstaat leben, wenn
        Staatsanwälte weisungsgebunden sind,
        Richter in Bezug auf Berufung und Beförderung von der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt abhängig sind,
        Amtspersonen nur in bestimmten Sonderfällen unter der Erfordernis des von Richtern willkürlich feststellbaren Tatbestandsmerkmals “Verwerflichkeit” wegen Amtsmissbrauchs verurteilt werden können,
        Rechtsbeugung der Verklammerung mit staatsanwaltschaftlich subjektiv erkanntem und vorgeworfenem sowie richterlich subjektiv festgestelltem “schuldhaftem Verhalten”, d.h. hier “bewusste und schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz”, postnazi-rechtsfigürlich unterworfen ist, und
        die GG-Normen zum Hochverrat in einem verfassungswidrigen und -feindlichen Akt (nämlich ohne 2/3-Mehrheit in BT und BR) 1951 aus dem GG ohne Aufschrei der Juristerei entfernt wurden, zwar wenn auch nur redaktionell, so doch aber auch ohne Rückgängigmachung resp. ohne juristische Erklärung der Nichtigkeit dieses Vorgangs sowie mit Fügung der Rechtswissenschaft und mit höchstrichterlich angepasster (Nicht-)Rechtsprechung; und dann letztlich anstelle dessen nur ein § 81 “Hochverrat gegen den Bund” angelegt und dessen Strafverfolgung somit der Weisungsbefugnis des Innenministers unterstellt wurde.
        Für Details siehe:
        ehem. Grundrechtepartei/Grundrechtestiftung: “Straffreiheit im Amt: Amtsmissbrauch in Deutschland muss strafbar sein!”, 15. September 2019 (online verfügbar)
        ehem. Grundrechtepartei/Grundrechtestiftung: “Rechtsbeugung”, 7. Februar 2019 (online verfügbar)

        So wundert es auch nicht, dass der EuGH vor einiger Zeit feststellte, dass Deutschland aufgrund der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive rechtsstaatlichen Standards nicht genüge, und entschied, dass deutsche Staatsanwälte daher keine Europäischen Haftbefehle ausstellen dürfen.
        Siehe:
        Annelie Kaufmann, Dr. Markus Sehl: “EuGH zu Europäischem — Haftbefehl Deut­sche Staats­an­wälte nicht unab­hängig genug”, in: Legal Tribune Online, 27.05.2019

    • Law as Integrity Thu 13 Feb 2020 at 14:18 - Reply

      Sehr niedlich, Marina. Dazugelernt habe ich leider nichts. Macht aber nichts: Sie ja auch nicht…

  12. Heinrich Niklaus Wed 12 Feb 2020 at 22:33 - Reply

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Merkels Eingriff in die Verfassung als „Meinungsäußerung“ gesehen werden kann. Torsten Krauel von der WELT fragt deshalb auch : „…warum beugte sie durch die Forderung, die Wahl eines Ministerpräsidenten rückgängig zu machen, vom Ausland her Verfassungsrecht…“ https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus205759657/Starke-AfD-im-Osten-Das-Problem-der-CDU-ist-die-Methode-Merkel.html

    • Rydberg Thu 13 Feb 2020 at 15:36 - Reply

      Also Ihre Argumentation ist mir nicht ganz klar. Nehmen wir mal an Ich oder von mir aus auch ein Minister würde mehr direkte Demokratie fordern. Begehen wir dann auch Rechtsbeugung und handeln gegen die Verfassung? Warum ist das bei Merkel, die einfach nur fordert, dass das Ergebnis der Wahl rückgängig gemacht werden muss aka einen Rücktritt Kemmerichs fordert (oder auch eine Landtagsauflösung bzw. einen neuen MP). Darf ich oder ein Minister niemandes Rücktritt mehr fordern?

      • Rydberg Thu 13 Feb 2020 at 15:47 - Reply

        Man setze noch ein *anders? hinter die Klammer

      • Heinrich Niklaus Thu 13 Feb 2020 at 16:00 - Reply

        Das Wahlrecht ist eine der tragenden Säulen der Demokratie. Es wurde hart erkämpf und es garantiert, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.

        Wenn wir zulassen, dass Wahlen „rückgängig“ gemacht werden, so geschehen in Thüringen, geben wir diesen zentralen Rechtsgrundsatz unserer Demokratie auf.

        Das berührt die Grundfeste unseres Rechtsstaates.

        • Rydberg Thu 13 Feb 2020 at 19:25 - Reply

          Das ist in diesem Kontext nur leider schlicht Unfug. Sonst wären ja Neuwahlen, Rücktritt, Gesetzesänderungen, die frühere Änderungen annulieren alle samt undemokratisch. Weder am Wahlrecht der Abgeordneten noch an dem der Bürger wurde hier ja gerüttelt. Es gehört halt auch zu unserer Demokratie, dass wir weder Gesetzesänderungen noch andere Abstimmungen im Parlament gut finden müssen. Wenn sich Amtsträger und Abgeordnete nun entscheiden, unter diesem Protest auch Kursänderungen zu vollziehen, dann ist das nicht undemokratisch, sondern ein essentieller Bestandteil unseres repräsentativen Systems. Sich die ganze Zeit nur an diesem rückgangig aufzuhängen (und nochmal in aller Deutlichkeit, nicht die Wahl selber, sondern das Ergebnis sollte rückgängig gemacht werden) führt halt auch nicht zu einer sachlichen Diskussion

          • Heinrich Niklaus Fri 14 Feb 2020 at 07:40

            Sie können doch nicht eine demokratisch überhaupt nicht legitimierte “Rückgängigmachung” einer demokratisch legitimierten Wahl durch eine Regierungschefin mit einer “Neuwahl” gleichsetzen. Das ist absurd!

            Wo steht in der Verfassung, dass die Kanzler Deutschlands demokratisch legitimierte Wahlen auf Länderebene “rückgängig” machen können?

          • Rydberg Fri 14 Feb 2020 at 10:53

            Das ist doch der Kern der Sache: Was tut eine Neuwahl anderes, als das Ergebnis der Wahl davor rückgängig zu machen? Was macht eine neue Regierung, die das Gesetz der Vorgänger zurücknimmt? Das Ergebnis wird dann doch rückgängig gemacht, nicht im Sinne von es ist nie passiert, sondern die Folgen etc. sind zurückgedreht worden. Die Kanzlerin kann auch das Ergebnis der Wahl nicht rückgängig machen, sie kann selbiges aber fordern. Wenn ich beispielsweise sage: Die Bundesregierung sollte abgesetzt werden. Dann können Sie mir noch so häufig vorwerfen, ich stehe nirgendwo im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik, fordern kann ich es dennoch. Und selbst wenn mein Druck die Bundesregierung veranlasst zurückzutreten, habe ich sie ja nicht abgesetzt. Welche Signale das sendet sei dahingestellt, darum geht es in einer rechtlichen Bewertung der Sache auch nicht.

  13. Schneider Thu 13 Feb 2020 at 20:52 - Reply

    Der Vergleich mit bundespolitischen Kommentaren von FJ Strauß einstmals hinkt leider gewaltig. Strauß war immerhin Vorsitzender einer bundespolitisch agierenden Regionalpartei und als solcher ebenso angehalten, zu bundespolitischen Themen Stellung zu beziehen wie der Vorsitzende der Schwesterpartei.
    Einen halbwegs vergleichbaren Fall in der bundesrepublikanischen Historie finde ich eigentlich nur im Rücktritt des ba.-württ. MPs Filbinger, der 1978 von der Bundespartei – aber auch von Parteifreunden auf Landesebene – zum Rücktritt gedrängt wurde – dies jedoch nur in Bezug auf die Rolle Christian Lindners. Kanzler war zu dieser Zeit Helmut Schmidt, und mir ist nicht bekannt, ob er sich damals überhaupt zur Causa Filbinger geäußert hat.
    Dennoch steht es wohl außer Frage, daß sich eine BK auch zu landespolitischen Themen Stellung beziehen darf, solange sie nicht erkennbar aus ihrem Amt heraus agiert. Wie gefährlich solch ein Vorgehen ist, hat sich aber doch vor aller Augen sichtbar gezeigt: Die Bundesvorsitzende der CDU wurde somit ja offen als Papiertigerin desavouiert und zum Rücktritt gezwungen. Aus der landes- wurde eine bundespolitische Krise.
    Ferner entsteht durch die Äußerung der BK der fatale Eindruck, als könnte die Bundesregierung das Föderalitätsprinzip overrulen. Ich empfinde dieses in der Tat als beschädigt: Eine unabhängige Landespolitik wird nach dieser Affäre de facto künftig noch schwerer als ohnehin fallen. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Aspekt vermisse ich leider im Artikel.
    Auch die Wortwahl “rückgängig machen” bedarf einer kritischen Hinterfragung. Eine demokratische Wahl ist nicht “rückgängig” zu machen! Diese Formulierung hätte zumindest einer Erläuterung bedurft, die es m.W. nicht gegeben hat. Hätte die BK sich in gleicher Weise geäußert, wäre Kemmerich mit den Stimmen der Linken ins Amt gewählt worden, so wäre ich im Zweifel, ob sie jetzt noch im Amt wäre.
    Die Bewertung “verfassungsPOLITISCH zwielichtig” finde ich sowohl hinsichtlich Föderalitätsprinzip als auch Wortwahl Merkel durchaus zutreffend – daß dies auch “verfassungsRECHTLICH zwielichtig” wäre, eher nicht. Ãœber beides erhoffte ich mir vergeblich Aufschluß aus dem Artikel.

    • Rydberg Thu 13 Feb 2020 at 23:26 - Reply

      Das heißt, als ehemalige Vorsitzende hat Sie nicht die gleichen Äußerungsrechte wie eine aktuelle Vorsitzende in dieser Position? Ob es nun klug war oder nicht sei dahingestellt, aber ich sehe auch unter diesen Aspekt wenig, um ihr das abzusprechen. Im Hinblick auf Helmut Schmidt ist rückblickend auch schwierig feststellbar (für mich jedenfalls), wieviel er in dieser Causa gesagt hat, da die Zeit eine andere war.
      Soweit ich das verfolgt habe, stolperte AKK vor allem darüber, dass sie schnell Neuwahlen gefordert hat, die die Landes-CDU nicht hinnehmen will. Das hat mir Merkels Aussage, wenn diese auch nicht unwichtig in der Gesamtbetrachtung ist, wenig zu tun. Und da auch Sie sich an dem rückgängig aufhängen: Merkel forderte, dass das Ergebnis der Wahl rückgängig gemacht werden sollte, d. h. Kemmerich nicht mehr MP ist. Sie mögen sich an dem rückgängig stören, da das aber bei Gesetzestexten oder auch Richtungsentscheidungen üblich ist, von rückgängig zu sprechen, sehe ich nicht, warum das hier groß ein Problem sein sollte. Gerade auch weil mit allen formalen Mitteln es nicht möglich ist, dass Kemmerich nie Ministerpräsident gewesen ist. Der Kanzlerin zu unterstellen, sie hätte das gefordert, finde ich deutlich überzogen. Und auch, dass ein Landesverband nicht losgelöst von der Bundespartei handeln Un regieren kann zeigt doch Thüringen ebenfalls sehr gut. Trotz Zufriedenheit mit RRG wurden sie durch Verluste der SPD parallel zum Bundestrend abgewählt.

      • Schneider Fri 14 Feb 2020 at 01:23 - Reply

        Mir scheint, Sie haben meinen Kommentar nicht aufmerksam genug gelesen, wie Sie mit Ihrer Frage gleich eingangs dokumentieren, mit der Sie mir anscheinend etwas unterschieben wollen. Gilt auch für die Behauptung, ich unterstelle der Kanzlerin irgendetwas. Die Antworten finden Sie jeweils in meinem obigen Kommentar, ich muß mich hier ja nicht wiederholen. Bei aller Emotion, die solche Vorgänge bei politisch interessierten Menschen auslösen, möchte ich doch um Sachlichkeit bitten!

        • Rydberg Fri 14 Feb 2020 at 10:43 - Reply

          Welche meiner Passagen finden Sie zu emotional? Ich wollte mit meiner eingangs gestellten Frage nur klargestellt haben, ob Sie der Aussage zustimmen würden oder nicht, da Sie ja den Vergleich zu Franz-Josef Strauß nicht passend genug fanden. Und ich wollte Ihnen nicht vorwerfen, der Kanzlerin etwas zu unterstellen, es ging mir darum, dass Sie eine Klarstellung zu dem “rückgängig machen” fordern, die meines Erachtens durch den Bezug auf das Ergebnis der Wahl schon eindeutig ist. Wenn man diese Passage nicht sieht/kennt so ergibt sich die von mir genannte Interpretation der Aussage doch zwangsläufig die dann auch eindeutig problematisch ist.Da die Kanzlerin sie aber so nicht getätigt hat löst sich auch die Problematik in Luft auf. Wenn Sie der oben genannten Interpretation von Rückgängig machen nicht zustimmen, was ist dann an der Aussage so problematisch?

  14. Marina F-K Fri 14 Feb 2020 at 14:16 - Reply

    “Das ist doch der Kern der Sache: Was tut eine Neuwahl anderes, als das Ergebnis der Wahl davor rückgängig zu machen?”

    Es bleibt hier im Sinne des Ansehens deutscher Hoschschulen nur zu hoffen, dass der Beitragende keinen akademischen Abschluss hat und auch nie einen bekommen wird. Und selbst Zeitgenossen mit einfachr Matura sollte ein solcher Satz nicht unterlaufen.

    • Heinrich Niklaus Fri 14 Feb 2020 at 14:37 - Reply

      Marina, stimme Ihnen zu. Die Absurditäten dieses Herrn sind aber keine weiteren Entgegnungen wert.

    • Rydberg Fri 14 Feb 2020 at 18:00 - Reply

      Sind Sie nur zum Pöbeln hier oder tatsächlich an einem Dialog interessiert? Es steht Ihnen jederzeit frei, meine Äußerungen sachbezogen zu kritisieren oder mich des Gegenteils zu belehren. Aber da die Beteiligten ja nicht daran interessiert zu sein scheinen, wünsche ich Ihnen noch ein schönes Leben

  15. Marina F-K Fri 14 Feb 2020 at 14:22 - Reply

    “Entweder Sie nehmen die hier geäußerten Rechtswissenschaftlichen Argumente zu Kenntnis oder ich schlage vor Sie suchen sich einen Blog, der eher zu Ihrer Couleur passt.”

    Der Selbstbezug dieses Anwurfs wird bei Betrachtung der Beiträge des Herrn unverkennbar.

  16. Ein anderer Michael Sat 15 Feb 2020 at 14:05 - Reply

    Wären jetzt Bundestagswahlen, würde ich AfD wählen.

    Der juristischen Beurteilung im Kommentar stimme ich aber uneingeschränkt zu (über die Richtigkeit der mentalitätsgeschichtlichen Ausführungen kann man jedoch streiten – das ist allerdings zweitrangig).

  17. Marina F-K Sun 16 Feb 2020 at 08:02 - Reply

    Der gesamte Vorgang steht ebenso wie die dumpfe Antifaschismus-Agitation, die man seit geraumer Zeit in Deutschland über Andersdenkende auskippt, in der Tradition des untergegangenen Unrechtsstaats DDR, in der diese Kanzlerin groß geworden und im blauen Hemd marschiert ist.

    Bitte in ein paar Jahren nicht jammern, dass das nicht zu erkennen war.

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