14 July 2017

Die aktuellste Justizreform in Polen: ist dies das endgültige Ende der Rechtsstaatlichkeit?

Während der Streit um den Verfassungsgerichtshof aus polnischer Sicht als mittlerweile beendet gilt, versucht die Europäische Union eine passende Lösung zu finden, die in der Empfehlung der Kommission geäußerten Forderungen durchzusetzen. Die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ beschließt jedoch in der Zwischenzeit weitere Justizreformen, die genauso, wie das umstrittene Verfassungsgerichtshofgesetz, gegen die Grundsätze der Europäischen Union aus Art. 2 EUV, vor allem gegen die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, verstoßen können.

Am Mittwoch, den 12. Juli 2017, hat der polnische Sejm zwei neue Gesetze beschlossen, die die Organisation des Nationalen Rates der Justiz sowie der ordentlichen Gerichtsbarkeit regeln. Diese reformierten Bestimmungen müssen noch vom Senat beschlossen werden, an dessen Entscheidung ist jedoch nicht zu zweifeln.

Laut der Mitteilung des Justizministeriums vom 12. Juli 2017 regelt das erste neu beschlossene Gesetz die Organisation sowie die Vorgehensweise bei der Auswahl der Mitglieder des Nationalen Rates der Justiz. Bei diesem Rat handelt es sich um ein unabhängiges verfassungsrechtliches Kollegialorgan, das im Jahre 1989 gegründet wurde. Die Reform des Gesetzes beinhaltet unter anderem die Gründung von zwei neuen Organen, sogenannten Ersten und Zweiten Versammlung des Rates. Danach sollen zu der Ersten Versammlung der Präsident des Obersten Gerichtshofs, der Justizminister, der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, eine Person, die vom Präsidenten ernannt wurde, vier Abgeordnete und zwei Senatoren gehören. Die Zweite Versammlung wird aus 15 Richtern, unabhängig von der Gerichtsebene, bestehen, die durch den Sejm und nicht wie zuvor durch die Richterversammlungen ausgewählt werden. Kandidaten können das Präsidium des Sejms sowie eine Gruppe von mindestens 50 Abgeordneten vorschlagen. Die Kandidaten  dürfen jedoch nur aus einem von den Verbänden der Richter und Staatsanwälte, einer Gruppe von mindestens 25 Richtern oder den Organen der Berufsverbände der Rechtsanwälte und Notare empfohlenen Kreis ausgewählt werden. Nach Ansicht des Ministeriums sollen dadurch die Objektivität sowie das Gleichgewicht des Organs gewährleistet werden und seine Organisation den europäischen Standards entsprechen.

Das zweite neu beschlossene Gesetz regelt die Organisation der ordentlichen Gerichte. Danach sollen zum Beispiel die Fälle den Richtern zufällig zugewiesen werden. Eine solche Anforderung gilt derzeit nur in einem sehr begrenzten Umfang im Strafverfahren. Die zufällige Zuweisung von Fällen, vor allem in der zweiten Instanz, soll nach Ansicht des Ministeriums gegen Missbräuchen schützen und den Bürgern eine Sicherheit geben, dass die Sache nicht absichtlich einem bestimmten Richter zugewiesen wurde. Weiterhin sieht das Gesetz eine gerechte Arbeitsverteilung der Richter vor. Dafür soll ein spezielles elektronisches System eingeführt werden, das die artspezifischen Fragen beurteilen und die Fälle gerecht zwischen den Richtern verteilen wird. Außerdem sollen die Befugnisse des Justizministers deutlich ausgeweitet werden. Diese beinhalten zum Beispiel die Ernennung und Entlassung des Präsidenten und Vizepräsidenten der Gerichte ohne der früher benötigten Zustimmung der Generalversammlung der Richter. Alle diese Änderungen sollen nach Ansicht des Ministeriums die Arbeitsweise der Gerichte verbessern und beschleunigen.

Nicht nur diese Reformen lösen verfassungsrechtliche Bedenken aus. Am 12. Juli 2017 hat die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ auch ein weiteres Gesetzesprojekt eingereicht, das die Organisation und Arbeitsweise des Obersten Gerichtshofs regeln sollte. Nach diesem Gesetz sollen in der Zukunft drei neue Kammern des Gerichtshofs errichtet werden, die sich mit dem privaten, öffentlichen und disziplinaren Recht beschäftigen werden. Außerdem werden mit der Verkündung dieses Gesetzes die gegenwärtig tätigen Richter in den Ruhestand gehen. Dem Justizminister wird auch die Befugnis verliehen,  über die Verteilung zu den jeweiligen Kammern zu entscheiden. Ob das Gesetz in einer solchen Form beschlossen wird, bleibt gerade abzuwarten.

Angesichts der beschlossenen Gesetze kann die Gefährdung der Unabhängigkeit der Gerichte zu einem Verstoß gegen Art. 10 der polnischen Verfassung führen, der eine klare gleichgewichtige Gewaltenteilung vorsieht. Obendrein wird durch die Änderung der Organisation des Nationalen Rates der Justiz die Kadenz der gegenwärtigen Mitglieder verkürzt, was gegen den Art. 187 ust. 3 der polnischen Verfassung verstößt. Auch die Erweiterung der Befugnisse des Justizministers, vor allem bei der Ernennung des Präsidenten und Vizepräsidenten der Gerichte, führt zu einem Ungleichgewicht der Gewalteinteilung. Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Polen sind somit in Gefahr, so dass die Europäische Union verpflichtet erscheint, gegen diese Bestimmungen vorzugehen. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, hat sein Besorgnis bezüglich der oben beschriebenen Gesetze schon im März dieses Jahres geäußert. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, appellierte in einem Brief an den Sprecher des Parlaments, den Entwurf zur Änderung des Gesetzes über den Nationalen Rat der Justiz abzulehnen, da seiner Meinung nach durch diese Reform die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet wird.

Fraglich bleibt aber an dieser Stelle, ob die EU die gleichen Schritte vornehmen wird, die sie beim Streit um den Verfassungsgerichtshof eingeleitet hat. Macht diese Vorgehensweise überhaupt Sinn, wenn die Erfolglosigkeit abzusehen ist? In dem Fall Polen zeigen die europäischen Regelungen ihre Schwäche. Weder das Rechtsstaatsverfahren noch das Verfahren nach Art. 7 EUV wird in dieser Situation die angestrebte Lösung bringen, so lange Ungarn auf der Seite Polens steht und mit seinem Veto Sanktionen effektiv verhindern kann. Dass die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ ihre Mehrheit verliert, wie es auch vor zehn Jahren geschah, ist zwar nicht ausgeschlossen, derzeit aber eher unwahrscheinlich, da sie je nach Umfrage bis zu 16 Prozentpunkten auf Bundesebene vor der zweitstärksten Partei „PO“ liegt. Ein anderes Bild auf Landesebene zeichnet sich auch nicht ab. 


3 Comments

  1. Frank Fri 14 Jul 2017 at 23:33 - Reply

    ***gelöscht wegen haltlosen Herumwerfens mit Straftatbeständen, d.Red.***

  2. Clemens Adori Sat 15 Jul 2017 at 10:26 - Reply

    Polen hat in seiner Geschichte so viel schlechte Erfahrung mit verschiedenen totalitären Regimen gemacht. Dagegen wurde mit demokratischen Verbündeten sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich finde diese Tendenzen zur Abschaffung der Gewaltenteilung selbstzerstörerisch und absurd.

    Hat jemand eine nachvollziehbare Erklärung?

  3. Jimmy Walker Sun 16 Jul 2017 at 13:58 - Reply

    Nachvollziehbar weiss ich jetzt nicht aber ich versuche es mal etwas zu erläutern. Vor Kaczynski regierte zwei Wahlperioden die Partei PO.In Polen gibt es nur zwei große Parteien, PiS und PO. Die Bevölkerung war nach 8 Jahren unter PO unzufrieden und wollte einen Wechsel. Aufgrund der Erfahrung unter der Regierung von PiS in der Vergangenheit, hat sich nicht abgezeichnet, dass die Partei solch radikale Vorhaben planen wird. Zudem ist Polen eher ländlich geprägt, sprich viele Dörfer und weniger Städte. Die Dörfer sind sehr kirchlich geprägt mit vielen älteren Menschen bei denen die Wahlquote sehr hoch ist. Kaczynski ist dies bewusst. Aufgrund dessen ging er mit der Kirche einen “Deal” ein der besagte, dass er wenn er gewählt wird, kirchliche Themen, wie z.B. das Abtreibungsverbot, in Gesetze formulieren werden und die Kirche auch Geld in Form von Subventionen erhält. Im Gegenzug wurden die Priester dazu angehalten eine Wahlempfehlung bezüglich Kaczynski auszusprechen. Dies kombiniert mit dem Glauben an den Christentum spülte Kaczynski sehr viele Stimmen aus den Dörfern zu. Stand jetzt ist ein Großteil der Bevölkerung mit dem Förderprogramm “500+”, 500 zloty pro Kind pro Monat, bei zwei oder mehr Kindern zufrieden.

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