02 April 2021

Allgemeines „Kopftuchverbot“ durch die Hintertür?

Zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten („lex Tattoo“)

Die Vergesetzlichung des Erscheinungsbildes im Dienstrecht

Die Gesellschaft wird vielfältiger und mit ihr (obgleich verzögert) auch der öffentliche Dienst. Je „bunter“ er wird, desto häufiger muss er Konflikte um die äußere Erscheinungsform der Beamten lösen. Die Rechtsprechung hat hierbei in jüngster Zeit mit Recht den Vorbehalt des Gesetzes gestärkt und den Durchgriff der Dienstbehörden auf oftmals persönlichkeitsnahe Ausdrucksformen von Individualität rechtsstaatlich eingehegt. Das gilt nicht zuletzt auch für Tattoos: Schon 2017 hatte das BVerwG((2 C 25/17, BVerwGE 160, 370)) festgestellt, dass es einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedarf, das zulässige Ausmaß von Tätowierungen bei Beamtinnen und Beamten zu regeln. In dem bemerkenswerten Fall war gegen einen Polizisten ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Dienstentfernung eingeleitet worden, weil ihm vorgeworfen wurde, Tätowierungen zu tragen, die verfassungsfeindliche Symbolik integriere.

In Abkehr zu seiner früheren Rechtsprechung hat kurz darauf auch der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG((Beschluss vom 31. Januar 2019 – 1 WB 28.17, BVerwGE 164, 304)) entschieden, dass Verwaltungsvorschriften unzureichend seien, um Soldatinnen und Soldaten das Tragen sichtbarer Tätowierungen oder andere unveränderlicher Merkmale wie Haar- und Barttracht sowie Piercings zu untersagen. Geklagt hatte ein Soldat, der beanspruchte, „die Haare lang tragen und hiermit seine Zugehörigkeit zur Gothic-Kultur zum Ausdruck bringen zu wollen“ (Rn. 14). Vielmehr sei für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Entsprechend hatte das Gericht zuletzt auch für das ohne gesetzliche Grundlage gegenüber einer Rechtsreferendarin ausgesprochene Verbot entschieden, ein religiös motiviertes Kopftuch zu tragen((Urteil vom 12. November 2020 – 2 C 5/19)). Umgekehrt hat das BVerwG ein „Tattoo-Verbot“, das vom bayerischen Landtag erlassen worden war, konsequent als ausreichend angesehen, einem Polizisten die Tätowierung „aloha“ auf dem Unterarm zu untersagen((Urteil vom 14. Mai 2020 – 2 C 13/19, BVerwGE 168, 129)).

Regierungsentwurf mit Sprengkraft

Auf diese Entwicklung reagiert nun die Bundesregierung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten((BT-Drs. 19/26839; BR-Drs. 15/21)). Er enthält unter anderem Ergänzungen des Bundesbeamtengesetzes (BBG) und des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG), mit denen eine parlamentsgesetzliche Rechtsgrundlage geschaffen werden soll, um das äußerliche Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten durch Verbote zu reglementieren((§ 61 Abs. 2 BBG-E und § 34 Abs. 2 BeamtStG-E)):

„Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert“.

Der Entwurf, der bislang offenbar unterhalb des Radars der politischen Öffentlichkeit gesegelt ist, hat es in sich. Er ermöglicht nicht nur, Unterarmtätowierungen oder Langhaarfrisur zu untersagen. Der Gesetzentwurf bezieht sich explizit auch auf Bekleidungsstücke. Werden diese aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen getragen, soll eine Untersagung nur möglich sein, wenn das äußere Erscheinungsbild „objektiv geeignet“ ist, „das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen“((§ 61 Abs. 2 Satz 4 BBG-E; § 34 Abs. 2 Satz 4 BeamtStG-E)). Die Regelung kann zwar durch Rechtsverordnung bzw. Landesrecht konkretisiert werden (jeweils Satz 5), ist aber als unmittelbar geltende Verhaltenspflicht formuliert.

Je nach Wertung, wann eine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt, ließen sich hierauf künftig z. B. auch allgemeine Kopftuchverbote für Beamtinnen in zahlreichen Bereichen der Verwaltung stützen. Das ressortzuständige Bundesinnenministerium hat hier – wie die Begründung bestätigt – eine camouflierte „Kopftuch“-Regelung untergebracht, die der Entwurf explizit mit der Notwendigkeit des Vertrauens in die Neutralität der Verwaltung rechtfertigt((BT-Drs. 19/26839, S. 42)). Der Entwurf verknüpft hier Verhalten der Amtswalterin unmittelbar mit Auftreten und dieses wiederum untrennbar mit dem Erscheinungsbild. Mit dieser unterkomplexen Logik begibt er sich bereits in Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG((Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10, BVerfGE 138, 29, Rn. 118)). Aus dem schlichten Tragen des Tuches – so das Gericht zutreffend – lasse sich keine Distanzierung von wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ableiten. Vielmehr müssten weitere Umstände – Verhaltensweisen oder Äußerungen – hinzutreten.

Welche religiösen Ausdrucksformen konkret erfasst sein sollen, lässt der Gesetzentwurf im Übrigen unbestimmt. Insoweit wird nur die jeweils zuständige Dienstbehörde ermächtigt, Verbote zu erlassen, soweit „die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert“. Dies könnte man grundrechtsschonend so interpretieren, dass ein Kopftuch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung grundsätzlich nicht beeinträchtigt, nur entspricht eine solche wohlwollende Deutung offenbar nicht der in der Begründung sichtbar werdenden Regelungsintention((BT-Drs. 19/26839, S. 42: „wie beispielsweise das muslimische Kopftuch, die jüdische Kippa oder ein christliches Kreuz“)), zumal das praktische Tableau äußerlich sichtbarer Ausdrucksformen von Alltagsreligiosität im Dienst nicht sonderlich breit ist. Welche einschneidenden Auswirkungen diese Regelung für Beamtinnen und Beamte potentiell haben kann, die aus religiösen Gründen Kopftuch, Kippa oder Dastar tragen, scheint der Öffentlichkeit bisher nicht aufgefallen zu sein.

Da nicht nur § 61 BBG ergänzt werden soll, sondern auch § 34 BeamtStG, würde die Regelung unmittelbar in allen Ländern gelten – auch in solchen, deren Gesetzgeber hier bislang aus Respekt vor der Religionsfreiheit zurückhaltend waren. Dies dürfte mit der föderalen Kompetenzverteilung in Art. 70 Abs. 1 GG kaum vereinbar sein, weil der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG nur die Statusrechte und -pflichten der Beamtinnen und Beamten der Länder regeln kann. Statusrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG erfasst Wesen, Voraussetzungen und Begründung von Beamtenverhältnissen, ihre Beendigung und wesentliche, statusprägende Pflichten sowie Rechte((Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 114 f.)). Konkrete funktionsbezogene Dienstpflichten festzulegen, die nicht aus dem Status selbst herrühren, sondern aus dem Funktionskreis der (landesrechtlich erst näher ausgeformten) Ämter, fällt hingegen in die alleinige Regelungskompetenz der Länder. Während die grundlegenden Verpflichtungen zur politischen Loyalität und zur Neutralität in der Amtsführung als statusprägend gelten und daher bundesrechtlich geregelt werden dürfen((vgl. §§ 33, 34 BeamtStG)), gilt dies nicht für das Erscheinungsbild und seine Vereinbarkeit mit konkreten Amtsfunktionen. Der Bund kann hier auch keinen Rahmen setzen, der durch Landesbeamtenrecht zu konkretisieren wäre, weil die frühere Rahmengesetzgebungskompetenz mit der Föderalismusreform I fortgefallen ist und die Beschränkung auf Statusrecht eine Regelung nicht statusprägender Pflichten ausschließt.

Die Lehren aus Kopftuch I-III

Das äußere Erscheinungsbild von Beamtinnen in Form des muslimischen Kopftuches war für die Bereiche Schule und Justiz immer wieder Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Zuletzt hatte der Zweite Senat des BVerfG in seinem (überwiegend kritisierten) Referendarin-Urteil aus dem vergangenen Jahr zwar eine landesrechtliche Regelung für verfassungsgemäß erklärt, die muslimischen Rechtsreferendarinnen das Tragen eines Kopftuches in Prozesssituationen verbietet. Gleichzeitig begründete es dies jedoch mit der besonderen Dramaturgie des Prozesses und der justizförmigen Darstellung staatlicher Neutralität. Denn erst die dortige Formalisierung von Rollenfunktionen – also letztlich die besondere Staatsikonografie distanzierter Rechtspflege durch die Justiz, die zu sichtbarer Distanz und zu Gleichmaß verpflichte – mache es möglich, individuelle Glaubensbekundungen wie das Kopftuch als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat selbst zuzurechnen((BVerfG, Beschluss vom 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, BVerfGE 153, 1)). Davon zu unterscheiden sei der schulische Bereich, in dem Offenheit und Pluralität gelebt und das Kopftuch der Lehrerin nicht als Beeinträchtigung der staatlichen Neutralität gewertet werden könne((dazu überzeugend der Erste Senat des BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10, BVerfGE 138, 296)).

Auch wenn man die graduell stärker an objektiven Ordnungsfunktionen orientierte Rechtsprechung des Zweiten Senats im Beamtenrecht zugrunde legt, ist das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen (Rn. 99). Das normative Spannungsverhältnis zwischen dem objektiv-rechtlichen Darstellungsbedarf staatlicher Neutralität und der subjektiven Religionsfreiheit sei unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zuvörderst durch den demokratischen Gesetzgeber aufzulösen, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu finden habe (Rn. 101). Dem muslimischen Kopftuch oder anderen äußerlich erkennbaren individuellen Grundrechtsausübungen kann also auch hiernach nicht pauschal eine neutralitätsbeeinträchtigende Wirkung zugeschrieben werden. Der eingehende Rekurs des Zweiten Senats auf die spezifischen (obgleich religionsskeptisch überfrachteten) Anforderungen der Justiz legt nahe, dass ein dienstrechtliches Verbot nur bei einem vergleichbaren Inszenierungsbedarf des Staates in Betracht kommt, der aber in der Verwaltung so durchweg nicht bestehen dürfte.

Vielfältige Ämter, undifferenziertes Gesetz

Die avisierten Regelungen im BBG und BeamtStG nehmen auf diese wesentliche Differenzierung jedoch keine Rücksicht und erfassen alle Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter((vgl. § 46 DRiG bzw. Landesrichterdienstrecht)). Weder gibt es abgestufte Regelungen, die Rücksicht nehmen auf die verschiedenen Grundrechte, die betroffen sein können, noch wird ausreichend zwischen Funktionen und amtsspezifischen Konfliktpotentialen differenziert, die sich vom Verwaltungsfachangestellten über die Finanzbeamtin bis hin zur Polizistin und dem Richter ganz wesentlich unterscheiden. Das BVerfG hat mit Recht dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgetragen, einen zumutbaren Interessenausgleich funktionsspezifisch herzustellen. Diese Kernaufgabe wird hier – gegenläufig – in die Hand der Dienstbehörden gelegt.

Die zahlreichen Formen des Körperschmucks, die der Gesetzesentwurf aufzählt (Tätowierungen, Piercings, Brandings, Mehndis, Bodypaintings, Dermal Implants, Cuttings oder Scars), stehen als Ausdruck individueller Selbstdarstellung unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Soldaten, die sich von ihrer Langhaarfrisur und ihrem Bart zwangsweise trennen müssen, können sich ggf. noch auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) berufen. Beamte oder Beamtinnen, die sich aufgrund der Neuregelung gezwungen sehen, ihre Kippa, ihren Dastar oder ihr Kopftuch während der Dienstzeit nicht mehr zu tragen, sind hingegen in ihrer Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1-2 GG) betroffen, die sich hiervon nach Schutzintensität und Struktur qualitativ deutlich unterscheidet. Während das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht unter einfachen Gesetzesvorbehalten stehen (Art. 2 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 3 GG), drückt sich die besondere Vulnerabilität der Religionsfreiheit in der grundsätzlichen Vorbehaltlosigkeit der Grundrechtsgarantie aus. Art. 4 Abs. 1-2 GG kann nach ständiger Rechtsprechung nur aufgrund verfassungsimmanenter Schranken – also zugunsten von Grundrechten Dritter oder Gemeinschaftswerten von Verfassungsrang – eingeschränkt werden.

Dahinter stehen sehr unterschiedliche grundrechtliche Wertigkeiten und Schutzbedürfnisse. Der Wunsch der Finanzbeamtin, im Dienst ein muslimisches Kopftuch zu tragen, tangiert kardinale religiöse Bedürfnisse und hat daher ein anderes Gewicht als das Interesse des Polizisten, den Unterarm mit einem frechen „Aloha!“ zu zieren. Der Schutzbedarf der kopftuchtragenden Beamtin, die sich gesellschaftlichen Ressentiments und damit erhöhten Diskriminierungsrisiken ausgesetzt sieht, ist offenkundig auch höher als der des Schnauzbartträgers. Auch die Konfliktszenarien können sehr unterschiedlich ausfallen. Und die kunstvolle Barttracht tangiert Dienstaufgaben bei einem Staatsbeamten im Landratsamt Traunstein anders als bei einem KSK-Soldaten. Schließlich sind auch die grundrechtlichen Folgen disparat: Etwa eine – möglicherweise im Gesetzentwurf angelegte – Differenzierung nach Tätigkeiten mit Publikumskontakt einerseits und reinem Innendienst andererseits vertieft diejenigen Ressentiments, die dem „objektiven Betrachter“ bei der Beurteilung der Neutralität in den Mund gelegt werden: Der Kopftuch tragenden Beamtin wird nicht zugetraut, distanziert-neutrale Entscheidungen zu treffen. Sie hört aber nicht deshalb auf, außenwirksame Entscheidungen im Zuge der Rechtsanwendung zu treffen, weil sie dabei nicht gesehen wird. Sie wird schlicht unsichtbar gemacht.

Undifferenzierte sowie unbestimmte Konfliktauflösung

Hier wäre es Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, anhand der spezifischen Funktionen, die mit einem Amt verbunden sind, zu differenzieren und die Schranken entlang der Wertigkeit und des spezifischen Schutzbedarfs der betroffenen Grundrechte nachzuzeichnen. Die salvatorische Formel, dass religiöse Bekleidung nur erfasst sei, wenn diese objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung zu gefährden, genügt dem besonderen Schutzbedarf der vorbehaltlosen Religionsfreiheit offenkundig nicht. Sie verweist wieder nur auf völlig unbestimmte Amtsfunktionen, die überhaupt erst einmal gesetzlich herauszuschälen wären. Die vom Zweiten Senat betonte Verantwortung, auf parlamentsgesetzlicher Ebene nach einem zumutbaren Konfliktausgleich zu suchen, der funktionsspezifisch differenziert und insoweit Grundrechtseinschränkungen auf das Erforderliche begrenzt, würde der Bundesgesetzgeber mit der entsprechenden Gesetzesänderung insoweit nicht gerecht. Da in der Ausdifferenzierung grundrechtsadäquater Regelungen für sehr unterschiedliche Funktionen im öffentlichen Dienst die Kernherausforderung der abstrakt-generellen Konfliktlösung liegt, lässt sich eine Konkretisierung auch nicht auf den Verordnungs- oder Landesgesetzgeber delegieren, zumal § 61 Abs. 2 BBG-E und § 34 Abs. 2 BeamtStG-E jeweils auf unmittelbar anwendbare Ermächtigungen zielen, die zwar einer konkretisierenden Ergänzung zugänglich, aber hiervon nicht abhängig sind. Die wesentlichen Konflikte um die Grenzen der Freiheit zu entscheiden, bleibt damit in verfassungswidriger Unbestimmtheit letztlich der Verwaltung überlassen.

Der Bundesgesetzgeber scheint hier den Reformbedarf, den die Rechtsprechung des BVerwG ausgelöst hat, zu nutzen, versteckt in der (eher banalen) lex Tattoo eine empfindliche Einschränkung der Religionsfreiheit im öffentlichen Dienst von Bund und Ländern vorzubereiten. Dass dies bislang in der – durch Pandemie und Wahlkampf abgelenkten – politischen Öffentlichkeit unbemerkt blieb, dürfte seinerseits Folge der Unbestimmtheit des Regelungsentwurfs sein, die sich abzeichnende Konflikte um religiöse Freiheit und (vermeintliche) Neutralitätsbedürfnisse nicht explizit macht, sondern hinter einer gewundenen Generalklausel verbirgt. Einmal mehr zeigt sich insoweit, dass der hier thematisierte Vorbehalt des Gesetzes nicht nur eine rechtsstaatliche Einhegung von Grundrechtseingriffen sichert, sondern auch den demokratischen Prozess als solchen schützt. Konflikte müssen direkt adressiert und öffentlich – unter legitimationsstützender Beteiligung der parlamentarischen Opposition sowie unter den Augen der politischen Öffentlichkeit – transparent gemacht werden, damit das Parlament seine Kernfunktion erfüllen kann, allgemeinen Interessenausgleich herzustellen. Zumutbarer Interessenausgleich setzt wiederum voraus, dass zunächst Interessen im Verfahren identifiziert werden und klar wird, was auf dem Spiel steht. Der vorliegende Gesetzentwurf, der Konflikte in die Dienstordnungsbürokratie abdrängt und so eher verschleiert als löst, verdient daher kritische Aufmerksamkeit.


One Comment

  1. Dominique Mon 12 Apr 2021 at 15:10 - Reply

    Zum Passus „wie beispielsweise das muslimische Kopftuch, die jüdische Kippa oder ein christliches Kreuz“
    Zunächst fällt auf, dass ein Glied der Aufzählung sich von den anderen insofern unterscheidet, als es verdeckt getragen werden kann; insofern ähnelt es eher dem Tattoo.
    Gemeinsam scheint allen zu sein, dass es keine generelle “religiös” begründete Pflicht gibt, ein Kopftuch, eine Kippa oder ein Kreuz zu tragen. Es gibt denn auch Menschen, die keinen dieser Gegenstände tragen und sich doch als moslemischen, jüdischen oder christlichen Glaubens bezeichnen. Darüber hinaus gibt es m.W. auch kein für alle Angehörigen dieser Religionen verbindliches Design.
    Vor diesem Hintergrund scheinen mir einige im Artikel verwendete Formulierungen, die die Problematik im Bereich der Religionsfreiheit ansiedeln, fragwürdig. Wäre nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht angemessener?

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