Demokratische Miet-Bestimmung
Zum Berliner Referentenentwurf für einen „Mietendeckel“
Selten bekommt ein Gesetzesentwurf des Berliner Senats wohl so viel Aufmerksamkeit, wie in den letzten Wochen der sog. „Mietendeckel“. Die Reaktionen auf den Referentenentwurf ließen nicht lange auf sich warten: Ungerecht, Enteignung, Planwirtschaft. Opposition und Verbände kündigen Verfassungsklagen an. Auch Ex-BVerfG-Präsident Papier attestiert dem Vorstoß in einem Gutachten im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) die Verfassungswidrigkeit. Tatsächlich handelt es sich letztlich jedoch nicht um eine Frage der Verfassung, sondern demokratischer Auseinandersetzung.
Das Thema Mietbindung hat in Berlin aber nicht nur eine hundertjährige Tradition, sondern ist auch in der jüngeren Gegenwart schon vor dem Mietendeckel politisch und juristisch dauerpräsent. Zur Anwendung der sog. „Mietpreisbremse“ des BGB auf ganz Berlin hat das BVerfG im Sommer eine Verfassungsklage als offensichtlich unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen. Schließlich steht noch das Anfang des Jahres eingeleitete Volksbegehren der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ im Raum, die eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin anstrebt. Diese Häufung von Ordnungsvorschlägen für den Berliner Wohnungsmarkt bietet Anlass für einige Reflexionen über das Verhältnis von Eigentum (Enteignung?), Wirtschaftspolitik (Planwirtschaft?) und Miete (Ungerecht?). Vor aller Theorie aber erstmal zurück zur bunten Vielfalt der Mietbindung. Worum geht es eigentlich?
Berliner Mietendeckel
Die Bausenatorin der LINKEN hat letzte Woche den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (BerlMietWoG) veröffentlicht. Nach §3 BerlMietWoG soll es verboten sein, eine Miete zu fordern, die über die am festgelegten Stichtag 18. Juni 2019 geltende Miete hinausgeht. Dieser relative „Mietenstopp” gilt für Bestandsmieten, wie auch Neuvermietungen bezugnehmend auf die bei letzter Vermietung verlangte Miete. Zudem sieht §5 BerlMietWoG objektive „Mietobergrenzen” vor, die in 12 Kategorien nach Alter und Ausstattung der Wohnung gestaffelt sind. Einer Tabelle lassen sich absolute Höchstzahlen der monatlichen Nettokaltmiete pro Quadratmeter entnehmen. Die Spreizung geht von 3,92 EUR für einen Altbau vor 1918 ohne Sammelheizung und ohne Bad bis zu 9,80 EUR für eine zwischen 2003 und 2013 bezugsfertige Wohnung mit Sammelheizung und Bad. Bei Modernisierungen erhöhen sich die Grenzen (§6 BerlMietWoG).
Der Mietenstopp orientiert sich an einem Vorschlag der SPD, die Mietobergrenzen am JZ-Aufsatz eines Mietexperten der Berliner Senatsverwaltung. Anwendung soll das BerlMietWoG auf alle Mietwohnungen im gesamten Stadtgebiet Berlins finden mit Ausnahme des öffentlich geförderten Wohnungsbaus und Neubauten, die ab 2014 erstmalig bezugsfertig wurden.
Mietpreisbremse im BGB
Eine Preisbindung für Mieten hatte schon die große Koalition auf Bundesebene mit der sog. „Mietpreisbremse” im BGB verankert. Seit 2013 (MietRÄndG) dürfen nach §558 BGB Bestandmieten nur noch bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöht werden. Zusätzlich darf sich die Miete in den letzten drei Jahren nicht mehr als 20% erhöhen („Kappungsgrenze“). Seit 2015 (MietNovG) darf nach §556d BGB in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete auch bei Neuvermietung die ortsübliche Vergleichsmiete nur noch um 10% übersteigen. Die Festlegung eines angespannten Wohnungsmarktes treffen Landesregierungen durch Rechtsverordnung, was der Berliner Senat 2015 für das gesamte Stadtgebiet tat.
Der aktuelle 28seitige Nichtannahmebeschluss das BVerfG gegen die Mietpreisbremse bei Neuvermietungen wägt detailliert die Freiheit des Vermieters gegen die soziale Funktion des Eigentums ab. Art. 14 GG schütze keine Renditeerwartung, dafür aber ein Besitzrecht des Mieters auf Wohnen. Der Gesetzgeber dürfe das elementare Bedürfnis des Mieters an einer Wohnung und das gesellschaftspolitische Interesse sozialer Durchmischung höher bewerten als den Investitionsschutz des Vermieters. Trotz eventuell negativer Anreizwirkung für den Wohnungsneubau erleichtere die Mietpreisbremse den Marktzugang zu Wohnungen. Alle Argumente des BVerfG sprechen auch für die Vereinbarkeit des Mietendeckels mit dem Eigentumsgrundrecht.
Enteignung? Soziale Funktionen des Eigentums
Eine Obergrenze auf Mieteinnahmen schränkt natürlich das Eigentum des Vermieters ein. Aber das liegt in der sozialen Natur des Eigentums. Eigentum ist kein Naturrecht, sondern eine rechtliche Konstruktion mit gesellschaftlichen Funktionen. Dabei gibt es aber nicht eine Sozialbindung, sondern plurale und heterogene soziale Funktionen des Eigentums. Eigentumsrechte ermöglichen zusammen mit der Vertragsfreiheit eine dezentrale Organisation des gesellschaftlichen Zusammenlebens über den Markt. Ökonomisch soll Eigentum die effiziente Allokation von Ressourcen ermöglichen, was nach neoklassischer Lehre einem idealen Marktgleichgewicht entspricht und so gegen den Mietendeckel spricht. Allerdings ist der Wohnungsmarkt nie ideal. Besonders die lange Reproduktionsphase von Wohnungen verzerrt die Angebotsdynamik.
Die typisch politische Funktion privaten Eigentums, eine güterliche Freiheitssphäre des Einzelnen gegen den Staat abzuschirmen, scheint zunächst ebenfalls klar gegen den Mietendeckel zu streiten. Aber auch Eigentum begründet Herrschaftsmacht, was in der Beziehung zwischen Vermieter und Mieter überdeutlich wird. Diese Machtbeziehung relativiert ein Mietendeckel zumindest finanziell und sichert so Freiheiten des Mieters. Kulturell verspricht privates Eigentum gleiche Chancen auf Zugang zum symbolischen Kapital einer Gesellschaft. Denkt man den Eigentumsschutz für Besitzrechte des Mieters und das in der Berliner Verfassung verankerte „Recht auf angemessenen Wohnraum“ (Art. 28 VvB) zusammen, lässt sich kulturell ein Mietendeckel als Teilhaberecht an für alle bezahlbarem Wohnungsbesitz verstehen. Schließlich kann dem Eigentum auch noch eine bewahrende ökologische Funktion zugewiesen werden. Bei der Tragödie der Gemeingüter etwa sichert Privateigentum einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Ein Mietendeckel transportiert die Hoffnung eines weniger spekulativen oder renditeorientierten und dadurch verantwortlicheren Umgangs mit Wohnungen.
Klassisch politische und ökonomische Funktion des Eigentums sprechen eher gegen, kulturelle und ökologische Funktion eher für einen Mietendeckel. Die Kollision sozialer Funktionen des Eigentums ist ebenso wie der Konflikt zwischen relativen Eigentumspositionen (Eigentümer versus Mieter) Normalfall einer pluralistischen Gesellschaft. Der Ort grundsätzlicher Aushandlung des Verhältnisses sind nicht die Gerichte, sondern der demokratische politische Prozess. Temporäres Ergebnis ist der vom Gesetzgeber neu bestimmte Inhalt des Eigentums. Das ist die demokratische Funktion der Inhalts- und Schrankenbestimmung von Art. 14(1)2 GG.
Ein Mietendeckel ist keine Enteignung, weder in der Substanz, noch als Sonderopfer oder grundsätzlich besonders schwerer Eingriff. Zwar sieht das BVerfG in seinem Beschluss zur Mietpreisbremse die marktorientierte ortsübliche Vergleichsmiete als Garantie für die bleibende Wirtschaftlichkeit der Vermietung zum Substanzerhalt des Eigentums. Solange die administrative Festlegung der Mietobergrenze aber die Kosten zur Erhaltung des Eigentums deckt, liegt eine Enteignung jedenfalls nicht vor. Gesichert wird diese Deckung durch die Härtefallregelung in §7 BerlMietWoG, wonach dauerhafte Verluste für Vermieterinnen oder Substanzgefährdung der Mietsache eine Erhöhung trotz Mietenstopp oder Obergrenze ermöglichen. Der zentrale Unterschied zwischen Bremse und Deckel liegt nicht im Grad der Eigentumsgefährdung. Bremse und Deckel stehen für einen wirtschaftspolitischen Systemstreit.
Planwirtschaft? Politische Ökonomien des Wohnungsmarktes
Die aktuelle Kontroverse streitet über die Wirtschaftspolitik des Wohnungsmarktes. Ein natürlicher (freier) Markt ist dabei ein neoliberaler Mythos. Selbst ein „unregulierter“ Wohnungsmarkt bedarf konstitutiver Institutionen des (Wohnungs-)Eigentums und (Miet-)Vertrags und wird durch ihre Gestalt indirekt mitbestimmt. Der Markt kann aber auch durch gezielte rechtliche Eingriffe reguliert werden. Bindung des Mietzinses an ortsübliche Vergleichsmieten bremst die Dynamik des Marktpreises. Objektive Mietobergrenzen entziehen dagegen den Preis teilweise dem Markt. Die Bremse ist Marktregulierung durch Angleichung des Marktpreises, der Deckel koordinierendes Verwaltungshandeln ohne Marktbezug. Allerdings besteht auch hier Eigentum fort und es bleibt ein privater Restmarkt unterhalb des Deckels. Ganz dem Markt entzogen sind Wohnungen erst, wenn sie in Gemeineigentum überführt werden, wie im Berliner Volksbegehren angestrebt. Durch Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen würde ein Teil des Mietmarktes zur echten Planwirtschaft.
Keines der skizzierten Modelle ist per se verfassungswidrig. Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral. Der Gesetzgeber kann sich für eine reine Marktwirtschaft, einen sozial regulierten Markt oder auch stärkere planwirtschaftliche Elemente entscheiden, solange die Grundrechte gewahrt bleiben. Diese Offenheit dokumentiert Art. 15 GG, auf den sich auch das Volksbegehren stützt. Die Möglichkeit von Privateigentum und freier Berufswahl müssen bestehen bleiben, aber nicht sachlich und örtlich unbegrenzt. Eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen für ein marktfreies Residuum an Sozialwohnungen verhindert nicht grundsätzlich Eigentum an Wohnungen. Sein demokratischer Gestaltungsspielraum erlaubt dem Gesetzgeber, einzelne Marktsegmente mit elementarer sozialer Bedeutung wie einen Teil des Wohnungsmarktes planwirtschaftlich auszugestalten. Das mögen manche ökonomisch und politisch für nicht sinnvoll halten, aber darüber muss und soll in einer Demokratie gestritten werden.
Ironischerweise dürfe der Mietendeckel gerade aufgrund des wirtschaftlichen Systemwechsels verfassungskonform sein. Das Hauptargument gegen die Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin ist eine abschließende Regelung des marktregulierenden sozialen Mietrechts im BGB durch den Bundesgesetzgeber. Ersetzung des marktorientierten Mietpreises durch administrative Obergrenzen und Härtefallprüfungen ist eben keine privatrechtliche Marktregulierung mehr, sondern direkte hoheitliche Vorgabe. Die verwaltungsrechtliche Koordinierung des Wohnungswesens wurde aber mit der Föderalismusreform aus der konkurrierenden Gesetzgebung zugunsten der Länder gestrichen. Für das Instrument der Vergesellschaftung hätte das Land Berlin nach Art. 70(1), 74 (1) Nr. 15 GG ohnehin die Kompetenz, wie selbst ein sonst komplett kritisches Gutachten im Auftrag des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) feststellt.
Ungerecht? Verteilung von Wohnraum
Ist der Mietendeckel schließlich ungerecht? Nach massiver Kritik an einem früheren Entwurf, besonders stark den Preis für Luxuswohnungen zu deckeln, soll die Herabsetzung von Bestandsmieten auf die Obergrenze nach §4 BerlMietWoG nun nur noch beantragt werden können, „soweit die Mietbelastung mehr als 30 Prozent des anrechenbaren Gesamteinkommens des Mieterhaushaltes beträgt”. Gerade diese späte Gerechtigkeitskorrektur wackelt im Licht des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3(1) GG erheblich. Für Mieter bietet das Einkommen sicher einen guten Grund zur Differenzierung. Aber aus der für die Gleichheit der Eigentumsbeschränkung relevanten Perspektive des Vermieters scheint das tatsächliche Einkommen des Mieters willkürlich. Selbst wenn sich die Unterscheidung rechtfertigen ließe, würden Vermieter für ihre soziale Auswahl einkommensschwacher Bestandsmieter bestraft.
Gerechter in der Logik des Mietendeckels wäre eine stärkere Ausdifferenzierung der Mietobergrenzen. Es ist schon zweifelhaft, ob die bisherigen 12 Kategorien alleine nach Alter und Ausstattung ohne Blick auf die Wohnlage überhaupt Ungleiches hinreichend ungleich behandeln. 60 qm Altbau in einem hippen Dachloft in Berlin Mitte und steril sanierte Parterre im sozialschwachen Berlin Marzahn verdienen andere Mietpreise. Entkopplung vom Markt erfordert eben eine umfassende gesetzliche Differenzierung, die permanent administrativ aktualisiert werden muss, was §5(5) BerlMietWoG aber ermöglicht. Mit hinreichend differenzierten Obergrenzen wäre der Mietendeckel auch mit Art. 3(1) GG in Einklang.
Ob ein Mietendeckel die sozial gerechteste und sinnvollste Lösung im Vergleich etwa mit Steuer- und Subventionslösungen ist, kann politisch bestritten werden. Ebenso ob eine Vergesellschaftung von Wohnungen der richtige Weg ist, um den politischen Fehler des Ausverkaufs städtischer Wohnungsgesellschaften zu korrigieren. Jedenfalls ist Wohnraum aber nicht beliebig reproduzierbar und der Zuzug nach Berlin wächst schneller als jeder, auch hochsubventionierter, Wohnungsbau. Damit besteht auf unabsehbare Zeit ein fundamentales Verteilungsproblem von Wohnraum.
Nach John Rawls bekanntem Differenzprinzip sind Ungleichverteilungen nur gerecht, wenn auch die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft einen Vorteil davon haben. Beständig steigende Mieten brachten privaten wie gewerblichen Vermietern in den letzten Jahrzehnten besonders in Berlin hohe Renditen. Mietpreisbremse, Mietendeckel und Vergemeinschaftung sind drei verfassungskonforme Modelle, sozial schwächere Schichten an dieser Ungleichverteilung mit einem (Miet-)Vorteil partizipieren zu lassen. Welcher Weg konkret politisch beschritten werden soll, ist keine Frage der Verfassung, sondern demokratischer Miet-Bestimmung.
Der Berliner Senat glaubt die Mieten zwischen 3,92 EUR für einen Altbau vor 1918 ohne Sammelheizung und ohne Bad und 9,80 EUR für eine zwischen 2003 und 2013 bezugsfertige Wohnung mit Sammelheizung und Bad mit einem Verbotsgesetz einfrieren zu können. Berlin ist eine Hauptstadt mit knapp 4 Millionen Einwohner und einem hohen Zuwanderungsdruck. Wenn ich Berichte über die Mietsituation in anderen europäischen Hauptstädten (und nicht nur London und Paris) lese, drängt sich mir der Verdacht auf, im Berliner Senat werden bewusstseinsverändernde Drogen in rauen Mengen konsumiert. Die Mieten in diesen europäischen Ballungszentren liegen auf einem ganz anderen Niveau. Wenn es so leicht wäre eine soziale Wohnungspolitik durch Verbote zu kreieren, dann müssten sich Stadträte europaweit durch das Berliner Gesetzgebung beschämt fühlen.
Wenn demnächst eine vermietete Eigentumswohnung frei wird (Wegzug oder Tod des Mieters), wird der private Vermieter vermutlich ein Feuerwerk abbrennen, weil er die Wohnung jetzt mieterfrei veräußern kann. Und zwar an zahlungskraftige Interessenten, die in einem ausgetrockneten Mietwohnungsmarkt über den Mietpreis nicht mehr zum Zuge kommen und deshalb erstaunliche Kaufpreise zu zahlen bereit sind. Daher am Besten gleich das Gesetz durch weitere Milieuschutzbestimmungen flankieren, in denen die Umwandlung in Eigentumswohnungen verboten wird. Wenn die Oma den Pflegegrad 1 erreicht hat, zieht die Tochter ein, um noch eine Haushaltsgemeinschaft zu bergründen, die ihr eine Fortsetzung des Mietverhältnisses ermöglicht, sobald die Oma ins Pflegeheim einzieht. Wenn die Wohnung nach Auszug der Kinder zu gross ist, kann der Gedanke an einen Umzug in eine kleinere Wohnung verworfen werden. Jeder der eine günstige Bestandsmietwohnung hat, wird versuchen, sie mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Die Erbitterung mit der Eigenbedarfskündigungen ausgefochten werden, dürfte ein ganz neues Niveau erreichen. Etc: etc.
Der Glaube an die Gestaltungsmöglichkeit der Politik durch Verbotsgesetze muss bei den beteiligten Juristen grenzenlos sein. Gesetze mögen wirtschaftliche Entwicklungen flankieren und für die Beteiligten erträglicher machen. Für mich sind Gesetze aber nicht geeignet, wirtschaftliche Entwicklungen aufzuhalten oder gar umzukehren. Das sollte auch Juristen einleuchten, die im Gemeinschaftskundeunterricht etwas über Marxismus (Produktionsverhältnisse etc.) gehört haben. Dass die Verfassungsrichter das Gesetzgebungsvorhaben trotzdem durchgewunken haben, mag aus verfassungsrechtlicher Sicht nachvollziehbar sein. Es ist aber eben auch nur eine juristische Sicht.
Vielen Dank für den Beitrag!
Das vom Autor angedeutete Gleichheitsproblem habe ich nicht. Zwar erscheint es auch mir im ersten Zugriff eigentümlich, wenn die vom Vermieter erzielbare Miete vom Einkommen des Mieters abhängen soll. Andererseits ist und bleibt ja auch die nach § 4 BerlMietWoG reduzierbare Miete nach der Wertung des BerlMietWoG eine „überhöhte Miete“. Bei Neuvermietung müsste der Vermieter ohnehin auf die fixe Obergrenze runter (§§ 3,5 BerlMietWoG), eine vor dem 18.6.2019 über der Obergrenze vereinbarte und vom Mieter zu tolerierende Miete ist nach der gesetzlichen Intention also nur ein ausnahmsweiser Vermieterglücksfall, ausnahmsweiser Bestandsschutz. Das man einen solchen aus sozialen Gründen auch wieder verwehren kann, erscheint mir nicht gleichheitswidrig.
Gleichheitsprobleme hätte ich auch nicht wegen der Wohnlagenproblematik, diese müsste mit dem Ziel der breiten Öffnung aller Lagen für sämtliche Bevölkerungsgruppen gerechtfertigt werden können. Wenn es das erklärte Ziel der Politik ist, alle Wohnlagen jeder Einkommensschicht gleichermaßen zugänglich zu machen, scheint mir das rechtlich ein probates Mittel (mit natürlich massiven Folgen, die Zeit von Einbauküchen und bodengleichen Duschen ginge zu Ende). Müsste man Lagevorteile und -moden anerkennen und abbilden, wäre man schon wieder in seiner Regulierungskompetenz beschränkt. Für gehobene Ausstattungen der Wohnung kann nichts anders gelten, aus ihnen folgende Zugangsbarrieren sollen ja gerade abgebaut werden.
Ein Gleichheitsproblem habe ich aber doch: Vermieter, die bislang (deutlich) unter der kommenden Obergrenze vermietet haben, sollen ihre Miete zukünftig nach § 3 Abs. 1 und 3 BerlMietWoG um nur 1,3% jährlich erhöhen dürfen, ganz gleich wie tief sie am 18. Juni 2019 unter der Obergrenze vermieteten. Warum bleibt völlig unklar, den vom Bundesgesetzgeber geregelten Mietspiegel kann man mit dem landesgesetzlichen Mietdeckel ohnehin in die Tonne werfen, hier wirkt sich das ebenso wenig aus wie beim Mietendeckel / der Obergrenze selbst. Warum soll ein bislang besonders sozialer / fairer Vermieter also gezwungen werden, sozialer und fairer zu bleiben als der Gesetzgeber mit Obergrenzen fix für sozial und fair vorgibt? Das ist für kein Regulierungsziel erforderlich, für den bislang sozialen / fairen Vermieter aber ggf. eine starke Belastung. Faktisch trifft es dann auch noch zumeist private Vermieter, die anders als große Unternehmen nicht immer erhöhten, sobald und soweit es ging (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/immobilien-von-wegen-miet-abzocke-1.4093417).
Hier läge es sehr viel näher, solchen Vermietern weiter die normalen BGB-Mietspiegel-Erhöhungsmöglichkeiten zuzugestehen, was mir im Übrigen auch kompetenzrechtlich sauberer erscheint.Grundlage dafür kann weiter der Berliner Mietspiegel des Jahres 2019 sein.
Ob das alles aber wirtschaftspolitisch in 25 Jahren als weiser Schritt gelten wird … Da kann man nur gespannt und darf man wohl auch kritisch sein. Das jetzige Mietspiegel-Erhöhungs-Perpetuum-Mobille ist aber jedenfalls auch keine Lösung.
“Jedenfalls ist Wohnraum aber nicht beliebig reproduzierbar und der Zuzug nach Berlin wächst schneller als jeder, auch hochsubventionierter, Wohnungsbau. Damit besteht auf unabsehbare Zeit ein fundamentales Verteilungsproblem von Wohnraum.”
Der schnelle Zuzug und die “Ungerechtigkeiten” entstehen vor allem dadurch, das der Zuzug gefördert und subventioniert wird. Würde nicht unverhältnismäßig vielen Menschen, die nicht für den eigenen Lebensunterhalt sorgen können, der Aufenthalt in Großstädten auf Kosten der Allgemeinheit ermöglicht, gäbe es keines der Probleme.
Upps, wieder was dazu gelernt. Ich dachte bislang, der Zuzug hängt vor Allem mit der Wiedervereinigung und der Beseitigung der Insellage zusammen sowie mit dem Hauptstadtbeschluss.
Der Zuzug lässt sich sich ja beschränken. Ab den 1930er Jahren gab es für viele Städte der UdSSR (vor allem für Moskau und für Leningrad) Zuzugsbeschränkungen. Vielleicht gilt ja für den Mietwohnungsmarkt in Berlin, was die DDR-Führung schon immer wusste: Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.
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Nach John Rawls bekanntem Differenzprinzip sind Ungleichverteilungen nur gerecht, wenn auch die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft einen Vorteil davon haben. Beständig steigende Mieten brachten privaten wie gewerblichen Vermietern in den letzten Jahrzehnten besonders in Berlin hohe Renditen.
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Hm. Aber es existiert doch auch eine Ungleichverteilung hinsichtlich der Möglichkeit großstädtischen Wohnraum und die dort vorhandenen Skalen-, Netzwerk- und Agglomerationseffekte überhaupt nutzen zu können. Denjenigen, die nicht in den Genuss dieser Möglichkeit kommen – unabhängig davon, ob sie in Relation zu einem Großstadtbewohner ansonsten leistungsfähiger sind oder nicht (“schwächer oder stärker”) – hilft der Eingriff in die Wohnraumallokation doch überhaupt nicht. Sie werden dadurch nicht besser gestellt, auch wenn sie schwach sind. Inwiefern läßt sich dann von diesem Eingriff darauf schließen, dass er den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft hilft oder nicht ?
Branko Milanovic hat im August auf seinem Blog das neue Buch von Paul Collier “The future of capitalism” vorgestellt. Er war größtenteils nicht allzu begeistert, was wohl vorallem mit doch deutlich unterschiedlichen politischen Präferenzen zu tun hat. Einen Vorschlag von Collier hebt Milanovic aber doch sehr positiv hervor: Die geographisch differenzierte Besteuerung von Immobilienwertsteigerungen und dem Einkommen spezialisierter Individuen.
https://glineq.blogspot.com/2019/08/how-to-create-ethical-county-if-not.html
Wenn man die unverdienten Bodenwertsteigerungen bei den Immobilieneigentümern abgreifen würde, z.B. in Anlehnung an Dirk Löhr, und gleichzeitig auch die – letztendlich ebenfalls unverdienten – Einkommensgewinne bei gut verdienenden Individuen, die von Netzwerk-, Skalen- und Agglomerationseffekte in Großstädten profitieren – z.B. in Form eines auf Großstädte beschränkten steileren Einkommensteuertarifs mit ggfs. auch höheren Grenzsteuersätzen – könnte man zum einen direkt von Abwanderungsprozessen betroffene Regionen unterstützen und würde zum anderen auch fair und dämpfend auf den Preisbildungsprozess im großstädtischen Wohnungsmarkt einwirken.
Würde so eine Konstruktion, die letztendlich die (schwer vermeidbare) Ungleichverteilung von Wohnraumnutzung erlaubt, aber gleichzeitig die dadurch entstehenden Gewinne gemeinnützig verteilt – an alle Schwachen, nicht nur an die, die von einer bestimmten bestehenden Wohnraumverteilung profitieren – nicht viel eher dem Gedanken entsprechen, dass eine Ungleichverteilung gerade dann gerecht ist, wenn sie ebenfalls den Schwächsten nutzt ?
Gegenwärtig erhalte ich eine Berliner Quadratmetermiete von 9,25 Euro, welche den Mieterhaushalt mit 15% belastet. Bei Inkrafttreten des Gesetzesentwurfs und Mieterwechsel würde es ungesetzlich, diesen Betrag zu erhalten. Ordnungsstrafe bis zu 500.000 Euro drohte, wenn ich mehr als 5 Euro nähme, mehr also als 9% der Mietereinkünfte. Eine Verrückheit, ersonnen und befürwortet von Ideologen.
Abgesehen davon: Der Autor geht arrogant darüber hinweg, dass ein rechtmäßiges Verhalten nicht durch den Gesetzgeber zu Unrecht erklärt und strafbewehrt werden darf. Aus Gründen der Akzeptanz und Autorität der gesllschaftlichen Ordnung. Jedoch Hochmut kommt oft vor dem Fall. Jedenfalls: Kommt der Mietendeckel wie geplant, wird dieser extremistische Akt der Staatswillkür das gesellschafliche Klima weiter vergiften, nicht nur in Berlin, sondern in Deutschland insgesamt. Profitieren werden davon am Ende die Rechtsextremisten.