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08 May 2014

Ships that pass in the night: Die Debatte über TTIP und die Schiedsgerichtsbarkeit

Seit Wochen diskutieren Medien und Blogs über TTIP – und dabei vor allem über ein Thema: die Schiedsgerichtsbarkeit. Von FAZ über Zeit bis zu SZ, Frankfurter Rundschau, taz und nicht zuletzt diesem Symposium gilt: So viel Schiedsgerichtsbarkeit war selten. Doch reden wir über dasselbe Konzept? Sehen wir (um es mit den Worten eines ehemaligen deutschen Fußball-Bundestrainers zu sagen) alle “dasselbe Spiel”? Und ist die Fixierung auf die Schiedsgerichtsbarkeit gerechtfertigt?

Was die erste Frage betrifft, so mag man durchaus zweifeln: Daniel Haufler warnt in der FR vor „Sonderklagerechten jenseits des Rechtsstaats“, Andreas Zielcke sieht in der Süddeutschen das „Risiko milliardenschwerer Haftung“. Und das alles in Verfahren vor „besonders umstrittenen geheimen Schiedsgerichten” (Henning Kafsack, FAZ). Und zeitgleich, in diesem Blog? Lobt Steffen Hindelang den Beitrag der Schiedsgerichte zur Rechtsstaatlichkeit, will Monika Polzin Schiedsgerichte vor staatlicher Einflussnahme schützen, bezeichnet Jörn Griebel ein Abkommen ohne Schiedsgerichtsbarkeit für „wertlos“. Wer sieht hier welches Spiel?

Hinter den Thesen stehen unterschiedliche Grundannahmen und Wertungen. Aber vielleicht fehlt es auch am Willen, auf die je andere Sicht einzugehen. Um es zuzuspitzen: Liest Heribert Prantl den Verfassungsblog, bevor er die Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat für gefährdet erklärt? Und umgekehrt: Nehmen die Teilnehmer (wir Teilnehmer) dieses Symposiums die Debatte in den Medien ernst genug; ist ihnen/uns klar, „wie das ganze System auf die große Anzahl von Menschen wirkt, die vor der Debatte um das TTIP bzw. der Vattenfall-Klage noch nie von [der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit] gehört haben“ (so die Frage von Michael K in einem Kommentar zum Einleitungsbeitrag)? Auf mich wirken ‚Verfassungsblogger’ und Leitartikler bisher wie Schiffe, die sich nachts auf dem Ozean begegnen, kurz Signale austauschen, aber dann auf ihrem alten Kurs weiterfahren: ships that pass in the night eben: ‚So on the ocean of life we pass and speak one another / Only a look and a voice, then darkness again and a silence.’

Im Folgenden zwei Signale, in der Hoffnung auf direkteren Austausch. Zunächst ein Versuch, drei Mythen zur Schiedsgerichtsbarkeit zur entkräften. Und sodann eine ernst gemeinte Antwort auf den besagten Michael K (den ich nicht kenne, der aber zurecht fragt, warum denn Investoren besonderen Rechtsschutz genießen sollten). Beide Signale zielen darauf ab, die Schiedsgerichtsbarkeit gegen überzogene Kritik zu verteidigen. Denn vieles liegt im Investitionsschutzrecht im Argen; die Schiedsgerichtsbarkeit aber wird fälschlich zum Sündenbock gemacht. Das vorab.

I. Drei Mythen über die TTIP-Schiedsgerichtsbarkeit

Zum ersten Punkt, den Mythen. Die einleitenden Zitate zeigen deutlich, dass die Schiedsgerichtsbarkeit derzeit keine gute Presse hat. Aber was kritisiert wird, ist zumindest in manchem ein Zerrbild, das mit dem geplanten TTIP-Schiedsgerichten nicht viel gemein hat. Drei Mythen über die Schiedsgerichtsbarkeit sind besonders einflussreich.

Mythos Nr. 1: TTIP-Schiedsgerichte wären etwas Neues

Der erste Mythos: Hier würde mit dem TTIP etwas Neues erprobt. Heribert Prantl etwa schreibt in der Süddeutschen, dass Schiedsklauseln “keine neue Erfindung” seien. Und fügt doch sogleich hinzu: “Aber als Klauseln zum Schutz von Investitionen waren sie bisher nur üblich, wenn diese in einem Staat mit niedrigem Rechtsstandard getätigt wurden.” Das mag für die 1980er Jahre noch zugetroffen haben, doch mit der Wirklichkeit des heutigen Investitionsschutzrechts hat es nur noch wenig zu tun. Seit ca. 50 Jahren – fast seit Beginn des modernen Investitionsschutzrechts – gibt es Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzverträgen (BITs). 93% dieser BITs erlauben Investoren heute den Weg zu einem Schiedsgericht. In der Frühphase sollte „das System“ Investitionen europäischer Firmen im Ausland schützen. Doch seit 20-30 Jahren ist das Bild bunter geworden: Investitionsschutz samt Schiedsgerichtsbarkeit wird nicht mehr nur mit Staaten vereinbart, die einen (wie auch immer zu messenden) „niedrigen Rechtsstandard” haben. Die USA, Kanada und Mexiko verpflichten sich durch das NAFTA-Abkommen zum Investitionsschutz; 50 Staaten des Nordens tun dasselbe im Energie-Charta-Vertrag; dazu gibt es zuhauf sogenannte ‘Süd-Süd-Abkommen’. Auf der UNCTAD-Website sind Verträge von 180 Staaten mit ganz unterschiedlichen Rechtsschutzniveaus per Mausklick abrufbar. Deutschland hat rund 130 abgeschlossen, etwa mit Singapur, (Süd)Korea, Uruguay, der Tschechischen Republik, Chile, Polen, Estland und Hongkong (allesamt vertreten in den Top 25 des Rechtsstaatlichkeits-Index des World Justice Project 2014), dazu z.B. mit China, Russland und Indien (dort nicht vertreten). Trotz der aktuellen Kontroversen sieht auch der Vertragsentwurf des EU-Abkommens mit Kanada (Platz 11 im Rechtsstaatlichkeits-Index) vor, dass Streitigkeiten vor Schiedsgerichten beizulegen sind. Wenn etwas „bisher üblich“ ist, ist es die Kopplung von Investitionsschutz und Schiedsgerichtsbarkeit.

Diese Kopplung ist nicht zwingend. Vielleicht ist es höchste Zeit, eine Fehlentwicklung zu korrigieren. Aber wenn sich etwas falsch entwickelt hat, dann nicht in TTIP-Verhandlungen, sondern seit Jahrzehnten. Das ‘Sonderrecht für Investoren’, das jetzt für Albträume sorgt, existiert längst; es wächst seit Jahren stetig heran: ‘BIT by BIT’, im deutschen Fall allesamt vom Bundestag beschlossen, vereinbart mit Staaten ganz unterschiedlicher Justizverständnisse, ohne dass deshalb Rechtsstaat und Demokratie besonders gefährdet schienen. Natürlich hat ein transatlantisches Abkommen eine größere Reichweite als die bisherigen Verträge. Aber strukturell sind seine Regelungen zur Schiedsgerichtsbarkeit nichts Neues. Sie sind Standard.

Mythos Nr. 2: TTIP führt zu Geheimprozessen

Die Skepsis gegenüber Schiedsgerichten hat viele Ursachen, doch eine steht häufig im Vordergrund – die Angst vor Verfahren hinter verschlossenen Türen, vor den schon erwähnten „besonders umstrittenen geheimen Schiedsgerichte[n]”. Dies ist der zweite Mythos: dass Streitigkeiten unter TTIP nicht im reinigenden Licht der Öffentlichkeit, sondern in dunklen Hinterzimmern beigelegt würden. Deutlich etwa bei Andreas Zielcke, der den ‘geschlossenen “Geheim”-Prozess’ eines Schiedsverfahrens kritisiert und meint, Schiedssprüche würden “in der Regel nicht einmal veröffentlicht”. Aber letzteres ist falsch und ersteres zumindest überzeichnet.

Was die Veröffentlichung angeht: Die meisten Schiedssprüche bleiben nicht geheim, sondern sind online frei zugänglich. Wer zweifelt, klicke hier oder hier – oder kaufe sich als Einstieg einen der bisher sechzehn Bände der fortlaufend ergänzten Entscheidungssammlung ‚ICSID Reports’. Wer klickt oder kauft, wird schnell feststellen: Man kann wochenlang lesen. Denn in aller Regel werden Schiedssprüche eben veröffentlicht. (Und häufig sind sie sehr lang. Band 16 der ICSID Reports hat knapp über 600 Seiten.)

Vor allem aber, und viel wichtiger: Für Schiedssprüche, die auf der Grundlage künftiger EU-Abkommen ergehen werden, gilt ein deutlich verbessertes Transparenz-Regime. Schon vor der aktuellen Konsultation hatte die Kommission erkannt, dass der Eindruck von Geheimverfahren vermieden werden müsse. Das Positionspapier der EU, das Vertragsverhandlungen als Grundlage dient, widmet der Transparenz einen eigenständigen Abschnitt. Es schreibt fest, dass nicht nur der Schiedsspruch, sondern auch alle relevanten Schriftsätze, Beschlüsse und etwa Protokolle der Verhandlungen zu veröffentlichen sind. Anhörungen werden – sofern nicht das Schiedsgericht im Einzelfall etwas anderes anordnet – öffentlich sein. Interessierte Verfahrensbeteiligte (die sog. amici curiae) können sich mit Stellungnahmen an das Schiedsgericht wenden – kein Staat, kein Investor kann das verhindern. All dies sind nur EU-interne Vorgaben, die im Detail mit dem jeweiligen Vertragspartner abgestimmt werden müssen. Im CETA-Abkommen, das mit Kanada ausverhandelt wird, scheint das zu geschehen. Und für das TTIP dürfte nichts anderes gelten, denn warum sollten gerade die USA – die mit dem NAFTA-Abkommen den Trend zu mehr Öffentlichkeit im Investitionsschutzrecht eingeläutet haben – sich den Forderungen nach Transparenz widersetzen?

Mit anderen Worten: Sollten sich EU und USA auf einen Vertrag verständigen und sollte dieser Investor-Klagen zulassen, so wären TTIP-Schiedsverfahren keine “Geheim-Prozesse”, und sicher auch nicht „geschlossen“. Ganz im Gegenteil: In kaum einem anderen Bereich hat sich die EU so deutlich auf die Kritiker zubewegt wie bei der Verfahrens-Öffentlichkeit; diese wird im TTIP in weitem Umfang gewährleistet sein. Mögen muss man die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit deswegen nicht. Aber die Sorge vor Geheimverfahren unter TTIP ist überzeichnet.

Mythos Nr. 3: Schiedsgerichte außer Kontrolle?

Der dritte Mythos: der von der entfesselten Schiedsgerichtsbarkeit. Laut Süddeutscher Zeitung sind Schiedsgerichte “so mächtig wie das Bundesverfassungsgericht” (Prantl): ein “eiserne[r] Regulierungsmechanismus“, dem es an “sämtlichen Faktoren, die die rechtsstaatliche Qualität von Justiz sichern”, fehlt (Zielcke). Blickt man auf die Ergebnisse, so kann man wirklich manchmal (ver)zweifeln: Viele Schiedssprüche sind umstritten, manche lassen einem die Haare zu Berge stehen. Kein System ist fehlerfrei, und das Investitionsschutzrecht ist es ganz sicher nicht. Doch ist die Schiedsgerichtsbarkeit, sind die Schiedssprüche, Ursache oder Symptom einer Fehlentwicklung? Wie Richter haben auch Schiedsrichter Spielräume, und deren Ausnutzung wird durch Vorverständnisse beeinflusst. Aber Richter wie Schiedsrichter urteilen nicht im luftleeren Raum, sondern wenden Recht an, das andere gesetzt haben – in diesem Fall die Parteien eines Investitionsschutzvertrages. Setzt das Recht falsche Prioritäten, kann ein Schiedsrichter das nur in begrenztem Maße korrigieren – und soll es ja, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen. Wer vertraglich starke Investorenrechte festschreibt und wer Schiedsrichter wählt, für die Investorenschutz alles ist, darf sich nicht wundern, wenn dies in Schiedsverfahren zur Geltung kommt. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist „nur so gut wie das anwendbare Recht“, schreibt Jörn Griebel zurecht.

Und weil das so ist, ist die Vorstellung von der entfesselten Schiedsgerichtsbarkeit ein Mythos. Wenn das Investitionsschutzrecht grundsätzlich falsche Prioritäten setzt, dann sollte man zunächst auf Staaten zeigen, nicht auf Schiedsgerichte. Denn Staaten haben das „ganze System“ erdacht, es vertraglich verankert. Und Staaten bleiben Herren der Verträge. Wenn ihnen der Investorenschutz zu weit geht, können sie auf neue Verträge verzichten, in neuen Verträgen das Schutzniveau absenken oder vertragliche Ausnahmeregelungen vorsehen. All dies geschieht seit Jahren: Der Investitionsschutz wird “rekalibriert”, die Balance zwischen Investorenrechten und Regulierung neu justiert; Hans-Georg Dederer beschreibt es in seinem Beitrag. Das Investitionsschutzrecht ist im beständigen Wandel. Abkommen werden länger, detaillierter, nuancierter, differenzierter. Staaten nehmen Ausnahme- oder Ausschlussklauseln auf – zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitssicherheit; um das Steuerrecht von Verfahren auszunehmen; um Rechtsmissbrauch zu verhindern. All dies ist ohne weiteres möglich, weil ja jeder Vertrag neu verhandelt wird. Dabei gibt es natürlich Beharrungskräfte und den allzu menschlichen Wunsch, es lieber weiter so zu machen wie schon immer. Aber eben auch die Möglichkeit zur Neuanpassung.

In den Verhandlungen zwischen den USA, Kanada und der EU über TTIP und CETA gibt es beides – ‚weiter so’ wie Korrekturen – aber letztere überwiegen: Von den schlanken Standard-Verträgen, wie sie viele EU-Mitgliedsstaaten jahrzehntelang abgeschlossen haben, werden TTIP und CETA meilenweit entfernt sein. Um es an zwei Beispielen zu verdeutlichen: Im CETA-Entwurf präzisieren EU und Kanada den schwammigen Begriff des „fair and equitable treatment“ (bisher eine ‚Allzweckwaffe’ des Investorenschutzes), indem sie sechs Kategorien von Eingriffen abschließend benennen. Schiedsgerichte werden diese sechs Kategorien anwenden müssen, was ihren Spielraum beschränkt. Und, potentiell gravierender, weil eine grundsätzliche Begrenzung der schiedsgerichtlichen Interpretationshoheit: unter CETA wie auch TTIP werden die Staaten permanente Vertragsgremien einrichten, die die Auslegung der Schutzstandards überwachen und die Schiedsgerichten bindende Vorgaben machen können. (Monika Polzin diskutiert dies im Detail.) All dies geschieht, weil Staaten den Einfluss von Schiedsgerichten einhegen wollen – und weil sie es bei der Aushandlung neuer Verträge wie TTIP und CETA ohne weiteres können.

Schiedsgerichte waren Motor der Entwicklung des Investitionsschutzes – so wie Strafgerichtshöfe das Völkerstrafrecht vorangetrieben haben oder der Straßburger Gerichtshof die Agenda des europäischen Menschenrechtsschutzes. Vielleicht haben sie es einseitig entwickelt, und ganz sicher hat der Motor manchmal überhitzt. Weil das so ist, und weil die Überhitzungen lange Zeit nicht wahrgenommen wurden, ist die Kritik jetzt so heftig und wird zum „PR­-Desaster für die beteiligten Juristen” (Jannis Brühl). Dies alles ist hoffentlich heilsam. Aber für neu zu verhandelnde Verträge wie das TTIP gilt: Motoren kann man regulieren; ggfs. kann man sie abregeln. Und genau darüber diskutieren die EU und die USA. Wenn das TTIP kommt, und wenn es mit Schiedsgerichtsbarkeit kommt, dann wird diese alles andere als entfesselt sein.

II. Schiedsgerichte als Sündenböcke; umfassende Schiedsgerichtsbarkeit als Ziel

Um es zu wiederholen: dass die Schiedsgerichtsbarkeit ganz üblich ist, dass sie unter TTIP weder geheim noch entfesselt sein wird – all dies sind bloß Versuche, ein Zerrbild zu korrigieren. Vielleicht – hoffentlich – kommt der eine oder die andere Leser/in zu dem Schluss, dass sie nicht gar so schlimm ist, die Schiedsgerichtsbarkeit. Vielleicht sind die Ansätze zu mehr Transparenz und mehr Kontrolle auch mehr als „vielleicht kleine Verbesserungen, aber bitte mit Augenmaß”, während im Übrigen alles beim alten bleibt (um nochmals Michael K zu bemühen). Aber ein Argument für Schiedsverfahren lässt sich aus dem Bisherigen nicht ableiten. „Das haben wir schon immer so gemacht“ – das reicht nicht mehr; die aktuelle Debatte zeigt, dass das, was schon immer so gemacht wurde, erklärt und begründet werden muss. Daran fehlt es bisher weitgehend; daher scheint jedenfalls die öffentliche Diskussion über TTIP und Schiedsgerichtsbarkeit bisher in der Tat zum „PR-­Desaster für die beteiligten Juristen” zu werden.

Also: Lässt sie sich rechtfertigen, die Schiedsgerichtsbarkeit? Im Folgenden dazu zwei Überlegungen: Zunächst der Versuch, den Kern der öffentlichen Kritik zu identifizieren, die meines Erachtens gar nicht gegen die Schiedsgerichtsbarkeit gerichtet ist, sondern weiter geht. Danach ein wohlwollender Blick auf die Schiedsgerichtsbarkeit aus der Perspektive des allgemeinen Völkerrechts.

Den Sack schlagen, den Esel meinen

Die erste Überlegung setzt beim Mythos Nr. 3 an: Schiedsgerichte existieren nicht im luftleeren Raum, sondern wenden das von Staaten vereinbarte Investitionsschutzrecht an. Mein Eindruck ist, dass Schiedsgerichte kritisiert werden, die Kritik sich aber eigentlich gegen das Investitionsschutzrecht als solches richtet. Und in der Tat: über dessen Sinn und Zweck kann man lange streiten. Brauchen Investoren Sonderrechte? Sollen diese im Völkerrecht geschützt werden – neben dem nationalen Recht, das Investoren ohnehin berechtigt und verpflichtet? Ist „das ganze System“ des Investitionsschutzes sinnvoll, das ausländische Firmen gegenüber nationalen Firmen privilegiert, weil es ihnen zusätzliche Rechte nach Maßgabe des Völkerrechts einräumt (wohingegen das Völkerrecht sonst mit Mühen versucht, die Rechte von Ausländern peu à peu denen von Staatsangehörigen anzugleichen – ein zäher Kampf: man frage Flüchtlingsrechtler, Menschenrechtler, etc.)? Sind ‚special rights for a privileged few’ (wie José Alvarez den Investitionsschutz pointiert bezeichnet) zu rechtfertigen?

Seit rund 50 Jahren haben immer mehr Staaten diese Fragen mit ‚ja’ beantwortet, teils emphatisch, teils grummelnd-resignativ. Der moderne Investitionsschutz beruht auf der Erwägung, dass man ausländischen Firmen besonderen Schutz nach Maßgabe des Völkerrechts gewährt, um so Anreize für Auslandsinvestitionen zu setzen: (Nahezu alles an dieser Prämisse kann man hinterfragen. Aber sie hat die schnelle Entwicklung des internationalen Investitionsschutzrechts geprägt und dazu geführt, dass heute ein recht dichtes Netz von über 3000 zwischenstaatlichen Verträgen den Globus umspannt.) Mit anderen Worten: Das internationale Investitionsschutzrecht ist auf dem Nährboden des Misstrauens gegenüber nationalem Rechtsordnungen gediehen. Weil manch nationales Recht in sensiblen Bereichen vielleicht keinen ausreichenden Schutz bietet (und weil der Gaststaat es zu Lasten ausländischer Investoren verändern kann), hat man es um eine weitere, völkerrechtliche Schutzebene ergänzt – ein Sicherungsseil, ein doppelter Boden. Im Verhältnis zwischen EU und USA mag ein solches Misstrauen fehl am Platze sein, mögen Investoren ohne Netz und doppelten Boden auskommen. Vielleicht reicht es aus, wenn sich die Vertragspartner zusichern, ausländische Investitionen nach Maßgabe des eigenen nationalen (bzw. europäischen) Rechts zu schützen und nicht zu diskriminieren. Dann könnten sich europäische Investoren gegenüber den USA auf US-amerikanisches Recht berufen; und US-amerikanische Firmen in Europa auf das jeweils anwendbare nationale und europäische Recht, so wie es bisher gilt. Andererseits: Bisher haben sich europäische Staaten in vergleichbaren Situationen zumeist für Netz und doppelten Boden entschieden, auch im Verhältnis untereinander. Deshalb hat Vattenfall im Streit um die Pirouetten der deutschen Energiepolitik Anspruch auf Schutz auch nach internationalem Recht, nicht nur (wie RWE etc) nach deutschem Recht.

Was hat nun all das mit der Schiedsgerichtsbarkeit zu tun? Nichts – und doch so viel mit der aktuellen Diskussion über sie. Denn die Diskussion greift, bei aller Dramatik, in einem Punkt zu kurz. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist Teil eines „ganzen Systems“, und nicht sie, sondern das ganze System verstört. Dass Vattenfall vor einem „Offshore-Schiedsgericht“ klagt (wie es eine Zeitung formuliert), verblüfft. Aber im Kern richtet sich die Kritik doch gegen die Privilegierung ausländischer Investoren: gegen die Tatsache, dass Vattenfall –  aber auch deutsche Firmen im Ausland – im Zweifel mehr Rechte haben können als inländische Firmen. Man stelle sich vor, es gäbe keine ‚Offshore-Schiedsgerichte’, aber dafür ein sehr weitreichendes internationales Investitionsschutzrecht: Wäre die Aufregung geringer, wenn ein deutsches Gericht Vattenfall Recht zuspräche, nachdem es das deutsche Recht völkerrechtsfreundlich – nämlich im Sinne des weitergehenden Schutzes ausländischer Investoren – auslegt? Ich kann es mir kaum vorstellen. Wer die „geheimen Schiedsgerichte” kritisiert, schlägt den Sack und meint aber zumeist den Esel.

Der Charme der Effektivität – gerade im Völkerrecht

Wenn „das ganze System“ umstritten ist, so mag man vielleicht schlicht auf Investitionsschutz im TTIP verzichten, also nicht nur keine Schiedsverfahren, sondern auch auf keine besonderen materiellen Schutzrechte vorsehen. Das wäre konsequent. Man verzichtete schlichtweg darauf, eine neue Ebene des Rechtsschutzes festzuschreiben. Investoren bliebe der Schutz des jeweils nationalen (bzw. europäischen) Rechts. Ein Risiko – Klagen US-amerikanischer Firmen auf Grundlage des Investitionsschutzrechts – wäre ausgeschlossen. Man dürfte sich andererseits nicht beschweren, wenn in der nahen oder fernen Zukunft ein deutscher Investor – vielleicht ein deutscher Herr Loewen: Joern Griebel hat auf den echten Fall hingewiesen – vor US-amerikanischen Gerichten auf Grundlage US-amerikanischen Rechts Schiffbrauch erlitte. (Wir sind ja nicht immer über US-Recht und US-Gerichtsentscheidungen froh, man denke an Guantanamo, an Todestrakte, an Strafschadensersatz.) Möglicherweise gäbe es weniger Anreize zu weiteren transatlantischen Investitionen, weil das TTIP auf ein ermunterndes Signal Investoren verzichtete. All dies wird derzeit abgewogen; und dass es offener und breiter als bisher diskutiert wird, ist ein Gewinn.

Mit Blick auf die Schiedsgerichtsbarkeit erscheint mir ein Nebenaspekt wichtig, der bisher in der Debatte untergeht. Man mag das Investitionsschutzrecht mögen oder nicht. Aber wer Rechte festschreibt, sollte sie so ausgestalten, dass sie effektiv durchgesetzt werden können. Aus dieser allgemeine Maxime leitet sich im nationalen Recht der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes ab – und effektiver Rechtsschutz meint in aller Regel gerichtlicher Rechtsschutz, jedenfalls Rechtsschutz auf der Grundlage verbindlicher Entscheidungen unabhängiger Einrichtungen. Im Völkerrecht hat die Forderung nach effektiver Ausgestaltung von Rechten besondere Bedeutung, weil es so oft an effektiver Rechtsdurchsetzung mangelt und nur so wenige Streitigkeiten durch verbindliche Entscheidungen beigelegt werden. Internationale Gerichte sind nur im Ausnahmefall zur Streitbeilegung berufen. Nur in besonderen Bereichen erkennen die Staaten und andere Völkerrechts-Akteure ihre Zuständigkeit generell an. Wer seine völkerrechtlichen Rechte verletzt sieht, hat nur ausnahmsweise Zugang zu internationalen Gerichten oder Schiedsgerichten: etwa bei Verletzungen des Welthandelsrechts, der Europäischen Menschenrechtskonvention. Teilweise verhelfen nationale Gerichte dem Völkerrecht zur Rechtsgeltung; aber die Effektivität dieser Ersatzlösung hängt von innerstaatlichen Regelungen über den Status des Völkerrechts in der nationalen Rechtsordnung ab und wird durch die Grundsätze der völkerrechtlichen Immunität begrenzt.

Und so werden völkerrechtliche Rechtsstreitigkeiten in aller Regel ‚out of court’ gelöst: auf diplomatischem Wege, in Verhandlungen, durch Sanktionen. Dass dies nicht ideal ist, vielleicht gar die Achillesferse der Völkerrechtsordnung, lernt jeder Studierende des Völkerrechts in der ersten oder zweiten Vorlesungsstunde. Die strukturellen Schwächen der Völkerrechtsdurchsetzung lassen sich aktuell anhand der Krim-Krise studieren. In vielen Bereichen sind Vollzugsdefizite endemisch. Weil seine Durchsetzung oft so beschwerlich ist, diskutieren Völkerrechtler und interessierte Öffentlichkeit bei jeder Groß-Krise von Neuem, ob das Völkerrecht denn wirklich Recht ist. Und aus demselben Grund steht die Forderung nach Stärkung der internationalen (Schieds-)Gerichtsbarkeit auf dem völkerrechtlichen Wunschzettel seit 150 Jahren weit oben. Dieser Kontext ist allgemein bekannt, und wird doch beim derzeitigen Schiedsgerichts-Bashing ausgeblendet.

Doch das ist gefährlich, denn so geht der Blick für eine Besonderheit des Investitionsschutzrechts verloren. Dieses ist eines der wenigen juridifizierten Felder des Völkerrechts: wer sein Recht verletzt sieht, hat in den meisten Fällen Zugang zu einem (Schieds-)Gericht. Die allgemeine Forderung nach Stärkung der internationalen (Schieds-)Gerichtsbarkeit – im internationalen Investitionsschutz ist sie ausnahmsweise verwirklicht. Staaten akzeptieren hier, was sie anderswo (im universellen Menschenrechtsschutz, im Umweltvölkerrecht, im Flüchtlingsrecht, im humanitären Völkerrecht) scheuen wie der Teufel das Weihwasser: die verbindliche Streitbeilegung durch unabhängige Einrichtungen. Auch das kann man natürlich wenden und als Beleg für die immense Macht internationaler Konzerne sehen. (Und wer das tut, hat sicher Recht.) Aber als Völkerrechtler, der Verzicht gewohnt ist und tagein-tagaus mit Durchsetzungsdefiziten des Rechts lebt, erfreue ich mich an der Macht des internationalen Rechts über Staaten. Ineffektive Rechtsregime gibt es weiß Gott genug.

***

Wenn das (materielle) Recht falsche Prioritäten setzt, sorgt seine effektive Durchsetzung selten für Freude. Aber wer die Reform des Investitionsschutzrechts fordert, sollte sinnvolle Reformen vorschlagen. Und den Grundsatz der effektiven Rechtsdurchsetzung anzutasten, erscheint mir schlicht nicht sinnvoll. Zumal es eine offenkundige Alternative gibt: die Reform des materiellen Investitionsschutzrechts, so dass es Gemeinwohlinteressen besser Rechnung trägt. Im nationalen Recht ist das der normale Weg der Reform: nicht der Rechtsschutz wird abgeschafft, sondern das materielle Recht überarbeitet. Für das Investitionsschutzrecht sollte das Gleiche gelten, gerade weil effektiver Rechtsschutz im Völkerrecht so selten ist. Wo effektive Rechtschutzmechanismen existieren, sollten sie Artenschutz genießen. Wer Angst vor mächtigen Schiedsgerichten hat, mag nationale Gerichte vorschalten. Wie im Menschenrechtsschutz könnte die internationale Klage von der vorherigen Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe abhängig gemacht werden. Aber wer die Schiedsgerichtsbarkeit abschafft, schüttet das Kind mit dem Bade aus.

 

 


11 Comments

  1. Aufmerksamer Leser Thu 8 May 2014 at 12:00 - Reply

    Schreibt der Bundestrainer “das selbe Spiel” wirklich getrennt?

  2. Maximilian Steinbeis Thu 8 May 2014 at 13:09 - Reply

    Sie machen Ihrem Namen wirklich alle Ehre. Mein Redigierfehler, weder der Bundestrainer noch Herr Tams können etwas dafür.

  3. CJ Tams Thu 8 May 2014 at 14:20 - Reply

    Na, ein Glück, dass das geklärt ist. Was hätte HH Vogts sonst gesagt?

  4. Aufmerksamer Leser Thu 8 May 2014 at 15:49 - Reply

    schuldigung.

  5. […] Regel gelten, dass grundsätzlich immer zuerst der nationale Rechtsweg zu beschreiten ist (hierzu Tams). Mit einem solchen reduzierten Verständnis von Investitionsschiedsgerichtsbarkeit besteht auch […]

  6. […] von Interessen ausländischer Investoren einhergeht, kein besonderer „Artenschutz“, wie Christian Tams in seinem Beitrag nahelegt. Trotz aller intuitiv geteilten Begeisterung des Völkerrechtlers für […]

  7. Heinrich K Fri 16 May 2014 at 17:54 - Reply

    Vielen Dank für Ihren Beitrag und vor allem, dass Sie auf die kritischen Anmerkungen von Michael K eingehen und nicht nur investitionsschutzrechtlichen Plattitüden verbreiten.

    Mir stellen sich hier einige Fragen, die von Michael K aufgeworfen wurden.
    Warum sollten die genannten negativen Konsequenzen des TTIP in Kauf genommen werden? Was gewinnt die EU, was gewinnen die USA? Mir fehlt hier eine Diskussion über das quid pro quo des Abkommens.

    Natürlich sind regionale Investitionsschutzabkommen die konsequente Fortentwicklung des bestehenden bilateralen Flickenteppichs. Aber sind wir Europäer vergleichbar stark auf FDI angewiesen wie es die Länder des Südens sind (waren)? Bei letzteren wird die Beschränkung der Souveränität immer als der erforderlich trade off für Wachstum, Wohlstand und Entwicklung beschrieben, obwohl ein Beweis dafür noch nicht erbracht wurde.

    Wenn aber selbst bei Ländern, bei denen die investitionsschutzrechtlichen Schutzstandards ein tatsächliches Plus an Rechtsschutz im Vergleich zum nationalen Recht darstellen, ein positiver ökonomischer Effekt von Investitionsschutz bislang nicht bewiesen werden konnte, warum sollten Europäer und US-Amerikaner dann durch ISDR ihre Souveränität beschränken, obwohl für Investoren materiell-rechtlich keine gravierenden Verbesserungen zu erwarten sind?

  8. Andre Wed 18 Jun 2014 at 13:06 - Reply

    Es gibt zwei Punkte:

    1) Schiedgerichte in TTIP diskriminieren inländische Investoren, indem sie ausländischen Investoren Sonderrechte geben. Das steht gegen den Gleichheitsgrundsatz.
    2) Was ist am nationalen Rechtsweg falsch? ISDS brauchen wir nur, wenn wir unterstellen, dass Ausländer vor den Gerichten diskriminiert werden.

    Durch das Forum Shopping erhält ISDS überhaupt erst dann Berechtigung, wenn es investorenfreundlicher als der nationale Rechtsweg ist. Die Verzerrung ist systemisch und gewollt.

    Es ist eine Zumutung für die EU sich wie eine Bananenrepublik behandeln lassen zu müssen. Genau für die waren ISDS Sicherungen gedacht. Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem die USA einen ISDS Streit gegen amerikanische Interessen verloren haben. Insofern wäre Europa geostrategisch dumm sich auf ISDS einzulassen.

    Verfassungsrechtlich ist das alles spiegelblank… Mediatoren, die höchstrichterliche Entscheidungen in Zweifel stellen, das brauchen wir wirklich nicht.

  9. […] Berücksichtigt man, dass der Investitionsschutz ursprünglich die Sicherung von Auslandsinvestitionen in rechtsstaatlich defizitären Staaten bezweckte und es sich bei TTIP um ein Abkommen zwischen Entitäten handelt, deren innerstaatliche Gerichtsverfahren insgesamt rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen, so lässt sich die geäußerte Kritik umso weniger von der Hand weisen (hierzu Von Bernstorff, Feichtner, Fernandez-Armesto und Hindelang, anderer Ansicht wohl Schill und Tams). […]

  10. Lemmens Sat 3 Dec 2016 at 13:10 - Reply

    wo bleibt die Diskussion über die Auswirkungen des Schiedsgerichtsverfahren von das aktuellen TiSA-Dienstleitingsvertrages, das mit einem Umfang von zwei drittel der Welteconomie einen viel gröszer Umfang als als TTIP hat.

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