09 February 2018

Liegt Troja bald in Hessen? Ein neues Hessisches Verfassungsschutz­gesetz

Am 8. Februar 2018 fand im Innenausschuss des Hessischen Landtags eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf für ein Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen“ statt, der von den Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht worden war.

Der Gesetzentwurf sieht in Artikel 1 eine vollständige Neufassung des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HSVG) vor. Nach der Entwurfsbegründung verfolgt die Neuregelung dabei eine ganze Reihe von Zielen (S. 1 ff., 24 ff.): Dazu gehören u.a. eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Verhältnis von Bund und Ländern, „auch auf der Grundlage der politischen Aufarbeitung der Mordserie der rechtsextremistischen Terrorgruppe des sogenannten ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ (NSU)“, die Anpassung der hessischen Vorschriften an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, die die Befugnisse des Landesamts und deren Grenzen klar definiert sowie die Orientierung an bundeseinheitlich geltenden rechtsstaatlichen Standards und schließlich eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle.

Die praktische Umsetzung beschränkt sich freilich weitestgehend auf eine Neustrukturierung des Gesetzes und überführt ansonsten vor allem Regelungen des Bundes- und einiger Landesverfassungsschutzgesetze in das Hessische Landesrecht. Dabei bemüht sich der Entwurf immerhin um eine Anpassung der Regelungen an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz. Auch dies ist allerdings nur teilweise gelungen. Soweit der Gesetzentwurf tatsächlich einmal eigenständige Wege geht, bestehen diese vor allem in einer nochmaligen Ausweitung der Befugnisse des Hessischen Landesamts.

Befugnisausweitung en passant

Beispielhaft genannt sei hier etwa die Übernahme der – eindeutig als missglückt zu bezeichnenden – Regelungen der §§ 9a und 9b BVerfSchG zum Einsatz von Verdeckten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie von sogenannten „Vertrauensleuten“ durch die §§ 13, 14 HVSG. Entgegen der bundesgesetzlichen Regelung sollen diese in Hessen auch dann zum Einsatz kommen können, wenn die beobachteten Bestrebungen nicht darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten. Begründet wird dies im Entwurf recht lapidar mit der „arbeitsteiligen Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern“, bei der die Zurückhaltung des Bundes „zwangsläufig einen erweiterten Beobachtungsauftrag aufseiten der Landesverfassungsschutzbehörden zur Folge“ habe (S. 40).

Bei den sogenannten besonderen Auskunftsersuchen sollen die Auskunftsansprüche des Landesamts – die sich, entsprechend denjenigen des Bundesamts gem. § 8a Abs.2 Nr. 1 BVerfSchG, bislang nur gegen Luftfahrtunternehmen richteten – gem. § 11 Abs. 2 Nr. 1 HVSG nunmehr gegenüber allen „Verkehrsunternehmen“ bestehen. Sozusagen im Vorübergehen – die Änderung ist der Entwurfsbegründung immerhin ganze 5 ½ Zeilen wert (S. 39) – wird das Landesamt so zu einer praktisch lückenlosen Kontrolle der individuellen Mobilität ermächtigt, sofern diese über Verkehrsdienstleister und nicht lediglich zu Fuß oder unter Nutzung eines eigenen Fahrzeugs stattfindet.

Wohnraumüberwachung und „Hessen-Trojaner“

Der – auch bereits im Vorfeld der Anhörung – umstrittenste Punkt des Gesetzentwurfs dürfte jedoch die Einführung einer Befugnis für das Landesamt in § 8 HSVG sein, künftig verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme nehmen zu können. Umgangssprachlich ausgedrückt handelt es sich hierbei um die Einführung des sogenannten „Hessen-Trojaners“.

Dabei scheinen die diesbezüglichen Regelungen des HSVG – trotz einiger Kritik im Detail – grundsätzlich den verfassungsgerichtlichen Anforderungen zu entsprechen:

Für Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen und damit präventiven Charakter haben, kommt es danach für die Rechtfertigung zunächst unmittelbar auf das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter an. Heimliche Überwachungsmaßnahmen, die tief in das Privatleben hineinreichen, sind nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter wie Leib, Leben und Freiheit der Person sowie Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes zulässig (Rn. 106). Der Entwurf erfüllt diese Anforderungen, indem er sie wortgleich ins einfache Recht überträgt.

Ferner ist im Bereich der Gefahrenabwehr die Erhebung von Daten durch heimliche Überwachungsmaßnahmen mit besonders hoher Eingriffsintensität grundsätzlich nur verhältnismäßig, „wenn eine Gefährdung dieser Rechtsgüter im Einzelfall hinreichend konkret absehbar ist und der Adressat der Maßnahmen aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach in sie verfangen ist.“ Für den „besonders tief in die Privatsphäre eindringenden“ Eingriff der Wohnraumüberwachung verweist das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung diesbezüglich auf Art. 13 Abs. 4 GG, der explizit eine „dringende Gefahr“ verlangt (Rn. 110).

Das HSVG regelt die Voraussetzungen des verdeckten Zugriffs auf informationstechnische Systeme nun gerade parallel zu den Voraussetzungen der Wohnraumüberwachung: § 8 verweist insofern schlicht auf die Voraussetzungen des § 7 HSVG. Beide Maßnahmen verlangen für ihre Anwendbarkeit damit einheitlich das Vorliegen einer „dringenden Gefahr“. Insoweit kann an der Vereinbarkeit dieser Regelungen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach wie vor eigentlich kein Zweifel bestehen.

Die verfassungsrechtliche Problematik steckt denn auch nicht in den Regelungen selbst, sondern in den Ausführungen, die die Entwurfsbegründung diesbezüglich macht: So führt sie in Bezug auf die Wohnraumüberwachung aus, diese schaffe „die verfassungsrechtlich ausgewogene, zugleich aber auch hinreichend praktikable Rechtsgrundlage für jene Lebenssachverhalte, in denen sich ein zum Schaden führender Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, aber bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Mit den flankierenden Verfahrensregelungen des § 9 schafft die Vorschrift nunmehr diejenige Eingriffsgrundlage, mit der einem schweren Missbrauch des Wohnungsgrundrechts für extremistisch-terroristische Bestrebungen und Aktivitäten adäquat begegnet werden kann. Eine Wohnraumüberwachung kann als ultima ratio etwa dann in Betracht kommen, wenn Privaträume für Missionierungs- bzw. Radikalisierungszwecke genutzt werden. Es entspricht dabei nachrichtendienstlichem Erfahrungswissen, dass entsprechende extremistische Bestrebungen insbesondere dann in den nicht öffentlichen Raum wie etwa Privaträume und angemietete Hallen verlagert werden, wenn der sicherheitsbehördliche Verfolgungsdruck steigt.“ (S. 34)

Zur verfassungsrechtlichen Absicherung dieser Ausführungen verweist die Begründung auf ein „vom Bundesverfassungsgericht fortentwickelte[s] sicherheitsrechtliche[s] Gefahrenabwehrmodell[…]“. Danach sei der Gesetzgeber „nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er – insbesondere im Kontext der Terrorismusbekämpfung – die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, können Überwachungsmaßnahmen auch dann erlaubt werden, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird.“ (S. 33 f.)

Obwohl diese Ausführungen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts formal korrekt wiedergeben, sind sie in Hinblick zu den angeblichen Einsatzmöglichkeiten der Wohnraumüberwachung äußerst kritisch zu sehen:

Zum einen hat der Gesetzentwurf von der vom Bundesverfassungsgericht eröffneten Möglichkeit, statt auf eine dringende Gefahr, auf das individuelle Verhalten einer Person abzustellen gerade nicht Gebrauch gemacht – vgl. demgegenüber etwa § 20h Abs. 1 Nr. 1 b BKAG.

Zum anderen fallen die in der Entwurfsbegründung genannten Beispiele, d.h. die Nutzung von Privaträumen für Missionierungs- oder Radikalisierungszwecke, gerade nicht unter die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an den Einsatz derart eingriffsintensiver Überwachungsmaßnahmen stellt. Bei der „Missionierung- bzw. Radikalisierung“ geht es um geistige Einwirkungen auf Dritte. Weder diese Einwirkung noch „das missioniert bzw. radikalisiert werden“ lässt sich damit als ein individuelles Verhalten einer Person beschreiben, welches die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass diese Person in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begehen wird, welche die in § 7 S. 1 HVSG genannten Rechtsgüter verletzen. Die Entwurfsbegründung vermittelt somit den Eindruck, dass die besonders eingriffsintensiven Maßnahmen der Wohnraumüberwachung und des Trojaners in einem informatorischen Vorfeld eingesetzt werden könnten, in dem sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade nichts zu suchen haben.

Nicht umsonst haben – mit der Ausnahme von Bayern – nicht nur alle Länder und der Bund bislang davon abgesehen, ihre Nachrichtendienste mit einer entsprechenden Befugnis zum Zugriff auf informationstechnische Systeme auszustatten. Niedersachsen hat konsequenterweise überdies auch die Wohnraumüberwachung aus dem Arsenal der seinem Landesverfassungsschutz zur Verfügung stehenden nachrichtendienstlichen Mittel gestrichen: Denn bei einer konkreten Gefahr werde der Vorgang in allen vorstellbaren Fallkonstellationen bereits bei der Polizei in Bearbeitung sein. Dementsprechend habe die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde von diesem Mittel niemals Gebrauch auch gemacht und es werde auch zukünftig keine Anwendungsmöglichkeit für dieses Mittel gesehen (S. 26 f.).

Konkretes Schadensereignis vs. individuelles Verhalten

Anders als von der Entwurfsbegründung zumindest nahegelegt, gilt aber auch für die Variante, in der das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begehen wird, nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr herausgearbeitet, dass die Konkretheit des Gefahrurteils sich auf zwei unterschiedliche Aspekte bezieht. Zum einen auf die Konkretheit des Wahrscheinlichkeitsurteils, das anders als bei der abstrakten Gefahr nicht von gefahrrelevanten Aspekten des konkreten Sachverhalts abstrahieren darf; zum anderen auf die Konkretisierung des Schadensereignisses, auf das sich das Wahrscheinlichkeitsurteil bezieht.

In den in Bezug genommenen Ausführungen geht es dem Verfassungsgericht nicht um den ersten Aspekt. Es geht ihm nicht darum, die Anforderungen an die Konkretheit und das erforderliche Maß der Wahrscheinlichkeit oder die geforderte zeitliche Nähe abzusenken. Vielmehr geht es dem Gericht lediglich um den zweiten Konkretisierungspunkt: Für die Annahme einer konkreten Gefahr muss nicht immer schon ein „seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen“ in seinen Grundzügen feststehen. In Hinblick auf die Konkretisierung des Schadensereignisses lässt das Gericht alternativ genügen, dass aufgrund des Verhaltens der Person des Maßnahmeadressaten die konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser in überschaubarer Zukunft eine terroristische Straftat begehen wird, deren genauer Ablauf jedoch noch nicht abgesehen werden kann (Rn. 112).

Während in dem einen Fall also die konkrete Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass zeitlich absehbar ein in seinen Grundzügen feststehendes Schadensereignis eintreten wird, kann in dem anderen Fall das konkrete Schadensereignis zwar offen bleiben. Dafür muss aber die konkrete Wahrscheinlichkeit bestehen, dass eine bestimmte Person in überschaubarer Zukunft irgendeine terroristische Straftat begehen wird und diese Wahrscheinlichkeit muss sich gerade mit dem Verhalten dieser Person begründen lassen. Die Möglichkeit zum Einsatz dieser Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren ergibt sich hieraus also gerade nicht. Insofern wäre es äußerst bedenklich, wenn Wohnraumüberwachung und Trojaner tatsächlich Eingang in ein neues hessisches Verfassungsschutzgesetz finden sollten.

Ausblick: Von der Informationserhebung zur Informationsverwendung

Bei dem Versuch, die Befugnisse, die den Sicherheitsbehörden im Rahmen der personalen Prävention zur Verfügung stehen, rechtsstaatlich zu begrenzen, wird mittelfristig kein Weg daran vorbei führen, neben den Maßnahmen der Informationserhebung verstärkt die Weitergabe und Verwendung der gesammelten Informationen in den Blick zu nehmen. Denn auch über das Maß der Informationserhebung lässt sich letztlich nur sinnvoll diskutieren, wenn klar ist, für welche Maßnahmen und Verfahren die Informationen zur Verfügung stehen sollen.

Hierzu gehören etwa auch die künftigen Befugnisse des Landesamts zur Informationsübermittlung innerhalb des öffentlichen Bereichs gem. § 21 HVSG. Diese korrespondieren zu erheblichen Teilen mit den Befugnissen in §§ 13a und 13b  HSOG, welche die Hessischen Polizeibehörden dazu ermächtigen, Zuverlässigkeitsüberprüfungen zum Schutz staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen sowie von Veranstaltungen außerhalb des öffentlichen Bereichs vorzunehmen. Mit dem zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ergangenen Änderungsantrag sollen diese Befugnisse dabei zusätzlich auf den sogenannten Bereich der „Extremismusprävention“ ausgeweitet werden. Anders als bei der Informationserhebung fehlt es hier bislang jedoch an jeglichen Maßstäben, die angeben, wie weit die staatliche Befugnis zur Vornahme derartiger Prognoseentscheidungen reicht. Es darf also weiter geforscht werden.

Die in Vorbereitung der Anhörung zu dem Entwurf für ein „Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen“ abgegebenen schriftlichen Stellungnahmen finden Sie hier. Darunter findet sich auch die vollständige Stellungnahme der beiden Autoren des Beitrags.


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