20 September 2018

Maaßen bleibt Seehofers Sache: Warum die Beförderung zum Staatssekretär keiner Kabinetts­entscheidung unterliegt

Die „GroKo“ hat sich am Dienstag auf einen mit Recht kritisierten politischen Kompromiss zur Personalie des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, verständigt. Danach soll Herr Maaßen auf Betreiben der SPD den Verfassungsschutz künftig nicht mehr leiten, sondern zum beamteten Staatssekretär in Horst Seehofers Bundesministerium des Innern berufen werden. In der SPD ist eine heftige Diskussion über diesen von der eigenen Vorsitzenden mitgetragenen Kompromiss entbrannt. Teilweise wird sogar die Forderung laut, die der Partei zugehörenden Mitglieder der Bundesregierung sollten der Personalentscheidung im Kabinett nicht zustimmen.

Eines solchen Kabinettsbeschlusses über die Personalie „Maaßen“ bedarf es jedoch gar nicht. Horst Seehofer kann als zuständiger Minister allein darüber befinden, wen er in seinem Haus zum beamteten Staatssekretär machen will – genauso wie er grundsätzlich allein über die Entlassung von Herrn Maaßen als Verfassungsschutzpräsident zu entscheiden hatte. Das sind verfassungsrechtliche Aussagen, die ich gleich begründen werde. Zuvor ist, um Missverständnissen vorzubeugen, die politische Seite des Vorgangs anzusprechen: Natürlich musste in einer Koalitionsregierung über die höchst umstritten gewordene „Personalie Maaßen“ Konsens hergestellt werden. Politisch stand es in der Macht der SPD (und ebenso der anderen Koalitionspartner), das Verbleiben in der Koalition und damit den Bestand der Bundesregierung von der Entlassung (genauer: der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nach § 54 Abs. 1 BBG durch den Bundespräsidenten) von Herrn Maaßen abhängig zu machen. Genauso wäre ein Veto gegen seine Beförderung zum Staatssekretär politisch möglich gewesen. Der letztlich gefundene Kompromiss ist dagegen Ausdruck der politischen Kräfteverhältnisse in einer Bundesregierung, die nicht erst seit diesem Vorgang maßgeblich von der Entzweiung der beiden Parteivorsitzenden der Union geprägt ist. Und so war der umstrittene Kompromiss offenbar der Preis für den Fortbestand der Bundesregierung.

Verfassungsrechtlich betrachtet liegt es dagegen in der Ressortkompetenz des Bundesinnenministers, über die Entlassung des Leiters einer nachgeordneten Behörde und über die Auswahl des Spitzenpersonals des eigenen Hauses zu entscheiden. Nach Art. 65 Satz 2 GG leiten die Bundesministerinnen und Bundesminister ihre Geschäftsbereiche selbständig und eigenverantwortlich – dies allerdings innerhalb der Richtlinien der Politik, die nach Art. 65 Satz 1 GG von der Bundeskanzlerin bestimmt werden. Dieser Widerstreit zwischen Richtlinienkompetenz des Kanzlers und Ressortkompetenz des Ministers führt natürlich zu Streitfragen: Wann wird eine Sachfrage zu einer Richtlinie der Politik, die vom Kanzler bestimmt und dem an sich zuständigen Minister vorgegeben werden kann? Ich bin der Meinung, dass die Richtlinienkompetenz weit verstanden werden sollte und der Kanzler einen sehr weiten politischen Spielraum dabei hat, Sachfragen zu Richtlinien der Politik zu erklären und dadurch an sich zu ziehen. Bei Personalfragen liegen die Dinge aber anders: Die Organisationsgewalt über das eigene Ressort und damit über das personelle Arbeitsumfeld kommt den Ministerinnen und Ministern weitgehend unentziehbar zu (die Gegenauffassung hat jüngst Christoph Schönberger auf dem Verfassungsblog vertreten, dessen Fokus auf die Befugnisse des Bundespräsidenten nichts an der Tatsache ändert, dass der regierungsinterne Konflikt im Rahmen von Art. 65 GG zu lösen ist). Allenfalls der Verbleib eines in der Öffentlichkeit stehenden hohen Repräsentanten eines Ressorts, also eines Staatssekretärs oder tatsächlich des Leiters einer nachgeordneten Behörde, dessen Amtsführung nicht nur nach der subjektiven Anschauung des Kanzlers untragbar geworden ist, ließe sich unter Verweis auf einen Vertrauensverlust der Politik ausnahmsweise zu einer Richtlinie der Politik erklären. Dann entschiede die Bundeskanzlerin allein, nicht dagegen die Bundesregierung im Kollegium, über die Abberufung. Ob diese Voraussetzungen für die Erklärung einer Personalfrage zu einer Richtlinie der Politik im Fall von Herrn Maaßen nach den Äußerungen zu den Vorfällen in Chemnitz gegeben waren, lässt sich diskutieren. Angesichts des unter Beteiligung des Innenministers erzielten politischen Kompromisses hat sich diese Frage jedoch schon erledigt. Immer verbleibt dem Kanzler die Möglichkeit, auch einzelne Personalfragen, wenn sie ihm dafür als wichtig genug erscheinen, zum Anlass dafür zu nehmen, den Bundespräsidenten nach Art. 64 Abs. 1 GG um die Entlassung eines Ministers oder einer Ministerin zu bitten. Dieses Recht kann der Kanzler nach seinem politischen Ermessen jederzeit in Anspruch nehmen. Dabei muss er natürlich auch in Rechnung stellen, ob seine politische Stellung innerhalb einer Koalitionsregierung für einen solch gravierenden Schritt stark genug ist.

Auf die Tagesordnung gerückt ist mittlerweile die Frage der Entscheidungskompetenz über die Beförderung von Herrn Maaßen zum beamteten Staatssekretär. Man kann auch diese Frage angesichts des darüber erzielten Kompromisses für erledigt erklären. Aber der Kompromiss hat seit gestern zu bröckeln begonnen. Da dabei auch auf das anstehende Entscheidungsverhalten der SPD innerhalb der Bundesregierung verwiesen wird, lohnt es sich, die Dinge einmal verfassungsrechtlich zu beleuchten: Nach § 15 Abs. 2 lit. a) der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) ist die Auswahl beamteter Staatssekretäre dem Bundeskabinett zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten. Einen die „Personalie Maaßen“ bestätigenden Kabinettsbeschluss könnten die SPD-Ministerinnen und -Minister rechtlich gesehen nicht verhindern: Die nach § 24 Abs. 2 Satz 1 GOBReg erforderliche einfache Mehrheit kann auch gegen ihre Stimmen zu Stande kommen. Doch auch etwaige nicht ganz fernliegende Versuche, einen Kabinettsbeschluss politisch zu verhindern, würden rechtlich ins Leere gehen: Denn § 15 Abs. 2 lit. a) GOBReg ist verfassungswidrig, weil er die Ressortkompetenz aus Art. 65 Satz 2 GG beschränkt.

Die Geschäftsordnung unternimmt den Versuch, wesentliche Personalentscheidungen der einzelnen Ministerinnen und Minister zu Angelegenheiten der gesamten Bundesregierung zu machen. Das mag politisch gesehen völlig realistisch sein, beschneidet aber rechtlich gesehen die Organisationsgewalt der Ministerinnen und Minister in unzulässigem Umfang. Darauf hat vor mehr als 50 Jahren schon Ernst-Wolfgang Böckenförde in seiner Untersuchung über die Organisationsgewalt hingewiesen. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 65 Satz 3 GG, wonach das Kabinett über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ministern entscheidet. Anderenfalls wäre es möglich, durch das Heraufbeschwören von Dissens über Personalfragen die Kompetenz vom Minister auf das Kabinett zu verlagern. Auch aus dem Hinweis in Art. 65 Satz 4 GG auf die von der Bundesregierung zu beschließende Geschäftsordnung ergibt sich nichts anderes: Sicherlich kann man diese Geschäftsordnungsautonomie der Bundesregierung als Chance sehen, die politisierten Kräfteverhältnisse in einer Koalitionsregierung auszutarieren. Unter diesem Blickwinkel spricht viel für einen nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Spielraum für die Geschäftsordnung, die durch den Konflikt zwischen Richtlinienkompetenz und Ressortkompetenz dann mehr eingerahmt als determiniert ist. Die wesentlichen Personalentscheidungen im eigenen Verantwortungsbereich liegen aber meiner Meinung nach so sehr im Zentrum der Ressortkompetenz, dass auch ein erheblicher Spielraum hier überschritten wäre. Den von Martin Oldiges entwickelten Ansatz, die Geschäftsordnung insoweit zu retten, dass man sie für verfassungskonform hält, indem die Beschlussfassung des Kabinetts über Personalentscheidungen zwar erfolgen darf, die betroffenen Ministerinnen und Minister dann aber nicht bindet, finde ich nicht sonderlich überzeugend. Konsequenter erscheint es mir, die Entscheidung entgegen der insoweit unwirksamen Geschäftsordnung in der verfassungsrechtlich geschützten Ressortkompetenz zu belassen. Deshalb darf Horst Seehofer allein entscheiden, wen er in seinem Haus zum Staatssekretär macht. Ein etwaig vorliegender Kabinettsbeschluss würde ihn deshalb ebenso wenig binden wie eine gescheiterte Beschlussfassung der Bundesregierung. Auch hierbei unterliegt er rechtlich gesehen aber wieder dem Entlassungsrecht der Bundeskanzlerin. Solange freilich dieses Verhältnis von einer politischen mutually assured destruction-Logik geprägt bleibt, treten die rechtlichen Determinanten des Regierungshandelns realistisch betrachtet ohnehin etwas in den Hintergrund.

Dieser Beitrag erscheint auch auf dem Blog Zur Geschäftsordnung.


One Comment

  1. Dominic Schelling Fri 21 Sep 2018 at 15:00 - Reply

    Es scheint so, dass es zu diesen Fragestellungen keine Urteile des Bundesverfassungsgerichts gibt und diese Frage, wie auch im Artikel angedeutet, eine eminent politische zu sein scheint. Sprich, solche Fragen wurden also schon immer politisch gelöst, da bei Dissens sofort die bestehende Koalitionsregierung auf dem Spiel stand oder steht. Ein Bundesminister, der seine Bundeskanzlerin einklagt, der wäre dann bald ein Bundesminister a.D. Somit bleibt es ein stochern im Nebel, da eben letztendlich eine Auslegung des Bundesverfassungsgerichts fehlt. Es fehlt ja eine Opposition innerhalb einer Bundesregierung, die sowas einklagen könnte, denn alle BundesministerInnen sind vom Vertrauen des Kanzlers abhängig und bei Klagen ist dieses Vertrauen selbstredend weg. Als Anfang der 2000er Jahre Manfred Stolpe als Brandenburgischer Ministerpräsident das Nein des CDU-Vertreters im Bundesrat sozusagen überstimmte, konnte das Bundesverfassungsgericht, durch eine Klage der Opposition, die Sachlage klären, dass die Stimmabgabe einheitlich sein müsse und es kein Vorrecht des Ministerpräsidenten gäbe. Nur in solchen Konstellationen scheint eine Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglich zu sein, an der man sich zukünftig richten kann.

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